TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/11 W189 2170808-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2019
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Entscheidungsdatum

11.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W189 2170799-1/9E

W189 2170805-1/11E

W189 2170808-1/4E

W189 2170802-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX (BF1), 2.) XXXX , geb. XXXX (BF2), 3.) XXXX , geb. XXXX (BF3) und 4.) XXXX , geb. XXXX (BF4), alle StA. Ukraine, vertreten durch RA Dr. Michael Vallender, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 18.08.2017, Zl. 1048854403-140311923,

2.) vom 17.08.2017, Zl. 1085603402-151255310, 3.) vom 17.08.2017, Zl. 1085603609-151255336 und 4.) vom 17.08.2017, Zl. 1082089106-151064115, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.10.2019, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde der BF1 wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden des BF2, der BF3 und des BF4 werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und §§ 46, 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die BF1, eine Staatsangehörige der Ukraine, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 22.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass einige Male der "Rechte Sektor" zu ihnen gekommen sei und "sie" gewollt hätten, dass der Mann der BF1 in die Ostukraine gehe, um gegen die pro-russischen Separatisten zu kämpfen. Ihr Mann sei selbst Russe und habe dort nicht kämpfen wollen. Aus diesem Grund hätten "sie" "uns" töten wollen. Die BF1 sei schwanger, weshalb ihr Mann sie zuerst nach Europa geschickt habe, weil er nicht genügend Geld gehabt habe. Im Falle einer Rückkehr habe die BF1 Angst um ihr Leben.

2. Am XXXX wurde der BF4, Staatsangehöriger der Ukraine, in Wien geboren.

3. Mit Schreiben vom 10.08.2015 wurde für den BF4 gem. § 17 Abs 3 AsylG ein Antrag auf internationalen Schutz eingebracht.

4. Der BF2, ein Staatsangehöriger der Ukraine, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet für sich und die mitgereiste BF3, ebenfalls Staatsangehörige der Ukraine, am 11.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 03.09.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu den Fluchtgründen brachte er vor, dass er Reservist sei und Übungen leisten müsste. Es komme dabei vor, dass Reservisten eingezogen werden würden. Mit Beginn der Ereignisse auf dem Maidan-Platz in Kiew habe der BF2 immer wieder Dienst leisten müssen. Die Einberufungen hätten mit dem Krieg gegen die Rebellen in Donezk zugenommen. Außerdem sei der BF2 von verschiedenen rechtsgerichteten, nationalukrainischen Gruppen wie beispielsweise dem "Rechten Sektor" angeworben worden, um gegen die russischen Rebellen in Donezk zu kämpfen. Der BF2 sei selbst ethnischer Russe und wolle dies nicht. Er habe sich geweigert, auf seine Einberufungsunterbrechung berufen und auf seine Familie hingewiesen. Die Gruppierungen hätten Druck auf ihn ausgeübt und ihn erpresst. Der BF2 wolle nicht kämpfen, da er eine Familie habe und er ein kriegerisches Vorgehen gegen die Zivilbevölkerungen, als deren Teil er sich sehe, ablehne.

5. Laut einer Mitteilung der Finanzpolizei vom 22.05.2017 wurde der BF2 am 15.02.2017 als unerlaubt beschäftigter Ausländer auf einer Baustelle angetroffen.

6. Am 10.08.2017 wurden die BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen.

Der BF2 gab im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass "sie" eingebrochen und ihn und seine Frau geschlagen hätten. Er sei aufgefordert worden, sich freiwillig zur Armee zu melden, sonst würde es noch schlimmer werden. Bei einem zweiten Vorfall, bei dem er nicht zu Hause gewesen sei, seien Armeeangehörige gekommen. Der BF2 habe Sorge um seine Familie gehabt und habe auf niemanden schießen wollen. Eines Abends sei er nach Hause gegangen und "sie" seien ihm nachgegangen. Er sei davongelaufen. Er und seine Frau hätten den Aufenthaltsort gewechselt. Der BF2 habe sodann einen Schlepper getroffen und habe zunächst seine schwangere Frau alleine nach Österreich geschickt, da er sich die Schleppung der gesamten Familie nicht leisten habe können. Der BF2 habe im Weiteren seine Wohnung verkauft und dadurch seine eigene Ausreise und jene der BF3 finanziert.

Die BF1 gab im Wesentlichen an, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe, sondern sie sich insoweit auf das Vorbringen ihres Mannes beziehe. Dies gelte ebenso für ihre Kinder.

Im Rahmen der Einvernahme wurden Integrationsunterlagen und eine Geldwechselbestätigung des BF2 vorgelegt.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 18.08.2017 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und bezüglich des BF2, der BF3 und des BF4 festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Über die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine der BF1 wurde - obgleich in der Übersetzung des Spruchpunktes III. auf Ukrainisch sowie in der rechtlichen Beurteilung enthalten - nicht normativ abgesprochen.

Folgende Feststellungen wurden im Wesentlichen den Bescheiden zugrunde gelegt: Die Identitäten der BF stünden nicht fest. Die BF seien Staatsangehörige der Ukraine. Die BF1, die BF3 und der BF4 seien der ukrainischen Volksgruppe, der BF2 sei der russischen Volksgruppe zugehörig. Die BF1 und der BF2 seien verheiratet und hätten zwei Kinder (BF3 und BF4). Die BF1, die BF3 und der BF4 seien orthodoxen Glaubens, der BF2 katholischen Glaubens. Die BF1 und der BF2 würden aus XXXX stammen und hätten bis zu ihrer Ausreise dort gelebt. Die BF1 habe neun Jahre, der BF2 elf Jahre die Schule besucht. Die BF1 habe eine Ausbildung zur Köchin absolviert und anschließend ein Jahr als solche gearbeitet, der BF2 habe eine Ausbildung zum Automechaniker gemacht und nach dem Wehrdienst in einer Möbelfabrik gearbeitet. Die BF1 habe die Ukraine im Dezember 2014 illegal verlassen, sei Ende Dezember 2014 illegal nach Österreich eingereist und habe am 22.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der BF2 habe die Ukraine Mitte Juli 2015 illegal verlassen, sei spätestens am 13.07.2015 illegal nach Österreich eingereist und habe am 03.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung könne bei den BF nicht festgestellt werden. Die BF1 und der BF2 seien strafrechtlich unbescholten.

