TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/21 I419 2144130-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.11.2019
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Entscheidungsdatum

21.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2144130-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. IRAK, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 15.12.2016, Zl. XXXX, in einer Asylangelegenheit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen,

dass der erste Satz des Spruchpunktes III wie folgt lautet:

"Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste am 20.02.2015 illegal ein und beantragte internationalen Schutz. Als Sunnit werde er im Irak von Unbekannten verfolgt und sei bereits 2007 entführt worden, worauf er sich bis 2010 in Syrien aufgehalten habe. Seine Eltern und seine Schwester hielten sich im Herkunftsstaat auf.

Im folgenden Jahr einvernommen gab er weiter an, sein Vater sei in XXXX, seine Mutter und seine verheiratete Schwester seien in der Türkei. Er habe den Herkunftsstaat wegen fehlender Sicherheit und konfessioneller Konflikte verlassen. Eine Aufforderung des Militärs zum Mitkämpfen habe er abgelehnt und keinen Militärdienst geleistet. Er sei 2012 und 2013 bei einem Stützpunkt jeweils zwei Tage festgehalten worden, weil er seinen Ausweis vergessen gehabt habe. Ansonsten habe er keine Probleme mit den Behörden gehabt und sei ohne Probleme seiner Arbeit nachgegangen.

Als er 2007 entführt worden sei, habe der Vater Lösegeld bezahlen müssen. Nachdem er dabei gefoltert worden sei, sehe er am rechten Auge nur mehr Schatten. Die Familie sei 2008 nach seiner Entführung nach Syrien gegangen. Im Fall einer Rückkehr rechne er nicht mit Problemen mit den Behörden, "vielleicht mit den Milizen". Er habe Angst um sein Leben wegen der ständigen Selbstmordanschläge, und auch Angst vor den Terroristen, die sich im Irak befänden.

Im Süden des Herkunftsstaats befänden sich die Schiiten und deren Milizen. Dort könne er als Sunnit "Probleme bekommen". Die sunnitischen Landesteile seien überwiegend dem "IS" nahe, der unberechenbar sei, und im Norden sei Kurdistan, und "diese" seien radikale Rassisten.

2. Mit dem bekämpften Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers betreffend die Status des Asyl- und des subsidiär Schutzberechtigten bezogen auf Irak ab (Spruchpunkte I und II), erteilte keinen Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG", erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass dessen Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III) und die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

3. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei nach seiner Entführung und der Zahlung des Lösegelds freigekommen. Die Täter, die er angezeigt habe, seien Mitglieder einer Schiitenmiliz und 2014 verhaftet worden. Mitglieder dieser Miliz seien darauf zum Haus seines Onkels, wo der Beschwerdeführer im lrak gelebt habe, und hätten diesen bedroht, damit der Beschwerdeführer seine Anzeige zurückziehe. Sie hätten diesem auch gesagt, dass sie in der Türkei nach dem Beschwerdeführer suchen würden. Als sie erfahren hätten, dass dieser nicht mehr zurückkehre, hätten sie den Onkel getötet.

Der Beschwerdeführer werde verdächtigt, für die Sunniten zu spionieren, sodass er der sozialen Gruppe der von schiitischen Milizen Verfolgten angehöre. Dagegen sei der Staat nicht fähig, ihn zu schützen.

Er habe weitreichende Integrationsbemühungen gezeigt und die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung (plus)" von Amts wegen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers ist überwiegend durch die Verfahrensdauer begründet, die deutliche, im Beschwerdeverfahren auch überlange Verzögerungen beinhaltet, die den Behörden zurechenbar sind.

Der Beschwerdeführer ist lediger, kinderloser Sunnit, Araber und Staatsangehöriger Iraks. Er sieht mit dem rechten Auge nur verschwommen. Nach seinen Angaben wurde dieses verletzt und sollte zweimal jährlich kontrolliert werden. Er ist arbeitsfähig und gesund. Seine Identität steht fest. Er spricht Arabisch sowie Türkisch und ein wenig Englisch und Deutsch. Seit Sommer 2019 besucht er einen A1-plus-Deutschkurs.

