Entscheidungsdatum
07.02.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I421 2200618-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA.
IRAK, vertreten durch: MigrantInnenverein St. Marx gegen den Bescheid des BFA RD NÖ Außenstelle Wr. Neustadt vom 14.06.2018, Zl. 1171641208-171201545, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.02.2020 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt l. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs.1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXXder Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.
IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine irakische Staatsbürgerin, stellte am 23.10.2017 bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes Antrag auf internationalen Schutz und wurde am gleichen Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung nach dem Asylgesetz zum Antrag auf internationalen Schutz durchgeführt (Aktenseite 13 ff.).
Bei dieser Erstbefragung am 23.10.2017 gab die Beschwerdeführerin an, aus dem Irak zu stammen, ihre Eltern seien bereits verstorben, im Irak würden zwei ihrer Schwestern leben, in Österreich würde ihr Bruder Leben, bei diesem könne sie auch Unterkunft nehmen. Zu ihren persönlichen Verhältnissen erklärte die Beschwerdeführerin, sie sei ledig, habe keine Kinder, habe einen irakischen Reisepass besessen, sie wolle in Österreich bleiben, den Irak habe sie verlassen, weil man sie bei ihrer Arbeit zwingen wollte ein Kopftuch anzuziehen und islamistischen Milizen anzugehören, im Falle ihrer Rückkehr, befürchte sie von den Milizen ermordet zu werden.
Die niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde am 3.5.2018 durchgeführt, wobei als Vertrauensperson der Beschwerdeführerin deren Bruder anwesend war (Seite 45 ff.). Bei dieser Einvernahme gab die Beschwerdeführerin an, sie habe nie einen Reisepass besessen. Sie habe den Irak schlepperunterstützt verlassen, sei nicht mit dem Flugzeug ausgereist. Sei ledig und habe keine Kinder. Sie habe bei einer Bahn-Verkehrsfirma, die zum Verkehrsministerium in Bagdad gehöre, gearbeitet und zwar mit Unterbrechungen bis zum Jahr 2016. Ihre beiden Schwestern im Irak seien verheiratet. Zu ihrem in Österreich lebenden Bruder habe sie immer Kontakt gehalten. Nunmehr würde sie auch Kontakt zu ihren Schwestern im Irak halten, die dort auch arbeiten würden, die Situation im Irak sei schlecht. Sie habe im Irak in Bagdad alleine gelebt und zwar in einer Wohnung in einem kleinen Miethaus. Sie sei auch Mitglied der kommunistischen Partei. Als Fluchtgrund gab sie an, bei ihrer Arbeit vom neuen Chef bedroht worden zu sein, dieser wollte mit alten Zügen, die eigentlich kostenfrei dem Industrieministerium übergeben werden sollten, Geld machen, sie hätte ein entsprechendes Schreiben unterfertigen sollen, das habe sie verweigert. Im August 2016 habe sie auch einen Drohbrief erhalten, weshalb sie in der Folge nicht mehr zu Arbeit ging.
Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid der belangten Behörde vom 11.6.2018 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, ihr internationalen Schutz zu gewähren sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberichtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I und II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin nicht erteilt (Spruchpunkte III), gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV, V und VI). Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde vom 5.7.2018 an das Bundesverwaltungsgericht eingebracht. In dieser Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, ihrem Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz statt zu geben.
Mit Schriftsatz vom 9.7.2018 hat die belangte Behörde den gegenständlichen Akt samt Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und gleichzeitig mitgeteilt, die belangte Behörde würde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichten.
Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 4.6.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Geschäftsabteilung I420 abgenommen und der Geschäftsabteilung I421 zugewiesen.
Am 4.2.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht Außenstelle Innsbruck die öffentliche mündliche Verhandlung über die Beschwerde statt, in dieser Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin einvernommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Eingangs wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang zu Feststellungen erhoben, abgesehen von den dort wiedergegebenen Angaben der Beschwerdeführerin.
Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin ist irakische Staatsbürgerin, ledig und kinderlos, befindet sich im 56. Lebensjahr, bekennt sich zum muslimischen Glauben, aber zu keiner bestimmten Glaubensrichtung des Islams.
Die Beschwerdeführerin leidet an keiner lebensbedrohenden Krankheit.
Die Beschwerdeführerin lebte alleinstehend in einer Mietwohnung in Bagdad, war bis zum Jahr 2016 berufstätig und ist im Herbst 2017 aus dem Irak ausgereist. Die Beschwerdeführerin verfügt über keinen Reisepass.
