Entscheidungsdatum
31.10.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I415 2124235-1/28E
I415 2194363-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX, geb. XXXX, StA Nigeria, und 2.) mj. XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch die Kindesmutter XXXX, geb. XXXX, StA Nigeria, beide vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe und RA Mag. Martin Sauseng gegen die Bescheide des BFA, Regionaldirektion Steiermark (BAG) vom 14.03.2016, Zl. XXXX, und vom 26.03.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abgewiesen.
II. Hinsichtlich der Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird den Beschwerden stattgegeben und 2.) XXXX, geb. am XXXX, gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie 1.) XXXX, geb. am XXXX, beide StA. Nigeria, gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 09.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei ihrer schriftlichen Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.11.2014 gab die Erstbeschwerdeführerin unter der Rubrik "Fluchtgrund" Folgendes an:
"Mein Vater, der heuer verstorben ist, war der Führer der Gruppe Ogboni. Ich sollte sein Nachfolger sein. Da ich eine Christin bin, konnte ich seine Nachfolge nicht antreten. Anmerken möchte ich, dass alle meine älteren Brüder geopfert wurden. Ich wurde von der Gruppe bedroht mich ihnen anzuschließen. Ich hatte Angst um mein Leben, weil ich mich der Gruppe niemals anschließen würde, und aus diesem Grund bin ich geflüchtet."
Bei ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde am 23.02.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund befragt Folgendes an:
"Ich habe mein Land verlassen, weil ich von einer Gruppe bedroht wurde, zu der mein Vater gehörte. Sie habe mich mit dem Leben bedroht, wenn ich dieser Gruppe nicht beitreten wollte. Wir waren insgesamt vier Kinder. Meine 3 Brüder und ich. Meine Brüder sind schon tot. Die Gruppe heißt Ogboni. Mein Vater hat seine 3 Söhne für diese Gruppe geopfert. Dann ist mein Vater auch gestorben. Ich war das einzige überlebende Kind meines Vaters. Deshalb wurde ich aufgefordert als einzige überlebende Tochter die Stelle meines Vaters einzunehmen. Ich habe nicht an all diese Dinge geglaubt, wegen meiner Religion. Ich bin nämlich Christin. Sie haben mir gesagt, dass ich mich ihnen entweder im Guten anschließe, oder dass ich dazu gezwungen werde. Sie haben mich mit heißem Wasser überschüttet und ich habe auch eine Markierung am Bauch gemacht. Sie sind überall. Ich bin von Benin City zu einem anderen Dorf namens XXXX geflüchtet. Ich hatte keine andere Wahl, als zu fliehen. Ich habe dort einige Freunde gesehen. Sie wollten von mir wissen, welche Probleme ich hatte und ich habe ihnen alles erzählt. Anstatt zu sterben sollte ich eine bessere Lösung für mich finden. Dann habe ich eine Gruppe von Menschen getroffen, die auch das Land verlassen wollten. Ich bin mit ihnen nach Kanu gegangen. Ich hatte so was nie geplant, deswegen hatte ich auch kein Geld. Ich habe diese Leute angefleht. Ich sagte, wenn sie mich zurücklassen, würde ich getötet werden. Sie hatten Mitleid und bezahlten meine Transportkosten. Von Niger nach Libyen. [...] Ich habe mein Land verlassen, weil die Gruppe meines Vaters hinter mir her war. Als sie damit begonnen hatten, bin ich zur Polizei, aber sie konnte mir nicht helfen. Bei der Polizei waren auch Leute, die zu dieser Gruppe gehören. Ich hatte kein Geld, um mit ihnen zu handeln. [...] Ich könnte diesen Fall mit Geld aufrollen lassen und einen Rechtsanwalt nehmen. Ich hatte kein Geld, um die Sache zu meinen Vorteil zu verändern. Die Leute haben Geld. Sie waren überall und ich war ganz allein. Und was sie auch sagten, das hat man Ihnen geglaubt. Wenn ich jemanden erzählen würde, dass mich diese Leute umbringen würden, würden diese Leute auch von der Gruppe gekauft werden. Deswegen musste ich fliehen."
