Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in der Strafsache gegen Astrit K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 29. Oktober 2019, GZ 22 Hv 43/19t-43, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 2 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Astrit K***** – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 29. März 2019 in H***** Evelyn M***** mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs und einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen versucht, und zwar
zur Vornahme des Oralverkehrs, indem er sie an den Haaren packte, ihren Kopf zu seinem entblößten Penis drückte und äußerte, sie solle ihm „einen blasen“, sonst werde er sie „erschlagen“, und ihr mit der flachen Hand zwei Schläge ins Gesicht versetzte, sowie
zur Duldung des Vaginalverkehrs, indem er sich auf sie setzte und sie mit beiden Händen würgte,
wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers, nämlich eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Berufsunfähigkeit und eine ebensolche, an sich schwere Gesundheitsschädigung in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung, zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Trennung von Versuch und Vollendung ist nicht Gegenstand des Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 2 StPO (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 30; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 287 und 645). Dass die als begründet erachtete strafbare Handlung (nämlich § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB) darin nicht als „versucht“ bezeichnet wird (US 3), obwohl die dazu getroffenen Feststellungen (US 7 bis 9) die rechtliche Annahme dieses Verwirklichungsstadiums (§ 15 StGB) tragen, verletzt daher – entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) – keineswegs die angesprochene Bestimmung.
Noch vor Beginn der Hauptverhandlung hatte die Vorsitzende mit „Beschluss“ (richtig Verfügung) vom 17. Juli 2019 (ON 25) Prim. Dr. R***** zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und der Psychiatrie bestellt und ihn damit beauftragt, Befund und Gutachten zur Frage des Vorliegens, bejahendenfalls des Schweregrades (krankheitswertiger) psychischer Tatfolgen bei Evelyn M***** zu erstellen. Der Beschwerdeführer, dem die Bestellung des Sachverständigen (ON 25) und dessen (außerhalb der Hauptverhandlung erstelltes) schriftliches Gutachten vom 20. August 2019 (ON 36) im Sinn des § 222 Abs 2 StPO mitgeteilt wurden, hat vor Beginn der Hauptverhandlung nicht nur keinen Einwand gegen die Person des Sachverständigen erhoben, sondern (nach Vorliegen des schriftlichen Gutachtens) dessen Ladung zur Hauptverhandlung zwecks Gutachtenserörterung mit Schriftsatz vom 13. September 2019 sogar ausdrücklich (im Sinn des § 222 Abs 1 StPO) beantragt (ON 38).
In der Hauptverhandlung am 29. Oktober 2019 jedoch beantragte der Beschwerdeführer (vor Beginn der Vernehmung des Sachverständigen), von der „Verlesung des erstatteten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens Dris. R***** vom 20. August 2019 abzusehen“, diesen Sachverständigen „zu entheben und nicht im Verfahren beizuziehen“ sowie von der „Gutachtenserörterung Abstand zu nehmen“ (ON 42 S 3 f). Nach Abweisung (ON 42 S 11 f) dieses Antrags durch das Schöffengericht begehrte er, einen „zweiten Sachverständigen“ „aus dem Gebiet der Psychiatrie“ und „mit einer Lehrbefugnis an einer in- oder ausländischen Universität“ mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen (ON 42 S 13). Begründend bezweifelte er jeweils die Sachkunde des bestellten Experten für die zu beantwortenden Tatfragen, weil dieser nur für den Fachbereich der Neurologie, nicht aber für jenen der Psychiatrie in die Liste (der allgemein beeideten und zertifizierten Sachverständigen [§ 2 Abs 1 SDG]) eingetragen sei; aus diesem Grund sei das Gutachten „jedenfalls“ „im Sinne des § 127 Abs 3 mangelhaft“.
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfielen diese Anträge zu Recht der Abweisung (ON 42 S 11 f und 41):
Die – außer dem (hier nicht vorliegenden) Fall des § 252 Abs 1 StPO – in dessen Vernehmung (§ 247 StPO) bestehende Beiziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung kann durch das Vorbringen erheblicher Einwände verhindert werden, auch wenn der Sachverständige bereits ein schriftliches Gutachten abgegeben hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 370). Auf mangelnde Sachkunde eines Sachverständigen gegründete Einwendungen jedoch sind nach Erstattung von Befund und Gutachten nicht mehr zulässig (RIS-Justiz RS0115712 [insbesondere T10], RS0126626; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 83, 108, 120 und 174 f). Liegt – wie hier – ein dem Beschwerdeführer nachteiliges (schriftliches) Gutachten bereits vor, werden Mängel an der Sachkunde unter dem Aspekt subjektiver Rechte speziell von § 127 Abs 3 StPO erfasst, sodass kein Beweisverbot, vielmehr nur Beiziehung eines weiteren Sachverständigen (der, wenn es sich um eine Begutachtung psychischer Zustände und Entwicklungen handelt, über eine Lehrbefugnis an einer in- oder ausländischen Universität verfügen muss) dann in Betracht kommt, wenn sich dort beschriebene Mängel von Befund oder Gutachten durch Befragung des bereits bestellten Experten nicht beseitigen lassen (vgl RIS-Justiz RS0117263, RS0120023 [insbesondere T1]; Danek/Mann, WK-StPO § 221 Rz 23/3; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 163 und § 127 Rz 31; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 373).
Einen Mangel an Sachkunde zeigte der – schon deshalb unstatthafte – Antrag auf Enthebung des Sachverständigen übrigens gar nicht auf. Es besteht nämlich kein Verbot, im Einzelfall von der (in § 126 Abs 2 StPO primär vorgesehenen) Heranziehung in die Sachverständigenliste eingetragener Personen abzugehen und jemanden zum Sachverständigen zu bestellen, auf den dies nicht (oder nicht für den konkreten Fachbereich) zutrifft (Fabrizy, StPO13 § 126 Rz 11; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 26 ff; RIS-Justiz RS0117726). Nach der – aus Z 4 bloß einer Kontrolle auf (hier nicht behauptete) Willkür unterworfenen (RIS-Justiz RS0118977; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 373) – Sachverhaltsgrundlage der prozessleitenden Anordnung (vgl ON 42 S 5 ff) ist der beigezogene Experte Facharzt (nicht nur für Neurologie, sondern auch) für Psychiatrie. Als solcher durfte er – unabhängig von seiner Eintragung in die angesprochene Liste – zum Sachverständigen (§ 125 Z 1 StPO) zur Klärung der in Rede stehenden Tatfragen bestellt (§ 126 Abs 1 StPO) werden (vgl RIS-Justiz RS0101647 [T1]; vgl auch 11 Os 25/19i).
Ebenso wenig wurde mit dem (inhaltsgleich begründeten) Antrag auf Beiziehung eines zweiten Sachverständigen eine Mangelhaftigkeit des Gutachtens im Sinn des § 127 Abs 3 StPO (dazu RIS-Justiz RS0127942) dargetan. Hinzu kommt, dass das Gutachten erst nach dem
– maßgeblichen (RIS-Justiz RS0099618) – Zeitpunkt der Antragstellung (durch Vernehmung des Sachverständigen, der erklärte, sein schriftliches Gutachten aufrecht zu halten [ON 42 S 15]) in der Hauptverhandlung vorgekommen (§ 258 Abs 1 erster Satz StPO) ist. Im Rahmen der anschließenden Gutachtenserörterung hatte der Beschwerdeführer die – von seinem Verteidiger genützte – Gelegenheit, den Sachverständigen zu befragen (ON 42 S 21 ff). Auf ein danach erstattetes (Antrags-)Vorbringen, das Gutachten sei (dennoch und weiterhin) mangelhaft, ein Verbesserungsverfahren im Sinn des § 127 Abs 3 StPO somit erfolglos geblieben (zum Erfordernis erneut RIS-Justiz RS0117263 [insbesondere T7], RS0120023 [insbesondere T1]), beruft sich die Beschwerde – aktenkonform – nicht.
Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (abermals RIS-Justiz RS0099618).
Die Mängelrüge (Z 5) glaubt die Feststellungen zum Eintritt einer (im Sinn des § 201 Abs 2 erster Fall StGB iVm § 84 Abs 1 StGB) schweren Folge (US 8 f) „unvollständig“ und „offenbar unzureichend“ begründet, weil das Erstgericht unberücksichtigt gelassen habe, dass der Sachverständige auf „Seite 15, sechster Absatz“ seines (in der Hauptverhandlung vorgekommenen [ON 42 S 15]) schriftlichen Gutachtens (ON 36) „davon ausgegangen“ sei, Beischlaf und Oralverkehr seien (nicht bloß versucht, sondern) tatsächlich durchgeführt worden. Damit unterlegt sie einer – zudem ohne Rücksicht auf die Gesamtheit des relevierten Beweisergebnisses (siehe aber RIS-Justiz RS0116504) isoliert ins Treffen geführten – Gutachtenspassage (zum Inhalt der Anamnese) bloß eine eigenständig abgeleitete Bedeutung (nämlich, das Sachverständigengutachten sei unter der Prämisse von Tatvollendung erstellt worden; vgl demgegenüber ON 36 S 3, 4 und 10). Soweit das Vorbringen darauf abzielt, die Annahme der schweren Folge aus bloß versuchter Tatbegehung unschlüssig erscheinen zu lassen, wird ebenfalls der aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO eröffnete Anfechtungsrahmen überschritten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351 und 449 ff; RIS-Justiz RS0098304, RS0097733 [T4], RS0097433).
Unter Abstützung auf das Gutachten des Sachverständigen (US 9 und 16 f) ging das Erstgericht davon aus, dass die Tat eine „posttraumatische Belastungsstörung“ (US 2, 8 f, 16 f, 21 f; vgl ON 36 S 17: „Posttraumatische Belastungsstörung F 43.1 – in Remission“), demnach eine psychische Erkrankung (vgl RIS-Justiz RS0092798 [T3]), zur Folge hatte, die dem Opfer neurologisch-psychiatrische Beschwerden im Sinn von (gerafft) zwei Tagen starken, zwei Wochen mittelgradigen und drei Wochen leichten Schmerzen verursachte (US 29).
Weshalb es (für die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB) zusätzlicher Konstatierungen dazu bedurft haben sollte, „worin die posttraumatische Belastungsstörung des Opfers liegt“, versäumt die – zudem nicht auf der Basis der Gesamtheit des diesbezüglichen Urteilssachverhalts argumentierende (siehe aber RIS-Justiz RS0099810) – weitere Beschwerde (nominell Z 5, der Sache nach Z 10) aus dem Gesetz abgeleitet darzulegen (siehe aber RIS-Justiz RS0116565; vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0092798 [T3 und T4], RS0092648 [T2]; Philipp in WK² StGB § 201 Rz 30).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E127899European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00019.20Y.0407.000Im RIS seit
06.05.2020Zuletzt aktualisiert am
06.05.2020