TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/30 W129 2223929-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.01.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W129 2197286-4/5E

W129 2223929-2/5E

W129 2227984-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter DDr. GERHOLD über die Beschwerden von XXXX (Erstbeschwerdeführerin), geb. XXXX , XXXX (Zweitbeschwerdeführerin), geb. am XXXX , sowie XXXX (Drittbeschwerdeführer), geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch Rae Dr. Peter LECHENAUER, Dr. Margrit SWOZIL, Hubert-Sattler-Gasse 10, 5020 Salzburg, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2019, Zl. 1172630002-181177973 bzw. 1212392410-190235395 bzw. 1252320904-191161560, zu Recht:

A)

In Stattgebung der jeweiligen Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Die Erstbeschwerdeführerin - eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe - stellte am 02.11.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 11.04.2018 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

3. Mit Beschluss vom 20.08.2018 wurde die dagegen eingebrachte Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 iVm § 28 Abs. 1 iVm § 31 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.

4. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 19.09.2018 einen Antrag auf Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.10.2018 wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen.

6. Mit Schreiben vom 05.11.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde sowie die bezughabenden Akten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo das Konvolut am 08.11.2018 einlangte.

7. Am 13.03.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch.

8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.07.2019, Zl. W129 2197286-3/16E, wurde die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen.

9. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11.12.2019, E4467/2015-5, wurde die Behandlung der Beschwerde gegen das genannte Erkenntnis des BVwG abgelehnt.

10. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am XXXX in Salzburg als Tochter der Erstbeschwerdeführerin geboren. Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist der in Österreich mit einer Rot-weiß-rot-Karte-plus aufenthaltsberechtigte (nicht aber asyl- oder subsidiär schutzberechtigte) XXXX , der mit Erstbeschwerdeführerin seit 10.03.2018 standesamtlich verheiratet ist.

Am 15.11.2018 wurde für die Zweitbeschwerdeführerin ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gestellt.

11. Mit Bescheid vom 20.08.2019, Zl 1212392410-181092196, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Art 8 EMRK ab (Spruchpunkt I.). Gegen die mj. Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und es wurde festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.01.2020 zur Zahl W129 2223929-2 abgewiesen.

12. Der Drittbeschwerdeführer wurde am XXXX in Salzburg als Sohn der Erstbeschwerdeführerin geboren. Vater des Drittbeschwerdeführers ist der oben unter Punkt 10. angeführte Ehemann der Erstbeschwerdeführerin.

Gegenständliches Verfahren gem. § 57 Abs 1 FPG (Wohnsitzauflage)

2.1. Mit jeweiligem Mandatsbescheid vom 14.11.2019, Zl. 1172630002-181177973 bzw. 1212392410-190235395 bzw. 1252320904-191161560, wurde den Beschwerdeführern vorgeschrieben, binnen dreier Tage ihre Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX , durchgängig bis zu ihrer Ausreise zu nehmen.

Die Zustellung der Mandatsbescheide erfolgte am 16.11.2019 durch persönliche Übernahme durch die Erstbeschwerdeführerin.

2.2. Mit im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung am 18.11.2019 eingebrachtem Schreiben erhoben die Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Vorstellung.

2.3. Mit Bescheiden der belangten Behörde vom 16.12.2019, Zl. 1172630002-181177973 bzw. 1212392410-190235395 bzw. 1252320904-191161560, wurde den Beschwerdeführern aufgetragen, bis zu ihrer Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX , zu nehmen, dieser Verpflichtung hätten sie unverzüglich nachzukommen.

Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde gem. § 13 Abs 2 VwGVG ausgeschlossen.

2.4. Die mit jeweiligem Schriftsatz vom 14.01.2020 erhobenen Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG mit Begleitschreiben vom 22.01.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1 Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennen sich zum muslimischen Glauben. Die Identität der Beschwerdeführer steht fest.

1.2. Die Erstbeschwerdeführerin hält sich seit November 2017 im österreichischen Bundesgebiet auf.

1.3. Die gegen die Erstbeschwerdeführerin erlassene Rückkehrentscheidung erwuchs mit 31.07.2020 in Rechtskraft.

1.4. Die gegen die Zweitbeschwerdeführerin erlassene Rückkehrentscheidung wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag zur Zl. W129 2223929 bestätigt, eine Zustellung fand jedoch (noch) nicht statt.

