TE OGH 2020/2/26 9ObA140/19g

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer, Mag. Eva Suitner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 4.823,21 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert: 2.180 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. November 2019, GZ 13 Ra 31/19k-11, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Dienstverhältnis des Klägers zur Rechtsvorgängerin der Beklagten wurde vor dem 1. 5. 1996 begründet und gemäß § 18 Abs 1 Poststrukturgesetz (PTSG) auf die Beklagte übergeleitet. Bei Einstufung des Klägers am Beginn des Dienstverhältnisses waren Zeiten, in denen er vor Vollendung des 18. Lebensjahrs als Postpraktikant tätig war, nicht berücksichtigt worden. Unter Berücksichtigung dieser Zeiten hätte sich ein günstigerer Vorrückungsstichtag und damit ein höheres Entgelt des Klägers ergeben. Für den Zeitraum 1. 1. 2012 bis 31. 5. 2019 beträgt diese Differenz insgesamt 4.823,21 EUR.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 4.823,21 EUR sA sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihm auch zukünftig für die Entgeltdifferenz zwischen der tatsächlichen Einstufung und der Einstufung unter Berücksichtigung des richtigen Vorrückungsstichtages und des richtigen Vorrückungstermins haftet.

Die Vorinstanzen sahen das Klagebegehren als berechtigt an, da die Nichtberücksichtigung der Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr altersdiskriminierend sei.

Die Beklagte wendet sich in ihrer außerordentlichen Revision nicht gegen die grundsätzliche Berechtigung des Anspruchs des Klägers, der sich aus der Anrechnung der Vordienstzeiten ergibt, sondern bestreitet ausschließlich ihre Passivlegitimation und bringt vor, dass die Überbindung der Nachzahlungsverpflichtungen des Bundes auf die Beklagte gegen das Recht auf Kapitalverkehrsfreiheit und das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit verstößt. Daher sei § 18 PTSG unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass nur der Bund für diese Nachzahlungen haftet.

Damit gelingt es der Beklagten nicht, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Rechtliche Beurteilung

1. Voranzustellen ist, dass es sich bei den Ansprüchen, die der Kläger geltend macht, um Entgeltansprüche für die Erbringung von Arbeitsleistungen für die Beklagte, also nach Rechtsübergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte, handelt. Diese Nachzahlungsansprüche ergeben sich daraus, dass die Beklagte – so wie ihre Rechtsvorgängerin – Dienstzeiten vor dem 18.Lebensjahr unionsrechtswidrig nicht angerechnet hat.

Die Nachzahlungsansprüche stellen daher keine der Beklagten als Sonderbelastung übertragene Verpflichtung dar, sondern ergeben sich daraus, dass sie wie jeder andere Arbeitgeber hinsichtlich der Entgelte ihrer Beschäftigten nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung verstoßen darf.

Warum die Beklagte als Dienstgeberin dem Kläger als Dienstnehmer nicht für das (diskriminierungsfrei berechnete) Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung haften soll, lässt sich der außerordentlichen Revision nicht entnehmen.

2. Die Beklagte argumentiert, dass diese Verpflichtung gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt.

Sie beruft sich dazu auf eine Vielzahl von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wobei sie selbst erkennt, dass diese jeweils staatliche Sonderrechte in Bezug auf die organisatorische Gesellschaftsverfassung zu beurteilen hatten. Soweit die Beklagte diese Rechtsprechung auf den Fall der „Belastung mit zusätzlichen Entgeltnachzahlungen für zwangsweise übergeleitete Bedienstete“ übertragen will, übersieht sie, dass die Belastung durch das „zusätzliche Entgelt“ sich nicht aus einer staatlichen Maßnahme ergibt, sondern aus dem Verbot von Altersdiskriminierung. Wenn sie dabei dem Bund vorwirft, die Nachzahlung durch die Schaffung eines diskriminierenden Besoldungssystems verursacht zu haben, übergeht sie, dass bei einem von Anfang an diskriminierungsfreien Besoldungssystem (unter Berücksichtigung der Vordienstzeiten) die Zahlungen ebenfalls zu leisten gewesen wären.

Im Übrigen hat bereits das Berufungsgericht richtig darauf verwiesen, dass die Übernahme von Arbeitnehmern zu den für den Rechtsvorgänger verbindlichen Konditionen bei einem Betriebsübergang sowohl nach dem AVRAG als auch nach der BetriebsübergangsRL 2001/03/EG (früher RL 77/187/EWG) in der Regel zwingend ist und die Verpflichtung dazu im Rahmen einer Ausgliederung kein Abgehen von normalerweise für Gesellschaften geltende Regelungen darstellt.

3. Wenn die Beklagte weiters eine Verletzung des Grundrechts auf unternehmerische Freiheit geltend macht und aus der Entscheidung des EuGH C-426/11, Alemo-Herron, ableiten möchte, dass eine übermäßige Belastung ausgegliederter Rechtsträger mit öffentlichem Dienstrecht einen Verstoß gegen dieses Grundrecht darstellt, missversteht sie die wesentliche Aussage dieser Entscheidung. Diese geht nämlich grundsätzlich davon aus, dass bei einem Unternehmensübergang von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auf eine juristische Person des Privatrechts die Arbeitnehmer mit den zu diesem Zeitpunkt geltenden Arbeitsbedingungen übergehen. Der Erwerber darf jedoch nicht durch einen dynamischen Verweis auf nach dem Übergang des Unternehmens verhandelte und geschlossene Kollektivverträge gebunden werden, wenn ihm verwehrt ist, in den betreffenden Tarifverhandlungsorganen mitzuwirken. Vielmehr muss ihm möglich sein, im Rahmen eines zum Vertragsabschluss führenden Verfahrens, an dem er beteiligt ist, seine Interessen wirksam geltend zu machen und die die Entwicklung der Arbeitsbedingungen seiner Arbeitnehmer bestimmenden Faktoren mit Blick auf seine künftige wirtschaftliche Tätigkeit auszuhandeln (Rn 28, 33, 34).

Eine solche Einschränkung enthält das PTSG gerade nicht. Vielmehr wurde der Beklagten nach § 19 Abs 3 PTSG ausdrücklich Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt, womit sie die Möglichkeit hat, den Inhalt zukünftiger Kollektivverträge unmittelbar mitzugestalten.

4. Da es der außerordentlichen Revision daher nicht gelingt, unionsrechtlichen Bedenken zu wecken, muss auf die Frage, ob selbst bei Vorliegen einer Unionswidrigkeit die Zahlungspflicht der Beklagten gegen ihre Arbeitnehmer entfallen würde oder allfällige Ansprüche nur im Verhältnis zum Bund geltend gemacht werden könnten, nicht weiter eingegangen werden.

5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Textnummer

E127918

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00140.19G.0226.000

Im RIS seit

07.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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