TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/21 96/18/0282

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Veröffentlicht am 21.04.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389 §1 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde der B, in Wien, vertreten durch Dr. Christiane Berethalmy-Deuretzbacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rosenbursenstraße 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 17. November 1995, Zl. SD 1351/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 17. November 1995 wurde die Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Bosnische Staatsangehörige seien nach den Bestimmungen des Fremdengesetzes in Verbindung mit dem Sichtvermerksabkommen bis zum 14. April 1995 zur sichtvermerksfreien Einreise und zu einem sichtvermerksfreien Aufenthalt in der Dauer von drei Monaten berechtigt gewesen, wenn sie bei der Einreise über einen gültigen Reisepaß verfügt hätten. Sie seien darüber hinaus aufgrund der zu § 12 des Aufenthaltsgesetzes ergangenen Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 zum vorübergehenden Aufenthalt - derzeit bis Ende Juni 1996 - berechtigt, wenn sie ihre Heimat wegen der bewaffneten Konflikte verlassen und anderweitig keinen Schutz gefunden hätten und - sofern sie nach dem 30. Juni 1993 nach Österreich eingereist seien - sich der Grenzkontrolle gestellt hätten und ihnen entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet worden sei.

Die Beschwerdeführerin sei am 17. Oktober 1994 mit einem gültigen bosnischen Reisepaß sichtvermerksfrei über Ungarn nach Österreich eingereist und es sei ihr die Einreise aufgrund des Sichtvermerksabkommens gestattet worden. Die Beschwerdeführerin sei jedenfalls aufgrund des Sichtvermerksabkommens zu einem dreimonatigen sichtvermerksfreien Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen. Ein darüber hinausgehendes vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Sinn des § 12 des Aufenthaltsgesetzes und der dazu ergangenen Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 bzw. BGBl. Nr. 408/1995 komme der Beschwerdeführerin jedoch nicht zu. Die Beschwerdeführerin sei "Bosnierin serbischer Nationalität". Ihr Gatte, ein "bosnischer Kroate", lebe seit dem August 1994 in Kroatien. Die Beschwerdeführerin sei nach Österreich gekommen, um ihr achtjähriges Kind, das sich anfangs auch bei ihrem Ehemann in Kroatien befunden hätte und das sie im Mai 1994 ihrem in Österreich lebenden Schwager anvertraut habe, der es mit nach Österreich genommen habe und hier die Vormundschaft ausübe, zu besuchen. Die Beschwerdeführerin könne sich bei dieser Sachlage nicht darauf berufen, daß sie in Kroatien keinen Schutz gefunden hätte. Überdies sei ihr die Einreise nach Österreich offensichtlich aufgrund des Sichtvermerksabkommens, nicht aber entsprechend internationaler Gepflogenheiten "als Kriegsvertriebene" gestattet worden. Sie sei daher nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. In einem solchen Fall sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 FrG entgegenstehe.

Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin im Sinn des § 19 FrG scheine nur insoweit gegeben, als sich ihr Kind in Österreich befinde. Diesem Eingriff entbehre es jedoch an rechtlicher Relevanz im Sinn des § 19 FrG, weil ein gemeinsamer erlaubter Aufenthalt nie bestanden habe und die Beschwerdeführerin nur sichtvermerksfrei eingereist sei und eine Familienzusammenführung nur entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen, nicht aber "über den Umweg des § 19 FrG" in Betracht komme. "Daher und dessen ungeachtet" sei aber auch der mit der Ausweisung verbundene Eingriff zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit also zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, dringend geboten. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung komme im Inland nicht in Betracht. Die Beschwerdeführerin werde daher den rechtswidrigen Aufenthalt durch Ausreise zu beenden haben. Die Ausweisung verfolge auch nur den Zweck, die Beschwerdeführerin dazu zu verhalten; wenn die Beschwerdeführerin vom Ausland aus eine Aufenthaltsbewilligung erwirkt habe, stehe ihrer Einreise nichts entgegen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerdeführerin bezieht sich auf die nach § 12 des Aufenthaltsgesetzes ergangene Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 389/1995 und leitet aus dieser ein Recht zum Aufenthalt in Österreich ab, welches der Ausweisung entgegenstehe.

1.2. Gemäß § 1 Abs. 1 der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft gestandenen Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 389/1995 haben Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht in Österreich. Nach § 1 Abs. 2 dieser Verordnung besteht dieses Aufenthaltsrecht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.

2. Die Beschwerdeführerin bringt gegen den angefochtenen Bescheid vor, daß sie entgegen der Behörde in Kroatien keinen Schutz im Sinn des § 1 Abs. 1 der genannten Verordnung gefunden habe. Nach einem kurzen Aufenthalt von "nicht einmal zwei Tagen", während dessen sie lediglich ihren (aus Österreich übermittelten) Reisepaß in Empfang genommen habe, habe sie Kroatien "umgehend wieder verlassen", zumal sie "als Serbin" für den wahrscheinlichen Fall einer "Scheidung" von ihrem (damals) in Kroatien aufhältigen Ehemann, der "Kroate" sei, in Kroatien "völlig schutzlos" gewesen wäre. Ein solches Vorbringen hat die Beschwerdeführerin - der Sache nach - schon vor der Erstbehörde erstattet.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Auffassung läßt nämlich ein derart kurzfristiger Aufenthalt - der, was die Behörde nicht in Zweifel zieht, lediglich der Besorgung der für die Einreise nach Österreich erforderlichen Reisedokumente diente - nicht den Schluß zu, daß die Beschwerdeführerin in Kroatien tatsächlich "anderweitig ... Schutz" im Sinn des § 1 Abs. 1 der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina gefunden hätte, zumal sich weder der Beschwerde noch dem angefochtenen Bescheid oder den Verwaltungsakten ein Anhaltspunkt dafür entnehmen läßt, daß der Beschwerdeführerin infolge des Verhaltens kroatischer Behörden (oder deren Hilfsorgane) - trotz ihres nur kurzfristigen Aufenthaltes - tatsächlich Schutz im Sinne der zitierten Regelung gewährt worden wäre. Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid insofern mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Beschwerdeausführungen betreffend eine allfällige Scheidung von ihrem Ehemann in Kroatien um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beachtliche Neuerung (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) handelt oder nicht.

Dazu kommt, daß hinsichtlich der Rechtsauffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin sei die Einreise "aufgrund des Sichtvermerksabkommens, nicht aber entsprechend internationaler Gepflogenheiten als Kriegsvertriebene gestattet worden", Feststellungen fehlen, anhand welcher das Zutreffen dieser Auffassung nachvollzogen werden könnte, weswegen der angefochtene Bescheid auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG) belastet ist.

3. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, weil die Aufhebung eines Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht.

4. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996180282.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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