In der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftslandes wurde im Wesentlichen angeführt, dass das Vorbringen des BF2 nicht glaubhaft sei und sich aus seinen Angaben massive Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten ergeben würden. Die Angaben der BF1 seien ebenso nicht glaubhaft, da sie sich nur auf die Angaben ihres Mannes bezogen habe.

Der rechtlichen Beurteilung ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich bei Berücksichtigung sämtlicher Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der zu einer Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten führen könnte, vorliegen. Ebenso bestehen keine Gründe für die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung.

8. Mit Schriftsatz vom 07.09.2017 erhoben die BF durch ihren Rechtsvertreter binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachten nach Wiederholung der Fluchtgründe im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde die Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes unterlassen habe. Die belangte Behörde habe die dem Bescheid zugrundeliegenden Länderberichte nicht beachtet. Das BFA habe sich weiters nicht ausreichend mit der Rückkehrsituation und dem Familienleben der BF auseinandergesetzt.

Beantragte wurde die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Lage in der Ukraine.

9. Mit Schriftsatz vom 23.10.2019 wurde der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erneuert und hinsichtlich der mündlichen Verhandlung die Beiziehung eines Dolmetschers für die ukrainische Sprache beantragt.

10. Mit Schriftsatz vom 28.10.2019 legten die BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor und gaben bekannt, dass in Hinblick auf die mündliche Verhandlung auch ein Dolmetscher für die russische Sprache beigezogen werden könne.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.10.2019 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher die BF und ihre Rechtsvertretung teilnahmen. Die BF1 und der BF2 wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der BF2 legte zwei Zeitungsartikel in ukrainischer Sprache sowie einen Zeitungsartikel der NZZ vom 23.01.2019 betreffend "Prorussische Separatisten im Donbass" vor (Beilage ./1).

12. Mit Schriftsatz vom 21.11.2019 brachten die BF eine Stellungnahme zu den durch das Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Länderberichten sowie zur Integration der BF ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person der BF

Die BF sind ukrainische Staatsangehörige. Die BF1, die BF3 und der BF4 gehören der Volksgruppe der Ukrainer an, der BF2 gehört der Volksgruppe der Russen an. Die BF1 und der BF2 sind volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Die BF1, die BF3 und der BF4 gehören dem christlich-orthodoxen Glauben an, der BF2 ist römisch-katholisch. Die BF1 und der BF2 sprechen Ukrainisch und Russisch. Die BF3 und der BF4 sprechen Ukrainisch. Die BF1 hat neun Jahre die Grundschule und drei Jahre eine Berufsschule besucht, wo sie zur Köchin ausgebildet wurde. Der BF2 hat elf Jahre die Grundschule besucht und anschließend eine Mechanikerlehre absolviert. Der BF2, die BF3 und der BF4 verfügen über elementare Deutschkenntnisse.

Die BF1 ist in der XXXX , XXXX Oblast, geboren, aufgewachsen und hat dort den Großteil ihres Lebens gewohnt. Sie hat ein bis zwei Jahre als Köchin gearbeitet. Ihr Vater ist verstorben, ihre Mutter lebt in der Ukraine. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 keinen Kontakt zu ihrer Mutter hat. Die BF1 hat weitere Verwandte in der Ukraine. Es kann nicht festgestellt werden, dass kein Kontakt zu sonstigen Verwandten und keine weiteren sozialen Kontakte in die Ukraine bestehen.

Der BF2 ist in der Stadt XXXX , XXXX Oblast, geboren und hat in XXXX , XXXX und XXXX , jeweils XXXX Oblast, den Großteil seines Lebens gewohnt. Er hat von 2002 oder 2003 bis 2011 als Arbeiter in einer Möbelfabrik gearbeitet und anschließend verschiedene andere Tätigkeiten ausgeübt. Sein Vater ist verstorben, seine Mutter lebt in XXXX . Der BF2 hat Kontakt zu seiner Mutter. Der BF2 hat weitere Verwandte in der Ukraine. Es kann nicht festgestellt werden, dass kein Kontakt zu diesen Verwandten und keine weiteren sozialen Kontakte in die Ukraine bestehen.

Die BF1 und der BF2 haben am 30.01.2010 in XXXX geheiratet.

Die BF3 ist in XXXX geboren und ist die gemeinsame Tochter, der BF4 ist in Wien geboren und ist der gemeinsame Sohn der BF1 und des BF2.

Die BF1, der BF2 und die BF3 sind illegal in Österreich eingereist. Die BF1 reiste im Dezember 2014 ein. Der BF2 und die BF3 reisten zu einem unbestimmten Zeitpunkt, aber spätestens im Juni 2015 ein.

Die BF sind gesund und leiden an keinen schwerwiegenden Krankheiten. Die BF1 litt als Kind an Meningitis. Die BF1 leidet nicht an Gedächtnisproblemen.

Die BF sind strafrechtlich unbescholten. Der BF2 wurde im Februar 2017 von der Finanzpolizei als unerlaubt beschäftigter Ausländer auf einer Baustelle angetroffen.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

Die BF wurden in der Ukraine nicht von Mitgliedern des "Rechten Sektors" oder anderen Gruppierungen bedroht. Eine Einberufung des BF2 zur ukrainischen Armee kann nicht festgestellt werden. Dass der BF2 in der Ukraine aufgrund seiner russischen Volksgruppenzugehörigkeit belästigt wurde, kann ebenfalls nicht festgestellt werden.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine

1.3.1. Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Einige Richter behaupteten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommenen Gesetzesänderung zur "Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren" sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung ("re-attestation") aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019):

Asylländerbericht Ukraine).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat ("council of prosecutors") ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen bleiben hinter den Erwartungen zurück, werden aber fortgesetzt (FH - Freedom House (4.2.2019):

Freedom in the World 2019 - Ukraine).