1.5. Für den Drittbeschwerdeführer liegt keine Rückkehrentscheidung vor. Für den Drittbeschwerdeführer wurde weder ein Antrag auf Internationalen Schutz gestellt noch ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK.

1.6. Alle drei Beschwerdeführer halten sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und sind nicht geduldet.

1.7. Alle drei Beschwerdeführer leben mit dem in Österreich aufenthaltsberechtigten Ehemann (Erstbeschwerdeführerin) bzw. Vater (Zweitbeschwerdeführerin, Drittbeschwerdeführer) in gemeinsamem Haushalt.

2. Beweiswürdigung

2.1. Die Identität der drei Beschwerdeführer wurde bereits von der belangten Behörde festgestellt.

2.2. Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, zum Bestehen bzw. Nichtbestehen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung, zum unrechtmäßigen Verbleib in Österreich trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung sowie zum Nichtvorliegen einer Duldung und zum Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise ergeben sich unstrittig aus dem Akteninhalt.

2.3. Die Feststellungen zur Lebenssituation der Beschwerdeführer in Österreich beruhen auf dem unstrittigen und unbedenklichen Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt mangels gegenteiliger Rechtsgrundlage somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Zu A)

3.2. § 57 FPG lautet auszugsweise:

"Wohnsitzauflage

§ 57. (1) Einem Drittstaatsangehörigen, gegen den eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und dessen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht geduldet (§ 46a) ist, kann aufgetragen werden, bis zur Ausreise in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen, wenn

1. keine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 gewährt wurde oder

2. nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

(2) Bei der Beurteilung, ob bestimmte Tatsachen gemäß Abs. 1 Z 2 vorliegen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Drittstaatsangehörige

1. entgegen einer Anordnung des Bundesamtes oder trotz eines nachweislichen Angebotes der Rückkehrberatungsstelle ein Rückkehrberatungsgespräch (§ 52a Abs. 2 BFA-VG) nicht in Anspruch genommen hat;

2. nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hat;

3. an den zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen im Sinne der § 46 Abs. 2 und 2a nicht mitwirkt;

4. im Rahmen des Asylverfahrens, des Verfahrens zur Erlassung der Rückkehrentscheidung oder des Rückkehrberatungsgesprächs erklärt hat, seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen;

5. im Asylverfahren oder im Verfahren zur Erlassung der Rückkehrentscheidung über seinen Herkunftsstaat oder seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht hat.

(3) [...]

(4) Die Verpflichtungen des Drittstaatsangehörigen aufgrund einer Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ruhen, wenn und solange

1. die Rückkehrentscheidung gemäß § 59 Abs. 6 oder die Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 vorübergehend nicht durchführbar,

2. sein Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 46a geduldet oder

3. ihm die persönliche Freiheit entzogen ist.

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 60 Abs. 3 gegenstandslos oder tritt eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 4 außer Kraft, tritt auch die Wohnsitzauflage außer Kraft.

(6) Die Wohnsitzauflage gemäß Abs. 1 oder Abs. 3 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) anzuordnen. In diesem sind dem Drittstaatsangehörigen auch die Folgen einer allfälligen Missachtung zur Kenntnis zu bringen."

3.3. § 46 FPG lautet auszugsweise:

"[...]

(2) Ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, hat - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen; es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen. Satz 1 und 2 gilt nicht, wenn der Aufenthalt des Fremden gemäß § 46a geduldet ist.

(2a) Das Bundesamt ist jederzeit ermächtigt, bei der für den Fremden zuständigen ausländischen Behörde die für die Abschiebung notwendigen Bewilligungen (insbesondere Heimreisezertifikat oder Ersatzreisedokument) einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (§ 97 Abs. 1) auszustellen. Macht es davon Gebrauch, hat der Fremde an den Amtshandlungen des Bundesamtes, die der Erlangung der für die Abschiebung notwendigen Bewilligung oder der Ausstellung des Reisedokumentes gemäß § 97 Abs. 1 dienen, insbesondere an der Feststellung seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft, im erforderlichen Umfang mitzuwirken und vom Bundesamt zu diesem Zweck angekündigte Termine wahrzunehmen.

[...]"

3.4. Aus den Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG ergibt sich auszugsweise Folgendes:

"[...] Die Erlassung einer Wohnsitzauflage soll dabei nicht systematisch erfolgen, sondern hat jedenfalls abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ergehen. Dabei sind insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - zu berücksichtigen. Die Wohnsitzauflage soll daher als ultima ratio nur dann angeordnet werden, wenn der Drittstaatsangehörige seiner Verpflichtung zur Ausreise bislang nicht nachgekommen ist und aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, dass er auch weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 1:

[...]