Nach der Matura arbeitete er bis Ende 2013 in der Türkei und in Kurdistan für ein türkisches Reiseunternehmen, und zwar als Dolmetsch für Reisegruppen und im Kundenbüro in Istanbul, anschließend lebte er bis zur Ausreise vom Ersparten. Er stammt aus XXXX, einem Vorort von Bagdad in der Provinz Salahaddin, und wohnte dort zumindest bis 2007. Es kann nicht festgestellt werden, wann er zuletzt dort wohnte. Höchstens etwa 13 Straßenkreuzungen vom Beschwerdeführer entfernt wohnte auch nach der Ausreise des Beschwerdeführers noch ein Onkel, bei dem auch der Beschwerdeführer zumindest fallweise vor seiner Ausreise wohnte.

XXXX hat rund 90.000 Einwohner, die mehrheitlich Sunniten sind. Der Beschwerdeführer hat dort von 1999 bis 2005 die Grund- und anschließend bis 2007 die Hauptschule besucht sowie 2011, angeblich in Syrien, eine Reifeprüfung bestanden. Er hat sich auch in der Zeit von 2008 bis 2011 wiederholt im Herkunftsstaat aufgehalten, z. B. von 23. bis 29.07.2009, von 20. bis 25.08.2009, von 17. bis 24.09.2009, von 21. bis 25.10. 2009, von 18. bis 30.04.2011 sowie von 30.06. bis 19.07.2011. Nach seinen Angaben lebte die Familie damals vom Mietzins für Geschäftslokale im Herkunftsstaat.

Er reiste am 30.12.2014 vom Herkunftsstaat in den Libanon und vom 04. auf den 05.01.2015 von dort nach Istanbul. Im Herkunftsstaat hat er Freunde, mit denen er in telefonischem Kontakt steht. Zu seinem dort verbliebenen Vater hatte er nach eigenen Angaben zuletzt 2017 Kontakt. Zumindest indirekt hatte er noch im Sommer 2019 zu ihm Kontakt und zeigte sich einer Bekannten gegenüber über dessen Gesundheitszustand besorgt.

Im Inland hält er sich seit der Antragstellung auf. Er hat keine Sorgepflichten und lebt von der Grundversorgung. In seiner ersten Unterkunft fiel er 2015/16 aus aus disziplinären Gründen auf, unter anderem durch eine Bürobesetzung, die einen Polizeieinsatz erforderte, aggressiv vorgetragene Sonderwünsche und die verbotene Beherbergung eines Gastes über mehrere Tage, ist jedoch strafrechtlich unbescholten.

Vor etwa 1,5 Jahren hat er eine in seiner Wohngemeinde lebende, gut 3 Jahre ältere deutsche Staatsangehörige kennengelernt, mit der er seit Herbst 2018 eine Beziehung führt. Diese ist verheiratet, lebt in Scheidung und von ihrem Gatten getrennt in einer Wohngemeinschaft mit einem 43-jährigen Staatsanagehörigen Kubas und einem 35-jährigen solchen Syriens. Sie arbeitet seit 2018 als geringfügig beschäftigte Angestellte in Wien. Der Beschwerdeführer hat keine Wirtschaftsgüter mit ihr gemeinsam und keine wirtschaftliche Beziehung zu oder Gemeinschaft mit ihr. Er wohnt seit 2018 mit einem Landsmann in einer Wohngemeinschaft.

Er hat bis 2017 für die damalige Wohngemeinde gemeinnützig gearbeitet, konkret bei der Stadionreinigung, der Pflege von Grünanlagen und als Baustellenaushilfe. Derzeit hat er eine Arbeitszusage eines Hotels in einem nicht benachbarten Bundesland. Er besucht keine Kurse außer dem Deutschkurs und ist kein Mitglied eines Vereins.

Der Beschwerdeführer hat im Inland keine Angehörigen aber sowohl Freunde österreichischer als auch anderer Herkunft, und vier Empfehlungsschreiben von Bekannten aus Österreich sowie seiner Freundin vorgelegt. In diesen wird ihm unter anderem Folgendes attestiert: Aufmerksame und hilfsbereite Art, Einfühlungsvermögen, Ruhe und Gelassenheit, Stabilität, Geduld, Kümmern um seine Freunde, Bereicherung für unser Land, Mitgefühl, Demut, Hilfsbereitschaft, Kochbegeisterung, Höflichkeit und Freundlichkeit.