1.3.2. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).

Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte "Militsiya". Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungsprozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen,

4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Das Gesetz "Über die Nationalpolizei" sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das im Juni 2017 gestartete Projekt "Detektive" - Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig (ÖB 2.2019).

Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine).

1.3.3. Korruption

Die Gesetze sehen strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Behörden setzen diese nicht effektiv um, und viele Beamte sind ungestraft korrupt, weniger in der Regierung, aber auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und der Justizbehörden. Trotz Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption durch die Regierung, bleibt diese ein Problem für Bürger und Unternehmen. Im Juni 2018 unterzeichnete der Präsident das Gesetz über das Hohe Antikorruptionsgericht (HACC), was das System der staatlichen Stellen zur Bekämpfung der Korruption auf höchster Ebene vervollständigte (USDOS 13.3.2019). Im April 2019, kurz vor der Stichwahl um die Präsidentschaft, hat Präsident Poroschenko 38 Richter des neu gegründeten Antikorruptionsgerichts offiziell ernannt (RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (11.4.2019):

Ukraine's President Creates Anti-Corruption Court).

Korruption ist nach wie vor ein ernstes Problem, und trotz des starken Drucks der Zivilgesellschaft ist der politische Wille gering, dagegen anzugehen. Antikorruptionsagenturen wurden wiederholt in politisch belastete Konflikte mit anderen staatlichen Stellen und gewählten Vertretern verwickelt (FH 4.2.2019).

Ein institutioneller Rahmen für die Bekämpfung der endemischen Korruption wurde geschaffen und durch ein System zur systematischen Offenlegung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse von Staatsbediensteten ergänzt. Bei einem großen Teil der abgegebenen Erklärungen fehlt jedoch noch eine substanzielle Überprüfung durch die Korruptionspräventionsagentur (AA 22.2.2019).

Ende Feber 2019 hat das ukrainische Verfassungsgericht Artikel 368-2 des ukrainischen Strafgesetzbuches, welcher illegale Bereicherung durch ukrainische Amtsträger kriminalisierte, aufgehoben, weil er gegen die Unschuldsvermutung verstoßen habe. In der Folge musste NABU 65 anhängige Ermittlungen gegen Parlamentarier, Richter, Staatsanwälte und andere Beamte einstellen, die teilweise schon vor Gericht gekommen waren. Die EU zeigte sich über diese Entscheidung besorgt. Es wurden unmittelbar mehrere Gesetzesinitiativen registriert, um das Gesetz zu reparieren, die aber alle keine Aussicht hatten, vor der Präsidentenwahl beschlossen zu werden (Hi - Hromadske international (3.3.2019): You Can Now Get Rich Illegally in Ukraine. What Does This Mean?).

Der neue Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben (UA - Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019).

1.3.4. Wehrdienst und Rekrutierungen

Am 01.05.2014 wurde die früher beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen, die hauptsächlich Reservisten, aber auch Grundwehrdienstleistende (letztere zu einer sechsmonatigen Ausbildung) erfassten. Wehrpflichtige wurden nur bis Mitte November 2016 und ausschließlich auf freiwilliger Basis nach der sechsmonatigen Grundausbildung in der Ostukraine eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr. Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierungen finden staatlicherseits nicht statt (AA 22.2.2019).

An den Wehrpflichtigen ergeht in der Praxis ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine). Gesetzlich vorgesehen ist eigentlich eine persönliche Zustellung, weswegen postalisch zugestellte Bescheide Quellen zufolge ungültig seien (Lifos - Center för landinformation och landanalys inom migrationsområdet (schwedische Herkunftslandinformationseinheit) (15.7.2016): Temarapport: Ukraina. Militärtjänstgöring, mobilisering och desertering).

1.3.5. Wehrdienstverweigerung / Desertion

Wenn eine Person ordnungsgemäß von der Einberufung informiert wurde, ihr aber nicht folgt, kann dies gemäß Art. 210 mit einem Bußgeld bestraft werden und es folgt eine zweiter Einberufungsbefehl. Wird diesem wieder nicht gefolgt, kann wieder gemäß Art. 210 ein Bußgeld verhängt werden. Folgt die Person dem Befehl immer noch nicht, wird der Fall wegen des Verdachts der Wehrdienstverweigerung der Polizei übergeben (Lifos 15.7.2016; vgl. BFA/OFPRA 5.2017).

Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 StGB mit bis zu fünf Jahren bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist eine Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 22.2.2019).

Desertion ist gemäß Art. 408 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren strafbar. Wenn sie organisiert in einer Gruppe oder mit Waffe erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zehn Jahren. Wenn die Desertion unter der Geltung von Kriegsrecht oder im Gefecht erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zwölf Jahren. Es gibt eigene Strafen für Soldaten im Falle von Selbstverstümmelung oder anderen Formen sich dem Dienst zu entziehen, die in Art. 409 beschrieben sind (BFA/OFPRA 5.2017).

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der ukrainische Generalstab und das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB des BM.I für Ukraine (21.3.2017): Bericht des VB, per E-Mail). Die Verantwortung für das "Meiden der Einberufung" bei der Mobilisierung kann jedoch nur entstehen, wenn die Person in entsprechender Weise darüber informiert wurde, bzw. die Ladung bewusst abgelehnt wurde (VB des BM.I für Ukraine (07.09.2018):

Auskunft des VB, per E-Mail).

1.3.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019).

1.3.7. Russen / Russischsprachige

Russisch ist in der Ukraine keineswegs die Sprache einer kleinen Minderheit und wird nicht bloß regional begrenzt gesprochen. In genaueren Untersuchungen wurde 1994 festgestellt, dass 37 Prozent nur Russisch, 33 Prozent nur Ukrainisch und 29 Prozent beide Sprachen gleichermaßen nutzen. Bis 2008 hatte sich das Verhältnis etwas zugunsten der Staatssprache geändert, aber nicht grundlegend gewandelt (DS - Der Standard (19.10.2017): Russisch als Minderheitensprache in der Ukraine?).