Mit angefochtenem Bescheid vom 14.03.2016 wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten "gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß §§ 57 und 55 AsylG" nicht erteilt. "Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung "gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen. Weiters wurde "gemäß § 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass ihre Abschiebung "gemäß § 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde "gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG" mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV).
Gegen diesen Bescheid erhob die Erstbeschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 29.03.2016 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, wobei sie im Wesentlichen die Verletzung von Verfahrensvorschriften und die inhaltliche Rechtswidrigkeit des Bescheides monierte.
Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde der Erstbeschwerdeführerin mit Schreiben vom 14.12.2016 das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria (Stand 02.09.2016) übermittelt und diesbezüglich schriftliches Parteiengehör gewährt.
Mit Schreiben vom 02.01.2017 verwies die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen auf die schwierigen allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, ethnische Spannungen, hohe
Arbeitslosigkeit, eine Massenverelendung in bedrohlichem Ausmaße und verschiedene Urteile des Bundesverwaltungsgerichts, in welchen auf die erhöhte Vulnerabilität alleinstehender durch Prostitution oder Vergewaltigung traumatisierter Frauen in Nigeria verwiesen wurde.
Am 12.01.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Rechtsvertretung statt. Ein informierter Vertreter des BFA nahm an der Beschwerdeverhandlung nicht teil. Im Rahmen der Verhandlung legte die Beschwerdeführerin Empfehlungsschreiben der XXXX, dreier XXXXkäufer, ihres Vermieters, des Vereins XXXX, sowie Bestätigungen über die Teilnahme an einem Deutschkurs A1 sowie über den Straßenverkauf der Zeitung XXXX vor.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2017, Zl. I415 2124235-1/15E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht mangels detaillierter und glaubhafter Angaben über diese Gruppierung und die Bedrohungssituation von einer frei erfundenen Geschichte ausgehe.
Dagegen erhob die Erstbeschwerdeführerin außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.02.2018, Zl. Ra 2017/20/0303-7 behob der Verwaltungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Am XXXX wurde der Sohn der Erstbeschwerdeführerin geboren. Am 22.03.2018 stellte die Erstbeschwerdeführerin für den Zweitbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.
Diesen Antrag auf internationalen Schutz wies die belangte Behörde mit angefochtenem Bescheid vom 26.03.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten "gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG" (Spruchpunkt II) als unbegründet ab. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III). "Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung "gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF" erlassen (Spruchpunkt IV). Weiters wurde "gemäß § 52 Absatz 9 FPG" festgestellt, dass seine Abschiebung "gemäß § 46 FPG" nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde "gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG" mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Dagegen wurde rechtzeitig mit Schreiben vom 26.04.2018 Beschwerde erhoben. Diese wurde im Wesentlichen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften begründet.
Am 08.08.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung ein, in der angeführt wurde, dass die Erstbeschwerdeführerin am XXXX ihren Sohn geboren habe. Der Sohn der Erstbeschwerdeführerin leide an einer schweren psychomotorischen Retardierung, Strabismus concomiltans divergens beidseitig sowie an einer Hypermetropie. Ebenso sei eine autistische Entwicklungsstörung diagnostiziert worden. Beigelegt waren Arztbriefe betreffend den Zweitbeschwerdeführer.
Am 11.09.2019 langte ein weiteres Schreiben ein, in dem der Behindertenpass des Zweitbeschwerdeführers vorgelegt wurde.
Am 27.09.2019 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der beiden Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung sowie eines Vertreters der belangten Behörde statt, bei der weitere Befunde des Zweitbeschwerdeführers sowie eine ergänzende Stellungnahme der Rechtsvertretung vorgelegt wurden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:
Die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter und gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers, der am XXXX in Österreich geboren wurde.
Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund und nimmt keine Medikamente ein, ist erwerbsfähig, Angehörige der Volksgruppe der Ika, Staatsangehörige von Nigeria, aus Benin City stammend und bekennt sich zum christlichen Glauben.
Weitere Feststellungen zu ihrer Identität - vor allem zu ihrem Namen und ihrem Geburtsdatum - können nicht getroffen werden.
Seit (mindestens) 09.11.2014 hält sich die Erstbeschwerdeführerin in Österreich auf, wobei sie hier über keine familiären und über keine maßgeblichen privaten Anknüpfungspunkte verfügt. Ihre Mutter und zwei Brüder ihres Vaters leben nach wie vor in Nigeria und konnte sie dort ihren Lebensunterhalt als Friseurin bestreiten.