Er verbringt den Alltag außer mit dem Deutschkurs und den Hausaufgaben bei und mit seiner Freundin, mit der er die Abende zum Kochen, auch mit Freunden, für Theaterbesuche oder fallweises Ausgehen und Restaurantbesuche nutzt. Einmal wöchentlich lernen die beiden miteinander Deutsch. Außer in Deutsch unterhalten sie sich in Arabisch und Türkisch. Er trifft nachmittags oder zum gemeinsamen Kochen Freunde und sucht nach Arbeit. Bei Veranstaltungen und Partys trifft er neue Menschen.

1.2 Zum Herkunftsstaat

Im angefochtenen Bescheid wurde das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zum Irak auf Stand 2016 zitiert. Das nunmehr aktuelle stammt von 20.11.2018 und wird laufend aktualisiert. Im gegebenen Zusammenhang sind davon speziell die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Neueste Ereignisse - Bagdad

Laut Joel Wing ist Bagdad ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen (Joel Wing 3.5.2019) und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "Bagdad-Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden (ISW 19.4.2019). Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen (Joel Wing 3.5.2019; vgl. Joel Wing 1.7.2019). Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet (Joel Wing 1.7.2019).

Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet (Joel Wing 3.5.2019). Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person (Joel Wing 1.5.2019). Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten (Joel Wing 5.6.2019). Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 1.7.2019).

Am 19.5.2019 ist eine Rakete des Typs Katjuscha in der hoch gesicherten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt Bagdad, Standort der US-Botschaft, sowie einiger Ministerien und des Parlaments, eingeschlagen und explodiert. Verletzte oder Schäden habe es laut dem irakischen Militär nicht gegeben (DS 19.5.2019).

1.2.2 Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

1.2.3 Sicherheitslage Bagdad

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

1.2.4 Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

1.3 Zum Fluchtvorbringen:

Es kann nicht festgestellt werden, aus welchem Grund der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat verlassen hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Übergriffe, eine Entführung oder eine Verletzung durch schiitische oder andere Milizen erlitten hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre, auch nicht als Sunnit und Araber oder weil er sich nicht zum Militär melden habe wollen.

Der Beschwerdeführer wird nach seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein, auch nicht als arabischer Sunnit, die er nicht durch innerstaatliche Ortswahl vermeiden könnte. Dafür kommen insbesondere Bagdad und Umgebung infrage, z. B. XXXX, wo seine Familie wohnt oder gewohnt hat, welches für den Beschwerdeführer wie auch andere arabische Sunniten erreichbar ist.

Er ist ein alleinstehender gesunder Mann Mitte 20, spricht die Landessprache und hat dort, abgesehen von den Freunden, mit denen er sich treffen kann, die Möglichkeit, sich dort nach einer Rückkehr wieder als Dolmetscher oder in einem Reisebüro zu betätigen, ersatzweise auch in anderen Berufen, und berufliche und soziale Kontakte aufzubauen oder solche aus der Zeit im Herkunftsstaat fortzuführen oder zu erneuern.

Aus den Länderinformationen ergibt sich nichts, was eine Rückkehr eines Fremden in der Lage des Beschwerdeführers automatisch im Widerspruch zu Art. 2 oder Art. 3 EMRK erscheinen lässt. Eine in den Irak zurückkehrende Person, bei der keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben im Rahmen der Verhandlung, wo der Beschwerdeführer als Partei befragt wurde, und durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers, ferner in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden, seine Stellungnahme vom 26.06.2019 sowie die Empfehlungsschreiben der Zeugin D. und jene von M. A., J. F. und Mag.a (FH) M. G. und die Deutschkurs-Bestätigung vom 24.06.2019.

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des vorliegenden Gerichtsakts. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit sowie seiner Glaubenszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers und die Feststellungen des Bescheids, ebenso jene zur Familie und zur Ausbildung und Tätigkeit des Beschwerdeführers.

Zur Ausreise folgt das Gericht den auf Vorhalt des Reisepasses (AS 160) modifizierten Angaben des Beschwerdeführers. Die mehrfache Anwesenheit in den Jahren zuvor ist durch die im Reisepass vorhandenen Ein- und Ausreisestempel dokumentiert.

Betreffend den Verbleib des Vaters ist keine genauere Feststellung möglich, weil der Beschwerdeführer in der Verhandlung angab, er habe lediglich zu Freunden Kontakt, andererseits aber dem Empfehlungsschreiben der Frau Mag.a (FH) M. G. vom 22.06.2019 zu entnehmen ist, dass sie sich bei den Treffen mit dem Beschwerdeführer über den "kritischen Gesundheitszustand" von dessen Vater unterhalte.

Nach den (divergierenden) Altersangaben für diesen Vater (Februar 2015: 55, somit Jahrgang 1959/60, 2016: Jahrgang 1958) spricht dessen ungefähres Alter zumindest nicht dagegen, dass er noch lebt, sodass er - wie 2016 vom Beschwerdeführer angegeben - im Herkunftsland leben könnte, auch wenn Letzterer behauptet, seit etwa Anfang 2018 keinen Kontakt mit ihm zu haben, und nur zu wissen, dass der Vater sich oft in der Türkei aufhalte (was wieder gegen eine starke gesundheitliche Beeinträchtigung spräche).

Die Lage und Größe des Herkunftsorts an der Peripherie Bagdagds ergibt sich aus google maps und Wikipedia. Letzterem war auch zu entnehmen, dass dessen Einwohnerschaft hauptsächlich aus Sunniten besteht. Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung eingeräumt, dass diese die Mehrheit stellen.

2.3 Zum Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie z. B. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstands, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung zu den Länderfeststellungen angegeben, die Berichte der Organisationen seien zum Teil korrekt, aber in Wahrheit erlebe man derzeit eine "Massenvernichtung" der Bevölkerung im Irak. Auf den Vorhalt, die Lage erscheine speziell in Bagdad zwar weiter ernst, doch weniger dramatisch als 2016, dem Jahr der Erlassung des bekämpften Bescheids, erwiderte er, dass die Situation nicht besser sein könne als damals, "sonst gäbe es diese Massenvernichtung nicht". Es könne bereits am nächsten Tag zu einem Massenmord kommen.

Damit und mit dem vorab in der Verhandlung erstatteten Vorbringen, es gebe im Irak keine Gesetze, und dem späteren, als sunnitischer Araber habe man beim Vorbeigehen an einem Polizisten Angst, dass dieser einen erschieße, ist er den Länderfeststellungen nicht qualifiziert entgegengetreten.

2.4 Zum Fluchtvorbringen

Wie bereits beim BFA vermochte der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung kein plausibles Geschehen darzulegen, das ihn zur Flucht veranlasste.

Erstbefragt gab er an (AS 9), er sei 2007 von unbekannten Vermummten entführt worden, die Lösegeld wollten. Die Polizei habe ihn nach drei Tagen befreit. Er habe den Herkunftsstaat verlassen, weil dieser nicht sicher sei und die "IS"-Kämpfer allgegenwärtig seien.

Etwa 21 Monate später vernommen, führte er 2016 aus (AS 157, 159, 161), er sei 2007 für drei Tage entführt sowie gefoltert worden und sehe am rechten Auge nur mehr Schatten. Sein Vater habe Lösegeld für ihn bezahlen müssen. Das Heimatland habe er wegen "der fehlenden Sicherheit" und der konfessionellen Konflikte verlassen. Er habe Angst um sein Leben aufgrund der "ständigen Selbstmordanschläge" und Angst vor den Terroristen, die sich im Irak befänden.

Beschwerdehalber brachte er vor, die Entführer seien 2014 verhaftet worden, und er habe sie angezeigt. Es seien Mitglieder einer Schiiten-Miliz gewesen. Mitglieder dieser Miliz seien sodann zu seinem Onkel und hätten diesem gedroht, damit der Beschwerdeführer seine Anzeige zurückziehe. Weil sie auch angekündigt hätten, den Beschwerdeführer in der Türkei zu suchen, sei dieser nach Österreich geflüchtet. Als die Milizen erfahren hätten, dass er nicht mehr in den Irak zurückkehre, hätten sie den Onkel getötet.

Schon die gesteigerte Erzählung erweckt dabei Zweifel am Wahrheitsgehalt des Vorgebrachten. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass kein Asylwerber eine Gelegenheit ungenützt ließe, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung dann wie folgt aussagte:

Rl [Richter]: Sie haben angegeben, dass Sie die Entführer von 2007 angezeigt haben. Woher haben Sie gewusst, wer diese sind?

BF [Beschwerdeführer]: Sie leben im gleichen Bezirk bzw. Region.

Rl: Zuvor haben Sie angegeben, die Entführer wären vermummte Unbekannte gewesen?

BF: Sie waren vermummt, man hat sie nicht erkannt, aber durch ihre Stimme hat mein Vater sie erkannt. Wir leben in einer kleinen Ortschaft und alle Personen kennen einander.

Rl: Laut Wikipedia hat AI Tarmia ungefähr 91.000 Einwohner.

BF: Ungefähr ja.

Damit konnte er seine angebliche Entführung nicht glaubhaft machen, weil er die Widersprüche nicht nachvollziehbar aufklärte. Dazu kommt, dass er auch den späten Zeitpunkt seines Vorbringens nicht erklären konnte, sowie die in der Verhandlung präsentierte weitere Variante des Sachverhalts, wonach nur einer der Entführer verhaftet worden wäre, ein weiterer aber den Beschwerdeführer in der Türkei aufgesucht und ihm Angst machen gewollt habe.

Auf die vorgelegte Sterbeurkunde in arabischer Sprache, die als Beweis für die Ermordung des Onkels vorgelegt wurde, brauchte nicht eingegangen zu werden, weil selbst dessen tatsächliche Ermordung im Jahr 2014 kein Hinweis auf eine Entführung des Beschwerdeführers 2007 wäre.

Schließlich spricht auch der in unterschiedlichen Varianten berichtete Ablauf in der Zeit nach der angeblichen Entführung gegen diese und gegen eine Verfolgung oder Bedrohung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat.

Erstbefragt gab er an (AS 9), nach seiner Entführung durch Vermummte im Jahr 2007, drei Tagen im Keller und der Befreiung durch die Polizei sei er in ein "anderes Bundesland" und schließlich nach Syrien gezogen, von wo er 2010 kriegsbedingt in den Irak zurückkehren habe müssen. Am 08.04.2014 sei er von Erbil nach Istanbul geflogen und Ende Jänner 2015 per Boot nach Griechenland gelangt.

In der Einvernahme 2016 erklärte er (AS 157), mit seiner Familie 2008 nach Syrien gegangen und dort bis 2011 geblieben zu sein. Den nochmals behaupteten Abflug am 08.04.2014 korrigierte er auf Vorhalt der Passeintragungen auf 30.12.2014 mit Ziel Libanon, von wo er mit einem gefälschten Pass hätte nach Österreich fliegen sollen (AS 160).

Letzteres ergibt kaum Sinn, weil der Beschwerdeführer bis in die Türkei legal reisen konnte, und angeblich erst dort von der Bedrohung erfuhr. Zudem kann er sich dort nicht wie angegeben ca. 9 Monate bei seiner Mutter aufgehalten haben, weil er bereits Ende Jänner 2015 in Griechenland aufgegriffen wurde (AS 9).

In der Verhandlung gab er schließlich an, aus Syrien mit Mutter und Vater in die Türkei übersiedelt zu sein (S. 6), weil er nicht in den Irak reisen habe können. Dem stehen die nach den Ein- und Ausreisestempeln festgestellten Aufenthalte des Beschwerdeführers im Irak ebenso entgegen wie dessen Vorbringen in der Beschwerde (AS 281), dass er im Haus des Onkels gelebt habe, wenn er sich im Irak aufhielt.

Aus diesen Gründen entstand der Eindruck, dass die behauptete Entführung nicht stattgefunden hat, und die angebliche Bedrohung des Onkels 2014 samt folgender Einschüchterung des Beschwerdeführers demnach auch nicht vorgefallen ist. Warum Letzterer, wie die Beschwerde erstmals anführt (AS 303), verdächtigt werden sollte, "für Sunniten zu spionieren", führen weder diese noch er näher aus. Es ist dem Beschwerdeführer damit nicht gelungen, eine Verfolgung glaubhaft zu machen.

Angesichts der Konstitution des Beschwerdeführers, seines Aufwachsens im Raum Bagdad in einer Mehrheitlich sunnitischen Umgebung sowie der Anwesenheit (zumindest) von Freunden im Herkunftsstaat erklärt sich nicht, was den Beschwerdeführer hindern sollte, sich dort wieder niederzulassen, sei es in Bagdad oder in einer mehrheitlich sunnitischen Siedlung in der Umgebung wie etwa wieder in XXXX.

Es liegt kein Hinweis vor, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in irgendeiner Weise stärker gefährdet wäre als andere sunnitische Araber dort. Diesbezüglich befragt führte er in der Verhandlung lediglich aus, dass das aus folgendem Grund der Fall sei: "Wenn man vorbeigeht an einen Polizisten, soll man sich sicher fühlen. Es ist aber umgekehrt, man hat Angst, dass der Polizist einen erschießt." Er hat damit nicht dargetan, einer Risikogruppe anzugehören.

Er hat gegenüber dem BFA auch bestätigt (AS 159), bis zu seiner Ausreise keine Probleme mit den Behörden des Herkunftsstaats gehabt zu haben und ohne Probleme seiner Arbeit nachgegangen zu sein.

Das Gericht hegt keinen Zweifel, dass es dem Beschwerdeführer möglich ist, per Linienflug nach Bagdad zu reisen, wenn er das will. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer nicht auch wieder XXXX erreichen könnte, zumal er in der Verhandlung auf die Frage nach Hindernissen, sich dort oder in Bagdad anzusiedeln lediglich angab: "Die gleichen Personen könnten mich auch jederzeit finden".

Insgesamt hat der Beschwerdeführer somit kein plausibles Fluchtvorbringen erstattet, was im Ergebnis mit der Beweiswürdigung des BFA übereinstimmt (AS 185 f), auch wenn dieses die Entführung als stattgefundenen, einmaligen kriminellen Akt annahm.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I):

3.1.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass das Geschilderte soweit es das Schicksal des Beschwerdeführers vor der Ausreise und die Fluchtgründe betrifft als unglaubwürdig, wenig wahrscheinlich und damit in seiner Gesamtheit als nicht den Tatsachen entsprechend erscheint.

Wie die Feststellungen zeigen, hat der Beschwerdeführer damit also keine Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft gemacht, die asylrelevante Intensität erreicht. Da auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers auch sonst nichts hinweist, ist davon auszugehen, dass ihm keine Verfolgung aus in den in der GFK genannten Gründen droht.

Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, sind ebenso wie persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der GFK.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II):

3.2.1 Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage wie allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse liegen nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Verdacht auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Um von der realen Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (26.04.2017, Ra 2017/19/0016 mwH).

Dazu müssen stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafürsprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dabei ist es grundsätzlich egal, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings ruft laut EGMR nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko im Sinn des Art. 3 EMRK hervor. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 mwH).

In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH a. a. O.).

Ein solches Sachverhaltselement vermag das Gericht in den Feststellungen nicht zu erkennen, auch nicht im Bekenntnis des Beschwerdeführers zum sunnitischen Islam, das zwar - zumal der Beschwerdeführer Angehöriger der arabischen Volksgruppe ist - im Rückkehrfall die Situation belasten würde, nicht jedoch überall im Herkunftsstaat gleichermaßen. Wie festgestellt, ist es dem Beschwerdeführer möglich, in Bagdad oder XXXX wie andere Sunniten und wie früher er selbst zu leben.

Nach der Judikatur des EGMR obliegt es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Fall der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016 mwH).

Der oben zitierten VwGH-Entscheidung Ra 2016/18/0137 ging eine solche dieses Gerichts vom 20.05.2016 voran, welche die allgemeine Sicherheitslage in Bagdad nicht für derart gravierend hielt, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein, oder für ihn die ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre. Diese Einschätzung des BVwG deckte sich, wie der VwGH ausführte, insofern mit jener des EGMR in einem am 23.08.2016 ergangenen Urteil (Große Kammer 23/08/2016, 59166/12, J.K. u.a. gegen Schweden).

Den zitierten Passagen des EGMR-Urteils ist zu entnehmen, dass die Schutzfähigkeit der irakischen Sicherheitsbehörden in der damaligen komplexen und volatilen Situation im Irak reduziert war. Sie sei zwar in Bezug auf die irakische Bevölkerung im Allgemeinen in den von den Sicherheitsbehörden kontrollierten Gebieten damals gegeben, jedoch in Bezug auf jene Personen zu verneinen gewesen, die zu näher genannten Risikogruppen gehörten.

Im englischsprachigen Originalwortlaut (a. a. O., Rz 116) werden diese wie folgt benannt:

"persons who collaborated in different ways with the authorities of the occupying powers in Iraq after the war have been and continue to be targeted by al-Qaeda and other groups"

"civilians employed or otherwise affiliated with the Multi-National Force in Iraq",

"persons who were perceived to collaborate or had collaborated with the current Iraqi Government and its institutions, the former US or multinational forces or foreign companies",

"particularly targeted groups, such as interpreters, Iraqi nationals employed by foreign companies, and certain affiliated professionals such as judges, academics, teachers and legal professionals".

Es handelt sich dabei übersetzt und zusammengefasst um Personen, die nach dem Krieg in verschiedener Weise mit den Behörden der Besatzungsmächte im Irak kollaboriert haben, Zivilisten, die bei den Internationalen Streitkräften beschäftigt oder ihnen sonst verbunden waren, Unterstützer und vermeintliche Unterstützer der Regierung / Verwaltung, der früheren US- oder Internationalen Streitkräfte oder ausländischer Unternehmen sowie speziell anvisierte Gruppen wie Dolmetscher, irakische Beschäftigte ausländischer Unternehmen, Richter, Akademiker, Lehrer und Rechtsbeistände.

Obwohl das (zum Zeitpunkt der Entscheidung des EGMR bestehende) Maß an Schutz für die allgemeine Bevölkerung im Irak noch ausreichend sein möge ("may still be sufficient"), sei die Situation für Personen anders, die einer dieser Gruppe angehörten. (a.a.O., Rz 121) "Der kumulative Effekt der individuellen Bedrohung solcher Personen einerseits und der reduzierten Schutzfähigkeit der irakischen Sicherheitskräfte andererseits begründe die Annahme eines realen Risikos, dass Personen mit speziellem Risikoprofil bei Rückkehr in den Irak (insbesondere) entgegen Art. 3 EMRK behandelt würden". (VwGH 26.04.2017, Ra 2017/19/0016 Rz. 27)

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen könne, so der VwGH weiter, dem BVwG, dessen damalige Entscheidung in zeitlicher Nähe zum zitierten Urteil des EGMR getroffen wurde, nicht entgegengetreten werden, wenn es die allgemeine Sicherheitslage in Bagdad nicht für so beschaffen erachtete, dass jeder dorthin Zurückkehrende der realen Gefahr unterläge, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte ausgesetzt zu sein oder für ihn die ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt anzunehmen wäre.

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z. 2 Asyl 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst - wie der EuGH erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer wird, je mehr er zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 mwH).

Der Beschwerdeführer hat indes über seine Religion hinaus nichts Konkretes vorgebracht, was seine spezifische Betroffenheit in diesem Sinne dartäte, oder im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EGMR gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen vermöchte.

Insofern ist die vorliegende Rechtsache der oben angesprochenen ähnlich, in welcher der VwGH abschließend ausführte: "Allein der Umstand, dass der Revisionswerber in einen Stadtteil Bagdads zurückkehren würde, für den die Möglichkeit besteht, dass an einem öffentlichen Platz - wie beschrieben - ein Bombenanschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet somit bei der derzeitigen Gefahrenlage noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte bzw. liegt deshalb noch keine ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes im Sinne des § 8 Abs. 1 Z. 2 Asyl 2005 vor." (VwGH a.a.O.)

Das Gericht geht nach dem Vergleich der Länderinformationen davon aus, dass sich die Situation seit dem Ergehen der bekämpften Entscheidung speziell für Menschen in der Lage des Beschwerdeführers - alleinstehend, Mitte 20 und arbeitsfähig - im Herkunftsstaat und konkret in Bagdad und XXXX sowohl auf dem Gebiet der Versorgung als auch auf jenem der Sicherheit verbessert hat, ebenso im Vergleich zur Lage zur Zeit des EGMR-Urteils "J.K. u.a. gegen Schweden", sodass mangels "stichhaltiger Gründe" nicht von einem reales Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte einerseits oder von einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts andererseits auszugehen ist.

Offene Kampfhandlungen finden in Bagdad nicht statt. Risikoerhöhende Umstände, die in der Person des Beschwerdeführers liegen, konnten nicht festgestellt werden, zumal dieser keiner besonders gefährdeten Berufsgruppe angehört und selbst kein substantiiertes Vorbringen dazu erstattet hat. Auch kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer schon aufgrund seiner bloßen Präsenz als sunnitischer Araber in der Millionenstadt Bagdad oder der benachbarten Großstadt XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung durch Anschlagskriminalität oder bürgerkriegsähnliche Zustände ausgesetzt wäre.

Die Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak ist daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers insgesamt auch zumutbar. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer etwa in einen Stadtteil oder Vorort Bagdads zurückkehren oder dort arbeiten würde, für den die Möglichkeit besteht, dass es zu einem Konflikt etwa zwischen Sunniten und Schiiten kommen oder an einem öffentlichen Platz ein Anschlag terroristischer Gruppierungen erfolgen könnte, begründet bei der derzeitigen Gefahrenlage weder ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK garantierten Rechte noch eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes im Sinne des § 8 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten wird.

Das gilt insbesondere, obzwar nach den Länderfeststellungen eine beträchtliche Arbeitslosigkeit vorherrscht, weil er im Herkunftsstaat die Schule besucht und dessen Sprache erlernt hat, dort aufgewachsen, arbeitsfähig und gesund ist, eine Reifeprüfung, soziale Kontakte und nur für sich selbst zu sorgen hat, und auch bereits dort und in der Türkei berufstätig war. Er kann somit zumindest leichter als andere am Arbeitsmarkt fündig werden, die nicht all diese Eigenschaften aufweisen.

Damit war die Beschwerde auch betreffend den Spruchpunkt II abzuweisen.

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung, und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III):

3.3.1 Nichterteilung eines Aufenthaltstitels

Im ersten Satz des Spruchpunkts III im angefochtenen Bescheid sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "aus berücksichtigungswürdigen Gründen" "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt werde. Damit war nach der Bescheidbegründung (S. 66, AS 232) das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemeint. Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.

Von den alternativen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegt hier keine vor und wurde vom Beschwerdeführer auch keine behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

3.3.2 Rückkehrentscheidung

Nach § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf internationalen Schutz sowohl bezüglich des Status des Asylberechtigten als auch jenes des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Somit ist auch im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung vorgesehen.

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Die individuelle Abwägung der berührten Interessen ergibt, dass ein Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Beschwerdeführer hat den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht, wo er geboren und aufgewachsen ist. Er hat dort die Schule besucht und sowohl dort als auch in der Türkei gearbeitet, bis er nach Österreich reiste, wo er sich nun seit 4 3/4 Jahren aufhält.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines Aufenthalts zu. Dem Beschwerdeführer kommt auch zugute, dass sein Aufenthalt legal und die Ursache seiner Dauer die Verzögerung des Verfahrens ist, die ihm nicht vorgeworfen werden kann. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).

Der VwGH (zum Folgenden: 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwH) hat unter anderem folgende Umstände - meist in Verbindung mit anderen Aspekten - als Anhaltspunkte dafür anerkannt, dass ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Die Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins.

Es ist nicht zu verkennen, dass fallbezogen eine Reihe dieser Faktoren vorliegen. Zugunsten des Beschwerdeführers kann man davon ausgehen, dass er die Einbindung in den Freundes- und Bekanntenkreis seiner Freundin erreicht hat, und sich, auch wenn die letzte bezahlte Beschäftigung bei der Wohngemeinde 2017 stattfand, nicht mit der Grundversorgung zufriedengab, ohne zumindest zeitweise zu arbeiten.

Darüber hinaus liegen Empfehlungsschreiben sowie eine Einstellungszusage vor. Der Beschwerdeführer führt seit rund einem Jahr eine Beziehung mit einer Österreicherin, teilt mit ihr aber nicht den Haushalt. Damit hat er ein Privat- aber kein Familienleben im Inland.

Andere Integrationsschritte, etwa eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, den Erwerb eines Führerscheins, eines Schulabschlusses oder eines Sprachzertifikats, weist er allerdings nicht auf, sondern besucht erst jetzt einen Deutschkurs im Bereich des Niveaus A1. Mit den Missachtungen der Umgangsformen und der Hausordnung hat er auch wenig Interesse an einer gesellschaftlichen Eingliederung demonstriert.

Die Beziehung zu seiner Freundin betreffend, reduziert ihre Gewichtung zunächst die kurze Dauer von etwa einem Jahr, sowie weiters, dass eine angekündigte Lebensgemeinschaft trotz Ankündigung nicht begonnen wurde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht nämlich das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohnungs- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar. (27.09.2012, 2009/08/0055)

Angesichts § 49 EheG, wonach die Beziehung zur verheirateten Freundin eine schwere Eheverfehlung bildet, ist auch davon auszugehen, dass ein solches Privatleben von der österreichischen Rechtsordnung nicht gutgeheißen wird, wenngleich die Strafbarkeit nach § 194 Abs. 1 StGB in der Fassung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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