Aus einer Analyse von Meinungsumfragen aus den Jahren 2012, 2014 und 2017 geht hervor, dass russischsprachige Staatsbürger der Ukraine keine homogene Gemeinschaft bilden, die sich durch ihre bevorzugte Sprache vom Rest der Bevölkerung abhebt, sondern dass sie seit Ende der Sowjetunion eine allmähliche Verwandlung von Sowjetbürgern zu Ukrainern vollzogen haben, ohne ihren Sprachgebrauch groß zu verändern. Die meisten von ihnen sprechen weiterhin vorwiegend Russisch, ohne dass es jedoch entscheidend für ihre Selbstidentifikation wäre. Die Förderung des Ukrainischen führte nicht zu einer systematischen Diskriminierung der Russischsprachigen (UA - Ukraine Analysen (22.2.2018): Die Identität der russischsprachigen Staatsbürger der Ukraine).

Es gibt in der Ukraine generell keine Diskriminierung der russischen Sprache. Seit Beginn des Konflikts in der Ostukraine im Jahr 2014, fördert die ukrainische Politik jedoch in bestimmten Bereichen aktiv die ukrainische Sprache, was von der Mehrheit der Menschen unterstützt wird. In der Praxis funktioniert die allgegenwärtige ukrainisch-russische Zweisprachigkeit im Alltag in aller Regel erstaunlich reibungslos (UA - Ukraine Analysen (29.11.2017):

Sprachenpolitik in der Ukraine). Fälle von Einschüchterung oder Angriffen gegen ethnische Russen oder Vertreter der In der russischsprachigen Gemeinschaft in der Ukraine, sind sporadische Einzelfälle (Cedoca - Documentation and Research Department of the CGRS (Commissariaat-generaal voor de Vluchtelingen en de Staatlozen) (10.1.2018): OEKRAÏNE. Actuele situatie voor etnische Russen en/of Russischsprekenden op het gebied van taal en veiligheid, per E-Mail).

1.3.8. Bewegungsfreiheit

Die Bewegungsfreiheit ist in der Ukraine generell nicht eingeschränkt; im Osten des Landes jedoch ist diese aufgrund der Kampfhandlungen faktisch eingeschränkt (FH 4.2.2019).

Die Ausreisefreiheit wird (vorbehaltlich gesetzlicher Einschränkungen) von der Verfassung jedermann garantiert (Art. 33 Absatz 1). Ausreisewillige ukrainische Staatsangehörige müssen über einen Reisepass verfügen, der auf Antrag und gegen Gebühr ausgestellt wird. Bei Ausreise zur ständigen Wohnsitznahme im Ausland ist zudem zuvor ein gebührenpflichtiger Sichtvermerk des Staatlichen Migrationsdienstes (DMSU) einzuholen und dem Zoll eine Bestätigung des zuständigen Finanzamts vorzulegen, dass sämtliche steuerlichen Verpflichtungen erfüllt wurden. Weitergehende Verpflichtungen sind seit 1. Oktober 2016 entfallen. Die ukrainischen Grenzschutzbehörden kontrollieren an der Grenze, ob ein gültiger Reisepass und gegebenenfalls ein Visum des Ziellandes vorliegen, der Ausreisende in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben ist oder andere Ausreisehindernisse bestehen. Ausgereist wird vornehmlich auf dem Landweg. Derzeit liegen keine Erkenntnisse vor, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 22.2.2019).

1.3.9. Grundversorgung

Die makroökonomische Lage stabilisiert sich nach schweren Krisenjahren auf niedrigem Niveau. Ungeachtet der durch den Konflikt in der Ostukraine hervorgerufenen, die Wirtschaftsentwicklung weiter erheblich beeinträchtigenden, Umstände, wurde 2018 ein Wirtschaftswachstum von geschätzten 3,4% erzielt; die Inflation lag bei rund 10%. Der gesetzliche Mindestlohn wurde zuletzt mehrfach erhöht und beträgt seit Jahresbeginn 4.173 UAH (ca. 130 EUR) (AA 22.2.2019).

Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser zum Teil nicht immer ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kindern bleibt daher karg. Die Ukraine gehört zu den ärmsten Ländern Europas. Ohne zusätzliche Einkommensquellen (in ländlichen Gebieten oft Selbstversorger) bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar regelmäßig gezahlt, sind aber trotz regelmäßiger Erhöhungen größtenteils sehr niedrig (AA 22.2.2019).

Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 1.440 UAH (ca. 45 EUR) und maximal 7.684 UAH (240 EUR) Arbeitslosengeld pro Monat, was dem Vierfachen des gesetzlichen Mindesteinkommens entspricht. Nicht versicherte Arbeitslose erhalten mindestens 544 UAH (ca. 17 EUR). In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70% (ÖB 2.2019; vgl. UA - Ukraine Analysen (27.4.2018):

Rentenreform).

1.3.10. Rückkehr

Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich - wie bei anderen Personengruppen auch - Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 22.2.2019).

1.3.11. Rechter Sektor

Der nachfolgend zitierten Quelle ist zu entnehmen, dass Übergriffe durch Mitglieder des "Rechten Sektors" genauso ermittelt werden, wie andere Straftaten. Entsprechende Statistiken zu Anzeigen und Verurteilungen gibt es nicht.

Dem Bericht des BM.I-Verbindungsbeamten für die Ukraine ist folgendes zu entnehmen:

Recherchen im Internet ergaben folgendes: 1. Ja, die Übergriffe durch die Mitglieder des "Rechten Sektors" werden genauso ermittelt, wie andere Straftaten (www.Ukropnews.com, www.fakty.ua, www.iPress.ua). 2. Statistiken zu den Anzeigen und Verurteilungen in Straftaten durch Angehörige des "Rechten Sektors" gibt es nicht (VB des BM.I in Kiew (26.10.2016): Bericht des VB: per E-Mail).

