TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/21 96/18/0012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.1998
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389 §1 Abs1;
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389 §1 Abs2;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des M in Wien, vertreten durch Dr. Josef Unterweger, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19A, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. November 1995, Zl. SD 1431/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 28. November 1995 wurde der Beschwerdeführer, ein bosnischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Bosnische Staatsangehörige seien nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes in Verbindung mit dem Sichtvermerksabkommen bis 14. April 1995 zur sichtvermerksfreien Einreise und zu einem sichtvermerksfreien Aufenthalt in der Dauer von drei Monaten berechtigt gewesen, wenn sie bei der Einreise über einen gültigen Reisepaß verfügt hätten. Sie seien darüber hinaus aufgrund der zu § 12 des Aufenthaltsgesetzes ergangenen Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 zum vorübergehenden Aufenthalt - zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bis Ende 1996 - berechtigt, wenn sie ihre Heimat wegen der bewaffneten Konflikte verlassen und anderweitig keinen Schutz gefunden hätten und - sofern sie nach dem 30. Juni 1993 nach Österreich eingereist seien - sich der Grenzkontrolle gestellt hätten und ihnen entsprechend den internationalen Gepflogenheiten die Einreise gestattet worden sei.

Der Beschwerdeführer sei seit dem 7. August 1993 in Österreich. In einem "Schreiben an die MA 62 vom April 1994" habe er angegeben, er wäre wegen der intensiven Kriegshandlungen, die in Bosnien seit zwei Jahren stattfänden, zunächst nach Kroatien geflüchtet. Als die kriegerischen Handlungen zwischen Kroatien und Bosnien ebenfalls begonnen hätten, hätte er Kroatien verlassen müssen und wäre "Anfang Juli 1993" nach österreich gekommen. Bei seiner "Vernehmung vor der Fremdenpolizei" am 2. Juni 1995 habe der Beschwerdeführer angegeben, daß er vor einer Einreise zwei bis drei Wochen mit einem in Zagreb ausgestellten "deutschen Visum" in Deutschland gewesen wäre. Er hätte damals Hilfslieferungen nach Bosnien gefahren, wofür er allerdings keinen Nachweis hätte. Der Zweck seiner Einreise nach Österreich wäre gewesen, hier mit einem Bekannten eine Firma zu gründen. Tatsächlich sei hier eine näher genannte Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet worden, an der der Beschwerdeführer seit November 1993 mit "25 %" beteiligt sei und dort für ca. S 15.000,-- netto als "Lkw-Fahrer" arbeite. Er besitze jedoch nicht die dafür erforderliche Beschäftigungsbewilligung. In seiner Berufung gegen den Erstbescheid gebe er an, er sei nach seinen Fahrten (für humanitäre Zwecke) nach Bosnien zurückgekehrt und wäre dort vor seiner Ausreise nach Österreich in einem näher genannten Ort, etwa 20 km von Sarajevo entfernt, gewesen.

Der Beschwerdeführer habe bereits mehrfach versucht, eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, was ihm jedoch bisher nicht gelungen sei. Eine Aufenthaltsberechtigung lasse sich "daraus" nicht ableiten.

Dem Beschwerdeführer komme auch ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Sinn der zu § 12 ergangenen Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 nicht zu. Es bestehe nämlich kein ernsthafter Grund zur Annahme, daß der Beschwerdeführer nicht ohnedies bereits außerhalb Bosniens Schutz vor den bewaffneten Konflikten gefunden habe. Dazu komme weiters, daß er mit gültigem Reisepaß "unter Inanspruchnahme des Sichtvermerksabkommens", das ihn zur sichtvermerksfreien Einreise und zu einem sichtvermerksfreien Aufenthalt von drei Monaten berechtigt habe, nach Österreich eingereist sei. Dem Beschwerdeführer sei daher seine Einreise nach dem 1. Juli 1993 im Hinblick auf das Sichtvermerksabkommen, nicht aber entsprechend den internationalen Gepflogenheiten im Sinn der zitierten Verordnung und des § 2 FrG gestattet worden. Auch der vom Beschwerdeführer selbst angegebene Zweck seiner Einreise "im Zusammenhang mit seinen sonstigen vorausgegangenen Aktivitäten" lasse den Schluß zu, daß er nicht wegen der bewaffneten Konflikte und um Schutz davor zu suchen nach Österreich gekommen sei. Der Beschwerdeführer, der im übrigen keine Beschäftigungsbewilligung habe, sei somit nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. In einem solchen Fall sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 FrG entgegenstehe.