Die zweite Konstellation soll auch jene Fälle umfassen, in denen zwar eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde, der Drittstaatsangehörige aber nicht innerhalb der Frist ausgereist ist und anzunehmen ist, dass er seiner Ausreiseverpflichtung auch weiterhin nicht nachkommen wird.

[...]

Zu Abs. 2:

In Abs. 2 werden jene Tatsachen näher definiert und demonstrativ aufgezählt, welche im Sinne des Abs. 1 Z 2 die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung weiterhin nicht nachkommen wird.

Ein Hinweis auf die mangelnde Bereitschaft zur Ausreise ist naturgemäß dann gegeben, wenn der Drittstaatsangehörige selbst angibt, dass er nicht bereit ist, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Es kann des Weiteren davon ausgegangen werden, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird, wenn er ein ihm angebotenes oder angeordnetes Rückkehrberatungsgespräch zum Zweck der freiwilligen Ausreise nicht wahrnimmt. Ebenso wird davon auszugehen sein, dass der Drittstaatsangehörige nicht bereit ist auszureisen, wenn er während einer gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise nicht ausgereist ist und anschließend seinen Wohnsitz bzw. den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts ändert, ohne das Bundesamt hiervon in Kenntnis zu setzen. Ferner kann von mangelhafter Bereitschaft zur Ausreise ausgegangen werden, wenn der betreffende Drittstaatsangehörige es unterlässt, an der Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten mitzuwirken oder ein vorhandenes Reisedokument vernichtet oder sich dessen auf sonstige Weise entledigt. Hat der Drittstaatsangehörige bereits im Verfahren über seine Identität getäuscht oder zu täuschen versucht und damit die Beschaffung von für die Ausreise erforderlichen Dokumenten erschwert bzw. verhindert, wird ebenfalls von einer mangelnden Bereitschaft zur Ausreise auszugehen sein.

Da es sich bei Abs. 2 um eine demonstrative Aufzählung handelt, kommen auch weitere Umstände in Betracht, welche die Annahme rechtfertigen, dass der Drittstaatsangehörige seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Weitere denkbare Gründe in diesem Sinne sind etwa falsche oder widersprüchliche Angaben zum Vorliegen einer Voll- oder Minderjährigkeit bzw. voneinander abweichende Altersangaben in Verfahren vor verschiedenen Behörden (dazu VwGH 25.02.2015, Ra 2014/20/0045) sowie die Verschweigung von vorhandenen Identitätsdokumenten. Hievon sollen beispielsweise jene Fälle erfasst sein, in denen Drittstaatsangehörige im Verfahren vor dem Bundesamt angeben, über keine Identitätsdokumente zu verfügen, während sie im Verfahren vor anderen Behörden (bspw. dem Standesamt im Zuge einer Eheschließung) oder Gerichten solche vorlegen.

[...]

Zu Abs. 6:

Die Auferlegung der Wohnsitzauflage gemäß § 57 erfolgt mittels Mandatsbescheid gemäß §57 AVG. Ein solcher kann erlassen werden, wenn es sich um die Vorschreibung einer Geldleistung oder wegen Gefahr in Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Für den vorgeschlagenen § 57 ist der Tatbestand "Gefahr in Verzug" maßgeblich: In der Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 1 ist der Ausschluss einer Frist zur freiwilligen Ausreise an die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Rückkehrentscheidung (§ 18 Abs. 2 BFA-VG) geknüpft. Somit wurde bereits im Falle einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde und der Nichtgewährung einer Frist gemäß § 55 festgestellt, dass eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorliegt. Dadurch ist die Erlassung der Wohnsitzauflage in dieser Konstellation mittels Mandatsbescheid aufgrund der bereits zuvor anlässlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung festgestellten Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zulässig. Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation nach Abs. 1 Z 2 liegt eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, wenn anzunehmen ist, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin nicht ausreisen wird (zumal er dies bereits während der Frist für die freiwillige Ausreise nicht getan hat). Das bloße unrechtmäßige Verbleiben im Bundesgebiet sowie ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt, ohne dass bereits eine entsprechende Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtung auferlegt oder feststellt, und unabhängig davon, ob die Einreise bereits unrechtmäßig oder rechtmäßig erfolgte, stellt nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (VwGH 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042; 02.06.2000, 2000/19/0081; 23.03.2001, 2000/19/0042). Dies muss umso mehr gelten, wenn bereits eine im Wege eines rechtsstaatlichen Verfahrens getroffene Entscheidung vorliegt, die eine Ausreiseverpflichtungfeststellt oder auferlegt, und der Drittstaatsangehörige dieser Verpflichtung auch nach Ablauf einer ihm eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachkommt bzw. die Annahme gerechtfertigt ist, dass er ihr weiterhin nicht nachkommen wird. Weiters ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger andauernder unrechtmäßiger Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellt und der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zukommt (VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247). Daher ist in diesen Fällen von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auszugehen, wodurch die Erlassung der Wohnsitzauflage mittels Mandatsbescheides gerechtfertigt ist."