1.4. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr

Den BF ist die Rückkehr in die Ukraine zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden.

Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.5. Zur Situation der BF in Österreich

Die BF1 befindet sich seit Dezember 2014 in Österreich. Sie lebt von staatlichen Leistungen und ging im Bundesgebiet bislang keinem Erwerb nach. Der BF2 befindet sich spätestens seit Juni 2015 in Österreich. Er bezieht seit November 2018 keine staatliche Grundversorgung und besorgt aktuell als Einzelunternehmer Reinigungsarbeiten. Die BF3 befindet sich ebenso spätestens seit Juni 2015 in Österreich, der BF4 wurde im Juli 2015 in Wien geboren. Beide leben von staatlichen Leistungen.

Die BF1 spricht kein Deutsch und hat keine Deutschkurse besucht. Der BF2, die BF3 und der BF4 sprechen wenig Deutsch. Der BF2 hat Kurse bis zum Niveau B1.1 belegt, aber kein Zertifikat über eine Deutschprüfung vorgelegt. Die BF3 besucht die Volksschule, der BF4 den Kindergarten. Sonstige Kurse oder Ausbildungen besuchen die BF derzeit nicht.

Die BF leben im gemeinsamen Haushalt. Sie haben bekanntschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich gefunden. Darüber hinaus bestehen keine weiteren, familiären oder sonstig verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen im Bundesgebiet.

Die BF haben keine ehrenamtlichen Tätigkeiten ausgeübt und sind nicht Mitglied in einem Verein, einer religiösen Gruppe oder einer sonstigen Organisation.

Es bestehen keine weiteren, substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens in Österreich.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der BF1

2.1.1. Die Identität der BF1 konnte mangels Vorlage von glaubhaften Dokumenten nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich dem Namen und dem Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der BF1 sowie zu ihrer ukrainischen Herkunft gründen sich im Übrigen auf ihre insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bzw. ihren Kenntnissen der ukrainischen und russischen Sprache. Die Feststellungen über ihren Schulbesuch und ihre Berufsausbildung ergeben sich ebenso aus ihren glaubhaften Angaben. Die Feststellung über ihre fehlenden Deutschkenntnisse ist Folge ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellung zum Geburts- und Wohnort der BF1, ihrer Erwerbstätigkeit, zum Ableben des Vaters und zum Aufenthalt der Mutter sowie zu ihrer Ehe mit dem BF2 und den beiden gemeinsamen Kindern BF3 und BF4 stützen sich gleichfalls auf ihre glaubhaften Angaben bzw. hinsichtlich des BF4 zusätzlich auf die vorgelegte Geburtsurkunde.

2.1.2. Nicht glaubhaft war die Angabe der BF1, keinen Kontakt zu ihrer in der Ukraine lebenden Mutter zu haben (AS 63; Niederschrift der mündlichen Verhandlung, in der Folge: NSV, S. 13).

So gab die BF1 in der mündlichen Verhandlung zwar als Grund an, dass sie Angst habe, dass im Falle der Kontaktaufnahme auch ihre Mutter Probleme bekommen könnte (NSV, S. 13). Nachgefragt, warum dem so sein sollte, konnte die BF1 jedoch keinen nachvollziehbaren Grund angeben, sondern brachte unzusammenhängend vor, dass sie ihre Mutter nicht in ihr Familienleben hineinziehen möchte (NSV, S. 13). In weiterer Folge brachte die BF1 auch vor, dass sie ihre Mutter nicht damit belasten möchte, Dokumente für die BF1 zu besorgen, konnte jedoch wiederum keine Antwort darauf geben, weshalb das eine Belastung darstelle (NSV, S. 14). Das Vorbringen ist zudem unschlüssig, da der BF2, auf den sich der behauptete Fluchtgrund bezieht, vorbrachte, mit seiner eigenen Mutter Kontakt zu haben (NSV, S. 8).

Vor dem Hintergrund des Fluchtvorbringens des BF2 ist nicht nachvollziehbar, inwiefern der Kontakt zwischen der BF1 und ihrer Mutter eine Bedrohung für diese darstellen sollte, zumal der BF2 keine staatliche Verfolgung ins Treffen führte, somit noch nicht einmal spekulativ von einem Abhören der Telefone ausgegangen werden könnte.

Schließlich steht das Vorbringen der BF1 in der mündlichen Verhandlung im Widerspruch zu ihrem Vorbringen in der Einvernahme durch das BFA, in welcher sie noch erklärte, dass die BF zwischenzeitlich sogar bei der Mutter der BF1 gewohnt hätten, nachdem die Bedrohungen in der Ukraine begonnen hätten (AS 63). Aus welchem Grund dem gegenüber nun aber nicht einmal ein telefonischer Kontakt möglich sei, ist dadurch umso weniger nachvollziehbar.

Insgesamt betrachtet ist somit davon auszugehen, dass die BF1 Kontakt zu ihrer Mutter hat oder diesen zumindest jederzeit herstellen könnte.

2.1.3. Ebenso nicht glaubhaft war das Vorbringen der BF1, keinen Kontakt zur weiteren Verwandtschaft und keine sonstigen sozialen Kontakte in die Ukraine zu haben (AS 65 und AS 67).

Die BF1 versuchte im Laufe des Verfahrens bereits, das Ausmaß ihrer Verwandtschaft zu minimieren. So gab sie in der Einvernahme durch das BFA noch an, in der Ukraine Verwandte zu haben (AS 67). In der mündlichen Verhandlung wiederum nannte die BF1 auf die entsprechende Frage zunächst nur ihre Mutter. Ob sie Tanten und Onkel hätte, verneinte die BF1. Auf weitere Nachfrage, ob ihr Vater keine Verwandten habe, gab die BF1 an, diese nicht zu kennen (NSV, S. 14). Im Widerspruch dazu gab der BF2 in der mündlichen Verhandlung aber an, nach der Ausreise der BF1 zwischenzeitlich bei Verwandten gelebt zu haben (NSV, S. 9), wobei auch der BF2 wiederum im Widerspruch dazu im weiteren Verlauf der Verhandlung unvermittelt die Existenz von Verwandtschaft in der Ukraine leugnete (NSV, S. 10).

Ebenso gab der BF2 in der mündlichen Verhandlung - zwar wohl auf Deutsch, aber dennoch eindeutig formuliert - an, dass die BF1 eine Großmutter in der Ukraine habe (NSV, S. 11), was die BF1 wiederum verleugnete (NSV, S. 14). Die Behauptung des BF2 auf nochmalige Nachfrage am Ende der mündlichen Verhandlung, dass er von seiner eigenen Großmutter gesprochen habe (NSV, S. 20), ist in Hinblick auf die deutliche Formulierung als Schutzbehauptung zu werten und steht zudem wiederum in Widerspruch zur vorherigen Aussage des BF2, keine Verwandtschaft in der Ukraine zu haben.

Es ist somit klar ersichtlich, dass die BF1 - wie auch der BF2 - im Zuge des Verfahrens aktiv bemüht waren, bereits die Existenz und das Ausmaß ihrer Verwandtschaft zu verschleiern, weshalb - argumentum a fortiori - auch die Aussage, keinen Kontakt zur Verwandtschaft zu haben oder diesen nicht jederzeit aufnehmen zu können, als nicht glaubhaft zu betrachten ist.

Ebenso ist kein Grund ersichtlich, warum auch zu sonstigen Freunden und Bekanntschaften kein Kontakt bestehen sollte oder nicht jederzeit aufgenommen werden könnte, zumal schon aufgrund des langjährigen Aufenthalts in der Ukraine von der Existenz solcher Kontakte auszugehen ist.

2.1.4. Die Feststellung über die illegale Einreise der BF1 im Dezember 2014 ergibt sich aus ihren glaubhaften Aussagen.

2.1.5. Die Feststellung, dass die BF1 als Kind an Meningitis litt und nunmehr gesund ist und an keinen schwerwiegenden Krankheiten leidet, stützt sich auf ihre glaubhaften Aussagen. Mangels Vorlage ärztlicher Unterlagen ist das erstmalige Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, an Gedächtnisproblemen zu leiden (NSV, S. 4), nicht glaubhaft, zumal dieses Vorbringen im Widerspruch zur Aussage in der Einvernahme durch das BFA steht, physisch und psychisch gesund zu sein (AS 57).

2.1.6. Die Feststellung, dass die BF1 strafrechtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zur Person des BF2

2.2.1. Die Identität des BF2 steht aufgrund der - aus einer Fremdenregisterabfrage ersichtlichen - Vorlage des authentischen ukrainischen Führerscheins, ausgestellt am 02.06.1998 in XXXX , in einem vormaligen Asylverfahren in Österreich fest.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF2 sowie zu seiner ukrainischen Herkunft gründen sich im Übrigen auf seine insoweit glaubhaften Angaben in den bisherigen Befragungen sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG bzw. seinen Kenntnissen der ukrainischen und russischen Sprache. Die Feststellung über seinen Schulbesuch und seine Berufsausbildung ergeben sich ebenso aus seinen glaubhaften Angaben. Die Feststellung über seine geringen Deutschkenntnisse ist Folge seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung. Der BF2 konnte in diesem Zusammenhang zwar Deutschkursteilnahmebestätigungen bis zum Niveau B1.1, aber keine Prüfungszertifikate vorlegen.

Die Feststellung zum Geburtsort und den Wohnorten des BF2, seiner Erwerbstätigkeit, zum Ableben des Vaters und zum Aufenthalt der Mutter, zum Kontakt zu ihr, sowie zu seiner Ehe mit der BF1 und den beiden gemeinsamen Kindern BF3 und BF4 stützen sich gleichfalls auf seine glaubhaften Angaben bzw. hinsichtlich des BF4 zusätzlich auf die vorgelegte Geburtsurkunde.

2.2.2. Nicht glaubhaft war die Angabe des BF2, keine Verwandtschaft in der Ukraine zu haben und keinen Kontakt zu dieser oder zu sonstigen Freunden oder Bekannten zu haben (NSV, S. 10; AS 93).

So versuchte auch der BF2, im Laufe des Verfahrens das Ausmaß seiner Verwandtschaft zu minimieren. In der Einvernahme durch das BFA gab der BF2 dazu befragt noch an, neben seiner Mutter auch eine Großmutter in der Ukraine zu haben (AS 95). In der mündlichen Verhandlung wiederum sprach der BF2 zunächst von Verwandten (Plural), bei denen er nach der Ausreise der BF1 gewohnt habe (NSV, S. 9), um im völligen Widerspruch dazu im weiteren Verlauf der Verhandlung zu Protokoll zu geben, keine Verwandtschaft in der Ukraine zu haben (NSV, S. 10). Es besteht somit kein Zweifel, dass der BF2 über verzweigte Verwandtschaft in der Ukraine verfügt. Da der BF2 somit versuchte, die Existenz seiner Verwandtschaft weitgehend zu verschleiern und er zudem selbst angab, mit seiner Mutter in Kontakt zu stehen, ist auch davon auszugehen, dass der BF2 mit seiner Verwandtschaft in Kontakt steht oder zumindest diesen jederzeit aufnehmen könnte.

Weiters gab der BF2 in der Einvernahme durch das BFA an, nach den behaupteten fluchtauslösenden Vorfällen zunächst bei Bekannten gewohnt zu haben (AS 97). Bekannte hätten dem BF2 laut seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung in der Folge auch dabei geholfen, seine Wohnung zu verkaufen (NSV, S. 8). Vor dem Hintergrund dieser behaupteten weitreichenden Unterstützung wäre es lebensfremd anzunehmen, dass der BF2 mit diesen Bekannten nicht mehr in Kontakt stünde oder diesen zumindest nicht jederzeit aufnehmen könnte.

2.2.3. Die Feststellung über die illegale Einreise des BF2 (und der BF3) ergibt sich aus dessen glaubhaften Aussagen. Unglaubhaft war jedoch die Angabe des BF2, am 13.07.2015 eingereist zu sein (AS 11).