Im Bundesgebiet befänden sich keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers. Seine Lebensgefährtin, die er übrigens nicht einmal namentlich genannt habe, falle nicht unter den Schutz des § 19 FrG. Er selbst halte sich erst seit zwei Jahren - und das ohne Aufenthaltsberechtigung - in Österreich auf. Ein Eingriff im Sinn des § 19 FrG liege daher nicht vor. Diese Bestimmung stehe daher der Ausweisung nicht entgegen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn "wegen Verletzung subjektiver Rechte" aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Aken des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er sei "im Jänner 1993 als Lkw-Fahrer für humanitäre Hilfslieferungen in Kroatien und Deutschland unterwegs" gewesen, habe diese Tätigkeit in der Folge beendet und sei nach Bosnien zurückgekehrt. Aufgrund der kriegerischen Ereignisse, insbesondere der "andauernden Angriffe" auf Sarajevo, habe der Beschwerdeführer dann seine Heimat verlassen müssen und sei über Kroatien und Slowenien am 7. August 1993 nach Österreich gereist. Der Beschwerdeführer sei direkt von Bosnien nach Österreich geflüchtet und habe daher - entgegen der Behörde - weder in Kroatien noch in Deutschland Schutz vor Verfolgung gefunden. Die Einreise des Beschwerdeführers in Österreich sei mittels eines Einreisestempels dokumentiert, er habe sich daher - im Sinn der Verordnung der Bundesregierung

BGBl. Nr. 389/1995 - der Grenzkontrolle gestellt und es sei ihm auch die Einreise nach den internationalen Gepflogenheiten gestattet worden; der Beschwerdeführer verfüge somit über eine Berechtigung zum Aufenthalt im Sinne dieser Verordnung.

1.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

Gemäß § 1 Abs. 1 der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft gestandenen Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 389/1995 haben Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat dies verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich. Nach § 1 Abs. 2 dieser Verordnung besteht dieses Aufenthaltsrecht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend den internationalen Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.

Der Beschwerdeführer hat bei einer unter der Mitwirkung eines Dolmetschers erfolgten Befragung vor der Erstbehörde am 2. Juni 1995 - wie sich aus der dabei aufgenommene Niederschrift (deren Richtigkeit gemäß § 14 Abs. 3 AVG bestätigt wurde, vgl. Blatt 17 der Verwaltungsakten) ergibt - angegeben, daß er sich vor seiner Einreise nach Österreich zwei bis drei Wochen mit einem Besuchervisum "in Deutschland und somit in einem sicheren Drittstaat" aufgehalten habe; weiters habe der Beschwerdeführer als "Zweck" seine Einreise im August 1993 die Absicht bezeichnet, in Österreich "mit einem Bekannten" eine Firma gründen zu wollen. Schließlich hat der Beschwerdeführer - worauf auch der angefochtene Bescheid Bezug nimmt - in seiner Berufung aus dem April 1994 gegen die erstinstanzliche Versagung einer Aufenthaltsbewilligung angegeben, daß er infolge der intensiven Kriegshandlungen in seinem Heimatland zunächst nach Kroatien und erst dann, "nachdem kriegerische Handlungen zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina ebenfalls" begonnen hätten, nach Österreich gekommen sei.

Wenn die belangte Behörde diesen Angaben des Beschwerdeführers im April 1994 bzw. im Juni 1995 mehr Glauben geschenkt hat als den in seiner Berufung vom 8. November 1995 erstatteten Angaben, stößt dies im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Beweiswürdigung zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) auf keine Bedenken. Es spricht nämlich nicht gegen die allgemeine Lebenserfahrung, den dem maßgeblichen Zeitpunkt der Einreise zeitlich näheren Angaben des Beschwerdeführers im April 1994 und im Juni 1995 eine höhere Glaubwürdigkeit zuzubilligen als seiner späteren Darstellung.

