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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, in der Beschwerdesache des M in F, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Vogl, Rechtsanwalt in Feldkirch, Churerstraße 1-3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 26. August 1996, Zl. Ib-277-67/96, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B wegen Verkehrsunzuverlässigkeit gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm für die Dauer von 15 Monaten (gerechnet ab 13. September 1995, dem Tag der Zustellung des Mandatsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 8. September 1995) keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet. Der Beschwerdeführer hat darauf mit einem Schriftsatz repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Anlaß für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war ein vom Beschwerdeführer verschuldeter Verkehrsunfall vom 5. Juni 1995, der in der Folge zur gerichtlichen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach dem § 80 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB führte. Dem Schuldspruch des rechtskräftigen Urteils des Landesgerichtes Feldkirch (Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung vom 7. November 1995) zufolge geriet der Beschwerdeführer am 5. Juni 1995 beim Lenken eines Kraftfahrzeuges auf nasser Fahrbahn infolge äußerst unaufmerksamer Fahrweise auf die linke Fahrbahnhälfte, wo er mit einem entgegenkommenden Kraftfahrzeug zusammenstieß. Bei diesem Unfall wurden eine Person getötet und zwei Personen schwer verletzt. In diesem - nach den Feststellungen der belangten Behörde auf einer Freilandstraße mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h im Bereich einer leichten Rechtskurve gesetzten - Verhalten des Beschwerdeführers erblickte die belangte Behörde eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967: Der Beschwerdeführer habe damit unter besonders gefährlichen Verhältnissen gegen die für das Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen. Anders als die Erstbehörde nahm sie aber nicht an, daß der Beschwerdeführer das Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO 1960 gelenkt und damit eine Verwaltungsübertretung nach dieser Bestimmung begangen habe. Nach dem Gutachten eines medizinischen Amtssachverständigen sei beim Beschwerdeführer zur Tatzeit ein Blutalkoholgehalt von 0,58 Promille anzunehmen. Das Vorliegen weiterer Umstände, die bei diesem Blutalkoholgehalt erst die Annahme einer Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO 1960 zuließen, sei nicht schlüssig nachweisbar.
Aufgrund dieses Verhaltens des Beschwerdeführers gelangte die belangte Behörde unter Berücksichtigung eines früheren Alkoholdeliktes (Straferkenntnis der Erstbehörde vom 11. März 1994) und seiner "Beeinträchtigung durch Alkohol" am 5. Juni 1995 zu der Annahme, daß der Beschwerdeführer "bereits nach Ablauf von 15 Monaten sein Verhalten als Lenker von Kraftfahrzeugen so einrichten wird, daß er die Verkehrszuverlässigkeit wieder besitzt".
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967. Es seien keine zusätzlichen gefahrenerhöhenden Umstände vorgelegen, weshalb im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Annahme eines Verstoßes gegen die Verkehrsvorschriften "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" nicht berechtigt sei. Die Annahme der belangten Behörde betreffend "äußerste Unachtsamkeit des Beschwerdeführers" sei mangels Begründung nicht nachvollziehbar und verfehlt.
Nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 (idF der 17. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 654/1994) hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 u.a. zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung der maßgebenden Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, daß an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen. Als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten nach dieser Bestimmung insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten u.dgl., auf Schutzwegen oder das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen.
Während es nach der vor der genannten Novelle geltenden (von beiden Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verfehlterweise zitierten) Fassung des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 darauf ankam, daß "unter besonders gefährlichen Verhältnissen" gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen wurde, genügt jetzt, daß durch Übertretung der maßgebenden Verkehrsvorschriften ein Verhalten gesetzt wird, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, wobei bestimmte Beispiele hiefür genannt werden. Infolge dieser Änderung der Rechtslage ist dem Beschwerdevorbringen, das sich auf die zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützt, der Boden entzogen. Im Lichte der geltenden Rechtslage erweist sich die Annahme der belangten Behörde betreffend das Vorliegen einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 (neu) als zutreffend. Zum unbestrittenen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot nach § 7 StVO 1960 infolge der vom Strafgericht als "äußerst unaufmerksam" gewerteten Fahrweise des Beschwerdeführers kommt, daß dieser Verstoß bei nasser Fahrbahn und Gegenverkehr begangen wurde, wobei sich der Beschwerdeführer nach der (durch das Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde vom 27. November 1995 gedeckten) Feststellung der belangten Behörde in einem durch Alkohol beeinträchtigten (wenngleich noch nicht iSd § 5 Abs. 1 StVO 1960 fahruntüchtigen) Zustand befunden hat, dies aufgrund des vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 28. Dezember 1995 selbst zugestandenen Konsums von drei großen und einem kleinen Bier in der Zeit von 16.00 Uhr bis kurz vor dem Unfall. (Hiebei kann dahinstehen, ob sich daraus ein Blutalkoholgehalt zur Tatzeit von 0,58 %o, wie vom Amtsarzt angenommen, oder von 0,30 %o, wie vom Beschwerdeführer behauptet, ergab, weil aufgrund des vom Beschwerdeführer selbst eingeräumten Konsums von Alkohol bis kurz vor dem Unfall jedenfalls auch die besonders nachteiligen Auswirkungen während der "Anflutungsphase" - vgl. dazu näher Dittrich/Stolzlechner, StraßenverkehrsO, § 5 RZ 39 - zu beachten sind.) Ein da. Verhalten ist an sich geeignet, besonders gefährliche Verhältnisse im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 herbeizuführen. Es ist hinsichtlich seiner Gefährlichkeit und Verwerflichkeit den in der genannten Bestimmung beispielsweise angeführten Verhaltensweisen gleichzuhalten.
Mit Recht erachtet der Beschwerdeführer allerdings die Art der Entziehungsmaßnahme angesichts der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 mit 15 Monaten als nicht dem Gesetz entsprechend. Ist nämlich nach der von der Kraftfahrbehörde vorgenommenen Prognose der Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit einer Person anzunehmen, daß ihre Verkehrszuverlässigkeit nach Ablauf von nicht mehr als 18 Monaten wieder gegeben sein wird, liegt die in § 74 Abs. 1 KFG 1967 normierte Voraussetzung für eine vorübergehende Entziehung nach dieser Gesetzesstelle vor. Eine dennoch ausgesprochene Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 73 Abs. 3 KFG 1967 bedürfte einer besonderen Begründung (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 1997, Zl. 96/11/0359, mwN).
Die belangte Behörde gelangte nach der Begründung des angefochtenen Bescheides zu der Annahme, der Beschwerdeführer werde nach Ablauf von 15 Monaten ab Beginn der Entziehungsmaßnahme wieder verkehrszuverlässig sein, dies trotz der nach ihrer Meinung von ihm geschaffenen besonders gefährlichen Verhältnisse, welcher Umstand laut Begründung für die gewählte Art der Entziehungsmaßnahme entscheidend war. Dieser Umstand ist bei der Wertung des strafbaren Verhaltens vom 5. Juni 1995 gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 von Belang. Er vermag aber angesichts der vorhin wiedergegebenen, ausdrücklich unter Berücksichtigung des besagten Umstandes getroffenen dezidierten Prognose hinsichtlich des Zeitpunktes der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers die Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 nicht zu tragen. Dies hat die belangte Behörde verkannt.
Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996110278.X00Im RIS seit
12.06.2001