Entscheidungsdatum
13.01.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W174 2126204-1/6E
W174 2126204-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerden des XXXX , geboren am XXXX , auch XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, hat
1.) im Verfahren gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.4.2016, Zl. 1044337701-140126735/BMI-BFA_STM_RD_AST, nach einer mündlichen Verhandlung am 17.10.2019 beschlossen:
A)
I. Das Verfahren hinsichtlich der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.
B)
II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2.) Im Verfahren gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.5.2019, 1044337701-190488633 / BMI-BFA_STM_AST_01, nach einer mündlichen Verhandlung am 17.10.2019 zu Recht erkannt:
A)
III. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., III., IV., V., und VI. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG 2005 stattgegeben und diese Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.
IV. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter aufgrund des Antrages des XXXX vom 26.2.2019 um zwei weitere Jahre bis zum 11.4.2021 verlängert.
B)
V. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 31.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 1.11.2014 gab er im Wesentlichen an, aus der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar zu stammen, der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören, moslemischen Glaubens und seit 2012 verwitwet zu sein sowie zwölf Jahre lang in seiner Heimatprovinz die Schule besucht und zuletzt als Soldat gedient zu haben. In der Heimat würden noch seine Eltern, zwei minderjährige Töchter, ein Minderjähriger Sohn, drei Brüder, sowie vier Schwestern leben.
Seinen Asylantrag begründete er damit, dass er wegen seiner Tätigkeit für die Amerikaner von den Taliban mit dem Umbringen bedroht worden sei. Neben zwei angeblichen Drohbriefen von den Taliban legte der Beschwerdeführer eine Tazkira, ein Maturazeugnis sowie Unterlagen vor, laut denen er von September 2010 bis Jänner 2014 bei einer militärischen Einheit gedient habe.
3. Am 17.12.2015 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen und legte dabei zunächst ergänzend folgende Dokumente vor:
Zwei Schreiben über eine Ausbildung im medizinischen Bereich (Phase I mit Datum 21.10.2010 und II); Arbeitsbestätigung für Special Reaction Force in Kunar, Ausstellungsdatum und Ausstellungsort fehlen; Schreiben Grundausbildung Militär, ausgestellt am 6.5.2010 Ausstellungsort fehlt.
Seine Familie lebe jetzt bei seinen Eltern in Kunar, seine vier verheirateten Schwestern würden sich ebenfalls in der Heimatprovinz befinden. Die Eltern hätten ein Haus und ein Grundstück, sie seien wohlhabend. Er selbst sei von 2008 bis 2010 als Hilfsarbeiter am Bau oder Landwirt und von 2010 bis 2014 als Krankenpfleger bei der amerikanischen Armee tätig gewesen. Bedroht worden sei er, weil er im Rahmen seiner Tätigkeit für die amerikanischen Truppen in einen Kampf verwickelt gewesen sei, bei dem ein Dorfältester ums Leben gekommen wäre.
4. In weiterer Folge stellte das Bundesamt eine Anfrage an die Staatendokumentation zur Tätigkeit des Beschwerdeführers bei der Special Reaction Force von September 2010 bis Jänner 2014.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.4.2016, Zl. 1044337701/140126735/BMI-BFA_STM_RD_AST, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), Ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 11.4.2017 erteilt.
