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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art8Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens hinsichtlich der Aufenthaltsbeendigung betreffend einen seit 20 Jahren in Österreich aufhältigen nigerianischen Staatsangehörigen und zehnjährige Dauer des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz und Erlassung der RückkehrentscheidungRechtssatz
Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verkennt, dass im Fall eines seit zwanzig Jahren bestehenden Aufenthaltes im Bundesgebiet eine Aufenthaltsbeendigung nur ausnahmsweise, bei Vorliegen besonderer Gründe im Lichte des Art8 EMRK gerechtfertigt ist. Solche, das persönliche Interesse des - strafrechtlich unbescholtenen - Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegende, Umstände hat das BVwG nicht dargetan und sind auch für den VfGH nicht ersichtlich.
Das BVwG spricht dem Beschwerdeführer Integrationsbemühungen unter Verweis auf die "Aktenlage" und den in den mündlichen Verhandlungen gewonnenen persönlichen Eindruck ab. Soweit sich das BVwG damit auf die - laut BVwG der Aufenthaltsdauer nicht angemessenen - Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers bezieht, ist diese Beurteilung nicht nachvollziehbar: Aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 05.01.2017 folgt, dass der Beschwerdeführer auch Deutsch gesprochen hat. Die Übersetzung durch die anwesende Dolmetscherin erfolgte demnach auf Wunsch des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers mit der Begründung, die Einvernahme betreffe nicht nur Angelegenheiten des Alltages und es ließe sich hiedurch die Verhandlungsdauer verkürzen. Aus der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung am 12.08.2019 folgt, dass die Einvernahme des Beschwerdeführers im Wesentlichen auf Deutsch abgehalten werden konnte. Dass die Kommunikation mit dem Beschwerdeführer auf Deutsch "nur schleppend" möglich gewesen sei und er immer wieder englische Begriffe verwendet habe, vermag eine unzureichende Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher Hinsicht nicht zu begründen.
Das BVwG führt zwar zu Recht gegen das Gewicht des persönlichen Interesses des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet ins Treffen, dass er bei seinem Erstantrag auf internationalen Schutz im Jahr 1999 eine falsche Angabe betreffend seinen Herkunftsstaat machte und ihm im Hinblick auf diesen Antrag sein unsicherer Aufenthalt bewusst gewesen hätte sein müssen. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass nach der behördlichen Entscheidung über den Zweitantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sechs Jahre bis zur ersten Entscheidung des BVwG bzw zehn Jahre bis zur gegenständlichen zweiten Entscheidung des BVwG verstrichen sind. Es liegt in der Verantwortung des Staates, die Voraussetzungen zu schaffen, um Verfahren so effizient führen zu können, dass nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung - ohne Vorliegen außergewöhnlich komplexer Rechtsfragen und ohne, dass dem Beschwerdeführer die lange Dauer des zweiten Asylverfahrens anzulasten wäre - wie hier insgesamt zehn Jahre vergehen. Es musste daher der Umstand, dass nach der behördlichen Entscheidung über den Zweitantrag des Beschwerdeführers bis zur Entscheidung des BVwG über die Rückkehrentscheidung zehn Jahre vergangen sind, den Beschwerdeführer nicht dazu veranlassen, von einem unsicheren Aufenthaltsstatus auszugehen; vielmehr durfte die lange Verfahrensdauer die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer abweisenden Entscheidung zu rechnen sei.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Asylrecht, Privat- und Familienleben, Rückkehrentscheidung, Verfahrensdauer überlangeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E4087.2019Zuletzt aktualisiert am
30.04.2020