TE Vwgh Erkenntnis 1988/10/28 88/18/0220

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Veröffentlicht am 28.10.1988
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Index

StVO

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §52
B-VG Art11 Abs1 Z4
StbG 1985 §11
StGB §11
StVO 1960 §2 Abs1 Z15
StVO 1960 §43 Abs2 litc
StVO 1960 §52 lita Z14
VStG §3 Abs1
VStG §44a
VStG §44a lita
VStG §44a Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des GS in W, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien 1, Wollzeile 24, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 31. März 1988, Zl. MA 70- 11/1493/87/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, als der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach § 52 lit. a Z. 14 StVO schuldig erkannt und deshalb bestraft wurde, einschließlich der diesbezüglichen Kostenentscheidung.

Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. August 1987 wurde der Beschwerdeführer unter anderem für schuldig erkannt, er habe am 29. Mai 1986 um 21.25 Uhr in Wien 1, Herrengasse 7, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws 1) Schallzeichen abgegeben, obwohl dies zur Abwendung einer Gefahr von einer Person nicht notwendig gewesen sei, 3) um

21.28 Uhr sich geweigert, die Atemluft von einem besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl habe vermutet werden können, daß er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe. Er habe hiedurch zu 1) die Übertretung nach § 43 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), zu 3) jene nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO begangen; es wurden Geld- und Ersatzarreststrafen verhängt. In der Begründung dieses Straferkenntnisses wurde unter anderem ausgeführt, nach den Aussagen von Zeugen (ergänze: dreier Sicherheitswachebeamter, darunter des Meldungslegers, sowie eines Kellners eines Lokales, in dem der Beschwerdeführer Alkohol konsumiert hatte) sei der Beschwerdeführer zwar stark alkoholisiert gewesen; es sei ihm jedoch möglich gewesen, sein Fahrzeug einzuparken und die Fahrzeugtüre ohne größere Probleme zu versperren. Aus seinen Äußerungen sei zu entnehmen gewesen, daß er den Zweck der Amtshandlung - Aufforderung zur Ablegung der Atemluftprobe - verstanden habe. Nach der Aussage des Kellners habe der Beschwerdeführer noch selbständig das Lokal verlassen können. Aus diesen Angaben müsse geschlossen werden, daß der Beschwerdeführer zur Zeit der Tat zwar stark alkoholisiert gewesen sei, daß er sich jedoch keinesfalls in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand befunden habe. Es wäre ihm sonst nicht möglich gewesen, Handlungen wie das Einparken und das Absperren der Fahrzeugtüre, die zweifellos einen relativ hohen Grad von Koordinationsfähigkeit verlangen, zu setzen.

Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde ein Amtssachverständiger gehört. Dieser - der Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien - gab am 1. Oktober 1987 folgende gutächtliche Äußerung ab:

"Unter Berücksichtigung des in der Anzeige festgehaltenen Geschehensablaufes, der Zeugenaussagen der Herren Inspektoren FM, AN und LH, sowie des Kellners AC, weiters der behaupteten Trinkmenge und -zeiten, kann mit der im Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit angenommen werden, daß sich der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt wohl in einem stark durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat, daß aber kein die Zurechnungsfähigkeit ausschließender Rauschzustand bestanden hat. Insbesondere sind die in der Anzeige geschilderten Tätigkeiten des Beschuldigten (den Wagen einparken, aus dem Pkw aussteigen, auf diverse Fragen antworten, schließlich davonlaufen) mit einer Volltrunkenheit und damit Unzurechnungsfähigkeit nicht vereinbar."

Nachdem zu dieser Äußerung Parteiengehör gewährt wurde, entschied die Wiener Landesregierung als Berufungsbehörde mit Bescheid vom 31. März 1988 dahin, daß das erstinstanzliche Straferkenntnis in den beiden obigen Punkten 1) und 3) mit der Maßgabe bestätigt werde, daß die verletzte Rechtsvorschrift zu Punkt 1) richtig § 52 lit. a Z. 14 StVO zu lauten habe. In der Begründung des Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, daß die Berufungsbehörde keine Veranlassung sehe, den unbedenklichen, schlüssigen und widerspruchsfreien Ausführungen des medizinischen Amtssachverständigen nicht zu folgen. Da die Begehung der Tathandlungen an sich nicht bestritten worden sei, sei der erstinstanzliche Schuldspruch zu bestätigen gewesen. Es komme nicht auf die Menge des konsumierten Alkohols und den sich daraus allenfalls ergebenden Blutalkoholwert an, sondern auf die subjektive Reaktion des Beschwerdeführers; sohin sei sein gesamtes Verhalten zu berücksichtigen. Die Abänderung im Spruch habe der richtigen Zitierung der heranzuziehenden gesetzlichen Bestimmung gedient.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, allein wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 7. September 1988 den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seine vorläufige Rechtsansicht im Sinne des § 41 Abs. 1 am Ende VwGG wie folgt bekanntgegeben:

Obwohl der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid allein wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft, ist nach dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. N.F. Nr. 11525/A, eine für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit im Rahmen der Beschwerdepunkte maßgebliche inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vom Verwaltungsgerichtshof auch dann aufzugreifen, wenn sie vom Beschwerdeführer weder ausdrücklich noch nach dem Inhalt der Beschwerde geltend gemacht wurde.

Wohl hat die belangte Behörde als verletzte Verwaltungsvorschrift zutreffend (vgl. die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. Erkenntnisse vom 20. April 1983, Zl. 81/03/0188, vom 13. Mai 1983, Zl. 81/02/0165, vom 9. September 1983, Zl. 81/02/0110) § 52 lit. a Z. 14 StVO herangezogen. Doch fehlte sowohl im erstinstanzlichen Straferkenntnis als auch im Berufungsbescheid jeder Hinweis darauf, daß zur Tatzeit am Tatort ein durch Verordnung angeordnetes und gesetzmäßig durch Straßenverkehrszeichen kundgemachtes Hupverbot bestand (vgl. die Formulierung der ersten Instanz in dem dem Erkenntnis vom 20. April 1983, Zl. 81/03/0188, zugrundeliegenden Fall "obwohl für den Bereich des Ortsgebietes Innsbruck ein gemäß § 52 Z. 14" (ergänze: StVO) "kundgemachtes Hupverbot bestehe". Der Umstand, daß die Verordnung und Kundmachung eines solchen Hupverbotes für das Ortsgebiet von Wien allenfalls bei der Behörde offenkundig im Sinne des § 45 Abs. 1 AVG 1950 ist, berechtige die Behörde noch nicht, in der gemäß § 44a VStG 1950 vorzunehmenden Spruchformulierung dieses Tatbestandsmerkmal wegzulassen.

Diese Erwägungen könnten die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides hinsichtlich des zu 1) genannten Schuldspruches begründen.

Der Beschwerdeführer erklärte in einer Äußerung vom 10. Oktober 1988, sich dieser vorläufigen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes anzuschließen und beantragte, den angefochtenen Bescheid nunmehr auch wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde erklärte in einer Stellungnahme vom 20. Oktober 1988, die vorläufige Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu teilen. Nach Ansicht der belangten Behörde wäre die Anführung der Verordnung und Kundmachung des gegenständlichen Hupverbotes im Schuldspruch selbst nur dann erforderlich, wenn es mehrere Hupverbote nebeneinander gäbe. Da es aber nur ein Hupverbot gebe, sei die Anführung, daß dieses verordnet und kundgemacht sei, überflüssig; es könne mit keinem anderen Hupverbot verwechselt werden. Die Tat sei im übrigen ausreichend konkretisiert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1) Zur Übertretung nach § 52 lit. a Z. 14 StVO:

Der Verwaltungsgerichtshof fühlt sich auch unter Berücksichtigung der Äußerung der belangten Behörde nicht veranlaßt, von seiner vorläufigen Rechtsansicht, die er nunmehr zu seiner endgültigen erhebt, abzugehen. Zu der von der belangten Behörde ebenfalls aufgeworfenen Frage des Verhältnisses von § 22 Abs. 1 zu § 52 lit. a Z. 14 StVO wird neben dem bereits im Beschluß vom 7. September 1988 zitierten Erkenntnis vom 20. April 1983, Zl. 81/03/0188, noch auf die Erkenntnisse vom 13. Mai 1983, Zl. 81/02/0165 und vom 21. Oktober 1983, Zl. 83/02/0089, verwiesen. Da es, wie schon aus den Bestimmungen über die Vollziehung des Kompetenztatbestandes "Straßenpolizei" im Artikel 11 Abs. 1 Z. 4 B-VG ersichtlich, kein für ganz Österreich verordnetes einheitliches Hupverbot gibt, ist es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich, den jeweiligen örtlichen Geltungsbereich eines verordneten Hupverbotes im Spruch eines Straferkenntnisses zum Ausdruck zu bringen, selbst wenn es sich auf den Bereich eines solchen Ortsgebietes im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 15 StVO beziehen möge, das die ganze Bundeshauptstadt umfaßt. Nebenbei bemerkt, muß das Ortsgebiet von Wien sich nicht mit den politischen Grenzen des Bundeslandes Wien decken.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid, soweit er sich auf die zu 1) genannte Verwaltungsübertretung bezieht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Zur Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO:

Die Verfahrensrüge der Beschwerde ist nicht gerechtfertigt. Die belangte Behörde hat aus den vorliegenden Beweisergebnissen, insbesondere aus der gutächtlichen Äußerung des Amtsarztes der Bundespolizeidirektion Wien in schlüssiger Weise dargetan, warum sie beim Beschwerdeführer zur Tatzeit eine Bewußtseinsstörung oder eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG 1950 nicht als erwiesen annahm. Der Verwaltungsgerichtshof kann die Rechtsansicht der Beschwerde, sinnloses Handeln deute zwingend auf einen Zustand nach § 3 Abs. 1 VStG 1950 hin, nicht teilen, weil nach der Lebenserfahrung sinnlos auch dann gehandelt wird, wenn keine Bewußtseinsstörung, keine krankhafte Störung der Geistestätigkeit und keine Geistesschwäche vorliegt.

Anlaß für Einholung eines "weiteren medizinischen Gutachtens vom Institut für gerichtliche Medizin" wäre nur dann gegeben gewesen, wenn der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren die innere Unschlüssigkeit der gutächtlichen Äußerung des Chefarztes der Bundespolizeidirektion Wien zu erweisen vermocht hätte. Dies war aber auch in seiner Stellungnahme vom 30. November 1987 nicht der Fall.

Es kommt nicht, wie die Beschwerde anzunehmen scheint, schlechthin auf die Unfähigkeit eines Täters an, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln, sondern darauf, daß dies aus Bewußtseinsstörung, aus krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder aus Geistesschwäche erfolgt. Das Vorliegen solcher Zustände zur Tatzeit wurde aber von der belangten Behörde in schlüssiger Weise verneint.

Diesbezüglich war somit die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 28. Oktober 1988

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1988:1988180220.X00

Im RIS seit

04.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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