Zum Kindesvater, einem nigerianischen Staatsbürger, dessen Asylverfahren mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 22.08.2017 und 05.02.2019 und Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet Sprache und Dialekt zur Abklärung der Herkunft des Beschwerdeführers mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 05.02.2019, Zl. I411 2116716-1/35E, negativ erledigt wurde und eine Rückkehrentscheidung nach Nigeria erlassen wurde, besteht kaum Kontakt und damit auch kein aufrechtes Familienleben.
Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Angehörigen in Österreich. Sie erhält in Österreich Grundversorgung.
Die Erstbeschwerdeführerin weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der ihrer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Die Erstbeschwerdeführerin legte ein Zertifikat über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 vor. Gleichzeitig wird festgestellt, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht qualifiziert Deutsch spricht.
Der Zweitbeschwerdeführer leidet an einer schweren psychomotorischen Retardierung, Strabismus concomiltans divergens beidseitig, Hypermetropie sowie an einer autistischen Entwicklungsstörung.
Die Erstbeschwerdeführerin hält sich seit ihrer Ausreise ununterbrochen im Bundesgebiet auf und sind beide Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin:
Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung durch den Ogboni Kult ausgesetzt ist.
Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe auf Grund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:
Bei einer Prognose in Hinblick auf eine allfällige Abschiebung der Beschwerdeführer nach Nigeria kann bei Beachtung der konkreten Einzelsituation in ihrer Gesamtheit vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sichergestellt werden, dass sich der physische und psychische Gesundheitszustand des - eine hochgradige Behinderung aufweisenden -minderjährigen Zweitbeschwerdeführers bei einer Rückkehr zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt nicht massiv verschlechtert und ausreichende medizinische Versorgung sowie spezielle, auf dessen Bedürfnisse zugeschnittene, Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten gegeben sind. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine alleinerziehende Mutter eines Sohnes, welcher aufgrund gravierender gesundheitlicher Probleme respektive massiver Beeinträchtigungen in seiner Entwicklung, ständigen erhöhten Betreuungsbedarf aufweist. Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer weist eine hochgradige Behinderung (100%) auf, in Bezug auf seine Person besteht ein hoher Förderungsbedarf, andernfalls ist eine massive Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu erwarten.
Aufgrund eines Zusammenspiels der dargestellten gesundheitlichen und familiären Faktoren kann im vorliegenden Einzelfall nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der minderjährige Zweitbeschwerdeführer bei einer Abschiebung in seine Heimat in eine als unmenschlich zu bezeichnende Lage geraten könnte.
In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin kann nicht festgestellt werden, dass diese im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Nigeria:
Die wesentlichen Feststellungen des aktuellen "Länderinformationsblattes der Staatendokumentation" (Stand: 12.04.2019) zu Nigeria lauten:
Frauen
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 10.12.2018), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 13.3.2019). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten. So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen. Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 10.12.2018). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2018).
Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2018). Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert, während sie in der informellen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 13.3.2019).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, körperlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Mit Stand März 2018 ist das Gesetz erst im Federal Capital Territory (FCT) und den Bundesstaaten Anambra, Ebonyi und Oyo gültig, in anderen Bundesstaaten erst, sobald es dort verabschiedet wird (USDOS 13.3.2019).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt (USDOS 13.3.2019). Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von maximal drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 20.4.2018). Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sollen Schutzbeamte ernannt werden, die sich mit Gerichten koordinieren und dafür sorgen sollen, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Vergewaltigungen bleiben aber weit verbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass der erste sexuelle Kontakt bei drei von zehn Mädchen im Alter von 10 bis 19 Jahren eine Vergewaltigung war (USDOS 13.3.2019). Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 FGM/C auf nationaler Ebene (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 10.12.2018; GIZ 4.2019b), dieses Gesetz ist aber bisher nur in einzelnen Bundesstaaten umgesetzt worden (AA 10.12.2018), nach anderen Angaben gilt es bis dato nur im Federal Capital Territory. 13 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze verabschiedet (EASO 11.2018b). Die Regierung unternahm im Jahr 2018 keine Anstrengungen, FGM/C zu unterbinden (USDOS 13.3.2019). Andererseits wird mit unterschiedlichen Aufklärungskampagnen versucht, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen - meist ländlichen - Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 10.12.2018). Während im Jahr 2013 der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen noch bei 24,8 Prozent lag, waren es 2017 nur noch 18,4 Prozent (EASO 11.2018b).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs (UKHO 2.2017). Frauen, die von FGM/ C bedroht sind und die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, können auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden. Frauen, welche diese Wahl treffen, können sich am neuen Wohnort dem Schutz von Frauen-NGOs anvertrauen (UKHO 12.2013; vgl. UKHO 2.2017).
Die Hauptaufgaben der Bundesbehörde NAPTIP (National Agency for the Prohibition of Trafficking in Person) sind Bekämpfung des Menschenhandels, Verfolgung der Täter im Bereich Menschenhandel und Schutzmaßnahmen für Opfer (temporäre Unterkunft, Beratung, Rehabilitierung, Reintegration und Zugang zur Justiz). Obwohl die Behörde im Jahr 2017 deutlich höhere Geldmittel als im Vorjahr erhielt, verfügt sie über zu geringe Ressourcen (EASO 2.2019). Oba Ewuare, König von Benin (Bundesstaat Edo) hat am 9.3.2018 alle Opfern des Menschenhandels auferlegten Flüche für nichtig erklärt, und im Gegenzug jene, welche die Flüche ausgesprochen haben, ihrerseits mit einem Fluch belegt. Bei der Zeremonie waren Priester und traditionelle Heiler sowie Vertreter von NAPTIP eingeladen (Vanguard 10.3.2018; vgl. Iroko 21.3.2018). Üblicherweise sollen Opfer von Menschenhandel durch die auferlegten Flüche dazu gezwungen werden, die Namen der Täter nicht preiszugeben. NAPTIP geht davon aus, dass nunmehr die Strafverfolgung in solchen Fällen erleichtert wird (Vanguard 10.3.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018
-
EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf, Zugriff 11.4.2019, S129ff
-
EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance:
Nigeria,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 12.4.2019
-
GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019
-
Iroko - Assoziazione onlus (21.3.2018): Oba of Benin (Edo State) revokes curses on victims of trafficking, http://www.associazioneiroko.org/slide-en/oba-of-benin-edo-state-revokes-curses-onvictims-of-trafficking/, Zugriff 12.4.2019
-
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
-
UKHO - United Kingdom Home Office (12.2013): Operational Guidance Note - Nigeria,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1387367781_nigeria-ogn.pdf, Zugriff 19.11.2018
-
UKHO - United Kingdom Home Office (2.2017): Country Policy and Information Note Nigeria: Female Genital Mutilation (FGM), https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595458/CPIN_-_NGA_-_FGM_-_v_1_0.pdf, Zugriff 19.11.2018
-
USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019
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Vanguard (10.3.2019): "Our gods will destroy you"; Oba of Benin curse human traffickers,
https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffickers/, Zugriff 12.4.2019
(Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Für alleinstehende Rückkehrerinnen ist keine generelle Aussage möglich. Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration, ist Rückführungspartner für Drittstaaten und leistet u.a. Integrationshilfe (ÖB 10.2018). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschenschmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht sowie bis heute mehr als 13.000 Opfern von Menschenhandel geholfen (AA 10.12.2018). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2018).
Es gibt viele Frauengruppen, welche die Interessen von Frauen vertreten, praktische Hilfe und Zuflucht anbieten (UKHO 8.2016a). Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex- Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene "pet projects". Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2018).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes - und dort vor allem in den Städten - werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 10.12.2018). Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit vor und Berichten zufolge treten Frauen aus dem ganzen Land kurze oder lange Reisen alleine an. Die Bewegungsfreiheit der Frauen aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation insbesondere für alleinstehende und kinderlose Frauen nicht übermäßig hart - z.B. im Falle der Flucht vor einer lokalen Bedrohung, die von ihrer Familie oder nicht-staatlichen Akteuren ausgeht (UKHO 8.2016a).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin
City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email:
info@awegng.org (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension by Akanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel:
+234-8095757590, +234-9091333000, Email: wacolnig@gmail.com, wacolnig@yahoo.com, wacolenugu@wacolnigeria.org. WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an:
Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b james Oluleye Crescent (Harmony Enclave), off Adeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, (+234) 818 005 6401, Email:
womenadvocate@yahoo.com (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org (WHER o.d.a): WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.b).