So gab der BF2 in der mündlichen Verhandlung an, glaublich in der XXXX in 1020 Wien gewohnt zu haben, als das Kind (gemeint: BF4) auf die Welt gekommen sei. Davor habe die Familie nur in einem kleinen Zimmer gewohnt, glaublich in 1130 Wien (NSV, S. 10). Die BF1 wiederum gab in der mündlichen Verhandlung an, die Wohnung in der XXXX gefunden zu haben, indem sie und der BF2 in der Kirche nach entsprechenden Anzeigen Ausschau gehalten hätten. Auf Vorhalt, dass der BF2 angegeben habe, im Juli 2015 ins Bundesgebiet eingereist zu sein und dies somit im Widerspruch zur seit 05.06.2015 bestehenden Meldung an jener Adresse stehe, antwortete die BF1 lediglich, dass sie sich nicht genau erinnern könne. Auf Nachfrage bejahte sie allerdings, gemeinsam mit dem BF2 nach der Wohnung Ausschau gehalten zu haben (NSV, S. 15). Auch der BF2 bestätigte im weiteren Verlauf der Verhandlung zunächst, mit der BF1 gemeinsam die Wohnung an jener Adresse gefunden zu haben. Auf oben angeführten Vorhalt gab der BF2 im Widerspruch wiederum an, dass er die Wohnung in 1200 Wien gemeint habe (NSV, S. 17).

Aufgrund dieser erheblichen Widersprüche und Ungereimtheiten kann der genaue Zeitpunkt der Einreise des BF2 - und der BF3 - nicht festgestellt werden, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie sich spätestens am 05.06.2015 bereits im Bundesgebiet befanden.

2.2.4. Die Feststellung, dass der BF2 gesund ist und an keinen schwerwiegenden Krankheiten leidet, stützt sich auf seine glaubhaften Aussagen.

2.2.5. Die Feststellung, dass der BF2 strafrechtlich unbescholten ist, beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug. Die Feststellung, dass er im Februar 2017 von der Finanzpolizei als unerlaubt beschäftigter Ausländer auf einer Baustelle angetroffen wurde, ergibt sich aus einer entsprechenden Meldung der Finanzpolizei vom 22.05.2017 (AS 45).

2.3. Zur Person der BF3 und des BF4

Die Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten, insbesondere auch der vorgelegten Geburtsurkunde des BF4.

2.4. Zum Fluchtvorbringen der BF

2.4.1. Die BF brachten zunächst vor, in der Ukraine von Mitgliedern des "Rechten Sektors" oder anderen, ähnlichen Gruppierungen bedroht worden zu sein. Dies ist aus den folgenden Gründen unglaubhaft.

Das Vorbringen der BF beschränkte sich zunächst auf eine nur oberflächliche Erzählweise. So machte der BF2 in der Einvernahme durch das BFA wie auch in der mündlichen Verhandlung von sich aus keine Angaben dazu, wann die behaupteten Vorfälle stattgefunden hätten, welche und wie viele Personen darin involviert gewesen seien oder wie die Vorfälle konkret abgelaufen seien. Auch die Angaben zu den erlittenen Verletzungen des BF2 blieben nur oberflächlich (s. insb. AS 97, 99 und 101; NSV, S. 8). Die BF1 wiederum konnte, obwohl auch sie etwa den Vorfall zu Hause erlebt habe, in der mündlichen Verhandlung trotz mehrmaliger Nachfragen noch nicht einmal im Ansatz Angaben zu diesen Ereignissen tätigen (NSV, S. 15f). Der zuletzt vorgeschobene Einwand der BF1, nicht zu wissen, wie sie das auf Russisch sagen könne (NSV, S. 16), kann nur als Schutzbehauptung angesehen werden, da sie die gesamte Verhandlung problemlos auf Russisch führen konnte, auch schon die Einvernahme durch das BFA auf Russisch geführt wurde (AS 55), sie in der Erstbefragung angab, gut Russisch zu sprechen (AS 5) und sie zudem mit Schriftsatz vom 28.10.2019 bekannt gab, die Verhandlung in Russisch führen zu können (OZ 5).

Selbst diese oberflächlichen Angaben der BF zu den behaupteten Vorfällen waren weiters von gravierenden Widersprüchen geprägt. So brachte der BF2 in der Einvernahme durch das BFA noch vor, dass er und die BF1 einmal zu Hause geschlagen worden seien und er sodann einmal in einem Park verfolgt worden sei, aber entkommen habe können (AS 97 und 101). Im Widerspruch dazu gab der BF2 in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll, dass ihm mehrmals auf der Straße und im Park aufgelauert worden sei. Weiters seien "Leute" in die Wohnung eingedrungen und hätten "Messer zum Hals gelegt". Der BF2 sei außerdem noch einige Male geschlagen worden. Seine Frau, die BF1, wisse nichts von all den Vorfällen außerhalb der gemeinsamen Wohnung, sei aber einmal "sozusagen" nach dem BF2 gefragt worden (NSV, S. 8). Die BF1 brachte wiederum in der Verhandlung vor, dass sie mit dem Umbringen bedroht worden sei, auch die BF3 bedroht worden sei, und stellte ohne weitere Erläuterungen in den Raum, dass dies nicht nur einmal passiert sei (NSV, S. 16). Bei diesen Widersprüchen handelt es sich zudem um eine erhebliche Steigerung des Fluchtvorbringens.

Auf konkrete Nachfrage gab der BF2 in der Einvernahme durch das BFA an, dass diese behaupteten Ereignisse sich im Juni und Juli 2015 zugetragen hätten. Die Nachfrage des BFA, ob er sich zu dieser Zeitangabe sicher sei, bejahte der BF2 (AS 99). Dies steht jedoch im eklatanten Widerspruch zur Ausreise der BF1 im Dezember 2014 (s. dazu auch Punkt 2.4.2.). Die BF1 wiederum war, wie erwähnt, in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, auch nur eine Jahreszahl zu den Vorfällen zu nennen (NSV, S. 15).

