TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/23 W178 2176274-2

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Veröffentlicht am 23.10.2019
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Entscheidungsdatum

23.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §15b
AsylG 2005 §57
AVG §68
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W178 2176274-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Herrn XXXX , StA.

Afghanistan, vertreten durch: MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 01.10.2019, Zl. 1098068101-190675964, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Punkt VII geändert wird, dass nach § 53 FPG ein auf ein Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (Bf) stellte am 05.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BFA vom 31.10.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen gemäß § 3 AsylG abgewiesen, auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG, weiters wurde gemäß § 10 AsylG iVm § 52 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gem. § 52 Abs 9 FPG iVm § 46 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

2. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 07.06.2018 in allen Punkten abgewiesen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss 24.09.2018, E 2925/2018-9, vom die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

4. Der Bf hat am 18.11.2018 in Frankreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

5. Der Bf wurde am 04.07.2019 aus Frankreich nach Österreich überstellt und hat einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

6. Am 04.07.2019 und insbesondere am 25.09.2019 wurde der Bf zu seinem neuerlichen Antrag einvernommen. Zum Gesundheitszustand wurde ein Sachverständigengutachten von Frau Dr. Hruby erstellt (S. 71-77 im Akt des BFA).

7. Mit Bescheid vom 01.10.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und eine Rückkehrentscheidung nach § 10 AsylG iVm § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs 9 iVm § 46 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, es wurde ein Einreiseverbot von 2 Jahren nach § 53 FPG erlassen und festgestellt, dass dem Bf gemäß § 15b AsylG aufgetragen worden war, vom 04.07.2019 bis 29.07.2019 in einem bestimmten Quartier Unterkunft zu nehmen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass kein Sachverhalt vorgebracht worden sei, der nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Es könne keine besondere Integrationsverfestigung des Bf in Österreich festgestellt werden.

8. Dagegen wurde Beschwerde erhoben.

Zur Begründung wurde angeführt, dass nach Abschluss des Verfahrens neue Verfolgungsmomente aufgetreten seien, hinsichtlich der er Angst ums ein Leben habe, aufgrund begründeter Furcht vor Verfolgung und weil sich die Lage in Afghanistan massiv verschlechtert habe. Außerdem habe er aufgrund seines langen Aufenthaltes in Österreich bereits jegliche Bindung zu Afghanistan verloren und er könnte im Falle seiner Abschiebung keine menschenwürdige Existenz dort aufbauen, wohingegen er in Österreich ein schützenswertes Privat- und Familienleben aufgebaut habe. Es wurde die Aufhebung aller Punkte des Bescheidspruches beantragt.

9. Am 18.10.2019 wurde das Verfahren dem BVwG vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Bf:

Dieser Sachverhalt wurde, soweit nichts anderes angeführt, bereits im Erstverfahren festgestellt und hat sich nicht verändert.

Der Beschwerdeführer heißt XXXX XXXX , afghanischer Staatsangehöriger, aus der Volksgruppe der Hazara mit schiitischem Glaubensbekenntnis, seine Muttersprache ist Dari.

Der Bf stammt ursprünglich aus dem Distrikt Behsud, Provinz Maidan Wardak und ist von dort im Kleinkindalter gemeinsam mit seiner Familie in den Iran (Teheran) übersiedelt, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Sein Vater ist bereits verstorben, seine sonstigen Familienangehörigen (Mutter und Geschwister) leben in Teheran. Die Familie lebt vom Einkommen des Bruders des Beschwerdeführers, die finanzielle Situation der Familie bezeichnete der Bf als gut. Der Beschwerdeführer hat im Iran sechs Jahre lang die Schule besucht und eine Schneiderausbildung absolviert. Er arbeitete ca. 20 Jahre lang im Iran als Schneider, davon zwei Jahre selbstständig. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Bf hat im Erstverfahren angegeben, in Afghanistan keine Verwandten zu haben.

Es besteht in Österreich kein Strafregistereintrag. Er hat in Österreich keine Familie.

