TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/22 97/01/0255

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Veröffentlicht am 22.04.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §7 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Sejfi Bachinger (geborener Morina) in Salzburg, geboren am 5. März 1968, vertreten durch Dr. Friedrich Gehmacher und Dr. Helmut Hüttinger, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Alter Markt 7/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Jänner 1997, Zl. 4.334.730/12-III/13/97, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein albanisch-stämmiger Staatsangehöriger der "Jugoslawischen Föderation", reiste am 16. Februar 1992 über Slowenien in das Bundesgebiet ein und beantragte in der Folge am 19. Februar 1992 die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund machte er im wesentlichen geltend, daß er nach Erhalt einer Verständigung, wonach er als Reservist in den Krieg einrücken müsse, im Februar 1992 untergetaucht sei; er wolle nicht in den Krieg ziehen, da er niemanden töten wolle und diese Art von Krieg unter Landsleuten verabscheue; er lehne jede Art von Gewalt ab und müsse im Falle seiner Rückkehr mit einer Gefängnisstrafe oder der Todesstrafe rechnen.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg stellte mit Bescheid vom 1. September 1992 fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) und daher gemäß § 7 Abs. 1 nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei; er sei "eindeutig als Militärflüchtling einzustufen", weshalb die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention nicht auf ihn angewendet werden könnten.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 9. Mai 1994 mit der Begründung ab, daß der Beschwerdeführer in Slowenien Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe. Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0523, diesen Bescheid wegen verfehlter Anwendung des Asylgesetzes 1991 auf. Auf dem Boden der von der belangten Behörde anzuwendenden Rechtslage nach dem Asylgesetz (1968) hätte sie vom Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 nicht Gebrauch machen dürfen.

Im fortgesetzten Verfahren räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zuletzt mit Schreiben vom 16. Dezember 1996 Parteiengehör zur Änderung der Verhältnisse in seinem Heimatland ein. Sie hielt dem Beschwerdeführer vor, daß per 22. Juni 1996 ein Amnestiegesetz in Kraft getreten sei; demzufolge würden Personen, die bis 14. Dezember 1995 Straftaten begangen haben, indem sie ihre Einberufung in die Armee vermieden haben oder aus der jugoslawischen Armee desertiert sind, von strafrechtlicher Verfolgung und von der Ableistung einer Strafe - unter Streichung der Verurteilung - befreit. Soferne bisher kein strafrechtliches Verfahren eingeleitet worden sei, werde ein derartiges auch nicht mehr eingeleitet. Bereits anhängige strafrechtliche Verfahren würden eingestellt; bereits Verurteilten werde die Strafe erlassen bzw. würden sie unverzüglich aus dem Gefängnis entlassen.

In seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 1996 wendete der Beschwerdeführer hiegegen im wesentlichen ein, daß das von der Behörde erwähnte Amnestiegesetz auf ihn nicht anwendbar sei. Im übrigen sei keinerlei Gewähr dafür geboten, daß es in der Praxis auch tatsächlich umgesetzt werde. Ergänzend führte er hiezu per 15. Jänner 1997 unter Vorlage einer Mitteilung der Caritas Österreich vom 7. Jänner 1997 aus, daß die Realität von den im Amnestiegesetz ausgedrückten Regelungen erheblich abweiche. Es seien bereits etliche Fälle dokumentiert und belegt, die sich nach Verabschiedung des Gesetzes bis Mitte Oktober 1996 zugetragen hätten und die bewiesen, daß das Amnestiegesetz von den serbischen Behörden im Kosovo für Kosovo-Albaner nicht beachtet werde. Tatsächlich könne daher nicht von einer Änderung der Verhältnisse ausgegangen werden, sodaß er - der Beschwerdeführer - nach wie vor mit asylrechtlich relevanten Sanktionen in seiner ehemaligen Heimat zu rechnen habe. In der besagten Mitteilung der Caritas Österreich sind verschiedene Einzelfälle dargestellt, in denen Kosovo-Albaner nach dem 22. Juni 1996 wegen Desertion oder "Refraktion" verhaftet und der Militärpolizei vorgeführt worden sind oder in denen sie aus diesen Gründen Vorladungen des Militärgerichtes erhalten haben.