Die Erteilung des subsidiären Schutzes begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer zwar ein gesunder junger Mann sei, bei dem grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, Kunar jedoch zu den volatilen Gebieten in Afghanistan zähle. Eine interne Fluchtalternative (in Kabul) sei unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers und der allgemein schlechten Versorgungslage derzeit nicht möglich, denn der Beschwerdeführer habe nur gelegentlich bei Freunden in der Hauptstadt gelebt, sei mit den dortigen Gegebenheiten nicht vertraut und verfüge über keinerlei familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in Kabul. Aus seinen Angaben könne entnommen werden, dass für ihn das reale Risiko bestehe, mangels eigenen Vermögens, einer speziellen Ausbildung und eines ausreichenden sozialen Netzwerkes in einem hinreichend sicheren Teil Afghanistans im Falle einer Rückkehr in eine hoffnungslose Lage zu kommen. Daraus ergebe sich auch eine Rückkehrgefährdung im Sinne von § 8 Asylgesetz. Zum derzeitigen Zeitpunkt könne aufgrund der noch ständig in Afghanistan und im Wohngebiet bzw. Aufenthaltsbereich des Beschwerdeführers stattfindenden Anschläge, der noch schlechten Versorgungslage, der hohen Arbeitslosenrate und mangelnden Ausbildungsmöglichkeiten bei einer Rückkehr in das Heimatland von einer, einer unmenschlichen Behandlung gleichzusetzenden Situation gesprochen werden.
6. Gegen Spruchpunkt I. des genannten Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, der ergänzend Kopien mehrerer Fotos des Beschwerdeführers bei seiner Arbeit für die amerikanischen Truppen sowie eine Identifikationskarte beigelegt waren.
7. Am 1.3.2017 brachte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mittels Formblatt ein.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.4.2017, Zl 1044337701-140126735/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, wurde dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 11.4.2019 erteilt. Unter dem Punkt Feststellungen und Beweiswürdigung wurde knapp ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers i.V.m. seinem Vorbringen bzw. seinem Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet würden.
8. Am 26.2.2019 gab der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde persönlich einen weiteren - den nunmehr gegenständlichen - Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ein.
9. Hierzu wurde der Beschwerdeführer am 10.5.2019 vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei er zunächst angab, als Leiharbeiter in einer Küche und in einem Hotel als Reinigungskraft tätig zu sein. Seine Eltern befänden sich in Kunar, ein großer Bruder in Amerika, ein weiterer in Belgien und ein dritter Bruder arbeite für die Special Force bei den Amerikanern. Der Beschwerdeführer habe in seiner Heimatprovinz, in Kabul und in mehreren Städten Onkel und Tanten, ein Onkel mütterlicherseits sei Angestellter des Kriminalamtes, ein weiterer Onkel mütterlicherseits sei Ingenieur. Alle würden für seine Mutter sorgen, denn beide Eltern seien sehr alt. Der Familie gehe es besser, vor zwei Wochen habe der Beschwerdeführer mit seiner Mutter telefoniert.
Er habe eine Ausbildung als Krankenpfleger, er sei in Afghanistan Soldat gewesen und habe im Bundesgebiet nach Absolvierung eines Deutschkurses in dem Hotel, wo er jetzt tätig sei, Arbeit gefunden. Im Heimatland habe er nur Kontakt zu den Eltern und zu einem Neffen in Kunar, welcher auch eine Ausbildung als Krankenpfleger habe.
Seit drei Jahren wohne der Beschwerdeführer mit einer Freundin in einer Mietwohnung in Wien. Bei der Freundin handle sich um eine Tschechin, die hier ebenfalls berufstätig sei. Ansonsten habe er hier nur Freunde und es gebe zu keiner Person ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis. Er sei in keinem Verein oder Organisation.
Im Falle einer Rückkehr hätte er Probleme wegen der schlechten Sicherheitslage, sein Leben sei im Gefahr. Die Bedrohung komme von der Familie seines ehemaligen Feindes, der gestorben sei. Es gebe überall Taliban, die ihn finden würden. Dies gelte auch für die sicheren Provinzen wie Balkh oder Herat.
Vorgelegt wurden folgende Dokumente: Teilnahmebestätigung Sprachkurs Deutsch Niveau A2 vom 22.3.2017, Lohn-/Gehaltsabrechnung für Jänner 2019 einer Gebäudereinigungs- GmbH, Zertifikat Sprachkurs Deutsch für Personen mit abgeschlossener mittlerer Schule oder Lehrabschluss vom 2.9.2016.
10. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 17.5.2019, ZL 1044337701-190488633/BMI-BFA_STA_AST_01, wurde dem Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid vom 11.4.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit demselben Bescheid erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und unter Spruchpunkt IV. gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Die Aberkennung des subsidiären Schutzes begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass eine interne Fluchtalternative in Herat, Kabul und Mazar-e Sharif durchaus möglich sei. Diese Orte wären gut erreichbar und eine Rückkehr dorthin zumutbar. Der Beschwerdeführer könne auch von seiner Familie aus Kabul, Kunar und Nangahar, mit der er regelmäßigen Kontakt habe, finanziell unterstützt werden. Eine finanzielle Unterstützung sei auch seitens der im Ausland lebenden und arbeitenden Verwandten des Beschwerdeführers denkbar, es wäre nicht ersichtlich, weshalb eine räumliche Trennung von seinen Angehörigen dazu führe, dass diese außerstande wären, ihn finanziell zu unterstützen.
Da die Heimatprovinz des Beschwerdeführers als nicht sicher gelte, sei eine Rückkehr in die Herkunftsregion Kunar derzeit nicht möglich.
Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter mit Berufserfahrung, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und sich in sicheren Provinzen allenfalls durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage sichern könne. Er gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen wäre, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage als qualitativ schutzbedürftiger darstelle, als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne. Durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe könne der Beschwerdeführer zumindest übergangsweise das Auslangen finden, weshalb nicht zu befürchten sei, dass er unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er selbst in der Lage sei, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende und wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könne.
Bei seiner Existenzsicherung komme ihm seine Berufserfahrung zugute. Seine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen würde ihm ein Auffangbecken bieten, es gebe keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass es für ihn in Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif ein reales Risiko einer unmenschlichen Behandlung gebe.
Kabul stehe unter der Kontrolle der afghanischen Regierung, Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen fänden grundsätzlich nur auf Regierungsgebäude und ausländische Organisationen statt, nicht jedoch gegen die Zivilbevölkerung. Die zwischenzeitlich verschlechterte Sicherheitslage in Kabul habe noch nicht ein Ausmaß erreicht, dass von einer allgemein unzumutbaren Sicherheitssituation für jegliche Person allein aufgrund ihrer Anwesenheit ausgegangen werden könne.
Marzar-e-Sharif sei ein afghanisches Vorzeigeprojekt, ziehe mit seinem Gelegenheitsarbeitsmarkt viele Arbeitssuchende an, der Beschwerdeführer könne sich die in Österreich gesammelte Arbeitserfahrung bei seiner Rückkehr dorthin zunutze machen, er habe somit einen Vorteil gegenüber anderen Arbeitssuchenden.
Bezogen auf die jüngsten UNHCR-Guidelines und die EASO sei festzuhalten, dass diese beiden aus dem gleichen Sachverhalt andere Schlüsse ziehen würden und im Übrigen beide Einschätzungen keine bindenden Wertungen darstellten. Es hätten auch (sonst) keinerlei Umstände glaubhaft gemacht werden können, die den Beschwerdeführer individuell als besonders vulnerabel erscheinen lassen würden.