Der Beschwerdeführer ist nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. Hruby vom 08.09.2019 in einem guten Allgemeinzustand, abgesehen von einer Einschränkung bei derHand, eine psychische Störung liegt nicht vor.

Dem Bf ist nach der negativen Entscheidung durch das BVwG und nachdem die Behandlung der Beschwerde durch den VfGH abgelehnt worden war, unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Frankreich gereist und hat am 08.11.2018 dort einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Bis zur Rücküberführung nach Österreich durch die französischen Behörden am 04.07.2019 hat er dort gelebt.

1.2 Zu den Fluchtgründen:

Es konnte in diesem Verfahren keine Bedrohung durch einen Cousin wegen Grundstücksstreitigkeiten festgestellt werden. Weitere Nachfluchtgründe konnten auch nicht festgestellt werden.

1.3 Zur maßgeblichen Lage in Afghanistan (Länderberichte:

1.3.1 Diesbezüglich wird auf die Berichte im Erkenntnis im Erstverfahren und im angefochtenen Bescheid verwiesen.

Das Erkenntnis des BVwG im ersten Asylverfahren stützt sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Stand 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt mit 30.01.2018, insbesondere zur Sicherheitslage, den UNHCR-Richtlinien zum Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender in der Fassung vom 19.04.2016, und dem Dossier "Grundlagen der Stammes- & Clanstrukturen" von Prof. Lutz Rezak betreffend Clanstrukturen.

Es werden in der Folge Berichte angeführt, die nach der Entscheidung im Erstverfahren im Juni 2018 erstellt wurden, zur Einschätzung, ob es eine wesentliche Änderung gegeben hat.

1.3.2 Neuere Berichte (Stand nach dem Erk des BVwG vom 07.06.2018)

1.3.2.1 Berichte aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018 (kurz UNHCR-RL-AFG), Kapitel II C).

Subsidiärer Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie der EU (Richtlinie 2011/95/EU) Afghanische Staatsangehörige, die internationalen Schutz in Mitgliedstaaten der Europäischen Union suchen und nicht Flüchtlinge im Sinne der GFK sind, können die Kriterien für subsidiären Schutz gemäß Artikel 15 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) erfüllen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie in Afghanistan der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt wären. Im Licht der Erkenntnisse, die in Abschnitt II C dieser Richtlinien dargestellt werden, können Asylsuchende je nach einzelfallbezogenen Umständen subsidiären Schutzes gemäß Artikel 15 (a) oder Artikel 15 (b) bedürfen, wenn sie der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des Artikel 15 (Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) durch den Staat oder seine Vertreter oder durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) ausgesetzt sind.

Ebenfalls im Lichte der Tatsache, dass Afghanistan weiterhin von einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt betroffen ist, und im Lichte der in den Abschnitten II.B, II.C, II.D und II.E dieser Richtlinien dargelegten Erkenntnisse können Antragsteller, die aus vom Konflikt betroffenen Gebieten stammen oder dort vormals aufhältig waren - je nach den einzelfallbezogenen Umständen - subsidiären Schutzes gemäß Artikel 15 (c) bedürfen, wenn sie einer ernsthaften und individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Person infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt sein würden.

