Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** O*****, vertreten durch Dr. Thomas Stoiberer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 1. 7.132,82 EUR sA und 2. Feststellung (Streitwert: 30.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Oktober 2019, GZ 12 Ra 65/19v-12, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
I. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Feststellungsmängel bilden nicht den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO, sondern können nur mit dem Revisionsgrund nach § 503 Z 4 ZPO geltend gemacht werden (RS0043304). Mit einem zusätzlichen rechtlichen Aspekt, der bloß die (nicht überraschende) Rechtsauffassung des Erstgerichts bestätigt, hat das Berufungsgericht nicht gegen § 182a ZPO verstoßen, weil es damit die Klagsabweisung auf keinen neuen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat (vgl RS0037300).
II. Übereinstimmend wiesen die Vorinstanzen das Leistungs- und Feststellungsbegehren des seit 18. 9. 2017 als Vertragsbediensteter (Schulwart) des beklagten Bundes beschäftigten Klägers auf Anrechnung seiner Vordienstzeiten im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses bei der Post- und Telegraphenverwaltung (nicht strittig, weil von der Beklagten angerechnet) und nach Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes (PTSG) mit 1. 5. 1996 als Arbeitnehmer der Post und Telekom Austria AG bzw ab 1. 7. 1999 der Österreichischen Post AG ab. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht aufgrund der klaren Gesetzeslage und der dazu ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht zugelassen.
Rechtliche Beurteilung
Mit der gegen die Berufungsentscheidung erhobenen außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
1. Nach § 26 Abs 2 Z 1 VBG 1948 sind als Vordienstzeiten auf das Besoldungsdienstalter ua die zurückgelegten Zeiten in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft anzurechnen.
2. Eine Gebietskörperschaft ist eine juristische Person öffentlichen Rechts, die durch ein personales Element gekennzeichnet ist. Sie setzt sich aus einer Mehrzahl von Personen eines bestimmten Gebiets zusammen, die der Körperschaft im Wege einer Pflichtmitgliedschaft angehören. Charakteristikum der Gebietskörperschaft ist darüber hinaus die Gebietshoheit und eine allgemeine sachliche, nicht bloß auf ein einzelnes Sachgebiet beschränkte Zuständigkeit (9 ObA 85/09d mwN; Mayer/Muzak, B-VG5 [2015] Art 116 Anm I.1.; Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts11 [2015] Rz 863). Gebietskörperschaften in Österreich sind der Bund, die Länder und die Gemeinden (VwGH 2005/12/0046; 2009/12/0146 ua).
Wenn im Wege der Ausgliederung auf sondergesetzlicher Basis eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit entstanden ist, liegt keine Gebietskörperschaft vor. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Gesellschaften des Privatrechts handelt, die im Alleineigentum einer (inländischen) Gebietskörperschaft stehen oder um juristische Personen öffentlichen Rechts, die im ausschließlichen Ingerenzbereich einer (inländischen) Gebietskörperschaft liegen (VwGH 2005/12/0056; 2009/12/0146). Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die Post und Telekom Austria AG bzw die Österreichische Post AG als ausgegliederte Rechtsträger seien keine Gebietskörperschaften, ist daher nicht zu beanstanden.
3. Die gegenteilige Ansicht des Revisionswerbers lässt sich auch der von ihm zitierten Entscheidung VwGH Ro 2017/07/2006, die sich mit dem Organbegriff des Art 20 Abs 4 B-VG und § 1 des Auskunftspflichtgesetzes, nicht aber mit der Frage der Qualifikation eines ausgegliederten Rechtsträgers als Gebietskörperschaft beschäftigt, nicht entnehmen. Die Überlegungen des Revisionswerbers zur Qualifikation von Postzustellern als Organe des Bundes, die in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vornehmen, und dem „gesetzliche Versorgungsauftrag“ der Österreichischen Post AG gegenüber der österreichischen Bevölkerung ändern an der mangelnden Qualifikation der Post und Telekom Austria AG bzw der österreichischen Post AG als Gebietskörperschaft iSd § 26 Abs 2 Z 1 VBG 1948 nichts.
4. Damit gehen auch die weiteren Ausführungen des Revisionswerbers zur rechtlichen Qualifikation der nach § 17 Abs 2 und 3 PTSG eingerichteten Personalämter, denen die Aufgaben des Dienstgebers im Dienstrecht für die Vertragsbediensteten, die Dienstnehmer der Post- und Telekom Austria AG wurden, zukommen (§ 18 Abs 3 PTSG), ins Leere. Im übrigen kommt nach § 17 Abs 2 PTSG den Personalämtern nur für die dem jeweiligen Unternehmen zugewiesenen Beamten die Funktion einer obersten Dienstbehörde als Teil der Bundesverwaltung zu (vgl ErlRV 72 BlgNR 20. GP 322; vgl 9 ObA 52/16m Pkt 2.; 1 Ob 148/18y Pkt 1. mwN).
5. Die vom Gesetzgeber im PTSG gewählte Regelung der Überleitung von Dienstverhältnissen aufgrund von Rechtswahrungsklauseln mit statischem Charakter (vgl § 18 Abs 1 letzter Satz PTSG) unter Übernahme des VBG 1948 bloß als Vertragsschablone hat zur Konsequenz, dass die – günstigeren – zwingenden Bestimmungen des ABGB bzw Angestelltengesetzes zur Anwendung gelangen. (8 ObA 162/01h = DRdA 2003/24 [Alvarado-Dupuy]; 9 ObA 71/13a Pkt 2.). Die Rechtswahrungsklausel des § 18 Abs 1 letzter Satz PTSG bietet aber keine Grundlage für die klägerischen Ansprüche, weil sie nicht besagt, dass die Dienstzeiten bei der Österreichischen Post AG damit als Vordienstzeiten im Bundesdienst zu qualifizieren sind.
6. Auch die in § 18 Abs 2 zweiter Halbsatz PTSG (sowie regelmäßig auch in anderen Ausgliederungsgesetzen, vgl Kühteubl, Ausgliederungen – eine aktuelle Bestandsaufnahme – Historischer Rückblick, Grundbegriffe und Typologie aus arbeitsrechtlicher Sicht sowie Analyse von „Wahrungsklauseln“, in Brodil, Ausgliederungen – Arbeitsrecht am „Zusammenfluss“ von Beamten und Arbeitnehmern [2008] 1 [4]) vorgesehene subsidiäre Haftung des Bundes für Ansprüche der übergeleiteten Dienstnehmer bietet keine Grundlage für die klägerischen Ansprüche, die der Kläger aus seinem Dienstgeberwechsel vom ausgegliederten Unternehmen zur Beklagten ableitet.
7. Weshalb der Kläger durch die Nichtanrechnung seiner klagsgegenständlichen Vordienstzeiten wegen seines Alters diskriminiert worden sei, wird auch mit Bezugnahme auf die in der außerordentlichen Revision angesprochenen Verfahren EuGH C-24/17, Österreichischer Gewerkschaftsbund, und EuGH C-396/17, Leitner, nicht nachvollziehbar dargestellt.
8. Soweit der Kläger seine Ansprüche auf Schadenersatz wegen Verletzung der Fürsorgepflicht der Beklagten stützt, weil er von dieser im Zusammenhang mit der Ausgliederung nicht darüber informiert worden sei, dass er bei der gesetzlichen Überleitung seines Dienstverhältnisses zur „Post“ seine Vordienstzeiten zum Bund verlieren würde und ihm damit bei einem Wechsel wiederum zum Bund diese Zeiten nicht angerechnet würden, haben die Vorinstanzen dieses Begehren wegen Unschlüssigkeit abgewiesen. Ob ein Klagebegehren schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, stellt aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 Z 4 ZPO dar (RS0037780). Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraums. Aus den in der außerordentlichen Revision im Zusammenhang mit der Ausgliederung der Österreichischen Post AG angestellten Überlegungen zum AVRAG ist daher für den Kläger ebenfalls nichts zu gewinnen.
9. Die Frage schließlich, wie der Kläger die Erklärungen des Direktors der Schule und einer Mitarbeiterin des (damals noch) Landesschulrats für Salzburg in Bezug auf die Anrechnung seiner Vordienstzeiten verstehen durfte, ist nicht entscheidungsrelevant. Regelungen, die vom VBG abweichen, können nur in Sonderverträgen getroffen werden, die als solche zu bezeichnen sind und (zum Zeitpunkt des Dienstvertragsabschlusses) der Genehmigung des Bundeskanzlers bedurften (§ 36 Abs 1 VBG 1948 idF BGBl I 2003/130; 9 ObA 109/18x Pkt 2.). Ein derartiger Sondervertrag des Klägers lag aber unstrittig nicht vor.
Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
Textnummer
E127966European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00003.20M.0226.000Im RIS seit
11.05.2020Zuletzt aktualisiert am
11.05.2020