Die Lage habe sich für ihn als jungen, gesunden, arbeitsfähigen und alleinstehenden Mann in Bezug auf eine IFA in Mazar-e-Sharif oder Herat geändert, da eine Rückkehr für ihn nun möglich sei. Herat zähle zu den relativ friedlichen Provinzen im Westen, stelle sich im Vergleich zu anderen Provinzen nicht als derart unsicher da, dass eine Rückkehr von vornherein verunmöglicht würde und er dorthin gelangen könne. In Kabul sei die Sicherheitslage grundsätzlich stabil, die sicherheitsrelevanten Vorfälle richteten sich hauptsächlich gegen Highprofile-Institutionen und solche Personen, der Beschwerdeführer stelle jedenfalls kein solches Ziel dar. In Kabul lebten ca. 5 Millionen Menschen, daraus könne nicht abgeleitet werden, dass jeder der dort lebe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in relevanter Weise bedroht werde. Die Provinz Balkh (Mazar-e-Sharif) könne nicht als derart unsicher qualifiziert werden, dass eine Rückkehr dorthin von vornherein verunmöglicht werde. Marzar-e-Sharif verfüge über eine vergleichsweise gute Infrastruktur und die Provinz Balkh stelle sich als eine der sichersten in Nordafghanistan dar. Unter den für ihn geltenden Strukturen stelle sich die Versorgungslage für den Beschwerdeführer aufgrund der vielschichtigen sozialen Strukturen in Afghanistan, der besonderen Bedeutung der islamischen Glaubensgemeinschaft, den komplementären Auffangmöglichkeiten und internationalen Rückkehrorganisationen als grundsätzlich gesichert dar.
11. Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde in vollem Umfang erhoben. Zur Aberkennung des subsidiären Schutzes wurde zunächst im Wesentlichen das Fehlen entscheidungswesentlicher Feststellungen darüber, welche Umstände sich seit Erlassung der ursprünglichen Schutzentscheidung wesentlich und nicht vorübergehend verbessert haben, moniert. Ein Vergleich der Länderfeststellungen und des Berichtsmaterials zeige, dass sich die Verhältnisse hinsichtlich der Versorgungslage weder allgemein noch in den als für die IFA in Betracht gezogenen Gebiete der Städte Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif wesentlich geändert, jedenfalls nicht nachhaltig verbessert hätten. Der Beschwerdeführer weise in seinen persönlichen Verhältnissen keine wesentliche Änderungen auf, er verfüge nach wie vor über kein tragfähiges familiäres Unterstützungsnetz außerhalb der Herkunftsprovinz, es fehlten ihm immer noch die für das Überleben notwendigen sozialen und familiären Netzwerke sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse außerhalb der Herkunftsprovinz und die wirtschaftliche Lage seiner Angehörigen habe sich nicht verbessert, sodass er von ihnen immer noch keine maßgebliche Unterstützung erwarten könne. Die von ihm angegebenen Tanten in Kabul, Nangahrar und Kunar stellten kein soziales oder familiäres Netzwerk dar, auf das er zurückgreifen könne, weil nach der afghanischen Kultur Verwandtschaftsverhältnisse nur über die väterliche/männliche Linie vermittelt würden (vgl. Gutachten, Sachverständiger XXXX 10.3.2016, BVwG, Zl. W151 2118522-1). Eine wesentliche Verbesserung der relevanten Umstände im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Statusrichtlinie 2011/95/EU gegenüber jenen wie sie bei der Erlassung der ursprünglichen Schutzentscheidung bestanden hätten, sei aus heutiger Sicht nicht erkennbar oder absehbar.
Der Beschwerdeführer sei nicht ledig und die Behörde habe nicht festgestellt, dass er verwitwet sei und im Herkunftsland drei Kinder habe. Laut UNHCR Richtlinie stehe in Kabul keine IFA zur Verfügung ausgenommen für alleinstehende, leistungsfähige Männer ohne festgestellten Schutzbedarf, welche nicht unbedingt eines sozialen Netzwerkes bedürften, um in Kabul überleben zu können. Die Behörde hätte somit zum Schluss gelangen müssen, dass nicht zu erwarten sei, dass er infolge der ihn treffenden Sorgepflichten in der Lage sein werde, in Kabul oder einer anderen Großstadt Afghanistans das Auskommen für sich und seine Angehörigen zu erwirtschaften. Jedenfalls zähle der Beschwerdeführer nicht zu jenem Personenkreis, für den lt. UNHCR eine Verweisung auf eine IFA im Gebiet der Stadt Kabul zumutbar sei.