The Women's Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +234 8037190133, +234 8033347896, Email: wocon95@yahoo.com, info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women's Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.:
08188699961, 08172125692, 07063807887, Email: Wrapa399@gmail.com, wrapa399@yahoo.com. WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http://www.awegng.org/contactus.htm, Zugriff 19.11.2018
AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.awegng.org/aboutus.htm, Zugriff 19.11.2018
BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_-_Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 13.11.2018
WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/, Zugriff 19.11.2018
WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a):
WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/, Zugriff 21.12.2018
WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b):
WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/, Zugriff 21.12.2018
WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.a): WHER - Contact, https://whernigeria.org/contact/, Zugriff 21.12.2018
WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.b): WHER - About us, https://whernigeria.org/about/, Zugriff 21.12.2018
WOCON - Women's Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=content/contact, Zugriff 19.11.2018
WOCON - Women's Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=about-us, Zugriff 19.11.2018
WRAPA - Women's Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https://wrapanigeria.org/faq/, Zugriff 19.11.2018
Medizinische Versorgung
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden (GIZ 4.2019b). Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 4.2019b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 4.2019b; vgl. ÖB 10.2018). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 12.4.2019). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor (AA 10.12.2018).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 10.12.2018). Krankenhäuser sind bezüglich Ausstattung, Qualifikation des Personals und Hygiene nur in städtischen Zentren vereinzelt mit europäischem Standard vergleichbar. In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2018).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 10.12.2018).
Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2018). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 2.2019). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 109 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die Prozentsätze der Unterernährung (Global Acute Malnutrition) liegen in den nördlichen Staaten konstant über der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen mehr als 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2018).
Psychische bzw. psychiatrische Erkrankungen werden in der großen Mehrheit der Bevölkerung immer noch als spiritueller Natur entspringend angesehen. Dementsprechend werden die entsprechenden Patienten besonders im ländlichen Bereich spirituellen Heilern zugeführt. Betreut werden sie in der Regel in der Familie, wenn vorhanden. Viele psychisch Kranke leben auf der Straße, in abgelegenen Regionen werden als gefährlich angesehene Personen in den Dörfern auch gelegentlich noch angekettet. Für die stationäre Unterbringung gibt es in ganz Nigeria acht staatliche psychiatrische Kliniken, die einen Langzeitbereich haben, außerdem sind zahlreiche psychisch Langzeitkranke in gesonderten Bereichen in Gefängnissen untergebracht. Im Wesentlichen findet dort eine reine Verwahrung unter ausgesprochen ärmlichen Bedingungen statt (WPA o.D.). Es existiert also kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 10.12.2018).
Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Laut anderen Angaben gibt es psychiatrische Abteilungen in 15 Universitätskliniken, acht staatlichen psychiatrischen Spitälern und sechs Allgemeinen Spitälern sowie 15 psychiatrischen Privatkrankenhäusern (WPA o.D.). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 10.12.2018).
Nigeria verfügt über 110 registrierte Psychiater (WPA o.D.); nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen "aufbewahrt". Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 10.12.2018). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 4.2019b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 10.12.2018). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2018). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019).
Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 10.12.2018). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 10.12.2018). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2018).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte - meist aus asiatischer Produktion - vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 10.12.2018). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2018).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 4.2019b). Gerade im ländlichen Bereich werden "herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
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AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_6 , Zugriff 12.4.2019
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ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019
-
Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians,
https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/, Zugriff 3.4.2019
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VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
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VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme
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WPA - World Psychiatric Association (o.D.): Association of Psychiatrists in Nigeria (APN), http://www.wpanet.org/detail.php?section_id=5&content_id=238, Zugriff 3.4.2019
Bewegungsfreiheit
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 13.3.2019).
Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 13.3.2019). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 10.12.2018). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 8.2016b).
In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der "Kern"-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord- Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2018). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 10.12.2018).
Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 13.3.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016b): Country Information and Guidance, Nigeria: Background information, including actors of protection and internal relocation, http://www.ecoi.net/file_upload/12