Die Eltern der Beschwerdeführerin sind verstorben. Im Irak leben zwei Schwestern der Beschwerdeführerin, diese sind verheiratet und berufstätig. In Österreich lebt ein Bruder der Beschwerdeführerin in Wien, gemeinsam mit seiner Familie, dieser hat Asylstatus. Ein Cousin der Beschwerdeführerin hält sich in Österreich auf und hat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, über den noch nicht rechtskräftig entschieden ist.
Im Irak besuchte die Beschwerdeführerin die Schule und im Anschluss daran die Berufsschule für Elektrotechnik. Die Beschwerdeführerin war im Irak als Sekretärin erwerbstätig und zwar als Angestellte im Transportministerium. Die Beschwerdeführerin hat alleine in Bagdad gewohnt und war auch ihre Arbeitsstelle in Bagdad (Verhandlungsprotokoll Seite 4). Dieser Berufstätigkeit ist die Beschwerdeführerin 25 Jahre lang nachgegangen, wobei sie von 1999 bis August 2003 in Syrien lebte und in der Folge, nach Rückkehr in den Irak, die Sekretärinnentätigkeit im Transportministerium wieder bis 2016 ausübte. Im August 2016 wurde die Beschwerdeführerin gekündigt, weil sie nicht mehr zur Arbeit erschienen sei (Verhandlungsprotokoll Seite 7, Aktenseite 75). Die Beschwerdeführerin lebte in der Folge weiterhin in Bagdad, wobei sie von ihren Ersparnissen und von Unterstützung ihres in Österreich lebenden Bruders gelebt hat (Verhandlungsprotokoll Seite 5).
Die Beschwerdeführerin hat die Sprachprüfung Deutsch A1 bestanden und ist für den Sprachkurs Deutsch A2 angemeldet. Die Beschwerdeführerin erbringt im Haus, in dem sie untergebracht ist, aufgrund einer mit dem XXXX geschlossenen Vereinbarung Reinigungsarbeiten. Die Beschwerdeführerin unterhält in Österreich in erster Linie privaten Kontakt zu ihrem Bruder und dessen Familie und ihrem Cousin. Die Beschwerdeführerin besucht regelmäßig das "Sprachcafé", wo sie Kontakt mit Österreichern hat, die sie in Deutsch unterrichten.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten. Die Beschwerdeführerin bezieht Grundversorgung.
Zur Ausreise und zum Fluchtgrund der Beschwerdeführerin:
Im September 2017 hat die Beschwerdeführerin den Irak verlassen und ist schlepperunterstützt und illegal in das Bundesgebiet eingereist, wo sie gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer an ihrer Arbeitsstelle von einem Vorgesetzten bedroht worden wäre, weder aufgrund ihrer behaupteten politischen Gesinnung (Kommunistin zu sein), noch aufgrund der von ihr behaupteten Verweigerung einer Unterschrift auf einem Dokument, womit ihr Vorgesetzter im Transportministerium ausrangierte Eisenbahnwaggons gegen Entgelt dem Industrieministerium überlassen wollte.
Zur Lage im Irak:
Eingangs wird auf das im bekämpften Bescheid als Feststellungen wiedergegebene Länderinformationsblatt der Staatendokumentation verwiesen.
Ergänzend dazu werden nachfolgende weitere Feststellungen getroffen.
Weibliche Familienoberhäupter, Witwen, Geschiedene, alleinstehende Frauen:
Jahre der Instabilität und des Krieges haben im Irak zu einer großen Zahl an Haushalten geführt. deren Haushaltsvorstände Frauen sind ("female-headed-households"). Laut einer Schätzung betrug die Zahl solcher Haushalte im Jahr 2011 zwischen einer und zwei Millionen (IOM 12.10.2011). Präzise Angaben existieren nicht. Die Zahlen variieren, je nach Art der Erhebung (MIGRI 22.5.2018; vgl. z.B. ICRC 8.2011). Als Witwen, Geschiedene oder von ihren Ehemännern Getrennte, versorgen diese Frauen ihre Familien alleine. Manchmal ist der Ehemann krank oder pflegebedürftig. Viele von Frauen geführte Haushalte stellen einen besonders vulnerablen Teil der irakischen Bevölkerung dar, vor allem in ländlichen Gebieten bzw. als IDPs (IOM 12.10.2011).
Zehn Prozent der irakischen Frauen sind Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien. Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.2.2018). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 20.4.2018).
Scheidung bleibt im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vgl. MIGRI 22.5.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 12.2.2018).