Es werde nicht verkannt, dass sich seit Fällung der ursprünglichen Schutzentscheidung die rechtliche Bewertung der Versorgungslage durch die Judikatur der Höchstgerichte geändert habe. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass ohne tatsächliche Veränderung in der Länderberichtslage und den maßgeblichen persönlichen Umständen eines nicht alleinstehenden Beschwerdeführers von nicht mehr vorliegenden Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiären Schutz gesprochen werden könne.
12. Am 17.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschto eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrensparteien entschuldigt nicht teilnahm.
Der Beschwerdeführer erklärte zunächst wie bisher, Paschtune und sunnitischer Moslem sowie verwitwet und Vater von drei Kindern zu sein. Geboren sei er am XXXX in einem Dorf im Zentrum Asadabads in der Provinz Kunar, in der er 25 Jahre gelebt und zwölf Jahre die Schule besucht habe. Dazu legte er seine Tazkira im Original vor, die ihm mit der Post nachgeschickt worden sei.
Seine Eltern seien beide in den siebziger Jahren, die Ehefrau im Jahr 2012 gestorben. Die älteste Tochter sei im Jahr 2009, der Sohn im Jahr 2011 und die jüngste Tochter im Jahr 2012 geboren. Der Beschwerdeführer habe vier Schwestern und drei Brüder. Einer davon lebe seit eineinhalb bis zwei Jahren als Krankenpfleger in Amerika, mit dem zweiten habe seit fünf Jahren niemand mehr Kontakt, er sei zuletzt Hilfsarbeiter gewesen. Der Dritte wohne bereits vier Jahre in Belgien und sei dort Mechaniker.
Zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Afghanistan hätten sich die Eltern, die Brüder, und seine Kinder im Heimatdorf befunden, die Schwestern seien bereits verheiratet gewesen und hätten in anderen Gegenden im Kunar gelebt. Mit seinen Eltern habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt und wisse nicht, wo sie sich momentan befänden. Deswegen habe er auch keine Kenntnis darüber, wo seine Kinder seien, weil die Eltern sich um sie gekümmert hätten. Mit seinen Schwestern habe der Beschwerdeführer lange keinen Kontakt mehr, weil sie verheiratet seien, und er kenne auch nicht ihre aktuelle Wohnadresse. Vor ca. acht Monaten habe er kurz für 2 bis 3 Minuten mit seinem Vater gesprochen. Vor ca. fünf bis sechs Monaten habe er auf dem Handy seines Vaters mit dem Sohn einer Schwester telefoniert, bei dem sich seine Mutter befunden habe. Diese habe kein eigenes Handy. Zu dem Zeitpunkt sei sie in ihrem eigenen Haus im Heimatdorf gewesen.
Ein Onkel mütterlicherseits sei verstorben, mit den Stiefonkeln mütterlicherseits von der Zweitfrau ihres Großvaters habe der Beschwerdeführer nichts zu tun. Noch vor der Geburt des Beschwerdeführers hätte sein Vater mit seinem Bruder Grundstücksstreitigkeiten gehabt und die Verbindung sei seitdem abgebrochen. Auch mit den Schwestern des Vaters gebe es keinen Kontakt. Der Großvater sei aus der Provinz-Logar nach Kunar gezogen.
Die Familie des Beschwerdeführers habe ein eigenes Haus und eigene Felder gehabt. Damit meine der Beschwerdeführer seine Eltern, Brüder, seine Frau und Kinder. Sie seien alle zusammen gewesen. Die Kinder hätten sich vor fünf bis sechs Monaten noch bei seinen Eltern befunden, seit fünf Monaten bekomme der Beschwerdeführer jedoch keine Antwort, wenn er anrufe. Er wisse nicht wo sie sich befinden. Die Mutter sei schon zuvor krank gewesen, sie liege die meiste Zeit. Mittlerweile erreiche der Beschwerdeführer das Telefon seines Vaters nicht mehr.
In der Heimat habe der Beschwerdeführer im Jahr 2008 die zwölfte Klasse der Highschool abgeschlossen, anschließend Hilfsarbeiten gemacht und bei den Amerikanern ein Erste-Hilfe Training absolviert. Vorgelegt wurde das Abschlusszeugnis der zwölften Klasse. Zudem erklärte der Beschwerdeführer zu den im Vorfeld vorgelegten Unterlagen betreffend seine Ausbildung im medizinischen Bereich, dass die Phase I seines Trainings bei namentlich genannten Ärzten in einem Camp in Kunar stattgefunden habe, die Phase II in der Provinz Khost.
Der Beschwerdeführer und seine Brüder hätten jeweils ein eigenes Einkommen gehabt und in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Früher hätten sie alle auch ihre Eltern unterstützt, der Beschwerdeführer jedoch seit längerer Zeit nicht mehr. Mittlerweile würde nur mehr der in den USA lebende Bruder die Eltern unterhalten. Abgesehen von seiner Familie stehe der Beschwerdeführer mit niemandem in der Heimat mehr in Kontakt. Die Freunde, die er im Beruf gehabt habe, seien nunmehr in den USA. Zu seinen Brüdern in Amerika und Belgien stehe der Beschwerdeführer noch in Verbindung.
In weiterer Folge zog der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 11.4.2016 zurück.
Auf die Frage der erkennenden Richterin, ob es möglich wäre, dass ihn seine Familie im Falle seiner Rückkehr etwa auch mit Hilfe seiner beiden im Ausland lebenden Brüder so lange unterstütze, bis er auf eigenen Beinen stehen könne und zum Beispiel Arbeit und eine Wohnmöglichkeit gefunden habe, verneinte der Beschwerdeführer dies ausdrücklich. Der in Belgien lebende Bruder leide an Kehlkopfkrebs und habe vier Kinder zu versorgen, der in den USA befindliche Brüder könne sich nicht so viel leisten. Er habe eine eigene Familie und fünf Kinder.
Der Beschwerdeführer habe gemeinsam mit seinem Bruder auch deshalb seine Eltern unterstützt damit sie seine Kinder unterhalten können. Diese würden noch immer von den Eltern versorgt. Mittlerweile habe er aber schon seit sechs Monaten keinen Kontakt zu ihnen.
Der Beschwerdeführer selbst arbeite in Österreich seit zweieinhalb Jahren in einem Hotel als Hausmann und Abwäscher. Wenn er als Kellner fix angestellt sei und eine feste Dienstzeit habe, könne er eine Ausbildung als Krankenpfleger machen. Als solcher hätte er bereits in Afghanistan bei der amerikanischen Armee gearbeitet und eine entsprechende Ausbildung absolviert. Vorgelegt wurde ein Empfehlungsschreiben mit einer hervorragenden Beurteilung. Weiters habe er den B1 Kurs bereits abgeschlossen und warte noch auf die Ausstellung des Dokumentes. Vorgelegt wurden eine Teilnahmebestätigung bei der Prüfung für ÖSD B1 sowie diverse Integrationsunterlagen (unter anderem Mietvertrag, Meldezettel des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin sowie diverse Lohnzettel und eine Kursbesuchsbestätigung).
In Afghanistan wäre es dem Beschwerdeführer wegen der bestehenden Gefahren nicht möglich, für seinen und den Lebensunterhalt seiner Kinder zu sorgen. Seine individuellen Umstände in Bezug auf Afghanistan hätten sich dahingehend geändert, dass er den Kontakt verloren habe.
Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers wurde im Rahmen der Verhandlung als Zeugin einvernommen und bestätigte, seit zwei Jahren mit ihm zusammen zu sein und seit einem Jahr mit ihm zusammen zu wohnen.
Im Rahmen der Verhandlung wurde auf das übermittelte Länderinformationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat hingewiesen, auf die Erstattung einer Stellungnahme wurde verzichtet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 17.10.2019 hat der Beschwerdeführer die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 11.4.2016 ausdrücklich zurückgezogen.
