TE OGH 2020/2/26 1Ob16/20i

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.

 Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt S*****, vertreten durch die Benn-Ibler Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei K***** AG, *****, vertreten durch die Weber Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Wien, wegen 312.706,88 EUR sowie Feststellung (Streitwert 80.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2019, GZ 6 R 71/19g-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 29. März 2019, GZ 9 Cg 39/18g-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Frage, ob der Kreditgeber je nach Entwicklung des Referenzzinssatzes auch zu einer Zinszahlung an den Kreditnehmer verpflichtet sein kann, nahm der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach Stellung (10 Ob 13/17k; 6 Ob 51/17v; 1 Ob 4/17w; 9 Ob 35/17p; 8 Ob 101/16k; 8 Ob 107/16t), wobei diesen Verfahren sowohl Verbandsklagen, als auch Klagen einzelner Kreditnehmer zu Grunde lagen. Er ging in den genannten Entscheidungen jeweils davon aus, dass sich die Parteien typischerweise darüber einig sind, dass der Kreditnehmer als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Kreditvaluta Zinszahlungen zu leisten hat. Gemessen am Maßstab eines redlichen Erklärungsempfängers rechnet der Kreditnehmer bei Vertragsabschluss nicht damit, zu irgendeinem Zeitpunkt während der Kreditlaufzeit Zahlungen vom Kreditgeber zu erhalten, sodass dieser insgesamt – oder in einzelnen Zinsperioden – möglicherweise weniger zurück erhält, als er zur Verfügung gestellt hat. Auch der Kreditgeber ist zu keiner Zeit gewillt, Zahlungen an den Kreditnehmer zu leisten. Es besteht daher beim Kreditvertrag allgemein ein übereinstimmender Parteiwille, der eine Zahlungsverpflichtung der kreditgebenden Bank an den Kreditnehmer ausschließt.

2. Das Berufungsgericht legte diese Rechtsprechung seiner Beurteilung der zwischen den Parteien abgeschlossenen Darlehensverträge zugrunde. Diese enthielten jeweils folgende Zinsvereinbarungen: „Der Zinssatz liegt immer [in den verschiedenen Verträgen zwischen 0,063 und 0,14 % pa] über dem Tageswert des 6-Monats-CHF-LIBOR gemäß [...] oder der Zinssatz liegt immer [in den verschiednen Verträgen zwischen 0,046 und 0,1 % pa] über dem Tageswert des 6-Monats EURIBOR gemäß […].“ Es bestätigte unter Verweis auf § 

500a ZPO die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach – insbesondere nach dem Wortlaut der Verträge – kein ausreichender Anhaltspunkt dafür bestehe, dass die Parteien vom typischen Verständnis eines Kreditvertrags (Darlehensvertrags), wonach der Kreditgeber (Darlehensgeber) auch bei negativem Referenzzinssatz zu keinen Zinszahlungen verpflichtet sein soll, abweichen wollten.

3. Gemäß § 914 ABGB hat die Auslegung von Verträgen nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern es ist unter Berücksichtigung aller Umstände die Absicht der Parteien (der „Geschäftszweck“; vgl RS0000406 [T2]; RS0017797 [T8]) zu erforschen. Der Vertrag ist so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei nicht so sehr auf die Wortwahl, sondern auf die von den Parteien bezweckte Regelung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen abzustellen ist (RS0017802 [T6]). Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, wenn in krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares, aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierendes Auslegungsergebnis erzielt wurde (vgl etwa RS0042936; RS0112106; RS0044358 [T20, T31, T33, T40]). Dass dem Berufungsgericht eine solche Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, zeigt die Revision nicht auf.

4. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist die Frage, ob die beklagte Bank bei einem entsprechend negativen Referenzzinssatz (Darlehens-)Zinsen an die Klägerin als Darlehensnehmerin zahlen muss, in den Zinsvereinbarungen – trotz Verwendung des Wortes „immer“ – keineswegs klar geregelt. Auch dass (was das Berufungsgericht übersah) die in Punkt V der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten enthaltenen (allgemeinen) Bestimmungen über die Entgeltlichkeit der von der Beklagten erbrachten Leistungen nicht Vertragsinhalt wurden (wobei sich die Entgeltlichkeit der Darlehen hier unabhängig von diesen Klauseln ergibt), ändert an dieser Unklarheit nichts. Dass die Vorinstanzen der Vertragsauslegung mangels eindeutigen Vertragswortlauts
– in den Darlehensverträgen ist keine Rede davon, dass die Darlehensgeberin unter bestimmten (Zins-)Umständen (Negativ-)Zinsen an die Darlehensnehmerin zu zahlen hätte – das Verständnis typischer Vertragsparteien eines (eine Zinsgleitklausel enthaltenden) Darlehensvertrags zugrundelegten, die – wie der Oberste Gerichtshof in den eingangs genannten Entscheidungen klarstellte – im Allgemeinen davon ausgehen, dass der Kreditnehmer als Entgelt für die Zurverfügungstellung eines Geldbetrags Zinsen zu zahlen hat und eine rechnerische Entwicklung des Zinsniveaus ins Negative bloß dieses Entgelt – allenfalls bis auf Null – reduziert, wohingegen ein redlicher Kreditnehmer regelmäßig nicht damit rechnen kann, dass der Kreditgeber
– entgegen der Vorstellung, für seine Leistung ein Entgelt zu erhalten – einer Zahlungspflicht in Form von „Negativzinsen“ zustimmen werde und damit möglicherweise weniger zurückerhält, als er zur Verfügung gestellt hat, begegnet keinen Bedenken. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nahm das Berufungsgericht einen solchen „typischen“ Parteiwillen keineswegs „ohne Sachverhaltsgrundlage“ an, sondern berücksichtigte bei der Vertragsauslegung, dass sich weder aus dem (unklaren) Vertragstext noch aus sonstigen Umständen Anhaltspunkte für ein davon abweichendes übereinstimmendes Vertragsverständnis ergaben.

5. Dass das vom Berufungsgericht gewonnene Auslegungsergebnis mit den allgemeinen Auslegungsregeln in einem klaren – und daher vom Obersten Gerichtshof zu korrigierenden – Widerspruch stünde, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Soweit sie den Wortlaut der Zinsvereinbarungen ins Zentrum ihrer Interpretation rückt und daraus ableiten möchte, dass bei einem entsprechend negativen Referenzzinssatz die beklagte Darlehensgeberin Zinsen an die klagende Darlehensnehmerin zahlen müsse (weil die „Formel“ zur Zinsberechnung „immer“ einzuhalten sei), vernachlässigt sie den typischen Zweck und das typische Verständnis vom Wesen eines Kredit- bzw Darlehensvertrags (vgl 9 Ob 35/17p). Überzeugende, die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung fragwürdig erscheinen lassende Hinweise darauf, dass die Vertragsparteien einen anderen als den – eine Zinszahlung durch den Darlehensgeber ausschließenden – typischen Parteiwillen gehabt hätten, vermag die Revision insgesamt nicht ins Treffen zu führen. Die Revisionswerberin übersieht auch, dass der Wortlaut der Darlehensverträge (insbesondere – worauf sie selbst mehrfach hinweist – die Formulierung der Zinsklausel) von ihr vorgeschlagen wurde, sodass verbleibende (nicht bereits durch Zugrundelegung des typischen Vertragsverständnisses ausgeräumte) Unklarheiten darüber, ob die Beklagte unter bestimmten Umständen zur Zahlung von (Negativ-)Zinsen an die Klägerin verpflichtet sein könne, gemäß § 915 ABGB zu ihren Lasten gehen. Hätte(n) die Klägerin (die für diese handelnden Personen) – wovon diese in ihrer Revision offenbar ausgeht – die in den Darlehensverträgen enthaltenen Zinsvereinbarungen (vor allem das dort verwendete Wort „immer“) tatsächlich so verstanden, dass die Beklagte als Darlehensgeberin unter bestimmten Umständen (bei einem entsprechend negativen Referenzzinssatz) zur Zinszahlung an die Klägerin als Darlehensnehmerin verpflichtet sein könnte (die Klägerin argumentiert in ihrem Rechtsmittel, dass sie sich bei den Vertragsverhandlungen in diesem Sinn „durchgesetzt“ habe), wäre von einer redlichen Vertragspartei zu erwarten gewesen, dass sie ein solches – dem typischen Darlehensvertrag widersprechendes – Verständnis offenlegt; da die Klägerin (die in ihrer Revision weitgehend negiert, dass die für die Parteien handelnde Personen nach den Feststellungen bei Vertragsabschluss gar nicht nicht an eine negative Entwicklung der Referenzzinssätze dachten und diesen Fall daher auch nicht regeln wollten) eine solche Offenlegung ihres (behaupteten) Vertragsverständnisses gar nicht behauptet, musste die Beklagte von einem solchen auch nicht ausgehen.