Laut einer Studie führt das mit einer Scheidung assoziierte gesellschaftliche Stigma dazu, dass viele Frauen in Beziehungen bleiben, in denen sie Missbrauch ausgesetzt sind, um Ablehnung bzw. die Androhung von noch größerer Gewalt durch Familienmitglieder und Mitglieder der Community zu vermeiden. In manchen Fällen ist das Stigma so groß, dass Frauen von ihren Familien gezwungen werden, zu ihren sie misshandelnden Ehemännern zurückzukehren. Geschiedene Frauen, die zu ihren Familien zurückkehren, sind aufgrund ihres Status als geschiedene Frauen oft weiteren Formen des Missbrauchs und der Stigmatisierung ausgesetzt (MRG 11.2015).
Opfern von Zwangsscheidungen wird die Rückkehr ins Elternhaus durch einen Ehrenkodex verwehrt. Bei Zwangsscheidungen handelt es sich um eine Praxis, die vor allem im Süden des Landes vorkommt. Dabei droht der Mann seiner Frau mit der Scheidung, falls ihre Familie ihm oder seiner Familie nicht mehr Geld zukommen lässt. Wenn dies nicht geschieht, muss die Frau ihren Mann und ihre Familie verlassen und bleibt als Verstoßene zurück. Die Rückkehr ins Elternhaus wird aus Ehrengründen verwehrt (USDOS 20.4.2018).
Ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten können Frauen keine Ausweisdokumente erhalten (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Gesetzgebung hindert Frauen daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 16.1.2018). Frauen können ohne Zustimmung eines männlichen Verwandten auch keinen Personalausweis bekommen, der etwa für den Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung, Bildung und Wohnen benötigt wird (USDOS 20.4.2018). Zusätzlich wird generell erwartet, dass eine Frau immer mit einem Mann reist, der als ihr Vormund agiert (Lattimer EASO 26.4.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-
stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf. Zugriff 29.8.2018
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FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq. Zugriff 10.9.2018
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ICRC - The International Committee of the Red Cross in Iraq (8.2011): Households Headed by Women in Iraq: A Case for Action, https://www.icrc.org/eng/assets/files/2011/iraq-womensurvey-2011-08-eng.pdf, Zugriff 10.9.2018
-
IOM - International Organization for Migration (12.10.2011): Iraq
-
Special Report: Female
Headed Households,
https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Full
%20Report 278.pdf, Zugriff 7.9.2018
-
Lattimer EASO (26.4.2017): Minorities and Vulnerable Groups - EASO COI Meeting Report
Iraq: Practical Cooperation Meeting, 25-26 April 2017, Brussels,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1404903/90_1501570991_easo-2017-07-iraq-meeting-
report.pdf, Zugriff 5.11.2018
-
MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde Maahanmuuttovirasto (22.5.2018): OverView of the status of women living without a safety net in Iraq,
https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf.
Zugriff 3.9.2018
-
MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq:
Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report- A4 OCTOBER-2015 WEB.pdf, Zugriff 4.9.2018
-
USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html. Zugriff 4.9.2018
2. Beweiswürdigung:
Den getroffenen Feststellungen liegen der gesamte Behördenakt sowie der Gerichtsakt zugrunde. Der erkennende Richter hat sich von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 4.2.2020 einen persönlichen Eindruck verschafft.
Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin, zu ihrem Alter, ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit ergeben sich unbedenklich aus den von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Urkunden.
Die Feststellungen zur Lebenssituation der Beschwerdeführerin im Irak bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2017 werden auf die diesbezüglich nachvollziehbaren und glaubhaften Aussagen der Beschwerdeführerin gestützt.
Die Feststellungen zur Lebenssituation der Beschwerdeführerin in Österreich, insbesondere zu ihrem Wohnsitz, zum Umstand, dass die Beschwerdeführerin Grundversorgung bezieht und strafgerichtlich unbescholten ist, ergeben sich aus den amtswegig eingeholten Strafregisterauszug, Auszug aus dem zentralen Melderegister und dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem GVS.
Die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Ausreise aus dem Irak waren widersprüchlich. Erklärte die Beschwerdeführerin doch zunächst legal mit einem Reisepass ausgereist zu sein, in ihrer späteren niederschriftlichen Einvernahme, erklärte die Beschwerdeführerin nie einen Reisepass besessen zu haben. Diesen Widerspruch konnte die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar aufklären. Wenn die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass bei der Erstbefragung von der Dolmetscherin lediglich gesagt wurde, sie solle unterschreiben und ihren Namen nennen, so ist dies völlig unglaubwürdig, zumal sich in der Niederschrift der Erstbefragung zahlreiche Details befinden, die in diese nur aufgenommen worden sein können, wenn eine entsprechende Befragung der Beschwerdeführerin stattgefunden hat. Es ist auch kein nachvollziehbarer Grund hervorgekommen, der die widersprüchlichen Angaben der Beschwerdeführerin dahingehend aufklären konnte. Der erkennende Richter geht daher davon aus, dass die Angaben der Beschwerdeführerin zur Art der Ausreise aus dem Irak nicht glaubwürdig sind.
Auch die Angaben der Beschwerdeführerin zum Grund für ihre Ausreise aus dem Irak, nämlich von ihrem Vorgesetzten bedroht worden zu sein, sind nicht glaubhaft. Dazu erklärte die Beschwerdeführerin, dass ausrangierte Eisenbahnwaggons zur Wiederverwertung vom Transportministerium kostenfrei dem Industrieministerium überlassen werden. Sie vermeint weiter, ihr Vorgesetzter wollte diese Waggons verkaufen und hätte sie eine derartige Bestätigung unterschreiben sollen, wobei sie sich geweigert habe das zu tun. Auf Nachfrage wer die Waggons kaufen hätte sollen, erklärte Beschwerdeführerin, dies sei das Industrieministerium gewesen. Es ist nun aber völlig unglaubwürdig, dass in den betroffenen Ministerien, der von der Beschwerdeführerin behauptete Usus der unentgeltlichen Überlassung von Eisenbahnwaggons zur Wiederverwertung nicht bekannt gewesen wäre, es ist daher lebensfremd und nicht nachzuvollziehen, dass der Vorgesetzte der Beschwerdeführerin, dies nunmehr entgeltlich durchführen wollte, wohl um sich selbst zu bereichern, musste diesem doch bewusst sein, dass diese den Gepflogenheiten widerspricht und daher jedenfalls entdeckt wird. Ebenso nicht glaubhaft ist, dass ein derartiger Deal durch die Unterschrift einer untergeordneten Abteilungssekretärin bestätigt werden sollte. Darüber hinaus hat sich die Beschwerdeführerin nach dieser behaupteten Bedrohung noch über ein Jahr im Irak aufgehalten, wobei sie in ihrer Wohnung in Bagdad blieb, woraus sich ableitet, dass diese Bedrohung tatsächlich nicht stattgefunden hat, jedenfalls aber nicht der Grund für die ein Jahr spätere Ausreise der Beschwerdeführerin gewesen sein kann. Der von der Beschwerdeführerin geschilderte Fluchtgrund ist daher nicht glaubhaft. Insgesamt ergibt sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin, dass die allgemein schlechten Lebensbedingungen im Irak verbunden mit den Einschränkungen und Nachteilen für eine alleinstehende Frau in Zusammenschau mit der Tatsache, dass der Bruder der Beschwerdeführerin Asylberechtigter in Österreich ist, die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau, dazu veranlasst haben, ihr Herkunftsland zu verlassen und in Österreich Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.
Die Feststellungen zur Lage von alleinstehenden Frauen im Irak ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staaten Dokumentation zur Lage im Irak. Dieses Länderinformationsblatt wurde den Verfahrensparteien gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zugestellt und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Seitens der belangten Behörde erfolgte keine Stellungnahme, seitens der Beschwerdeführerin erfolgte eine Stellungnahme, wobei diese die getroffenen Feststellungen nicht in Zweifel zieht, es konnten daher diese Ausführungen der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zum Status des Asylberichtigten:
Gemäß § 3 AsylG 2005, ist ein Flüchtling eine Person, die sich aus wohl begründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist unter Verfolgung nur ein Eingriff von erheblicher Intensität in zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Gemäß Art. 9 der Status-Richtlinie kann in diesem Sinne eine Handlung nur dann als Verfolgung gelten, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der EMRK keine Abweichung zulässig ist. Im konkreten konnte die Beschwerdeführerin im Verfahren keine Bedrohungen und keine Verfolgung, die sich gegen sie gerichtet hätte, im Sinne dieser Bestimmung glaubhaft machten, weder ihrer Art nach, noch in einer derart erheblichen Intensität, die es der Beschwerdeführerin unzumutbar machen würde, den Schutz des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen. Die Angaben der Beschwerdeführerin zur behaupteten Bedrohung durch ihren ehemaligen Chef sind unkonkret und widersprüchlich. Ebenso zur Flucht und zum Verbleib ihres Passes. Die Beschwerdeführerin hat ihr Herkunftsland vielmehr deshalb verlassen, weil sie alleinstehend ist und Kontakt zu ihrem in Österreich lebenden Bruder, der Asylstatus hat, hielt und daher nach Österreich nachgezogen ist. Eine lebensnahe und nachvollziehbare Handlung, wenn auch nicht von Asylrelevanz. Es wurde daher von der belangten Behörde ausgehend vom gegebenen Sachverhalt und auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen der Beschwerdeführerin zu Recht der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt.
Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten:
Da der Antrag der Beschwerdeführerin, ihr den Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen abgewiesen wurde, ist zu prüfen, ob ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist. Der Status der subsidiär Schutzberechtigten ist dann zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 8 AsylG 2005). Art. 2 EMRK schützt das Recht auf Leben, Art. 3 EMRK sieht vor, dass niemand der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Das sechste und das 13. Zusatzprotokolls zur EMRK regeln die Abschaffung der Todesstrafe. Die Status-Richtlinie sieht vor, dass einer Person subsidiärer Schutz dann zuzuerkennen ist, wenn stichhaltige Gründe vorliegen, dass diese Person bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre einen ernsthaften Schaden im Sinne Art. 15 der Status-Richtlinie zu erleiden. Art. 15 der Status-Richtlinie qualifiziert als ernsthaften Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der betroffenen Person als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes. Aufgrund des gegebenen Sachverhaltes ist eine derartige Bedrohung der Beschwerdeführerin nicht gegeben.
Die Beschwerdeführerin ist eine Frau mittleren Alters, im Wesentlichen gesund, sie leidet aber unter depressiven Verstimmungen und ist in ärztlicher Behandlung wegen Problemen mit ihrer Schilddrüsenfunktion (vorliegende Befunde und PV).
Im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Irak, wird diese auf keine grundlegende familiäre Unterstützung zurückgreifen können, zumal keine Kernfamilie gegeben ist und ihre beiden Schwestern verheiratet und in den Familienverbänden deren Ehegatten eingebunden sind. Über männliche Verwandtschaft im Irak verfügt die Beschwerdeführerin nicht, die Beschwerdeführerin verfügt auch nicht über weitergehende Sozialkontakte. Der erkennende Richter geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin, die auch in Österreich lieber allein lebt, auch im Irak allein gelebt hat und dort auch über keine verzweigten tragfähigen Sozialkontakte verfügt. Wie sich aus den Länderfeststellungen entnehmen ist, ist die Lage für Frauen im Irak generell problematisch, umso mehr für alleinstehende bzw. geschiedene Frauen.
Die Beschwerdeführerin wird im Fall der Rückkehr nicht in der Lage sein, die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, wie Wohnung, Kleidung und Nahrung, zu decken. Die Beschwerdeführerin wird nämlich vor dem Hintergrund der schlechten Wirtschaftslage und des angespannten Arbeitsmarktes im Irak unter Berücksichtigung ihres Alters und der Tatsache, über keine männlichen Verwandten im Irak zu verfügen, keine entsprechende Arbeit finden, um aus deren Einkommen die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz abzudecken. Die Beschwerdeführerin hat zwar zwei verheiratete Schwestern im Irak, diese leben aber im Familienverband deren Ehegatten und kann daher auch von dieser Seite nicht mit einer entsprechenden Unterstützung für die Beschwerdeführerin gerechnet werden. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine alleinstehende Frau handelt, steht dieser auch keine adäquate innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal wie ausgeführt, die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sein wird ihre Grundbedürfnisse in Bagdad abzudecken, was ihr in anderen Landesteilen des Iraks noch weniger möglich wäre. Folglich kann daher im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der die Beschwerdeführerin betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie im Fall der Rückkehr in den Irak einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin und der derzeit im Irak vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Aufgrund der kumulativ konkret gegeben Lebensumstände der Beschwerdeführerinder sind die Voraussetzungen gegebenen, der Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen (vgl. Ra 2019/20/0347).
Da somit im Irak für die Beschwerdeführerin die reale Gefahr einer existenzbedrohenden Situation besteht, war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der belangten Behörde oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden von der belangten Behörde für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Folglich war der Beschwerdeführerin die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.
Dies hat wiederum zwingend zur Folge, dass die weiteren Spruchpunkte des bekämpften Bescheides (III bis VI) ersatzlos zu beheben waren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Abschiebung, Asylantragstellung, asylrechtlich relevante Verfolgung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I421.2200618.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.05.2020