Mit Bescheid vom 24. Jänner 1997 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich ab und sprach aus, daß dieser nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei. Es sei ihm im gesamten Verwaltungsverfahren nicht möglich gewesen darzutun, daß ihm mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus Konventionsgründen drohe. Im besonderen wurde dabei auf das dem Beschwerdeführer vorgehaltene Amnestiegesetz hingewiesen, demzufolge er auf Grund der von ihm im Februar 1992 gesetzten Tat der Refraktion keinerlei strafrechtliche Verfolgung zu befürchten habe. In seiner Heimat gelte das Recht ohne Rücksicht auf die Volkszugehörigkeit des Adressatenkreises. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, glaubhaft zu machen, warum gerade er nicht in den Genuß des Amnestiegesetzes kommen sollte. Die zur Unterstützung der Auffassung, das Amnestiegesetz würde von den serbischen Behörden im Kosovo nicht beachtet, zitierten Beispiele seien einerseits nicht genau dokumentiert, weshalb keine Gründe für von den Behörden eingeleitete Schritte abgeleitet werden könnten, die den Schluß zuließen, das Amnestiegesetz würde keine entsprechende Umsetzung durch die Behörden erfahren; andererseits ließen diese Fälle auch keinen Rückschluß auf den konkreten Fall des Beschwerdeführers zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zutreffend weist der Beschwerdeführer auf seine ergänzende Stellungnahme vom 15. Jänner 1997 hin. Darin hat er ausdrücklich, unter Vorlage einer Mitteilung der Caritas Österreich vom 7. Jänner 1997, ausgeführt, daß die Realität von den im Amnestiegesetz ausgedrückten Regelungen erheblich abweiche; es seien bereits etliche Fälle dokumentiert und belegt, die sich nach Verabschiedung des Gesetzes bis Mitte Oktober 1996 zugetragen hätten und die bewiesen, daß das Amnestiegesetz von den serbischen Behörden im Kosovo für Kosovo-Albaner nicht beachtet werde. Damit hat er im Sinne des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A, eine asylrechtlich relevante Verfolgung geltend gemacht. Nach den in diesem Erkenntnis aufgestellten Grundsätzen stellt die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes zwar grundsätzlich keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar, ebensowenig wie eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung. Allerdings kann die Furcht, wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung bestraft zu werden, dann asylrechtlich relevant sein, wenn Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung, die Behandlung während des Militärdienstes oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion sei infolge eines der in Art. I Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe für den Beschwerdeführer ungünstiger als für Angehörige anderer Gruppierungen erfolgt bzw. zu befürchten (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0870, m.w.N.).

Indem der Beschwerdeführer in seiner erwähnten ergänzenden Stellungnahme behauptete, daß das Amnestiegesetz von den serbischen Behörden im Kosovo für Kosovo-Albaner nicht beachtet werde, und indem er daraus seine Flüchtlingseigenschaft ableitete, brachte er in diesem Sinne eine auf seiner Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Albaner beruhende aktuelle Verfolgungsgefahr - durch gesetzwidrige strafgerichtliche Verfolgung - zur Darstellung. Richtig ist in der Beschwerde in diesem Zusammenhang davon die Rede, daß im Verwaltungsverfahren ein Zusammenhang zwischen der Nichtanwendung des Amnestiegesetzes und der ethnischen Zugehörigkeit zur Gruppe der Kosovo-Albaner aufgezeigt wurde. Richtig ist aber auch, daß der im angefochtenen Bescheid verworfenen Mitteilung der Caritas Österreich vom 7. Jänner 1997 entnommen werden kann, daß zumindest in einigen der darin aufgezeigten Fälle von den jugoslawischen Behörden dem am 22. Juni 1996 in Kraft getretenen Amnestiegesetz widersprechende Maßnahmen gesetzt wurden. Davon ausgehend ist es jedoch nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde ohne weiteres Ermittlungsverfahren zu der Ansicht gelangen konnte, daß der Beschwerdeführer auf Grund der von ihm im Februar des Jahres 1992 gesetzten Tat der Refraktion keinerlei strafrechtliche Verfolgung - ungeachtet seiner Eigenschaft als Angehöriger der albanischen Volksgruppe - zu befürchten habe. Im Ergebnis hat die belangte Behörde damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, sodaß dieser infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war. Ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeausführungen erübrigt sich bei diesem Ergebnis.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da die erhobene Beschwerde bloß in zweifacher Ausfertigung vorzulegen war, sind an Stempelgebühren nur S 360,-- zu ersetzen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010255.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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