3.5. Die belangte Behörde weist in dem angefochtenen Bescheid darauf hin, dass gegen die Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestehe, sie der bestehenden Ausreiseverpflichtung bis dato nicht nachgekommen seien, sie an der zur Erlangung einer Bewilligung oder eines Reisedokumentes notwendigen Handlungen nicht mitgewirkt hätten und nach Ablauf der Frist für die freiwillige Ausreise seinen Wohnsitz oder den Ort seines gewöhnlichen Aufenthaltes gewechselt und das Bundesamt davon nicht in Kenntnis gesetzt hätten.

3.6. Diese Feststellungen sind in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin und den Drittbeschwerdeführer und das Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung jedoch unrichtig.

Zwar bestätigt in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag die von der belangten Behörde ausgesprochene Rückkehrentscheidung, eine Zustellung ist jedoch (vorerst) nicht erfolgt.

Für den am XXXX geborenen Drittbeschwerdeführer fehlt in den vorliegenden Akten jeder Hinweis auf das Vorliegen einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung, zumal insbesondere weder ein Antrag auf Internationalen Schutz noch ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gestellt wurde.

Somit ist die Voraussetzung des § 57 Abs 1 FPG - das Vorliegen einer rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung - weder für die Zweitbeschwerdeführerin noch für den Drittbeschwerdeführer erfüllt.

3.7. Dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt alleine ausreicht, eine Wohnsitzauflage zu erlassen ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch aus den oben dargestellten Erläuterungen zum FRÄG 2017 betreffend § 57 FPG. Zur Erlassung einer Wohnsitzauflage als ultima ratio bedarf es einer rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung und des Vorliegens konkreter Umstände des Einzelfalles, die zur Annahme führen, dass der Drittstaatsangehörige weiterhin seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird.

Daher ist schon aus diesem Grund der in Bezug auf die Zweitbeschwerdeführerin bzw. auf den Drittbeschwerdeführer ergangene Bescheid ersatzlos zu beheben.

3.8. In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin teilt das Bundesverwaltungsgericht zwar die Bedenken der belangten Behörde, wonach nach den Umständen des Einzelfalles die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Erstbeschwerdeführerin auch weiterhin der Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wird. Angesichts der zweifelsfrei bestehenden engen Bindung der Mutter zur 15 Monate alten Zweitbeschwerdeführerin und insbesondere zum im Säuglingsalter (drei Monate) befindlichen Drittbeschwerdeführer droht jedoch im Falle der Umsetzung der Wohnsitzauflage (nur) im Falle der Erstbeschwerdeführerin die eminente Gefahr eines rechtswidrigen Eingriffes in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem. Art 8 EMRK.

Durch die in den obzitierten Gesetzesmaterialien verankerten Richtlinien des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie des Art. 8 EMRK - insbesondere im Hinblick auf das Bestehen familiärer Strukturen, die Wahrung der Familieneinheit und die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen auch im Sinne der Jugendwohlfahrt - erweist sich eine Wohnsitzauflage nur für die Erstbeschwerdeführerin als - nach derzeitigem Stand - überschießend und somit rechtswidrig.

Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid war daher stattzugeben und auch der in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin ergangene Bescheid gem. § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos zu beheben.

3.9. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht, sind, wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, im gegenständlichen Fall erfüllt. Der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung reicht aber bei sonstigem Vorliegen der Voraussetzung des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht aus, um eine Verhandlungspflicht zu begründen (vgl. VwGH 22.11.2006, Zl. 2005/20/0406 und viele andere).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W129.2223929.2.01

Zuletzt aktualisiert am

04.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten