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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §60Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S J in S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2019, Zl. G303 2167894- 1/14E, betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis erließ das Bundesverwaltungsgericht - in teilweiser Abänderung des in Beschwerde gezogenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 20. Juli 2017 - gegen den Revisionswerber, einen kosovarischen Staatsangehörigen, gemäß § 52 Abs. 4 FPG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 und 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot.
2 Es stellte fest, dass der Revisionswerber von 2005 bis 2007 und dann - nach einem Aufenthalt im Kosovo - wieder seit November 2009 mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet gewesen sei. Am 22. September 2011 sei ihm ein in der Folge verlängerter Aufenthaltstitel als Familienangehöriger und am 9. April 2015 ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" erteilt worden, der auf Grund von Verlängerungsanträgen bis zum 21. September 2021 gültig sei.
3 Der Revisionswerber sei mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. Februar 2015 wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 StGB und wegen des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass er gegen seine ehemalige Ehefrau längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt habe, indem er ihr in mehreren Angriffen je Woche wiederholt Schläge und Fußtritte verpasst und sie dadurch am Körper verletzt habe und ihr gedroht habe, dass er ihr den Kopf abschneiden, das Herz herausschneiden und ihr Fleisch essen sowie die gemeinsame Tochter in den Kosovo entführen werde. Des Weiteren habe der Revisionswerber seine ehemalige Ehefrau im Zeitraum Herbst 2012 bis Oktober 2013 in wöchentlichen Angriffen mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Taten zum Teil infolge der Gegenwehr der Ehefrau beim Versuch geblieben seien.
4 Am 24. Dezember 2016 sei der Revisionswerber bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. Er sei mittlerweile geschieden. Zu seiner 2010 geborenen Tochter habe er keinen Kontakt. In Österreich lebten außerdem zwei Cousins des Revisionswerbers, im Kosovo zwei Geschwister.
5 Er verfüge über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 und sei seit 2009, unterbrochen durch kurze Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs, für verschiedene Arbeitgeber als Arbeiter beschäftigt gewesen. Seit März 2019 sei er bei M.P. als Arbeiter beschäftigt.
6 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich der Revisionswerber auf Grund einer gültigen Rot-Weiß-Rot-Karte plus rechtmäßig in Österreich aufhalte. Gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG sei gegen einen rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintrete oder bekannt werde, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.
7 Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürften Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreite. Der Aufenthalt eines Fremden widerstreite unter anderem dann öffentlichen Interessen, wenn durch dessen Aufenthalt die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere zur Wahrung eines geordneten Fremdenwesens und zur Verhinderung strafbarer Handlungen gefährdet sei.
8 Zentraler Punkt der hinsichtlich des Revisionswerbers zu erstellenden Gefährdungsprognose sei seine strafgerichtliche Verurteilung. Unstrittig stehe fest, dass er die dem genannten Urteil des Landesgerichtes Salzburg zu Grunde liegenden Straftaten zu verantworten habe. Aus diesem Fehlverhalten resultiere eine schwerwiegende Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Gewalt- und Sexualdelikten. Ein weiterer Aufenthalt des Revisionswerbers widerstreite somit jedenfalls den öffentlichen Interessen gemäß § 11 Abs. 2 NAG.
9 Auch wenn man dem Revisionswerber zugutehalte, dass die Straftaten mittlerweile mehr als fünf Jahre zurücklägen, es sich um seine einzige strafgerichtliche Verurteilung handle, der Revisionswerber nach eigenen Angaben keinen Kontakt mehr zu seiner geschiedenen Ehefrau habe und er nach der Haftentlassung mit Unterbrechungen Beschäftigungen nachgegangen sei, sei der mit den Straftaten verbundene Eingriff in die Rechtsgüter der körperlichen und sexuellen Integrität anderer Personen derart erheblich und massiv, dass zum Entscheidungszeitpunkt nicht eine wesentliche Minderung oder gar ein Wegfall der vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung angenommen werden könne; auch zeige der Revisionswerber keine Reue oder Einsicht hinsichtlich seiner strafbaren Handlungen.
10 Dem zuletzt erteilten Aufenthaltstitel stehe daher ein Versagungsgrund entgegen, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG seien somit jedenfalls gegeben.
11 Bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass allenfalls vorhandene familiäre oder private Bindungen des Revisionswerbers in Österreich nicht das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts überwiegen würden.
12 Im Hinblick auf das Einreiseverbot führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Art der Begehung und die Schwere der dem Revisionswerber anzulastenden Straftaten, nämlich die fortgesetzte Gewaltausübung gegenüber seiner Ehefrau über einen langen Deliktszeitraum sowie die teils versuchte und teils vollendete Vergewaltigung, auf ein schwerwiegendes persönliches Fehlverhalten des Revisionswerbers hinwiesen, welches eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstelle, zumal der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung keine Einsicht seiner Taten oder Reue gezeigt habe.
13 Unter Berücksichtigung der für den Revisionswerber sprechenden Aspekte und der langen Verfahrensdauer habe die Dauer des (vom BFA mit neun Jahren festgesetzten) Einreiseverbots nunmehr auf acht Jahre herabgesetzt werden können.
14 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:
15 Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG macht die Revision insbesondere geltend, dass "die belangte Behörde" die Tragweite der von ihr herangezogenen Versagungsgründe verkannt habe. Die Straftat liege schon über sechs Jahre zurück, und der Revisionswerber habe sich nach Verbüßung der Strafe wohlverhalten. Er habe gearbeitet und sei rechtmäßig aufhältig gewesen. Auch die Niederlassungsbehörde habe keinen Grund gesehen, den Revisionswerber als schwerwiegende Gefahr anzusehen.
16 Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber im Ergebnis auf, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, weshalb sich die Revision als zulässig und auch berechtigt erweist.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 61 Z 2 iVm § 54 Abs. 1 FPG in der Stammfassung in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbots aufgrund eines Sachverhaltes, der die Versagung des dem Fremden zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gerechtfertigt hätte, nur zulässig ist, wenn dieser Sachverhalt erst nach Erteilung des Titels eingetreten oder der Aufenthaltsbehörde bekannt geworden ist (vgl. etwa VwGH 4.6.2009. 2009/18/0097, mwN). Nach § 54 Abs. 1 FPG in der Stammfassung konnten Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhielten, ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintrat oder bekannt wurde, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre, oder der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegenstand; ein Aufenthaltsverbot durfte gemäß § 61 Z 2 FPG nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig gewesen wäre. Der zuletzt genannten Bestimmung entspricht nunmehr § 52 Abs. 4 Z 1 und 4 FPG, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre (Z 1) oder wenn - was im Verlängerungsverfahren maßgeblich ist (vgl. zur diesbezüglichen Abgrenzung VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0227) - der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 und 2 NAG entgegensteht (Z 4). Die Rechtsprechung zum im Wesentlichen gleichlautenden § 54 Abs. 1 FPG in der Stammfassung ist auf die nunmehr geltende Rechtslage zu übertragen. Demnach ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen auf Grund eines gültigen Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen gemäß § 52 Abs. 4 Z 1 FPG - und damit auch die Erlassung eines mit der Rückkehrentscheidung zu verbindenden Einreiseverbots nach § 53 FPG - aufgrund eines Sachverhaltes, der die Versagung des dem Drittstaatsangehörigen zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gerechtfertigt hätte, nur zulässig, wenn dieser Sachverhalt erst nach Erteilung des Titels eingetreten oder zwar zuvor eingetreten, der Niederlassungsbehörde aber erst nachträglich bekannt geworden ist.
18 Im vorliegenden Fall wurde dem Revisionswerber nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts am 9. April 2015 - also nach seiner strafgerichtlichen Verurteilung vom 11. Februar 2015 - ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" erteilt, der in der Folge verlängert wurde.
19 Das angefochtene Erkenntnis enthält jedoch keine Feststellungen dazu, ob die Niederlassungsbehörde - etwa durch einen Strafregisterauszug oder weil ihr die Anhaltung in Strafhaft bekannt war - zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung des Aufenthaltstitels über die vom Revisionswerber begangenen, nun als Versagungsgrund nach § 11 Abs. 2 NAG angesehenen Straftaten informiert war. Derartige Feststellungen wären erforderlich gewesen, weil nach dem oben Gesagten die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots davon abhängt, ob die Erteilung des Aufenthaltstitels in Form der Stattgabe des letzten Verlängerungsantrags in Kenntnis des zur Begründung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme herangezogenen Sachverhalts erfolgt war, zumal keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass dieser Sachverhalt nicht schon damals einen Versagungsgrund konstituiert hätte (vgl. demgegenüber etwa VwGH 18.5.2006, 2006/18/0117).
20 Daher war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
21 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 4. März 2020
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteMaßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210403.L00Im RIS seit
05.05.2020Zuletzt aktualisiert am
05.05.2020