Im Kontext des bewaffneten Konflikts in Afghanistan gehören zu den relevanten Faktoren für die Einschätzung der Bedrohung des Lebens des Antragstellers aufgrund willkürlicher Gewalt in einem bestimmten Teil des Landes die Anzahl der Zivilopfer und der Sicherheitsvorfälle sowie die Existenz schwerwiegender Verletzungen humanitären Völkerrechts, die Bedrohungen des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit darstellen. Solche Erwägungen sind jedoch nicht auf unmittelbare Auswirkungen von Gewalt beschränkt, sondern umfassen auch langfristige, indirektere Folgen von Gewalt einschließlich der Auswirkungen des Konflikts auf die Menschenrechtslage und das Ausmaß, in dem die Fähigkeit des Staates, Menschenrechte zu schützen, durch den Konflikt eingeschränkt wird. Im Kontext des Konflikts in Afghanistan gehören zu den relevanten Faktoren in dieser Hinsicht (i) die Kontrolle über die Zivilbevölkerung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) einschließlich der Etablierung paralleler Justizstrukturen und der Verhängung ungesetzlicher Strafen sowie der Bedrohung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Einsatz von Erpressung und illegalen Steuern (ii) Zwangsrekrutierung (iii) Auswirkung von Gewalt und Unsicherheit auf die humanitäre Situation in Form von Ernährungsunsicherheit, Armut, Vernichtung von Lebensgrundlagen und Verlust von Eigentum (iv) ein hohes Maß an organisierter Kriminalität und die Möglichkeit von lokalen Machthabern ("Strongmen"), Kriegsfürsten ("Warlords") und korrupten Staatsbediensteten, straflos tätig zu sein (v) systematische Beschränkung des Zugangs zu Bildung und zu grundlegender Gesundheitsversorgung infolge von Unsicherheit und (vi) systematische Beschränkung der Teilhabe am öffentlichen Leben, insbesondere für Frauen.

Diese Faktoren können entweder jeder für sich oder kumulativ in einem bestimmten Teil Afghanistans eine Situation schaffen, die hinreichend ernsthaft in einem Sinne ist, die zu einer Anwendung von

Artikel 15 (c) führt, ohne dass der Antragsteller einzelfallbezogene Faktoren oder Umstände nachweisen muss, die das Risiko eines Schadens erhöhen. Wenn dies nach einer Prüfung aller relevanter Beweise für das Herkunftsgebiet des Antragstellers als nicht zutreffend erachtet wird, ist zu klären, ob die persönlichen Merkmale des Antragstellers bestimmte Elemente der Schutzbedürftigkeit sichtbar machen, durch die in Verbindung mit der Art und dem Ausmaß der Gewalt eine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Lebens oder der Person des Antragstellers entsteht.

1.3.6 UNHCR-RL-AFG, Kapitel III C.: Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, S 119ff.

Ein detailliertes analytisches Rahmenwerk für die Beurteilung der Verfügbarkeit einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative (IFA/IRA), auch als interne Schutzalternative bezeichnet, ist in den "UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 4: ‚Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" enthalten.

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus. In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden.

Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern.

Die Anleitungen in diesem Abschnitt gelten für Überlegungen im Hinblick auf eine interne Schutzalternative im Zusammenhang mit der Feststellung des Bedarfs an internationalem

Flüchtlingsschutz im Sinne der GFK (Abschnitt III.A), der Kriterien des erweiterten Mandats von UNHCR (Abschnitt III.B.1a) und der Erklärung von Cartagena (siehe Abschnitt III.B.1c). Die in diesem Abschnitt enthaltenen Anleitungen gelten auch für die Beurteilung einer internen Schutzalternative nach Artikel 8 der Qualifikationsrichtlinie.

Die Abschnitte III.C.1 und III.C.2 enthalten allgemeine Leitlinien für die Anwendung der Kriterien Relevanz und Zumutbarkeit eines als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiets in Afghanistan. Abschnitt III.C.3 enthält maßgebliche Überlegungen, die es zu berücksichtigen gilt, sofern es sich bei der vorgeschlagenen internen Schutzalternative um eine afghanische Stadt handelt, während Abschnitt III.C.4 Anleitungen für den Sonderfall Kabul als vorgeschlagenem Gebiet einer internen Schutzalternative vorsieht.

Die Bewertung einer möglichen internen Schutzalternative ist für die Feststellung des Flüchtlingsstatus nach Artikel I (2) der OAU-Konvention grundsätzlich nicht relevant.

1. Analyse der Relevanz

I. Gebiete in Afghanistan, die keine interne Schutzalternative bieten

Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) in den von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz vor derartigen Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist UNHCR der Ansicht, dass eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, nicht gegeben ist, es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragstellende über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen.

UNHCR ist der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative auch in den von aktiven Kampfhandlungen zwischen regierungsnahen und regierungsfeindlichen Kräften oder zwischen verschiedenen regierungsfeindlichen Kräften betroffenen Gebieten nicht gegeben ist.

II. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre

Ein als interne Schutzalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nicht relevant, wenn der Antragsteller in diesem Gebiet der ursprünglichen Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre.

1. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung durch den Staat oder in dessen Auftrag handelnde Stellen, ist davon auszugehen, dass Überlegungen hinsichtlich einer internen Schutzalternative nicht relevant sind.

2. Hat der Antragsteller begründete Furcht vor Verfolgung, die von Mitgliedern der Gesellschaft aufgrund schädlicher traditioneller Bräuche und religiöser Normen ausgeht, die Verfolgungscharakter aufweisen, (siehe zum Beispiel die Risikoprofile 7, 10 und 12 in Abschnitt III.A), so muss die Akzeptanz solcher Normen und Bräuche in weiten Teilen der Gesellschaft und die einflussreichen konservativen Elemente auf allen Ebenen der Regierung als ein Faktor in Betracht gezogen werden, der gegen die Relevanz einer internen Schutzalternative spricht. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass - verbunden mit den Nachweisen in Abschnitt II.C betreffend die eingeschränkte Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu bieten, - davon auszugehen ist, dass die Erwägung einer internen Schutzalternative in diesen Fällen nicht relevant ist.

3. In Fällen, in denen die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften ausgeht, muss die Relevanz einer vorgeschlagenen Schutzalternative unter Berücksichtigung einer Reihe verschiedener Elemente beurteilt werden.

(i) Geht die Verfolgung von regierungsfeindlichen Kräften aus, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius einiger regierungsfeindlicher Kräfte, einschließlich der Taliban und des Islamischen Staates, existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine interne Schutzalternative.

(ii) Ferner müssen die Nachweise in Abschnitt II.C hinsichtlich der aufgrund ineffektiver Regierungsführung und weit verbreiteter Korruption eingeschränkten Fähigkeit des Staates, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu bieten, berücksichtigt werden.

III. Prüfung, ob der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet neuen Gefahren der Verfolgung oder anderen Form ernsthaften Schadens ausgesetzt wäre

Neben den oben genannten Überlegungen zur ursprünglichen Form der Verfolgung im Heimatgebiet des Antragstellers muss der Entscheidungsträger auch nachweisen, dass der Antragsteller in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet keiner neuen Form der Verfolgung und keinem anderen ernsthaften Schaden - etwa infolge willkürlicher Gewalt - ausgesetzt wäre.

UNHCR stellt in seinen Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 4:

"Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative" fest:

"Außerdem kann von einer Person, deren Furcht vor Verfolgung in einem Landesteil aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Grund festgestellt wurde, nicht erwartet werden, dass sie sich in einem anderen Gebiet niederlässt, in dem ebenfalls schwerer Schaden droht. Hätte die Person auch dort schweren Schaden, einschließlich einer schweren Bedrohung ihres Lebens, ihrer Sicherheit, ihrer Freiheit oder ihrer Gesundheit, oder massive Diskriminierung zu gewärtigen, käme eine interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative nicht infrage, und zwar unabhängig davon, ob eine Verbindung zu einem Konventionsgrund besteht oder nicht. Bei der Beurteilung neuer Risiken wäre somit auch ein schwerer Schaden zu berücksichtigen, wie er allgemein unter [erweiterte Flüchtlingskriterien oder] komplementäre Schutzformen fällt."

Die Prüfung muss auf aktuellen Informationen über die Sicherheitslage in dem als interne Schutzalternative vorgeschlagenen Gebiet beruhen, mit besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen des Konflikts in Afghanistan auf Zivilisten.

IV. Prüfung, ob das als interne Schutzalternative vorgeschlagene Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg erreichbar ist

Wurde ein Gebiet in Afghanistan ermittelt, das nicht bereits auf Grundlage der oben genannten Überlegungen unter I und II als relevante Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ausgeschlossen ist, müsste dennoch geprüft werden, ob das als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ins Auge gefasste Gebiet praktisch, sicher und auf legalem Weg erreichbar ist. Für Afghanistan bedeutet dieses Erfordernis eine Prüfung der konkreten Aussicht auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet, unter anderem durch Bewertung der Risiken durch den weitverbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) sowie durch Landminen und explosive Kampfmittelrückstände (ERW) im ganzen Land, durch Anschläge und Kämpfe auf Straßen sowie durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Zivilisten durch regierungsfeindliche Kräfte.

2. Analyse der Zumutbarkeit

a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers

Ob eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative "zumutbar" ist, muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände der Antragstellenden beurteilt werden; maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und

Verwandtschaftsverhältnisse sowie der jeweilige Bildungs- und Berufshintergrund.

Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für Kinder sind die besonderen Umstände sowie die rechtlichen Verpflichtungen des Staates aus der Kinderrechtskonvention zu berücksichtigen - vor allem die Verpflichtung zu gewährleisten, dass das Kindeswohl bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, als vorrangiger Gesichtspunkt beachtet wird, und der Meinung des Kindes entsprechend seinem Alter und seiner Reife angemessen Bedeutung beigemessen wird. Entscheidungsträger müssen gebührend berücksichtigen, dass etwas, das für Erwachsene lediglich lästig ist, für ein Kind unter Umständen eine unzumutbare Härte darstellen kann.

Diesen Überlegungen kommt zusätzliche Bedeutung zu, wenn es sich um unbegleitete und von ihren Eltern getrennte Kinder handelt. Im Fall unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder aus Afghanistan ist UNHCR der Ansicht, dass - über die Unterstützung des Kindes durch seine (erweiterte) Familie oder größere ethnische Gemeinschaft im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet hinaus - bei der Beurteilung der Verfügbarkeit einer Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für das Kind das Kindeswohl gemäß Artikel 3 (1) der Kinderrechtskonvention vorrangig zu berücksichtigen ist. Für die Rückkehr unbegleiteter und von ihren Eltern getrennter Kinder nach Afghanistan gelten ferner die Mindestgarantien, die in dem Aidemémoire: Special Measures Applying to the Return of Unaccompanied and Separated Children to Afghanistan von 2010 aufgeführt sind.

Zur Feststellung der Zumutbarkeit eines als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in Erwägung gezogenen Gebiets für Personen mit besonderen Bedürfnissen, einschließlich Personen mit Behinderungen und älterer Personen, wäre es besonders wichtig sicherzustellen, dass (auch entferntere) Verwandte oder Angehörige ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft im künftigen Neuansiedlungsgebiet bereit und imstande sind, langfristig Unterstützung zu leisten, um die festgestellten Bedürfnisse der Person nachhaltig und, wo erforderlich, auf Dauer zu erfüllen.

In Anbetracht der schwierigen Menschenrechtssituation für Frauen in Afghanistan (siehe Abschnitt III.A.7) und der sozialen Normen, die Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken (siehe Abschnitt III.A.8) sowie der allgemein niedrigen Beschäftigungsquote der Frauen in Afghanistan, steht UNHCR auf dem Standpunkt, dass eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative für Frauen, die alleinstehende Haushaltsvorstände sind und unter ihren Angehörigen tatsächlich oder vermeintlich keinen männlichen Beschützer haben, nicht zumutbar ist.

b) Sicherheit

Ein als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative vorgeschlagenes Gebiet wäre nur zumutbar, wenn der

Antragsteller dort in Sicherheit leben kann, frei von Gefahr und Risiko für Leib und Leben. Diese Bedingungen müssen auf Dauer gewährleistet und dürfen nicht nur scheinbar oder unberechenbar sein. Diesbezüglich muss die Instabilität des ständigen Schwankungen unterworfenen bewaffneten Konflikts in Afghanistan berücksichtigt werden. Die in Abschnitt II.B dieser Richtlinien enthaltenen Informationen sowie verlässliche und aktuelle Informationen über die Sicherheitslage im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet sind wichtige Elemente bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative.

c) Achtung der Menschenrechte und wirtschaftliches Überleben

Eine vorgeschlagene Flucht- oder Neuansiedlungsalternative ist nur dann zumutbar, wenn der Antragsteller in dem betreffenden Gebiet seine grundlegenden Menschenrechte ausüben kann und

Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Überleben unter würdigen Bedingungen vorfindet. In dieser Hinsicht muss bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative insbesondere auf Folgendes geachtet werden:

(i) Zugang zu einer Unterkunft im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet

(ii) Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet wie Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung

(iii) Lebensgrundlagen einschließlich des Zugangs zu Land für Afghanen, die aus ländlichen Gebieten stammen, oder im Fall von Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie für ihren eigenen Unterhalt sorgen (zum Beispiel ältere Antragsteller), erwiesene und nachhaltige Unterstützung zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards.

Zu den Punkten (i) - (iii) im konkreten Kontext von Afghanistan wurde die Bedeutung der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzen, bestehend aus der erweiterten Familie des Antragstellers oder aus Mitgliedern seiner ethnischen Gemeinschaft, bereits ausführlich dokumentiert. In dieser Hinsicht kann allein aus der Anwesenheit von Personen mit demselben ethnischen Hintergrund wie der des Antragstellers im geplanten Neuansiedlungsort nicht geschlossen werden, dass solche Gemeinschaften den Antragsteller maßgeblich unterstützen würden; eine solche Unterstützung würde in der Regel vielmehr konkrete frühere gesellschaftliche Beziehungen zwischen dem Antragsteller und einzelnen Mitgliedern der betreffenden ethnischen Gemeinschaft voraussetzen.672 Selbst wenn derartige bereits zuvor bestehende, soziale Beziehungen gegeben sind, sollte aber geprüft werden, ob die Mitglieder dieses Netzes auch bereit und trotz der prekären humanitären Lage in Afghanistan, der niedrigen Entwicklungsindikatoren und der generellen wirtschaftlichen Zwänge, unter denen weite Teile der Bevölkerung leiden, auch wirklich in der Lage sind den Antragssteller tatsächlich zu unterstützen.Inwiefern Antragsteller auf Unterstützung durch Familiennetzwerke im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet zurückgreifen können, muss auch im Lichte der berichteten Stigmatisierung und Diskriminierung von Personen, die nach einem Aufenthalt im Ausland nach Afghanistan zurückkehren, geprüft werden.

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

3. Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in afghanischen Städten

Wie in den Anleitungen der Abschnitte III.C.1 und III.C.2 beschrieben, setzt eine Bewertung der Möglichkeit für eine Neuansiedlung in einer bestimmten Stadt eine Beurteilung sowohl der Relevanz als auch der Zumutbarkeit besagter Neuansiedlungsmöglichkeit für den jeweiligen bestimmten Antragsteller voraus. Wird eine interne Schutzalternative in einer bestimmten Stadt im Zuge eines Asylverfahrens in Erwägung gezogen, müssen alle allgemeinen und persönlichen Umstände, die im Hinblick auf Relevanz und Zumutbarkeit dieser Stadt als vorgeschlagenem Neuansiedlungsort für den betreffenden Antragsteller maßgeblich sind, soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der betreffenden Stadt für seine Neuansiedlung zu äußern.

Zur Feststellung der Relevanz muss der Entscheidungsträger beurteilen, ob die betreffende Stadt für den Antragsteller praktisch und sicher erreichbar ist. Dazu muss die Verfügbarkeit von Lufttransport zum nächstgelegenen Flugplatz und die Sicherheit einer Weiterreise auf der Straße zum endgültigen Bestimmungsort oder alternativ die Sicherheit des Transports auf der Straße vom internationalen Flugplatz Kabul zum endgültigen Bestimmungsort geprüft werden.

UNHCR macht darauf aufmerksam, dass nur wenige Städte von Angriffen regierungsfeindlicher Kräfte, die gezielt gegen Zivilisten vorgehen, verschont bleiben. UNHCR stellt fest, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer dieser Gewalt zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Im Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit verweist UNHCR auf die allgemeine Bemerkung des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in seinem Überblick von 2018 über den Bedarf an humanitärer Hilfe, in der es heißt:

"Insgesamt halten sich heute über 54 Prozent der Binnenvertriebenen (IDPs) in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöht und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärkt." Außerdem herrscht, wie in Abschnitt II.D beschrieben, in den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbricht. Am schlimmsten betroffen sind die Provinzen Balkh, Ghor, Faryab, Badghis, Herat und Jowzjan.

Dazu kamen 2016, wie in Abschnitt II.F beschrieben, über eine Million aus Iran und Pakistan zurückkehrender Afghanen, gefolgt von weiteren 620 000 Heimkehrern im Jahr 2017. Der Protection Cluster in Afghanistan stellte schon im April 2017, nach den Rückkehrerströmen von 2016, aber noch vor den meisten Rückkehrern des Jahres 2017, Folgendes fest: "Der enorme Anstieg der Zahl der Heimkehrer [aus Pakistan und Iran] führte zu einer extremen Belastung der bereits an ihre Grenzen gelangten Aufnahmekapazität der wichtigsten Provinz- und Distriktzentren Afghanistans, nachdem sich viele Afghanen den Legionen von Binnenvertriebenen anschlossen, da sie aufgrund des sich zuspitzenden Konflikts nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten. [...] Mit begrenzten Lebensgrundlagen, ohne soziale Schutznetze und angewiesen auf schlechte Unterkünfte sind die Vertriebenen nicht nur mit einem erhöhten Risiko der Schutzlosigkeit in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert, sondern werden auch in erneute Vertreibung und negative Bewältigungsstrategien gezwungen, wie etwa Kinderarbeit, frühe Verheiratung, weniger und schlechtere Nahrung usw.""

Laut der Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unter unzulänglichen Wohnverhältnissen.

Außerdem wird berichtet, dass das Armutsniveau in Afghanistan ansteigt: Der Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, ist von 34 Prozent in den Jahren 2007/2008 auf 55 Prozent im Zeitraum 2016/2017 gestiegen.

4. Interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in Kabul

Neben den allgemeinen Anleitungen in den Abschnitten III.C.1 und III.C.2 und vor dem Hintergrund der zusätzlichen Informationen in Abschnitt III.C.3 empfiehlt UNHCR folgende speziellen Leitlinien für das Beispiel Kabul im Hinblick auf die zwei Teile einer Prüfung auf Eignung als Schutzalternative. Wie schon in den Abschnitte III.C.1 und III.C.2 festgestellt, setzt eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung in Kabul eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit dieses vorgeschlagenen Neuansiedlungsortes voraus. Wird eine interne Schutzalternative in Kabul im Zuge von Asylverfahren ins Auge gefasst, müssen darüber hinaus alle für die Relevanz und die Zumutbarkeit von Kabul als Neuansiedlungsort für den betreffenden Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen

Relevanz und Zumutbarkeit von Kabul für seine Neuansiedlung zu äußern.

a) Die Relevanz von Kabul als interner Schutzalternative

Zur Beurteilung der Relevanz von Kabul als mögliche Schutzalternative und insbesondere des Risikos, dass der Antragsteller schweren Schaden, einschließlich einer ernstzunehmenden Bedrohung seines Lebens, seiner Sicherheit, seiner Freiheit oder seiner Gesundheit, oder massive Diskriminierung zu gewärtigen hätte, müssen Entscheidungsträger die negativen Trends in Bezug auf die Sicherheitslage für Zivilisten in Kabul gebührend berücksichtigen. UNAMA berichtete im Hinblick auf die ersten sechs

