Entscheidungsdatum
10.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W253 1428681-2/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.11.2019 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als der letzte Satz in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:
"Es wird gemäß § 9 Abs. 2 2. Satz AsylG 2005 festgestellt, dass Ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig ist."
II. Im Übrigen wird die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:
"Der Ihnen mit Bescheid vom XXXX , Zahl XXXX (früher XXXX ), zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Abs. 2 Z 2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt. Die Ihnen mit Bescheid vom XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wird gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen."
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 18.04.2012 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom XXXX den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 05.08.2013 (Spruchpunkt III.).
3. Die gegen den Spruchpunkt I. des unter Pkt. I.2. genannten Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 17.09.2018, GZ W222 1428681-1/11E, als unbegründet abgewiesen.
4. Mit Schreiben vom 28.08.2015 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass per 11.08.2015 das Aberkennungsverfahren gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 eingeleitet worden sei. Begründend führte die belangte Behörde dabei an, der Beschwerdeführer sei mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX wegen eines Verbrechens verurteilt worden.
5. Mit Eingabe vom 09.09.2015 führte der Beschwerdeführer aus, seine Verurteilungen würden in Zusammenhang mit seiner Suchterkrankung stehen. Er besuche derzeit eine Therapie, welche er erfolgreich abschließen werde. Weiters ersuchte der Beschwerdeführer, ihm eine zweite Chance zu geben und ihm den Status als subsidiär Schutzberechtigter nicht abzuerkennen.
6. In seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.03.2016 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er absolviere seit sechs Monaten eine Drogentherapie. Er habe anfangs falsche Freunde gehabt, habe ein paar Sachen falsch gemacht und sei verhaftet worden. Der Beschwerdeführer wolle seine Zukunft besser gestalten. Zu seiner Mutter sowie seinem Bruder stehe der Beschwerdeführer nicht mehr in Kontakt. Der Onkel des Beschwerdeführers, der auch sein Stiefvater sei, sei ein sehr gefährlicher Mensch; er könnte den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr finden. Gefragt zu allfälligen Bindungen an Österreich führte der Beschwerdeführer an, er habe einmal acht Monate mit einer Österreicherin eine Beziehung geführt und stehe derzeit in Kontakt mit einer Türkin, mit der er nach Absolvierung der Therapie vielleicht zusammenziehe. Er würde mit Drogen nichts mehr zu tun haben wollen.
7. Mit Schreiben vom 27.07.2016 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, seine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für zwei Jahre zu verlängern, und führte dabei zusammengefasst aus, seine befristete Aufenthaltsberechtigung sei bereits mehrmals verlängert worden, zuletzt bis zum 29.07.2016 (Anm.: richtigerweise 05.08.2016). Die Situation in Afghanistan sei nach wie vor politisch instabil und äußerst unsicher. Die Lage habe sich für den Beschwerdeführer daher nicht verändert.
8. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den mit Bescheid vom XXXX , Zl.: XXXX (früher: XXXX ), zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 27.07.2016 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt IV.).
Dabei führte die belangte Behörde begründend aus, die Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 würden - unter Bedachtnahme auf die den Beschwerdeführer individuell betreffenden Faktoren im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in seinem Herkunftsstaat - vorliegen. Der Beschwerdeführer sei ein junger, gesunder, selbständiger, arbeitsfähiger und arbeitswilliger Paschtune. Mit all diesen Eigenschaften habe er auch in Kabul die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt und seine Existenz zu bestreiten. Darüber hinaus bestünden Verurteilungen wegen Verbrechen iSd § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, was auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 zur Aberkennung des subsidiären Schutzes geführt hätte.
Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
9. Mit Schreiben vom 06.09.2016, eingelangt am 15.09.2016, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den gegenständlichen Bescheid. Dabei machte er die inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und führte auf das Wesentliche zusammengefasst Folgendes aus: Die belangte Behörde habe unter anderem keine Ermittlungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers durchgeführt. Die Drogensucht des Beschwerdeführers, welche entgegen den Ausführungen des Bescheides als Krankheit zu qualifizieren sei, sei noch nicht geheilt; er befinde sich noch in Therapie. In Zusammenschau der Bestimmungen des SMG sei davon auszugehen, dass die Handlungen des Beschwerdeführers nicht mit einem drei Jahre übersteigenden Strafrahmen bedroht gewesen seien. Die Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 komme daher nicht zur Anwendung, da der Beschwerdeführer kein Verbrechen nach § 17 StGB begangen habe. Die belangte Behörde konkretisiere im Spruch des angefochtenen Bescheides nicht ausreichend, nach welcher Ziffer des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 sie den subsidiären Schutz abzuerkennen gedenke. Die belangte Behörde habe den subsidiären Schutz nach § 9 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 aberkannt; dies sei allerdings rechtlich nicht vorgesehen. So komme eine Aberkennung nach Abs. 2 leg.cit. nur in Frage, wenn eine Aberkennung nach Abs. 1 leg.cit. nicht erfolgt sei und die Voraussetzungen des Abs. 2 gegeben seien. Ebenso sei nicht nachzuvollziehen, weshalb das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer im August 2014 das Aufenthaltsrecht nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ohne weitere Ermittlungstätigkeit verlängert habe, obgleich bereits am XXXX die erste Verurteilung des Landesgerichts XXXX vorgelegen sei. Außerdem könne keinesfalls davon gesprochen werden, dass sich die Umstände im Heimatland so wesentlich geändert hätten, dass eine Aberkennung des subsidiären Schutzes rechtlich möglich sei. Abschließend wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer seit 2015 eine Therapie absolviere, über einen Arbeitsmarktzugang verfüge und derzeit den Kurs BEST des AMS, XXXX , besuche.
10. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 26.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 20.10.2016 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W169 abgenommen und der Gerichtsabteilung W253 neu zugewiesen.
11. Am 19.11.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seines Vertreters, eines Vertreters der belangten Behörde und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu den Gründen der Aberkennung des subsidiären Schutzes befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Einvernahmen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, dem gegenständlichen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das hg. Erkenntnis vom 17.09.2018, GZ W222 1428681-1/11E, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
1.1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 18.04.2012 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom XXXX den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 05.08.2013 (Spruchpunkt III.).
Das Bundesasylamt begründete die Zuerkennung des subsidiären Schutzes wie folgt (Bescheid vom XXXX , S. 13, 45 und 49 f [Hervorhebungen und Unterstreichungen wie im Original]):
"Es bestehen jedoch aufgrund der humanitären und sicherheitspolitisch problematischen Lage in Afghanistan stichhaltige Gründe für die Annahme, dass Sie im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in Ihren Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt sind.
[...]
Sie sind ein gesunder, junger und arbeitswilliger Mann, welcher derzeit ohne Familienanschluss in Afghanistan ist.
Aktuell herrscht in Ihrem Herkunftsland AFGHANISTAN eine allgemeine unsichere Sicherheitslage, wie den Länderberichten zu entnehmen ist. In Ihrem Fall bedeutet dies, dass Ihre Probleme der allgemeinen instabilen Sicherheitslage in Ihrem Herkunftsland zuzuschreiben sind und dem Umstand, dass der Polizeiapparat und Justizapparat in Afghanistan nicht effizient Schutz bieten kann. Aufgrund dessen war Ihnen subsidiärer Schutz zu gewähren und eine befristete Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.
[...]
Gem. § 8 Abs. 3a AsylG hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gem. § 9 Abs. 2 AsylG vorliegt. In Ihrem Fall ging die Behörde von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus, weil aus der allgemeinen aktuellen Lage in Afghanistan sich derzeit ergibt, dass sich diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt als problematisch darstellt. Daher ist Ihnen aufgrund des innerstaatlichen Konfliktes der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, zumal für Sie als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens nicht ausreichend ausgeschlossen werden kann. Zudem sind Sie ohne Familienanschluss in Afghanistan. Ihre Mutter befindet sich unbekannten Aufenthalts im Heimatland.
Somit kann eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens im Gegenstand nicht ausreichend ausgeschlossen werden. Daher war Ihnen auch deswegen der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Auf Basis dessen gelangt die Behörde zur Ansicht, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig ist."
1.1.2. Die gegen den Spruchpunkt I. des unter Pkt. II.1.1.1. genannten Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 17.09.2018, GZ W222 1428681-1/11E, als unbegründet abgewiesen.
1.1.3. Mit Bescheid vom XXXX wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 05.08.2014 bzw. 05.08.2016 verlängert.
1.1.4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den mit Bescheid vom XXXX , Zl.:
XXXX (früher: XXXX ), zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 27.07.2016 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt IV.).
Die Ausführungen der belangten Behörde lauten auszugsweise (Bescheid vom XXXX , S. 7, 17 f, 19 f [bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler, Unterstreichungen wie im Original]):
"Die Lage in Ihrem Herkunftsland hat sich gegenüber dem Jahr 2012 insofern geändert, als Ihnen nun eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.
[...]
Allerdings liegt in Ihrem Fall nunmehr die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung. Die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wohnraum nicht gewährleistet wäre. Vielmehr hat sich die Ernährungssicherheit in mehreren Regionen in letzter Zeit sogar verbessert. Was schließlich die Versorgung mit Wohnraum betrifft, gehen die Länderinformationen zwar weiterhin davon aus, dass diese mit Schwierigkeiten verbunden sein kann; allerdings ist den Länderinformationen auch nicht zu entnehmen, dass sie nicht gewährleistet wäre.
[...]
Sie sind kein Analphabet und haben bereits vor Ihrer Ausreise zwei Jahre lang als Gemüsehändler Ihren Lebensunterhalt verdient. Sie waren schon vor Ihrer Ausreise soweit selbständig, dass Sie ein Grundstück alleine verkauft haben, um zu Geld für Ihre Ausreise zu kommen. Sie sind ein junger, gesunder, selbständiger, arbeitsfähiger und arbeitswilliger Paschtune. Mit all diesen Eigenschaften haben Sie auch in Kabul die Möglichkeit, Ihren Lebensunterhalt und Ihre Existenz zu bestreiten.
[...]
Die Voraussetzungen für die Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 liegen - unter Bedachtnahme auf die Sie individuell betreffenden Faktoren im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in seinem Herkunftsstaat - vor und bestehen darüber hinaus Verurteilungen wegen Verbrechen im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 (in Ihrem Fall Drogenhandel), was auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 zur Aberkennung des subsidiären Schutzes geführt hätte.
[...]
Sie wurden mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , Aktenzeichen XXXX , sowie mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX , Aktenzeichen XXXX , wegen der Begehung eines Verbrechens verurteilt.
Diese Verurteilungen erfolgten nach der Gewährung des subsidiären Schutzes, die rechtskräftig per 22.08.2012 erfolgte. Der Gesetzgeber brachte in den Materialen zu § 9 Abs. 2 AsylG 2005 deutlich zum Ausdruck, dass er die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls für nach der Zuerkennung begangene Straftaten vorsieht (VfGH 16.12.2010, U 1769/10-7), was in Ihrem Fall gegeben ist, da die Verurteilungen aus dem Jahr 2014 und 2015 stammen.
[...]
Gemäß § 28a Suchtmittelgesetz (SMG) besteht ein Strafrahmen von ein bis fünf Jahren für Personen, die vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) übersteigenden Menge erzeugen, einführen, ausführen oder einem anderen anbieten, überlassen oder verschaffen, womit es sich bei diesem Delikt um ein Verbrechen handelt.
[...]
Ihnen war daher aus obgenannten Gründen gemäß § 9 Absatz 1 und Absatz 2 Ziffer 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen."
1.1.5. Gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 06.09.2016, eingelangt am 15.09.2016, fristgerecht Beschwerde, woraufhin am 19.11.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seines Vertreters, eines Vertreters der belangten Behörde und einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu stattfand.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
1.2.1. Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in Afghanistan geboren. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu.
Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Jalalabad, Provinz Nangarhar, besuchte acht Jahre die Schule und war zwei Jahre als Gemüseverkäufer tätig. Er ist gesund und ledig.
Die Mutter des Beschwerdeführers lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann (dem Onkel des Beschwerdeführers) in Afghanistan; deren genauer Aufenthaltsort kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer steht nicht in Kontakt mit ihnen. Ferner kann der Aufenthaltsort des Bruders des Beschwerdeführers, der zuletzt bei einem Freund in Pakistan gelebt hat, nicht festgestellt werden.
1.2.2. Der Beschwerdeführer war drogenabhängig. Er befand sich im Zeitraum Jänner 2015 bis August 2015 in Haft[l1], wobei ihm im Zuge seiner unter Pkt. II.1.2.3.2. näher genannten Verurteilung wegen der Vergehen des Suchtgifthandels Strafaufschub gewährt wurde, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. So befand sich der Beschwerdeführer von September 2015 bis Februar 2016 in stationärer Behandlung und Betreuung sowie anschließend in ambulanter Therapie im XXXX . Eine Abhängigkeitserkrankung liegt derzeit nicht vor.
Der Beschwerdeführer spricht ein gut verständliches Deutsch und hat die ÖSD-Prüfung auf dem Sprachniveau A1 absolviert. Weiters hat der Beschwerdeführer den Kurs BEST des AMS, XXXX , von Mai bis Juli 2016 besucht. Ab Juli 2017 war der Beschwerdeführer bei verschiedenen Arbeitgebern - unterbrochen durch den Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung - als Arbeiter beschäftigt; seit Oktober 2019 ist er geringfügig in einer Pizzeria beschäftigt. Nebenher lernt der Beschwerdeführer für die Führerscheinprüfung. Dass dem Beschwerdeführer eine Vollzeitanstellung in Aussicht gestellt worden ist, kann nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Substanzielle Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. intensive Freundschaften oder Beziehungen) können nicht festgestellt werden.
1.2.3. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach straffällig und ist wie folgt gerichtlich (rechtskräftig) verurteilt worden:
1.2.3.1. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Suchtgifthandels (§ 28a Abs. 1 5. Fall, Abs. 3 SMG), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften (§ 27 Abs. 1 Z 1 1., 2. Fall, Abs. 2 SMG) und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 Z 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Das Gericht sah den Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nach, die später mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX auf fünf Jahre verlängert wurde. Es wertete als mildernd den bisherigen ordentlichen Lebenswandel und das reumütige Geständnis, als erschwerend das Zusammentreffen von drei Vergehen. Dem lag Folgendes zugrunde:
"[...] er hat im Zeitraum von zumindest Jänner 2013 bis 31. Dezember 2013 in [...] vorschriftswidrig Suchtgift
A) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich
zumindest 1.000 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 1 % an Delta-9-THC und 10 % an THCA nicht mehr feststellbaren Personen zu einem Grammpreis von EUR 10,-- mit einem Gewinn von etwa EUR 3.700,-- überlassen, wobei er an Suchtmittel gewöhnt war und die Straftat vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Mittel zum Erwerb von Suchtmittel zu verschaffen;
B) über die zu Punkt A) genannte Menge hinaus ausschließlich zum
persönlichen Gebrauch erworben und besessen, nämlich Delta-9-THC hältiges Cannabiskraut und Cocain-hältiges Kokain;
C) in wiederholten Angriffen der minderjährigen [...] eine im Zweifel die Grenzmenge nicht übersteigende Grenzmenge Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 1 % an Delta-9-THC und 10 % an THCA in einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 2013 unentgeltlich überlassen und dadurch einer Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgiften ermöglicht, wobei er volljährig und zwei Jahre älter als die Minderjährige war."
1.2.3.2. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX , rechtskräftig am selben Tag, wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des Suchtgifthandels (§ 28a Abs. 1 6. Fall und Abs. 3 1. Fall SMG) zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt. Als mildernd wertete das Gericht das teilweise überschießende Geständnis, die Sicherstellung eines Großteiles des Suchtgiftes und den wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe, den raschen Rückfall, die Begehung innerhalb der Probezeit und das Zusammentreffen von Verbrechen[l2]. Dem Beschwerdeführer wurde mit Beschluss vom XXXX Strafaufschub mit der Maßgabe gewährt, dass er sich vorerst für die Dauer von sechs Monaten einer stationären Behandlung zu unterziehen habe, und die Behandlung sodann als ambulante Therapie fortzusetzen sei. Mit Beschluss vom XXXX wurde ein Teil der Freiheitsstrafe anschließend unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren nachgesehen; diese wurde mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX auf fünf Jahre verlängert. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer
"[...] vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Marihuana mit einem - soweit nicht anders angeführt - Reinheitsgehalt von 4,6% THCA und 0,4% Delta-9-THC
I./ in einer Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge durch gewinnbringenden Verkauf in zahlreichen Tathandlungen
[...]
3./ verschafft, und zwar [der Beschwerdeführer] im Zeitraum zwischen dem [...] und [...] unbekannten Abnehmern durch Vermittlung an den unbekannten Dealer [...], zumindest 30 Gramm brutto;
4./ verschafft, und zwar [...] und [der Beschwerdeführer] im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter am [...] das zu I./1./b./ angeführte Suchtgift [[...] 1.800,7 Gramm netto mit einem Reinheitsgehalt von 8% THCA und 0,63% Delta-9-THC, sohin eine Reinsubstanz von 144 Gramm netto THCA und 11,34 Gramm netto Delta-9-THC zu einem Gesamtpreis von EUR 7.200,--] dem verdeckten Ermittler durch Führen der Verkaufsverhandlungen, Beschaffen des Suchtgifts und Vereinbaren des Treffens mit [...],
wobei [der Beschwerdeführer] jedoch an ein Suchtgift, nämlich Marihuana, gewöhnt ist und die Taten vorwiegend deswegen beging, um sich selbst Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;
[...]"
1.2.3.3. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung (§ 107 Abs. 1 StGB) und des Vergehens der Sachbeschädigung (§ 125 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten sowie einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen á EUR 4,00 verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Als mildernd wertete das Gericht das teilweise Geständnis, als erschwerend hingegen die Begehung während zweier offener Probezeiten, das Zusammentreffen von zwei Vergehen und die zwei einschlägigen Vorstrafen. Den unbedingten Teil der Geldstrafe hat der Beschwerdeführer am 11.11.2019 vollzogen. Dieser Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
"[...] ist schuldig, er hat am XXXX 2018 in [...]
I./ [...] mit einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er zwei Küchenmesser mit einer Gesamtlänge von jeweils ca. 20 cm in der Hand hielt, diese gegeneinanderstrich und dabei auf Pashtu sagte: ‚Ich stech dich ab' sowie ‚wenn du rausgehst, stech ich dich draußen ab', und dabei von [...] zurückgehalten werden musste;
II./ eine fremde Sache beschädigt, nämlich das Mobiltelefon der [...], indem er das Mobiltelefon gegen den Tisch schlug."
1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 [in Folge kurz "LIB"] und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 [in Folge kurz "UNHCR-Richtlinien"]):[l3]
1.3.1. Zur allgemeinen Sicherheitslage (LIB Kapitel 3.):
1.3.1.1. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen. Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban.
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten. Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen:
die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren. Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19 % im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen. Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten.
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet. In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten. So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan.
Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5 %, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte.
Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63 % Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert. Für den Berichtszeitraum 08.02 - 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7 % gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist.
Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 sind 56 % (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7 % im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17 %. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44 % verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57 % mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018.
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit
29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge.
Von Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56 % auf 54 % der Distrikte ab, die Kontrolle bzw der Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15 % auf 12 %. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29 % auf 34 %. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5 % zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6 % der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39 % der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37 % von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20 % der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4 % der Distrikte.
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation. Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen. Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet.
1.3.1.2. Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01. - 30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41 % der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge).
Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) berichtet bzw dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5 % bzw 11 % bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24 % gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt.
Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 01.06.2018 und 30.11.2018 fanden 59 High-Profile Angriffe (HPAs) in Kabul statt (Vorjahreswert: 73), zwischen 01.12.2018 und 15.05.2019 waren es 6 HPAs.
Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge.
1.3.1.3. In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität.
1.3.2. Zur Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Nangarhar (LIB Kapitel 3.22.):
In Nangarhar, die als strategische Provinz gilt, war seit 2011 eine Verschlechterung der politischen und sicherheitspolitischen Situation zu beobachten. Korruption, lokale Machtkämpfe und das Versagen, effektive Dienstleistungen zu erbringen, untergruben das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanische Regierung, die die Bevölkerung ungeschützt gegen Aufständische zurückließ, aber auch der Rückzug der internationalen Streitkräfte in der Provinz ab dem Jahr 2013 trug dazu bei. Nichtsdestotrotz sind Bemühungen der Regierung auf dem Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, Landraub und Korruption vorzubeugen sowie die Koordinierung zwischen den Sicherheits- und Rechtsorganen zu verbessern. So arbeitet die UNAMA auch weiterhin auf lokaler Ebene mit ansässigen Gemeinschaften und Behörden, um Frieden und Konfliktlösungsbemühungen umzusetzen und voranzutreiben; so auch in der Provinz Nangarhar, wo UNAMA eine Friedensjirga zwischen zwei Stämmen im Distrikt Sher Zad einberief - an der zum ersten Mal auch Frauen eine aktive Rolle einnahmen. Diese Jirga führte zu einem Beschluss über die Verteilung von Wasser, der auch angenommen wurde.
Auch ebnete ein politisches und militärisches Vakuum, das die Provinz seit Jahren heimgesucht hatte, rund um das Jahr 2016 den Weg für den Aufstieg des afghanischen Zweiges des Islamischen Staates, dem Islamischen Staat in der Provinz Khorasan (ISKP). So erleichterten beispielsweise Stammesrivalitäten innerhalb des Distriktes Shinwar den Aufstieg des ISKP in der Provinz. Verschiedene militante Gruppen - afghanische, ausländische, sowie salafistische Kämpfer innerhalb der Taliban - trugen dazu bei, die Taliban in Nangarhar zu destabilisieren - viele von ihnen schlossen sich dem ISKP an.
Im Februar 2019 galt Nangarhar als eine der ISKP-Hochburgen Afghanistans. Die Schätzungen über die Stärke des ISKP gehen auseinander: so geht eine Quelle von rund 3.000 Kämpfern im Osten Afghanistans (Provinzen Nangarhar und Kunar) aus, während die ISKP-Stärke von einer anderen Quelle in ganz Afghanistan - jedoch insbesondere in Nangarhar und den angrenzenden östlichen Provinzen - im Juni 2019 auf 2.500-4.000 Kämpfer geschätzt wurde.
Der ISKP wurde in Nangarhar inzwischen zurückgedrängt, auch wenn er noch ein gewisses Territorium kontrolliert: Seine frühere Hochburg in den Spin Ghar-Bergen ist auf kleinere Inseln im Distrikt Achin zusammengeschrumpft. Durch große terroristische Angriffe in Städten führt der ISKP den Konflikt weiter - insbesondere in Kabul-Stadt und Nangarhar beanspruchte die Gruppe Terroranschläge für sich. Für das Jahr 2018 verzeichnete UNAMA beispielsweise 17 Selbstmord- und komplexe Angriffe in Nangarhar, die dem ISKP zugeschrieben wurden und 738 zivile Opfer forderten (222 Tote und 516 Verletzte).
Die Taliban sind in Nangahar aktiv und kontrollieren manche Gebiete; wie z.B. in den Distrikten Khugyani und Sher Zad.
Militärische Spezialeinheiten, auch als counter-terrorism pursuit teams bezeichnet, sind in den Provinzen Nangarhar und Khost tätig. Diese Kräfte, die inoffiziell von der US Central Intelligence Agency (CIA) ausgebildet und beaufsichtigt werden und für die Bekämpfung des Aufstands zuständig sind; diesen werden außergerichtliche Tötungen und Folter vorgeworfen. Die in Nangarhar aktive Miliz wird 02-Einheit genannt. Sie wird vom afghanischen Geheimdienst NDS befehligt und von der CIA unterstützt und ausgebildet. NDS-Operationen stehen außerhalb der Befehlskette der ANDSF, weswegen Quellen eine mangelnde Rechenschaftspflicht für die Handlungen der NDS-Einheiten kritisieren.
In Bezug auf die Anwesenheit regulärer staatlicher Sicherheitskräfte liegt die Provinz Nangarhar unter der Verantwortung des 201. ANA Corps, das unter die NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) fällt, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird.
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.815 zivile Opfer (681 Tote und 1.134 Verletzte) in der Provinz Nangarhar. Dies entspricht einer Steigerung von 111 % gegenüber 2017. Die Hauptursachen dafür waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von IEDs und Bodengefechten. Die Zahl der zivilen Opfer durch IEDs vervierfachte sich und erreichte zum ersten Mal fast das gleiche Niveau wie Kabul. Im ersten Halbjahr 2019 befand sich Nangarhar hinsichtlich der Anzahl an zivilen Opfern nach Kabul und Helmand mit 401 erfassten Opfern (163 Tote, 238 Verletzte) an dritter Stelle, wobei in Nangarhar allerdings 100 zivile Todesopfer mehr zu verzeichnen waren, als beispielsweise in Kabul mit einer deutlich höheren Anzahl an zivilen Verletzten.
Seit dem Jahr 2018 intensivierten die staatlichen Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen den ISKP. Bei rund 300 Luft- und Bodenoperationen in ganz Afghanistan seit April 2018, jedoch vorwiegend in den Distrikten Khugyani, Pachiragam und Kot der Provinz Nangarhar, wurden ca. 1.200 IS-Kämpfer getötet. Bei regelmäßigen Operationen in der Provinz werden neben ISKP-Kämpfern, deren hochrangige ISKP-Vertreter auch Talibanaufständische getötet. Auch wurde im April 2019 die Sicherheitsoperation Khalid durch die afghanische Regierung gestartet, die sich auf die südlichen Regionen, Nangarhar im Osten, Farah im Westen, sowie Kunduz, Takhar und Baghlan im Nordosten, Ghazni im Südosten und Balkh im Norden konzentrierte.
Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP.
1.3.3. Zur Sicherheitslage in der Provinz Kabul (LIB Kapitel 3.1. und UNHCR-Richtlinien):
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen.
Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an. So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind. Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert. Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen.
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps. Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren.
Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet. Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung.
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2 % gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen.
Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden. Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern. Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch. Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet und verhaftet, sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert.
UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist (UNHCR-Richtlinien S. 131).
1.3.4. Religionsfreiheit (LIB Kapitel 16.):
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben.
1.3.5. Paschtunen (LIB Kapitel 17.1.):
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sind sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50 % der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44 % in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.
Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben.
Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen.
Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung, werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen. Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen. Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet.
1.3.6. IDPs und Flüchtlinge (LIB Kapitel 20.):
Im Jahresverlauf 2018 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für das gesamte Jahr 2018 von ca. 350.000 bis 372.000 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden. Trotz des im Zeitvergleich hohen Ausmaßes der Gewalt war im Jahr 2018 das Ausmaß der konfliktbedingten Vertreibungen geringer als im Jahr 2017, als ca. 450.000 bis 474.000 Menschen durch den Konflikt innerhalb Afghanistans vertrieben wurden. Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Nach Angaben von UNOCHA sind im ersten Halbjahr 2019 rund 210.000 neue Konflikt induzierte Binnenflüchtlinge hinzugekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus den Provinzen Takhar, Faryab und Kunar. Die Gesamtzahl von Binnenflüchtlingen lag IDMC zufolge Stand Jahresende 2018 bei ca 2,598,000 Menschen.
Im Jahr 2018 kam es in 33 der 34 Provinzen zu konfliktbedingten Vertreibungen. Der Auslöser für Flucht war häufig Einschüchterung durch bewaffnete Akteure. Beispielsweise wurden im Zuge des Angriffes der Taliban auf die Stadt Ghazni im August 2018 rund 36.000 Menschen zu IDPs. Auch wurden zum Beispiel im November 2018 in Folge eines bewaffneten Konfliktes zwischen Hazara und Taliban
6.400 Menschen aus bis dahin sicheren Distrikten der Provinz Ghazni vertrieben.
Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft.
Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, der erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen fördert sowie humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten erstellt und diese koordiniert.
1.3.7. Grundversorgung (LIB Kapitel 21.):
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38 % (2011) auf 55 % (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport.
Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80 % der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar. Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6 % und wird für 2019 auf 3,1 % prognostiziert.
Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8 %.
Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt:
Einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren.
1.3.8. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21.):
Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können. In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben, stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Schätzungen zufolge sind 877.000 Jugendliche arbeitslos; zwei Drittel von ihnen sind junge Männer (ca. 500.000).
Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle.
In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft.
1.3.9. Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen (LIB Kapitel 21.1.):
Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen. Ein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem gibt es, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei), nicht. Es gib