Auch die Angaben des BF2 zur Bedrohungssituation nach der Ausreise der BF1 waren widersprüchlich. In der Einvernahme durch das BFA mutmaßte der BF2 noch, dass sein Vater möglicherweise verstorben sei, weil "jemand" zu ihm und seiner Mutter nach Hause gekommen wäre und nach dem BF2 gefragt hätte, ohne dass seine Mutter ihm das erzählt hätte (AS 103). In der mündlichen Verhandlung dazu befragt, warum seit der Ausreise der BF1 nichts mehr passiert sei, gab der BF2 jedoch im Widerspruch dazu zunächst an, dass seine Mutter ihm am Telefon erzähle, dass immer wieder Männer kommen und nach ihm fragen würden. Auf weitere Nachfragen steigerte der BF2 sein Vorbringen sodann zum noch erheblicheren Widerspruch, dass bereits vor seiner Ausreise aus der Ukraine ständig Männer bei seiner Mutter und seiner Verwandtschaft nach ihm gefragt hätten (NSV, S. 8f).

Die Angaben des BF2 zur (Un-)Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative waren unschlüssig und nicht nachvollziehbar. Zwar gab der BF2 auf der einen Seite an, nach den behaupteten Vorfällen monatelang bei Bekannten und Verwandten gelebt zu haben, ohne dass ihm etwas passiert sei, und er sogar in dieser Zeit den Verkauf seiner Wohnung betrieben habe (AS 97 und 99; NSV, S. 9), auf der anderen Seite gab er aber wiederum zu Protokoll, nicht zu wissen, ob es möglich wäre, an einem anderen Ort in der Ukraine zu leben (AS 101). Der Einwand, dass es nicht möglich wäre, an einem anderen Ort zu leben, da es in der Ukraine ein Meldesystem gebe (AS 101), ist angesichts des Vorbringens einer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, die keinen Zugriff auf das staatliche Melderegister haben, nicht nachvollziehbar.

Ebenso ist das Vorbringen des BF2, die Polizei nicht verständigt zu haben, weil diese sich die Vorfälle nicht einmal angeschaut hätte (AS 99), nicht nachvollziehbar und anhand der Länderberichte (Punkt 1.3.) nicht objektivierbar. Der BF2 konnte nicht logisch nachvollziehbar darlegen, warum er nicht zumindest versuchte, die Polizei einzuschalten, bevor er zum äußersten Mittel der Ausreise, die zudem eine erhebliche finanzielle Belastung für ihn dargestellt habe, griff.

Letztlich konnten die BF auch keinen nachvollziehbaren Grund darlegen, warum (ausgerechnet) der BF2 derart unnachgiebig und völlig unvermittelt von Mitgliedern des "Rechten Sektors" oder einer ähnlichen Gruppierung verfolgt worden sei, um gerade ihn dazu zu bringen, sich einem Verband von Freiwilligen (!) anzuschließen.

2.4.2. Weiters brachte der BF2 vor, zeitgleich zur ukrainischen Armee einberufen worden zu sein. Auch dies ist aus den folgenden Gründen unglaubhaft.

Zunächst ist festzuhalten, dass der BF2 in der mündlichen Verhandlung kein Wehrdienstbuch vorlegen konnte, da er es in der Wohnung in XXXX zurückgelassen habe. Dies rechtfertigte der BF2 damit, dass er überhastet und in Eile geflüchtet sei (NSV, S. 5). In Anbetracht der Tatsache, dass der BF2 laut seinen Aussagen in der Einvernahme durch das BFA jedoch noch mehrere Monate nach den behaupteten Vorfällen und der Ausreise der BF1 in der Ukraine blieb und sogar den Verkauf seiner Wohnung, in der sich alle Dokumenten befunden hätten, betrieben habe (AS 91 und 99), kann dies nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Dies wird dadurch bestärkt, dass der BF2 im Laufe der mündlichen Verhandlung unterschiedliche Angaben dazu machte, warum er keine Dokumente mitgenommen habe. Führte er zunächst noch, wie erwähnt, aus, aufgrund der hastigen Flucht keine Dokumente mitgenommen zu haben (NSV, S. 5), gab er sodann widersprüchlich an, dass er etwa die Unterlagen über den Wohnungsverkauf weggeworfen habe, bzw. der Schlepper ihm gesagt habe, dass er keine Dokumente brauche, um sodann vorzubringen, dass er gar nicht wisse, was er mitnehmen hätte sollen (NSV, S. 10). Schlussendlich gab er noch als Grund an, dass er sich gar nicht mehr in der Wohnung aufgehalten habe und er einen Bekannten gebeten habe, die Wohnung zu verkaufen (NSV, S. 11), was wiederum die Frage aufwerfen würde, weshalb der BF2 nicht den Bekannten bat, die Dokumente für ihn aus der Wohnung zu holen. Dass der BF2 alle seine Dokumente in der verkauften Wohnung beließ und Fremden überließ, ist als völlig lebensfremd zu betrachten. Ebenso konnten der BF2 wie auch die BF1 trotz mehrfacher Nachfragen keine schlüssigen Angaben dazu machen, warum sie sich ihre Dokumente zwischenzeitlich nicht von Angehörigen in der Ukraine nachschicken ließen (NSV, S. 5, 6, 11, 13 und 14). Es ist daher davon auszugehen, dass der BF2 und die BF1 durch die Nichtvorlage von Dokumenten versuchen, ihre Identität oder Teile davon zu verschleiern. Dies gilt insbesondere auch für die Nichtvorlage des Wehrdienstbuches des BF2, mit dem die behaupteten Einberufungen leicht zu überprüfen gewesen wären.

Ebenso widersprach sich der BF2 dazu, ob er einen Einberufungsbefehl physisch übernommen habe. Während er in der Einvernahme durch das BFA noch angab, dass er den Einberufungsbefehl in seiner Wohnung in der Ukraine zurü

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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