6. Dass die Vertragsauslegung in bestimmten „atypischen“ (Einzel-)Fällen ausnahmsweise zum Ergebnis führen kann, dass die Bank bei entsprechend negativen Referenzzinssätzen zur Zahlung von „Negativzinsen“ an den Kreditnehmer verpflichtet sein soll, ändert nichts daran, dass das Berufungsgericht hier keinen solchen Vertragswillen annahm, sondern – mangels jeglicher Hinweise auf eine abweichende gemeinsame Parteiabsicht – vom typischen Willen der Parteien eines Kredit- bzw Darlehensvertrags ausging. Alleine dass die Darlehensverträge zwischen den Parteien individuell ausverhandelt wurden, der Vertragsentwurf großteils von der Klägerin stammte bzw „generell viele Vereinbarungen getroffen wurden, die von Bankenseite üblicherweise nicht akzeptiert werden“, vermag den in der Revision angesprochenen „atypischen Fall“, bei dem das von der Klägerin gewünschte Auslegungsergebnis (nämlich eine unter bestimmten Umständen bestehende Pflicht des Darlehensgebers zur Zahlung von [Negativ-]Zinsen) ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, nicht zu begründen. Auch aus dem Fehlen einer Zinsobergrenze bei einer gleichzeitig angenommenen Zinsuntergrenze „von Null“ ist für die Revisionswerberin nichts zu gewinnen, wurde in solchen Fällen doch nicht einmal bei Verbraucherkrediten ein Verstoß gegen das (für Verbraucherverträge in § 6 Abs 1 Z 5 KSchG normierte) „Symmetriegebot“ angenommen, weil dem Kunden durch die Begrenzung des Zinssatzes mit Null kein Risiko überwälzt, sondern dieser bloß von seiner Zinszahlungsflicht befreit werden soll (10 Ob 13/17k). Inwieweit sich durch eine behauptete – angeblich aufgrund ihrer (nicht näher dargelegten) Refinanzierungsstruktur eintretende – „Bereicherung“ der Beklagten bei einer Begrenzung des Darlehenszinssatzes auf Null ein vom „typischen“ Vertragsverständnis abweichender Vertragswille ergeben sollte, legt die Revision nicht nachvollziehbar dar.

7. Es ist auch nicht ersichtlich, warum das von verbraucherschutzrechtlichen Erwägungen unabhängige Argument eines (Zins-)Zahlungspflichten des Kredit- bzw Darlehensgebers ausschließenden (typischen) übereinstimmenden Parteiwillens nicht auch auf Unternehmerkredite bzw -darlehen anzuwenden sein sollte, weshalb der in der Revision erhobene Vorwurf, das Berufungsgericht habe nicht ausreichend zwischen Unternehmer- und Verbraucherkredit differenziert, ins Leere geht. Einen Widerspruch des bekämpften Urteils zur Entscheidung 1 Ob 75/19i zeigt die Revision bereits deshalb nicht auf, weil dort nicht (allenfalls) von der kreditgebenden Bank zu zahlende „Negativzinsen“ zu beurteilen waren, sondern die Frage der wirksamen Vereinbarung eines Mindestzinses. Soweit in der unterlassenen vertraglichen Regelung eines „Ausgleichs negativer Zinsforderungen“ durch die Beklagte („als mit Derivaten befasste und international tätige Spezialbank, der die Thematik von Negativzinsen im Zusammenhang mit solchen [Zins-]Derivaten bekannt sein musste“) die Verletzung einer ihr obliegenden Sorgfaltspflicht erblickt wird, vermag dies das auf Vertragserfüllung gerichtete Klagebegehren nicht zu rechtfertigen. Weshalb sich aus einem daraus abgeleiteten Verstoß der Beklagten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben die von der Klägerin angestrebte Vertragsauslegung ergeben sollte, lässt die Revision nicht klar erkennen.

8. Darauf, wer für die Klägerin den maßgeblichen Vertragswillen bildete, kommt es entgegen den Revisionsausführungen nicht an, weil hier mangels gegenteiliger Anhaltspunkte der übereinstimmende Vertragswille typischer Vertragsparteien zugrundegelegt wurde und nicht der (davon abweichende) Wille einer für die klagende Partei handelnden konkreten Person. Insoweit muss auch auf die dazu behauptete Aktenwidrigkeit nicht weiter eingegangen werden.

9. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E127924

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00016.20I.0226.000

Im RIS seit

07.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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