1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und stammt aus der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar, wo er zwölf Jahre die Schule besuchte und 2008 die Matura machte. Anschließend war er als Hilfsarbeiter am Bau bzw. als Landwirt tätig und arbeitete ab 2010 als Krankenpfleger bei den amerikanischen Truppen, wo er auch eine entsprechende Ausbildung (in Kunar und Khost) erhielt. Er ist - wie bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten - nach wie vor gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist verwitwet und hat zwei minderjährige Töchter sowie einen minderjährigen Sohn. Die Kinder befinden sich bei den Eltern des Beschwerdeführers in der Heimat, zu denen jedoch der Kontakt seit mehreren Monaten abgebrochen ist. Die Eltern (und somit auch die Kinder) wurden früher vom Beschwerdeführer finanziell unterstützt, jetzt nur mehr von seinem in den USA lebenden Bruder. Die Eltern des Beschwerdeführers sind nicht mehr im erwerbsfähigen Alter und seine drei Kinder sind noch minderjährig.
Der in den USA lebende Bruder des Beschwerdeführers hat fünf Kinder, ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers lebt in Belgien, hat vier Kinder und leidet an Kehlkopfkrebs. Zu einem dritten Bruder besteht seit einigen Jahren kein Kontakt mehr, ebenso wenig zu den vier verheirateten Schwestern des Beschwerdeführers. Weitere Verbindungen zu Afghanistan existieren nicht mehr.
Die Angehörigen des Beschwerdeführers sind finanziell nicht in der Lage, ihn im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu unterstützen.
Die persönliche Lage des Beschwerdeführers hat sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten am 11.4.2016 bzw. der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung am 11.4.2017 nicht entscheidungswesentlich geändert. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Länderberichtssituation zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz (Kunar) sowie in der Stadt Kabul, aber auch in Mazar-e Sharif und Herat, ist festzustellen, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit dem Zeitpunkt der mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.4.2016, Zahl 1044337701-140126735/BMI-BFA_STM_RD_AST erfolgten erstmaligen Zuerkennung sowie der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes vom 11.4.2017, Zahl Zl 1044337701-140126735/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01 nicht wesentlich und nachhaltig im Sinne von gebessert, geändert haben. Im Hinblick auf die Länderberichtssituation zur Sicherheits- und Versorgungslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Kunar) sowie in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ist insbesondere festzuhalten, dass aus den unter Pkt. 2.2.1. getroffenen Länderfeststellungen im Vergleich zu dem zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten herangezogenen Länderberichtsmaterial jedenfalls keine Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan ersichtlich ist.
2. Zur Lage im Herkunftsland:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante
Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation,
Stand: 4.6.2019:
"Länderspezifische Anmerkungen
Im Kapitel 3. "Sicherheitslage" wurde nicht auf den EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 verwiesen, da dieser zum Großteil auf den Informationen dieses LIBs beruht. Die Informationen des EASO-Berichts stammen somit aus zahlreichen Quellen, die ebenso von der Staatendokumentation des BFA zur Erstellung des Kapitels über die Sicherheitslage dieses LIBs verwendet wurden. Des Weiteren wurden Eingaben aus dem "peer review" von unterschiedlichen Mitgliedsstaaten in dieser Ausarbeitung berücksichtigt. Damit ergibt sich ein breiter und vor allem gemeinsamer Wissensstand bezüglich der Ereignisse und der aktuellen Lage in Afghanistan innerhalb der europäischen Asylbehörden.
[...]
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).
Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl
Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).
Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).
Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).
Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF. US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA. Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte: (Quelle: BFA 13.2.2019)
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Rückkehr
Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).
[...]
3. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).
Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)
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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)
Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO
INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:
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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
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(Darstellung der Staatendokumentation)
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine
Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der USAmerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).
* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer l