TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/8 I403 2210656-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2019
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Entscheidungsdatum

08.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I403 2210656-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Kamerun, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und die Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2018, Zl. 1079475901/150917683, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.05.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kamerun zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres erteilt.

III. Der Beschwerde wird hinsichtlich der sonstigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin Kameruns, wurde am 22.07.2015 am XXXX Hauptbahnhof angehalten und aufgrund ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes festgenommen. Sie stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 23.07.2015 erklärte sie, über Jahre als Minderjährige von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden zu sein. Dieser habe sie dann mit dem Tod bedroht. Sie habe dann das Elternhaus verlassen und sei für einen Mann der Prostitution nachgegangen, von dem sie sich aber auch bedroht gefühlt habe.

Es wurde ein Konsultationsverfahren nach der Dublin-Verordnung eingeleitet; mit Schreiben vom 21.12.2015 akzeptierten die ungarischen Behörden die Übernahme der Beschwerdeführerin und wiesen darauf hin, dass sie in Ungarn einen anderen Namen genannt und nicht angegeben hatte, 1999, sondern bereits 1985 geboren zu sein. Die Beschwerdeführerin habe am 01.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Ungarn gestellt, sei dann aber verschwunden.

In einem von der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, beauftragten Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung vom 27.12.2015 wurde festgestellt, dass das von der Beschwerdeführerin behauptete Geburtsdatum nicht mit dem festgestellten Mindestalter vereinbar sei. Die Beschwerdeführerin sei spätestens am XXXX geboren, was von der belangten Behörde mit Verfahrensanordnung vom 04.02.2016 als Geburtsdatum festgelegt wurde.

Die Beschwerdeführerin wurde am 07.03.2018 niederschriftlich durch eine Organwalterin der belangten Behörde im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Französisch und ihrer rechtsfreundlichen Vertretung sowie einer Vertrauensperson einvernommen. Die Beschwerdeführerin wiederholte, dass sie in Kamerun als Minderjährige Opfer sexueller Gewalt geworden und deshalb geflohen sei.

Die belangte Behörde gab eine Anfrage bei der Staatendokumentation in Auftrag. Mit einer Anfragebeantwortung vom 24.04.2018 wurde auf die problematische Situation von Frauen in Kamerun, etwa in Bezug auf das Problem häuslicher Gewalt, hingewiesen.

Eine weitere niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin durch das BFA fand am 12.06.2018 statt.

Mit Bescheid des BFA vom 14.09.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftssaat Kamerun abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kamerun zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Die Ausreisegründe der Beschwerdeführerin wurden als nicht glaubhaft gewertet. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens wäre die inzwischen volljährige Beschwerdeführerin nicht gezwungen, in ihr Elternhaus zurückzukehren; es sei auch von einer Schutzfähigkeit Kameruns auszugehen und liege zudem kein Konnex zur Genfer Flüchtlingskonvention vor.

Gegen den Bescheid wurde fristgerecht am 12.10.2018 Beschwerde erhoben und eine Vollmacht für die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH und die Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung) vorgelegt. Der belangten Behörde wurde vorgeworfen, dass sie nur unvollständige Länderfeststellungen herangezogen und insbesondere die von ihr in Auftrag gegebene Anfragebeantwortung nicht berücksichtigt habe. Die Beschwerdeführerin habe ein gleichbleibendes und kongruentes Vorbringen erstattet. Die Beschwerdeführerin werde wegen der "Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von sexueller Gewalt und Ausbeutung betroffenen Frauen" verfolgt und seien die kamerunischen Behörden nicht schutzfähig bzw. schutzwillig. Als alleinstehende Frau ohne soziales Netzwerk stehe ihr auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung und bestehe die Gefahr, dass sie sich keine Existenz aufbauen könne.

Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, der Beschwerdeführerin den Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihr den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, in eventu die Spruchpunkte III. bis V. aufzuheben und festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig ist, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.12.2018 vorgelegt.

Mit der Ladung für eine mündliche Verhandlung wurden der Beschwerdeführerin Länderfeststellungen zu Kamerun (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, ein Bericht des Auswärtigen Amtes und der Social Institutions Gender Index zu Kamerun) übermittelt.

Am 17.05.2019 wurde eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle XXXX, abgehalten, in welcher die Beschwerdeführerin im Beisein ihrer Rechtsvertretung ihr Fluchtvorbringen wiederholte.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.05.2019, Zl. I403 2210656-1/11E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit seiner Entscheidung vom 24.09.2019, E 2334/2019 ab, soweit es um den Ausspruch der Abweisung des Antrages auf Gewährung des Status eines Asylberechtigten ging; im übrigen Umfang wurde das Erkenntnis behoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Kameruns; sie gehört der Volksgruppe Beti an und ist ohne Bekenntnis. Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. Sie stammt aus Yaoundé und damit aus dem französischsprachigen Teil Kameruns. Sie hat nach der Schule eine Ausbildung zur Schneiderin begonnen, aber nicht abgeschlossen. Sie verfügt über keine Berufserfahrung.

In Kamerun leben die Mutter und Geschwister der Beschwerdeführerin; ihr Vater ist verstorben. Die Beschwerdeführerin steht aktuell in keinem Kontakt zu ihren Verwandten in Kamerun.

Die Beschwerdeführerin besucht aufgrund einer ihr diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung, Alpträumen, einer Agoraphobie und einer Panikstörung eine Therapie, benötigt aber keine medikamentöse Unterstützung.

Die Beschwerdeführerin verließ Kamerun im November 2013 und flog nach Istanbul, wo sie sich etwa eineinhalb Jahre aufhielt, ehe sie am 22.07.2015 im Bundesgebiet von der Polizei aufgegriffen wurde und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die Beschwerdeführerin führt in Österreich kein Familienleben, allerdings führt sie seit zweieinhalb Jahren eine Beziehung zu einem österreichischen Staatsbürger, der aus Kamerun stammt und in der Schweiz arbeitet. Ein gemeinsamer Wohnsitz bestand bislang nicht. Die Beschwerdeführerin spricht sehr gut Deutsch und besucht aktuell einen B1-Kurs; die Berufsschule wurde von ihr nicht abgeschlossen.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerin wurde in Kamerun nicht von ihrem Stiefvater mit dem Tod bedroht, nachdem sie gedroht hatte, ihrer Mutter zu verraten, dass er sie sexuell missbraucht habe. Sie wurde auch nicht über einige Monate in einem Haus festgehalten und dort zur Prostitution gezwungen. Ihr entsprechendes Vorbringen ist nicht glaubhaft.

Es besteht allerdings die reale Gefahr, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

1.2. Zur allgemeinen Situation in Kamerun:

Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sind folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zu entnehmen:

Sicherheitslage

Für den Großteil des Staatsgebiets Kameruns wird seitens des französischen Außenministeriums bzgl. Reisen nicht abgeraten. Abgeraten wird lediglich von Reisen in die Grenzgebiete zu Nigeria, dem Tschad und der zentralafrikanischen Republik; in die Provinz Extrême-Nord und den nördlichen Teil der Provinz Nord. Reisen in die Provinzen Nord und Adamoua sollten nur unternommen werden, wenn diese dringend notwendig sind (FD 17.3.2017b). In den englischsprachigen Regionen um die Städte Bamenda und Buea kommt es nach Streiks von Teilen der anglophonen Bevölkerung zu gewalttätigen Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, die bereits mehrere Todesopfer und Verletzte gefordert haben. Das österreichische Außenministerium warnt ausdrücklich vor Reisen in den Norden des Landes. Reisen in die Grenzgebiete zum Tschad und zur zentralafrikanischen Republik sollen nur unternommen werden, wenn diese dringend notwendig sind. Die Lage ist gespannt und unsicher und kann sich innerhalb kürzester Zeit verschlechtern. Das Risiko von Überfällen durch gewalttätige Straßenräuber sowie Entführungen ist besonders hoch. In den letzten Jahren wurden mehr als 20 ausländische Staatsangehörige im Norden des Landes entführt (BMEIA 17.3.2017).

Derzeit steht Kamerun vor großen Herausforderungen, da sich das Umfeld in den Nachbarländern Zentralafrikanische Republik und Nigeria destabilisiert hat. An der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik ist es seit Ausbruch der Seleka-Rebellion im Dezember 2012 mehrfach zu bewaffneten Übergriffen auf kamerunische Orte gekommen. Seit Beginn der Rebellion sind über 259.000 Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik in Kamerun eingetroffen (AA 9.12.2016). Das Grenzgebiet mit der Zentralafrikanischen Republik gilt wegen dieser grenzüberschreitender Übergriffe bewaffneter Gruppen der dortigen Rebellen als unsicher (AA 17.3.2017; vgl. FH 2016). Es kam dort auch zu Gefechten zwischen zentralafrikanischen Rebellen und kamerunischen Kräften (FH 2016).

In der Provinz Extrême-Nord, die an die Hochburg der Boko Haram in Nigeria grenzt, kommt es zu wiederholten Einfällen der Extremisten (FH 2016). Im Norden Kameruns, besonders in der Region Extreme-Nord, bedrohen Übergriffe von Boko Haram die Stabilität. Die Regierung geht u. a. mit Militäreinsätzen gegen die Bedrohung vor. Vor allem in der Region Extrême -Nord sind fast 59.000 Menschen aus Nigeria geflüchtet (AA 9.12.2016).

In der Provinz Extrême-Nord besteht ein hohes Entführungsrisiko für Ausländer. An der Grenze zu Nigeria und in Maroua, der Hauptstadt der Region Extrême-Nord, ist es zu Selbstmordanschlägen mit zahlreichen Todesopfern gekommen (AA 17.3.2017; vgl. FD 17.3.2017a). Auch in den Grenzgebieten zu Nigeria in den Provinzen Nord und Adamaoua können terroristische Aktivitäten vorkommen (FD 17.3.2017b). Laut einem Bericht der International Crisis Group wurden im Zuge der Angriffe durch Boko Haram, seit März 2014, 1.500 Menschen getötet und 155.000 verdrängt (IRIN 11.1.2017). Boko Haram war vor allem in der Region Extrême-Nord für Menschenrechtsverstöße verantwortlich (AI 22.2.2017).

Gewarnt wird darüber hinaus vor Reisen zur Halbinsel Bakassi und Umgebung aufgrund fortdauernder Sicherheitsprobleme. Im gesamten Golf von Guinea gibt es Bandenunwesen. In der Vergangenheit gab es Überfälle und Geiselnahmen auf Küstenorte, Fischkutter, Öltanker oder Ölplattformen (AA 17.3.2017; vgl. BMEIA 17.3.2017).

Die allgemeine Sicherheitslage ist vor allem in den Städten bzw. auf den Überlandstraßen von zunehmender Gewaltkriminalität gekennzeichnet (GIZ 2.2017a). In den Regionen Nord und Adamaoua sowie in den Grenzgebieten zu Nigeria und Tschad kommt es vermehrt zu gewalttätigen Raubüberfällen (AA 17.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 17.3.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (17.3.2017): Kamerun: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/KamerunSicherheit_node.html, Zugriff 17.3.2017

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Cameroon, https://www.ecoi.net/local_link/336459/479100_de.html, Zugriff 17.3.2017

-

BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (17.3.2017): Reiseinformation Kamerun, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/kamerun/, Zugriff 17.3.2017

-

FD - France Diplomatie (17.3.2017a): Cameroun - Conseils aux voyageurs - Dernière minute,

http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/cameroun/#derniere, Zugriff 17.3.2017

-

FD - France Diplomatie (17.3.2017b): Cameroun - Conseils aux voyageurs - Sécurité,

http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/cameroun/#securite, Zugriff 17.3.2017

-

FH - Freedom House (2016): Freedom in the World 2016 - Cameroon, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2016/cameroon, Zugriff 19.8.2015

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2017a): Kamerun - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/kamerun/geschichte-staat/, Zugriff 17.8.2015

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IRIN - Integrated Regional Information Network (10.8.2015): Boko Haram still a threat to refugees in Cameroon, http://www.irinnews.org/feature/2017/01/11/boko-haram-still-threat-refugees-cameroon, Zugriff 17.3.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Das kamerunische Rechtssystem ist uneinheitlich. Neben der traditionellen Rechtsprechung, die für jede Volksgruppe spezifisch ist, existiert das moderne Recht, das bis vor kurzem, sowohl von der britischen (common law) als auch von der französischen Rechtskultur (Code Napoléon) bestimmt worden war, bis das Parlament 2006 eine Harmonisierung des Strafgesetzbuchs verabschiedete. Moderne Gerichte gibt es auf Arrondissements-Ebene (tribunal de première instance) und Départements-Ebene (tribunal de grande instance), Berufungsgerichte auf Provinzebene (cour d¿appel). Probleme bereiten der absolute Mangel an Gerichten, die Bestechlichkeit von Richtern, die Konzentration der Rechtsanwaltsbüros auf Douala und Yaoundé, die mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte von der Exekutive und die Blockierung der Gerichte in Douala und Yaoundé aufgrund von Richtermangel (GIZ 2.2017).

Das Justizsystem ist überlastet; manche Richter und Staatsanwälte sind unterqualifiziert oder infolge ihrer geringen Gehälter bestechlich. Rechtsstaatliche Verfahren sind nicht durchgängig gewährleistet. Allerdings hat sich der Justizminister in den vergangenen Jahren mit Informationskampagnen und Fortbildungsseminaren um die Weiterbildung der Richter bemüht. In der Praxis wird das neue Strafprozessrecht jedoch von den Behörden zumeist nur angewendet, wenn die Betroffenen dies einfordern. Dies setzt einen gewissen Kenntnisstand der Gesetzeslage voraus, den jedoch nur eine Minderheit der Bevölkerung aufweist (AA 9.12.2016).

Die gravierenden Schwächen des Rechtssystems betreffen alle Bürger gleichermaßen und sind vor allem in Korruption, mangelhafter Aus- und Fortbildung sowie Überlastung begründet. Sippenhaft ist nicht vorgesehen. Der Justizapparat ist in Kamerun schwerfällig und zeigt wenig Einsatzbereitschaft; dies gilt auch bei Ermittlungen zu Menschenrechtsverletzungen. Manche Staatsanwälte und Richter sind bestechlich und beeinflussbar. Am 1.1.2007 trat das erstmals landesweit einheitliche Strafprozessrecht in Kraft, das die Rechte der Beschuldigten präzisiert und stärkt. Darüber hinaus wurde ein Recht auf Entschädigung im Fall unangemessen langer Untersuchungshaft eingeführt. Viele Betroffene scheuen jedoch den - insbesondere für Laien komplizierten - administrativen Aufwand (AA 9.12.2016).

Die vor allem in den ländlichen Gegenden praktizierte Justiz traditioneller Autoritäten ist weder verfassungsrechtlich legitimiert, noch unterliegen die daraus folgenden Entscheidungen und Handlungen einer staatlichen Kontrolle. Dieses traditionelle Rechtssystem benachteiligt vor allem Frauen und Kinder. Häufig gibt es Machtmissbrauch der traditionellen Autoritäten (Clanchefs usw.). Im Norden des Landes unterhalten einige "Könige" ("Lamido") Privatgefängnisse, in denen mutmaßliche Kriminelle bis zum Abtransport in staatliche Gefängnisse in Haft genommen und dabei mitunter misshandelt werden. Diese "Könige" sind zudem traditionelle Gerichtsherren, die auch eine körperliche Bestrafung anordnen können (AA 9.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2017a): Kamerun - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/kamerun/geschichte-staat/, Zugriff 15.3.2017

Sicherheitsbehörden

Die Gendarmerie Nationale ist die nationale Polizei. Sie hat militärischen Charakter und ist Teil der Streitkräfte. Sie interveniert im nichtstädtischen Bereich, also auf dem Lande. Dagegen untersteht die Police Nationale dem Innenministerium (GIZ 2.2017a). Verhaftungen werden von der Gendarmerie und den verschiedenen Untergliederungen der Polizei ausgeführt: allgemeine Polizei (Sécurité publique), Inlandsgeheimdienste (Renseignements Généraux, Surveillance du Territoire), Kriminalpolizei (Police Judiciaire), Grenzpolizei (Police des Frontières) sowie von der Spezialeinheit GSO (Groupement Spécial d'Opérations) (AA 9.12.2016). Letztere ist eine Eliteeinheit der Polizei. Es gibt auch Spezialeinheiten zur Bekämpfung von Straßenräubern, wie die im März 1998 gegründete Brigade Anti-Gang (auch: Groupement mobile d'intervention GMI, unités antigangs), das 2000 gegründete Commandement Opérationnel (CO, auch: special oder operational command) oder die seit 2006 im Einsatz befindliche Brigade d'intervention rapide (BIR) (GIZ 2.2017a). Auch die Militärpolizei darf Verhaftungen durchführen, wenn sie im Rahmen von Unruhen eingesetzt wird. Der Auslandsgeheimdienst DGRE, der auch im Inland eingesetzt wird, nimmt in Einzelfällen ebenfalls Verhaftungen vor (AA 9.12.2016).

Probleme der Polizeikräfte sind zunehmende Gewalt und Banditentum auf der einen, Korruption, willkürliche Verhaftungen und Folter auf der anderen Seite (GIZ 2.2017a). Die Sicherheitskräfte sind zum Teil schlecht ausgebildet, bezahlt und ausgerüstet (AA 9.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2017a): Kamerun - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/kamerun/geschichte-staat/, Zugriff 9.3.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz vom 10.1.1997 hat den Straftatbestand Folter mit Todes- oder Gesundheitsfolgen in das Strafgesetzbuch eingeführt (Art. 132 ff). Unmenschliche und erniedrigende Strafen sind weder im Strafgesetzbuch vorgesehen, noch werden sie verhängt bzw. vollstreckt (AA 9.12.2016).

In der Praxis kommen Misshandlungen (AA 9.12.2016) und Folter (USDOS 3.3.2017) vor. Dabei handelt es sich meist um Schikanen durch Gefängniswärter, Polizisten oder Angehörige der Geheimdienste und der Gendarmerie (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). In schwer verifizierbaren Einzelfällen soll es zu Misshandlungen zwecks Erpressung von Geständnissen gekommen sein. Über ein derartiges systematisches Vorgehen der Sicherheitsbehörden oder des Gefängnispersonals liegen keine Erkenntnisse vor (AA 9.12.2016).

Es kommt zu willkürlicher und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte. Übergriffe der Sicherheitskräfte werden in der Regel nicht angemessen verfolgt. Systematische Gewaltanwendung gegen bestimmte Gruppen ist allerdings nicht feststellbar (AA 9.12.2016). Auch wenn die Regierung einige Schritte ergriffen hat, um Täter zu verfolgen und zu bestrafen, so agieren diese auch weiterhin meist ungestraft (USDOS 3.3.2017).

Im Rahmen des Kampfes gegen Boko Haram werden den kamerunischen Sicherheitskräften

massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (AA 9.12.2016). Vor allem in Zusammenhang mit dem Kampf gegen Boko Haram sind Sicherheitskräfte für Menschenrechtsverletzungen einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Verschwinden lassen, willkürlicher Festnahmen sowie Inhaftierungen ohne Rechtsgrundlage verantwortlich (AI 22.2.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Cameroon, https://www.ecoi.net/local_link/336459/479100_de.html, Zugriff 15.3.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Cameroon, http://www.ecoi.net/local_link/337135/479899_de.html, Zugriff 9.3.2017

Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in kamerunischen Gefängnissen sind sehr schlecht (AA 9.12.2016; vgl. FH 2016; vgl. USDOS 3.3.2017) und lebensbedrohlich (FH 2016; vgl. USDOS 3.3.2017), unterscheiden sich aber nach Einkommen bzw. Vermögen der Inhaftierten (AA 10.2.2015). Sie sind durch Mangel an sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Hygiene und medizinischer Versorgung geprägt (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017), wodurch es auch zu Todesfällen kommt (USDOS 3.3.2017). Die Gefängnisse sind zum Teil um ein Vielfaches ihrer eigentlichen Kapazität überbelegt (AA 10.2.2015; vgl. FH 2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Zwei Drittel der Insassen sind Untersuchungshäftlinge (AA 9.12.2016).

In kleineren Gefängnissen drohen Unterernährung und mangelnde medizinische Versorgung. Die Unterbringung ist dort jedoch insgesamt besser als in den größeren Zentralgefängnissen (AA 9.12.2016). Allerdings sind in den kleineren Gefängnissen Frauen und Jugendliche nicht von den übrigen Gefangenen getrennt untergebracht; dies kann auch in großen Gefängnissen vorkommen (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Misshandlungen und Vergewaltigungen von Häftlingen - in der Mehrzahl der Fälle durch Mithäftlinge, jedoch auch durch das Gefängnispersonal - kommen immer wieder vor (AA 9.12.2016; vgl. FH 2016). Frauengefängnisse, wie etwa in Nfou, sind manchmal mit mehr Männern als Frauen unter den Häftlingen fehl-, immer jedoch überbelegt. Für die Versorgung der Gefangenen mit Nahrungsmitteln sind die Familienangehörigen verantwortlich. Das Lebensmittelbudget für Gefängnisse wurde 2011 vom Justizministerium um 40 % gesenkt (AA 9.12.2016).

Die Regierung gestattet nationalen und internationalen humanitären Organisationen wie etwa dem IKRK den Zugang zu Gefängnisinsassen (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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FH - Freedom House (2016): Freedom in the World 2016 - Cameroon, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2016/cameroon, Zugriff 15.3.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Cameroon, http://www.ecoi.net/local_link/337135/479899_de.html, Zugriff 9.3.2017

Frauen

Frauen sind verfassungsrechtlich Männern gleichgestellt. Viele Gesetze benachteiligen aber Frauen nach wie vor (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Beispiele sind die alleinige Verfügungsgewalt des Ehemanns über das eheliche Vermögen (AA 9.12.2016) sowie dessen Recht, der Ehefrau eine Berufstätigkeit zu untersagen (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017), die Zulässigkeit der körperlichen Züchtigung der Ehefrau. Die verbreitete Zwangsheirat ist zwar nach dem kodifizierten Strafrecht strafbar, aber in vielen Gegenden wird das staatliche Zivil- und Strafrecht faktisch durch traditionelles Recht ersetzt. Die aus der Anwendung des traditionellen Rechts folgenden Handlungen unterliegen keiner staatlichen Kontrolle.

Das kodifizierte Recht ist teilweise diskriminierend und menschenunwürdig. Nach kamerunischem Strafrecht gibt es zum Beispiel keine Vergewaltigung in der Ehe. Vergewaltigungen werden auch nur selten zur Anzeige gebracht und von den Behörden nachlässig verfolgt (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017), obwohl sie unter Strafe stehen und mit einer Haftstrafe von fünf bis zehn Jahre belegt sind (USDOS 3.3.2017).Bei der im Parlament diskutierten Reform des Familienrechts sollen viele dieser diskriminierenden Bestimmungen aufgehoben werden. Voraussichtlich wird der Gesetzesentwurf über mehrere Jahre verhandelt werden. Ein Termin zur Vorlage im Parlament ist nicht bekannt (AA 9.12.2016).

Nur wenigen Frauen gelingt es, das öffentliche Leben aktiv mitzugestalten. Im Zuge der Parlamentswahlen 2013 erhöhte sich der Anteil von Frauen in der Nationalversammlung deutlich auf 33 % (AA 9.12.2016). So sind 56 (von 180) Abgeordnete in der Nationalversammlung und 20 (von 100) im Senat weiblich (FH 2016). In der Regierung sind Frauen wenig präsent. Die Gründe dafür liegen in der sozialen Abhängigkeit, der Erziehung sowie darin, dass höhere Schulbildung Mädchen in geringerem Maße zugänglich war und zum Teil immer noch ist. Die genannten Missstände werden gesellschaftlich akzeptiert; den meisten Frauen sind ihre Rechte nicht bekannt (AA 9.12.2016).

Das kamerunische Zivilrecht erlaubt jedem Mann über 35 Jahren, bis zu vier Ehefrauen zu heiraten (Polygamie). Die Menschenrechtslage von Frauen variiert ebenso wie ihre gesellschaftlichen und beruflichen Möglichkeiten je nach Wohnort und ist grundsätzlich in ländlichen Gebieten schlechter als in den Städten. Die vor allem in den ländlichen Gebieten praktizierte Rechtsprechung durch traditionelle Autoritäten benachteiligt systematisch Frauen und Kinder. Darüber hinaus variiert die Rolle der Frau auch von Ethnie zu Ethnie. Der Norden Kameruns gilt hinsichtlich der Frauenrechte als besonders rückständig: Zahlreiche junge Mädchen (zwischen 10 und 15 Jahren), meist aus ärmeren Verhältnissen, werden zwangsverheiratet und besuchen nur selten die Schule. Danach sind sie für Haushalt und Kinder zuständig, sodass ihre weiterführende Schulbildung erschwert wird. Dadurch bleibt der Anteil der Analphabetinnen hoch. Die sozialen Unterschiede und der regional unterschiedlich große Einfluss des Gewohnheitsrechts in Familienangelegenheiten sind weitere wesentliche Faktoren, die zu erheblichen Ungleichheiten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Behandlung von Frauen führen (AA 9.12.2016).

Die Beschneidung weiblicher Genitalien ist bislang nicht verboten (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Diese ist kein Massenphänomen, wird aber in einigen wenigen Regionen Kameruns praktiziert: im äußersten Norden (AA 9.12.2016; vgl. FH 2016; vgl. USDOS 3.3.2017) und den ländlichen Gebieten entlang der Grenze zu Nigeria (AA 9.12.2016); im Osten (USDOS 3.3.2017) sowie im Südwesten (FH 2016; vgl. USDOS 3.3.2017) bei den Ethnien der Choa und Ejagham. Zudem wird berichtet, dass diese Praxis abnimmt (USDOS 3.3.2017). Immigrantinnen aus dem Tschad, Nigeria, Sudan und Mali führen Beschneidungen weiblicher Genitalien auch in einigen Fällen in den großen Städten Duala und Jaunde durch. Im äußersten Norden werden Mädchen normalerweise vor Erreichen des 10. Lebensjahres, jedoch nicht nach dem 13. Lebensjahr beschnitten. Im Südwesten wird die Beschneidung weiblicher Genitalien von mehreren Ethnien (Boki, Otu Ejagham, Bayangi) praktiziert, zum Teil an erwachsenen Frauen nach Geburt des ersten Kindes. UNICEF zufolge werden Beschneidungen bei 1% der kamerunischen Frauen durchgeführt (AA 9.12.2016). USDOS nennt eine Zahl von 1,4% und 20% bei den am meisten betroffenen Gemeinden (USDOS 3.3.2017). Verlässliche Statistiken gibt es nicht. Ein im Justizministerium bereits 2010 erarbeiteter, bisher jedoch nicht eingebrachter Entwurf für ein neues Strafgesetzbuch sieht vor, Genitalbeschneidung bei Frauen zu einem Straftatbestand zu erklären (AA 9.12.2016).

Weit verbreitet (rund 12%) ist die Verstümmelung der Brüste: dabei reiben die Mütter adoleszenter Mädchen heiße Steine über die Brüste ihrer Töchter, um ihr Wachstum aufzuhalten und sie damit vor zu frühen sexuellen Erfahrungen zu schützen ("Brustbügeln"). Dadurch entstehen Verwachsungen, die lebenslang zu starken Schmerzen und Traumata führen können (AA 9.12.2016; vgl. USDOS 3.3.2017).

Gegen beide Praktiken gehen Regierung und NGOs mit Aufklärungskampagnen vor (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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FH - Freedom House (2016): Freedom in the World 2016 - Cameroon, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2016/cameroon, Zugriff 15.3.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Cameroon, http://www.ecoi.net/local_link/337135/479899_de.html, Zugriff 9.3.2017

Grundversorgung/Wirtschaft

Unter den Staaten der zentralafrikanischen Regionalorganisation CEMAC ist Kamerun das wirtschaftlich stärkste Land. Das Bruttoinlandsprodukt erreichte 2015 geschätzte 29,198 Milliarden US-Dollar, pro Kopf ca. 1.330 US-Dollar. Die öffentliche Verschuldung Kameruns liegt bei ca. 24 % des Bruttoinlandsproduktes, steigt aber schnell an. Die Kredite werden vor allem für Infrastrukturprojekte wie Straßenbau und Energieerzeugung sowie die Entwicklung der Landwirtschaft, Telekommunikation, Bergbau und Wasserversorgung eingesetzt. Makroökonomisch wurden in den letzten Jahren Fortschritte erzielt: Kamerun erreichte 2014 ein Wirtschaftswachstum von ca. 3,3 % 2015 lag das Wachstum bei 3,7 %. Neben der Öl- und Gasförderung und den Infrastrukturinvestitionen ist der tertiäre Sektor eine treibende Kraft. Das derzeitige Wirtschaftswachstum reicht nicht aus, um Arbeitsplätze in größerem Umfang zu schaffen und die Armutsrate von circa 39 % nachhaltig zu senken (AA 11.2016b).

Insbesondere der primäre und tertiäre Sektor tragen derzeit zum Wachstum bei. Rohöl und Holz sind die wichtigsten Exportprodukte. Einnahmen aus der Ölförderung konnte Kamerun zuletzt wieder steigern. In der Landwirtschaft wurde die Produktion von Schlüsselprodukten (Kakao, Kaffee, Bananen, Rohkautschuk) durch erleichterten Zugang zu Finanzierung, Ausbildung und Forschung gesteigert. In der Folge erwartet die Regierung künftig weitere Produktionssteigerungen. Weitere Impulse für das Wirtschaftswachstum kommen aus dem sekundären Sektor und basieren auf der beginnenden Umsetzung der Investitionsprogramme zur Verbesserung der Infrastruktur (AA 11.2016b).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln kann als gesichert angesehen werden. Wer in soziale Not gerät, kann in Kamerun nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen; vielmehr werden Notlagen in der Regel von funktionierenden sozialen Netzen (Großfamilie) aufgefangen. Eine längere Abwesenheit gefährdet diese sozialen Netze. In ganz Kamerun gibt es karitative Einrichtungen, insbesondere Missionsstationen, die in besonderen Notlagen helfen (AA 9.12.2017).

Seriösen Vermutungen zufolge erwirtschaftet der informelle Sektor Kameruns mehr als der formelle. Besonders im urbanen Bereich hält sich ein Großteil der Bevölkerung (Schätzungen sprechen von weit über 50 %) mit Aktivitäten im informellen Sektor über Wasser. Besonders für Frauen und junge Leute bieten sich hier Chancen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. 75 % der Bevölkerung legen ihr Geld in informellen Sparvereinen (Tontines) an, die auch ein System sozialer Absicherung darstellen (GIZ 11.2016c).

Über die Hälfte der Kameruner sind von mehrdimensionaler Armut betroffen. Bei den Armutsindikatoren wie die landesspezifische durchschnittlichen Schuljahre (6,0), die Lebenserwartung (55,5) oder die Müttersterblichkeit (590 Sterbefälle auf 100.000 Geburten), dürfen die großen regionalen Unterschiede nicht vergessen werden. Nichtsdestotrotz setzte sich der Aufwärtstrend laut dem UNDP-Bericht zur humanitären Entwicklung im Jahr 2015 fort. Hinsichtlich des Selbstversorgungsgrads mit Lebensmitteln liegt Kamerun weit unterhalb seiner Möglichkeiten. Die bäuerliche Landwirtschaft wird vernachlässigt (GIZ 11.2016c).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (11.2016b): Kamerun - Wirtschaft, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Kamerun/Wirtschaft_node.html, Zugriff 17.3.2017

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2016c): Kamerun - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/kamerun/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 17.3.2017

Medizinische Versorgung

Seit den 90er Jahren befindet sich das staatliche Gesundheitssystem Kameruns in der Umstrukturierung. Ziele sind Dezentralisierung, Qualitätskontrolle und die Einbindung der Bevölkerung in Verwaltung und Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen. Allerdings lassen die Ergebnisse der staatlichen Gesundheitspolitik weiterhin zu wünschen übrig. Absoluter Ärztemangel aufgrund mangelnder Ausbildungsplätze und die wenigen Ärzte lassen sich vorwiegend in den städtischen Zentren nieder, unzulängliche Infrastruktur und knappe Arzneimittel sind nur einige der Missstände, die die medizinische Versorgungslage Kameruns kennzeichnen. Verschärft wird die Situation durch die Abwanderung von Gesundheitspersonal ins Ausland (GIZ 2.2017b).

Kostenlose Gesundheitsversorgung besteht in Kamerun nicht. Für bestimmte Berufsgruppen (z. B. Militär) gibt es staatliche oder halbstaatliche Versorgungseinrichtungen mit geringem Kostenbeitrag. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung ist möglich. Generell übernimmt die Familie medizinische Behandlungskosten. In den Städten gibt es Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Die Behandlung chronischer Krankheiten, insbesondere in den Bereichen Innere Medizin und Psychiatrie, wird in den öffentlichen Krankenhäusern der größeren Städte vorgenommen. Für HIV-Infizierte gibt es seit 1997 ein von ausländischen Gebern (WHO/Weltbank, Frankreich, Deutschland) unterstütztes kostenloses staatliches Programm der Heilfürsorge (AA 9.12.2016).

Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt überwiegend aus Frankreich, Indien und Nigeria; grundsätzlich wird hierdurch ein weites Spektrum abgedeckt. Die gezielte Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland - ausgenommen zum persönlichen Gebrauch - ist problematisch, da Medikamente aufgrund von Erfahrungen mit Medikamentenspenden an medizinische Einrichtungen ohne französischen und englischen Beipackzettel nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen (AA 9.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2017b): Kamerun - Gesellschaft, https://www.liportal.de/kamerun/gesellschaft/, Zugriff 9.3.2017

Behandlung nach Rückkehr

Es sind keine Fälle bekannt, in denen kamerunische Staatsangehörige nach ihrer Rückkehr festgenommen oder misshandelt worden sind. Eine staatliche Verfolgung allein wegen der Stellung eines Asylantrags erfolgt nicht. Freiwillige Rückkehrer, deren Asylantrag abgelehnt wurde, können sich an ein spezielles Reintegrationsprojekt des Malteserordens wenden (AA 9.12.2016).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun,

http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

Dokumente und Dokumentensicherheit

Es gibt praktisch für jede Urkunde und jedes Dokument professionelle Fälschungen. Die Fälschung von Dokumenten wird in der Bevölkerung oft als Notwendigkeit betrachtet, die Dokumentenlage an die aktuelle Lebenssituation anzupassen. Von den Behörden geht keine Initiative aus, diese Praktiken einzudämmen. Beliebig datierte Partei- und Mitgliedsausweise können günstig auf dem Markt erworben werden. Parteiregister belegen nur die Zahlung des Mitgliedsbeitrages; von einem politischen Engagement kann allein aufgrund eines Mitgliedsausweises oder eines Parteiregisterauszugs nicht ausgegangen werden. Selbst bei echten Dokumenten kann nicht von der inhaltlichen Richtigkeit ausgegangen werden, da Dokumente auch bei offiziellen Stellen gekauft werden können. Personenstandsurkunden wie Geburtsurkunden können außerdem auf legalem Weg neu beschafft werden, wenn sich die betreffende Person an ein Gericht wendet und um eine Anordnung zur Nachbeurkundung nachsucht. Die Quote überhaupt nicht beurkundeter Geburten wird auf etwa 30% geschätzt. Von den Behörden wird wenig Sorgfalt auf die formal korrekte Ausstellung von Urkunden und Dokumenten verwandt (AA 9.12.2016).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.12.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Kamerun,

http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1481894779_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschieberelevante-lage-in-der-republik-kamerun-stand-oktober-2016-09-12-2016.pdf, Zugriff 15.3.2017

1.3. Zur Lage von Frauen in Kamerun:

In der vom BFA in Auftrag gegebenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Kamerun zum "Schutz für Mädchen und Frauen" (BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Kamerun: GBV - Schutz für Mädchen und Frauen, 24. April 2018

https://www.ecoi.net/en/file/local/1430834/5618_1524748165_kame-mr-sog-schutz-vor-gbv-2018-04-24-ke.odt (Zugriff am 13. Mai 2019)) wird Folgendes festgestellt:

Es kann davon ausgegangen werden, dass Gender Based Violence (GBV) im Kamerun ein Problem darstellt. Zudem ist häusliche Gewalt in Kamerun allgegenwärtig und stellt darüber hinaus auch ein weit verbreitetes soziales Problem dar. Fälle von Vergewaltigung werden nur selten untersucht oder verfolgt. Zumal sich nur wenige Opfer von häuslicher Gewalt an die Behörden wenden oder rechtliche Schritte unternehmen. Obwohl Frauen verfassungsrechtlich Männern gleichgestellt sind, benachteiligen viele Gesetze Frauen nach wie vor. Die verbreitete Zwangsheirat ist zwar nach dem kodifizierten Strafrecht strafbar, aber in vielen Gegenden wird das staatliche Zivil- und Strafrecht faktisch durch traditionelles Recht ersetzt. Die aus der Anwendung des traditionellen Rechts folgenden Handlungen unterliegen keiner staatlichen Kontrolle. Das liegt auch an sozialen Unterschieden und am regional unterschiedlich großen Einfluss des Gewohnheitsrechts in Familienangelegenheiten, welche wesentliche Faktoren darstellen, die zu erheblichen Ungleichheiten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Behandlung von Frauen führt.

Das kodifizierte Recht ist teilweise diskriminierend und menschenunwürdig. Das kamerunischem Strafrecht thematisiert zum Beispiel Vergewaltigung in der Ehe nicht. Vergewaltigungen werden auch nur selten zur Anzeige gebracht und von den Behörden nachlässig verfolgt. Bei der im Parlament diskutierten Reform des Familienrechts sollen viele dieser diskriminierenden Bestimmungen aufgehoben werden. Voraussichtlich wird der Gesetzesentwurf über mehrere Jahre verhandelt werden. Ein Termin zur Vorlage im Parlament ist nicht bekannt. Den meisten Frauen sind ihre Rechte nicht bekannt und diese Missstände werden gesellschaftlich akzeptiert.

Das Gesetz verbietet sexuelle Belästigung. Das neue Strafgesetzbuch sieht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu einem Jahr und eine Geldstrafen von 100.000 bis zu einer Million CFA-Francs (170 bis 1.700 Dollar) für denjenigen vor, der seine Stellung und Autorität ausnutzt, um anderen durch Befehle, Drohungen, Zwänge oder mit Druck zu belästigen, um sexuelle Gefälligkeiten zu erhalten. Die Strafe beträgt ein bis drei Jahre, wenn das Opfer minderjährig ist, und drei bis fünf Jahre, wenn der Täter für die Erziehung des Opfers verantwortlich ist. Trotz dieser gesetzlichen Bestimmungen bleibt sexuelle Belästigung we

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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