Monate 2018 von 993 zivilen Opfern (321 Toten und 672 Verletzten) in der Provinz Kabul. 2017 "dokumentierte [UNAMA] wiederholt die höchste Zahl ziviler Opfer in der Provinz Kabul, hauptsächlich zurückzuführen auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul. Von den in der Provinz Kabul registrierten 1 831 zivilen Opfern (479 Toten und 1 352 Verletzten) wurden 88 Prozent bei Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte in der Stadt Kabul verletzt oder getötet." Wie auch bereits in Abschnitt II.B.1 erwähnt, berichtete UNAMA, dass die Zahl der 2017 durch Selbstmordanschläge und komplexe Angriffe in der Stadt Kabul ums Leben gekommenen oder verletzten Zivilisten 70 Prozent aller 2017 dokumentierten zivilen Opfer solcher Angriffe in Afghanistan ausmachte.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden.688 Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

b) Die Zumutbarkeit von Kabul als interner Schutzalternative

In Übereinstimmung mit der Anleitung in Abschnitt III.C.2 muss zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Kabul als möglicher interner Schutzalternative festgestellt werden, dass die Person Zugang zu Folgendem hat:

(i) einer Unterkunft;

(ii) (ii) grundlegender Versorgung, wie Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung;

(iii) Lebensgrundlagen oder erwiesener und nachhaltiger Unterstützung, um einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen.

Maßgebliche Informationen, die die Entscheidungsträger diesbezüglich zu berücksichtigen haben, sind unter anderem die gravierenden Bedenken, die humanitäre und Entwicklungsakteure hinsichtlich der begrenzten Aufnahmekapazität Kabuls zum Ausdruck gebracht haben. Seit dem Fall des früheren Taliban-Regimes 2001 hat die Region Kabul City den größten Bevölkerungszuwachs in Afghanistan erlebt. Offiziellen Bevölkerungsschätzungen zufolge hatte die Region Kabul City Anfang 2016 5 Millionen Einwohner, 60 Prozent davon in der Stadt Kabul. Durch die große Zahl der Rückkehrer aus Iran und Pakistan nach Afghanistan stieg die Bevölkerungszahl rapide weiter an (siehe Abschnitt II.F).

Das International Growth Centre vermerkte im Januar 2018: "Kabul hat in den letzten drei Jahrzehnten eine rasante Urbanisierung erfahren. Das Bevölkerungswachstum in der Stadt übersteigt die Fähigkeit der Stadt, die nötige Infrastruktur sowie die erforderlichen Versorgungsdienste und Arbeitsplätze für die Bewohner bereitzustellen, wodurch ausgedehnte informelle Siedlungen entstehen, in denen geschätzte 70 Prozent der Stadtbewohner leben."

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Sorge angesichts der zunehmenden Armut in Afghanistan692 stellte die Asia Foundation in ihrer Erhebung über die afghanische Bevölkerung aus dem Jahr 2017 fest, dass eine Verschlechterung der Finanzlage in der Region Zentralafghanistan/Kabul mit 43,9 Prozent am stärksten wahrnehmbar war. Im Januar 2017 wurde berichtet, dass 55 Prozent der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert waren.

In seinem Überblick von 2018 über den Bedarf an humanitärer Hilfe reiht das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) Kabul unter den 10 (von insgesamt 34) Provinzen ein, "die am stärksten vom Konflikt betroffen sind".695 In dem Überblick heißt es weiter, dass "der Bedarf in großen Ballungszentren am größten ist, einschließlich Kabuls und der Stadt Jalalabad, wo sowohl Binnenvertriebene als auch Heimkehrer zusammenkamen auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten und einer Existenzgrundlage sowie nach Zugang zu grundlegenden und lebenswichtigen Versorgungsdiensten. Der Bedarf an humanitärer Hilfe in diesen beiden Provinzen macht 42 Prozent des gesamten Bedarfs an humanitärer Hilfe aufgrund von Binnenvertreibung und grenzüberschreitenden Zustroms aus."

c) Schlussfolgerung betreffend die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative in Kabul

UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.

1.3.3. Neuere Berichte über die Sicherheitslage: vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan,

Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformationen zuletzt eingefügt am 4.6.2019

Kurzinformation (KI) vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019(1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019). Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein

Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019) US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

Bild kann nicht dargestellt werden

(Quelle: BFA 13.2.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem

Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die

Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre,

Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi

Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend.

Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der

Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines

"islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem

Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden

Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispie

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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