Der Beschwerdeführer hat auch im Verwaltungsverfahren in keiner Weise dargetan, in Kroatien oder in Deutschland gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung der belangten Behörde, daß dem Beschwerdeführer kein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Sinn der in Rede stehenden Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 zukomme, weil er bereits außerhalb Bosniens (und somit "anderweitig" im Sinn des § 1 Abs. 1 dieser Verordnung) Schutz vor den bewaffneten Konflikten in seiner Heimat gefunden habe, und ferner diese in Anbetracht des von ihm selbst angegebenen Zwecks seiner Einreise (im Zusammenhang mit den von ihm sonst angegebenen beruflichen Aktivitäten) auch nicht wegen der bewaffneten Konflikte verlassen habe, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

1.3. Im übrigen läßt die Beschwerde die Feststellungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz erlangen können, unbestritten.

Auf der Grundlage des Gesagten stößt somit die Auffassung der belangten Behörde, daß im Beschwerdefall die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz gegeben sei, auf keine Bedenken.

1.4. Auf dem Boden dieser Ausführungen geht auch die Verfahrensrüge, dem Beschwerdeführer wäre - entgegen dem § 45 Abs. 3 AVG - keine Möglichkeit eingeräumt worden, zum Ergebnis der Beweisaufnahme in Ansehung der Frage seiner Aufenthaltsberechtigung im Sinn der genannten Verordnung Stellung zu nehmen, fehl, zumal der Beschwerdeführer ohnedies hiezu ausführlich in seiner Berufung Stellung genommen hat und weiters die maßgeblichen Feststellungen den Angaben des Beschwerdeführers im April 1994 und im Juni 1995 - wie festgehalten in unbedenklicher Weise - folgen. Die ebenfalls mit Blick auf § 45 Abs. 3 AVG erst in der Beschwerde vorgebrachte - im übrigen nicht weiters substantiierte - Behauptung, der Beschwerdeführer wäre weder in Kroatien noch in Deutschland vor Verfolgung sicher gewesen, stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar (§ 41 Abs. 1 VwGG).

2.1. Die Beschwerde bekämpft der angefochtene Bescheid auch im Lichte des § 19 FrG.

Die belangte Behörde habe keine Interessenabwägung durchgeführt und in keiner Weise dargetan, inwiefern der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Weiters hätte die belangte Behörde nach § 19 FrG zu berücksichtigen gehabt, daß der Beschwerdeführer in Wien mit seiner Lebensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt lebe und in Bosnien keine Familienangehörigen mehr habe. Eine dem Gesetz entsprechende Interessenabwägung hätte daher zum dem Ergebnis führen müssen, daß der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers jedenfalls schwerer wöge "als die öffentlichen Interessen".

2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Selbst unter der Annahme eines - entgegen der Behörde - jedenfalls im Hinblick auf die Dauer seines Aufenthaltes und das behauptete Zusammenleben mit einer Lebensgefährtin gegebenen Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich ist das Ergebnis der von der Behörde vorgenommenen Beurteilung, daß § 19 FrG der Ausweisung nicht entgegenstehe, nicht rechtsirrig. Nach § 19 FrG wäre nämlich einerseits zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer durch seinen unberechtigten Aufenthalt in der Dauer von etwa zwei Jahren gravierend das öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen, dem aus der Sicht des Schutzes der öffentichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) nach der hg. Rechtsprechung ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. das Erkenntnis vom 4. September 1997, Zl. 97/18/0373, mwH), gravierend verletzt hat; andererseits wäre zu bedenken, daß die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers und eine daraus (allenfalls) abzuleitende Integration nicht ein Ausmaß erreicht, das den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers ein erhebliches Gewicht verleiht. Was das behauptete Fehlen von Familienangehörigen in Bosnien betrifft, entbehrte dieser Umstand im gegebenen Zusammenhang der Relevanz, weil - zum einen - mit der Ausweisung keine Aussage verbunden ist, daß der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen hat oder daß er (allenfalls) abgeschoben wird, und - zum anderen - sich § 19 FrG lediglich auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich bezieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. November 1997, Zl. 97/18/0532, mwH).

3. Die Ansicht des Beschwerdeführers, in seinem Fall wäre Art. 48 Abs. 3 EGV anzuwenden, ist verfehlt, da er sich als bosnischer Staatsangehöriger nicht (mit Erfolg) auf diese Bestimmung berufen kann.

4. Im Lichte der vorstehenden Ausführungen haftet dem bekämpften Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht an, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996180012.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.12.2016
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten