TE Lvwg Erkenntnis 2020/4/15 LVwG-340-4/2020-R18

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Veröffentlicht am 15.04.2020
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Entscheidungsdatum

15.04.2020

Norm

MSG Vlbg 2010 §8 Abs3
MSV Vlbg 2010 §9 Abs4 litd
StVG §54 Abs2
StVG §54 Abs5

Text

Im Namen der Republik!

Erkenntnis

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Dr. Magdalena Honsig-Erlenburg über die Beschwerde des M S, F, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft F vom 23.01.2020, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:

Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Spruch wie folgt zu lauten hat:

„Herrn M S wird vom 16.01.2020 bis 25.02.2020 nachstehende Mindestsicherung bewilligt:

1. Miet- und Verpflegskosten im K G nach Verpflegskostensatz vom 16.01.2020 bis 25.02.2020.

2. Betreuungskosten im K G vom 16.01.2020 bis 25.02.2020.

3. Monatliches Taschengeld, vom 16.01.2020 bis 25.02.2020, im Ausmaß von 22 % des Mindestsicherungssatzes für alleinstehende und alleinerziehende Personen, somit derzeit € 147,56, soweit Herr M S kein eigenes Einkommen hat.

Falls Herr M S ein Erwerbseinkommen, eine Leistung des AMS, ausgenommen einen Pensionsvorschuss, oder Krankengeld bezieht, muss er monatlich 50 % des € 150,00 übersteigenden Betrages als Selbstkostenbeitrag an das K G einzahlen.

Beim Bezug eines Pensionsvorschusses beträgt der Selbstkostenbeitrag 100 % des Pensionsvorschusses abzüglich eines Betrages in der Höhe des monatlichen Taschengeldes.

Beim Bezug eines Rehabilitationsgeldes oder eines Umschulungsgeldes beträgt der Selbstkostenbeitrag 80 % des Rehabilitationsgeldes bzw des Umschulungsgeldes, wobei mindestens ein Betrag in Höhe des monatlichen Taschengeldes außer Absatz bleibt.

Rechtsgrundlage: § 5 Abs 3 und § 8 des Mindestsicherungsgesetzes

                           § 1 Abs 3, § 5 Abs 1 und 4 sowie § 9 der Mindestsicherungsverordnung“

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

Begründung

1.   Mit angefochtenem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer vom 16.01.2020 bis 31.01.2021 Mindestsicherung in folgendem Ausmaß gewährt:

     „1. Miet- und Verpflegskosten im K G nach Verpflegskostensatz ab 01.02.2020.

     2. Betreuungskosten im K G ab 16.01.2020.

3. Monatliches Taschengeld, ab 01.02.2020, im Ausmaß von 22 % des Mindestsicherungssatzes für alleinstehende und alleinerziehende Personen, somit derzeit € 147,56, soweit Herr M S kein eigenes Einkommen hat.“

Zudem wurde ausgesprochen, dass, falls der Beschwerdeführer ein Erwerbseinkommen, eine Leistung des AMS, ausgenommen einen Pensionsvorschuss, oder Krankengeld bezieht, er monatlich 50 % des 150 Euro übersteigenden Betrages als Selbstkostenbeitrag an das K G einzahlen muss.

2.   Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde erhoben. In dieser bringt er im Wesentlichen vor, dass er eine 15-monatige Haftstrafe in der Justizanstalt S, Schweiz, verbüßt habe. Am 16.01.2020 sei er nach der Verbüßung von zwei Dritteln bedingt entlassen worden und lebe seither im K G. Er habe Haftentlassungsgeld in der Höhe von 3.121,30 Schweizer Franken erhalten, welches er sich während der Haft als „Rücklage“ angespart habe. Die angesparte Geldsumme liege unter dem Vermögensfreibetrag von 4.200 Euro. Da im angefochtenen Bescheid das Haftentlassungsgeld als Einkommen und nicht als Vermögen gewertet werde, habe er vom 16.01.2020 bis 31.01.2020 die Miet- und Verpflegskosten selbst bezahlen müssen. Es sei ihm für den halben Monat Januar eine Rechnung von 520,26 Euro gestellt worden. Zudem erhalte er das monatliche Taschengeld erst ab dem 01.02.2020 und nicht ab dem 16.01.2020. Im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (unter Verweis auf die Entscheidung des VwGH vom 28.05.2019, Ro 2018/10/0033) sei das Haftentlassungsgeld als eine Leistung aus dem nicht zu verwertenden Vermögen zu qualifizieren und nicht als Einkommen zu betrachten. Zum Zeitpunkt des Ansuchens um Mindestsicherung habe er kein Einkommen, sondern lediglich Ersparnisse des Haftentlassungsgeldes gehabt.

3.   Folgender Sachverhalt steht fest:

3.1. Der Beschwerdeführer beantragte mit Ansuchen vom 16.01.2020 Mindestsicherung. Er suchte um die Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten ab 16.01.2020 bis 30.01.2021 im K G sowie um sofortigen Schutz bei Krankheit an.

Mit angefochtenem Bescheid bewilligte die Behörde dem Beschwerdeführer Mindestsicherung und übernahm die Miet- und Verpflegskosten ab 01.02.2020 sowie die Betreuungskosten ab 16.01.2020 im K. Zudem wurde dem Beschwerdeführer Taschengeld im Ausmaß von 22 % des Mindestsicherungssatzes für alleinstehende und alleinerziehende Personen ab 01.02.2020 gewährt und ein Eigenerlag vorgeschrieben. Dass die Miet- und Verpflegskosten bzw das Taschengeld erst ab 01.02.2020 zu bewilligen seien, wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer über Haftentlassungsgeld in Höhe von 3.121,30 Schweizer Franken in bar verfüge.

Der Beschwerdeführer befand sich von 06.11.2018 bis 16.01.2020 in der Schweiz im Strafvollzug. Während seines Haftaufenthaltes in der Haftanstalt S in der Schweiz erhielt er gesamt eine Summe in Höhe von 3.121,30 Schweizer Franken als Arbeitsvergütung für Arbeitsleistungen in der Haftanstalt. Während der Haft war eine monatliche Auszahlung an den Beschwerdeführer nicht möglich, da hierzu ein Schweizer Bankkonto, über welches der Beschwerdeführer nicht verfügte, notwendig gewesen wäre. Bei seiner Entlassung aus der Haft am 16.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer seitens der Haftanstalt ein Haftentlassungsgeld in Höhe von 3.121,30 Schweizer Franken in bar ausbezahlt.

Der Beschwerdeführer war in dem Zeitraum von 16.01.2020 bis 25.02.2020 im K G untergebracht. Das K ist eine stationäre Einrichtung, aber keine stationäre Pflegeeinrichtung.

3.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.03.2020 wurde dem Beschwerdeführer nunmehr aufgrund seines Antrages vom 03.03.2020 für den Monat März 2020 Mindestsicherung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 505,73 Euro bzw des Wohnbedarfes in der Höhe von 380,00 Euro gewährt. Zudem wurde ihm mit Bescheid der belangten Behörde vom 06.03.2020 für März 2020 Mindestsicherung in Form einer Überbrückungshilfe in Höhe von 100,00 Euro bewilligt. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 31.03.2020 wurde dem Beschwerdeführer für die Monate April und Mai 2020 jeweils Mindestsicherung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 605,73 Euro bzw des Wohnbedarfes in der Höhe von 380,00 Euro gewährt.

4.   Dieser Sachverhalt wird auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, insbesondere auf Grund der Aktenlage, als erwiesen angenommen.

Dass der Beschwerdeführer von 16.01.2020 bis 25.02.2020 im K gemeldet war, ergibt sich aus einem aktuellen Auszug des Zentralen Melderegisters vom 08.04.2020.

5.1. Die im Beschwerdefall (hinsichtlich der Berechnung der Mindestsicherung im Jahr 2020) maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes über die Mindestsicherung (MSG) lauten auszugs-weise:

㤠5

                                             Kernleistungen
 (Lebensunterhalt, Wohnbedarf, Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und

Entbin dung sowie Bestattungskosten)

[LGBl.Nr. 64/2010, zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 37/2017]

(1) Der ausreichende Lebensunterhalt umfasst den Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Energie und andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe; weiters umfasst er den Aufwand für den Wohnbedarf (Abs. 2), soweit dieser einen mit Verordnung nach § 8 Abs. 8 zweiter Satz pauschalierten Höchstsatz für den Wohnbedarf übersteigt.

(2) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

(3) Bei Hilfsbedürftigen, die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind, weil sie nur dort ihre Bedürfnisse nach Abs. 1 und 2 stillen können, umfassen der Lebensunterhalt und der Wohnbedarf jedenfalls auch den Aufwand für die dort anfallenden Unterkunfts- und Verpflegskosten.

[…]

§ 8

Form und Ausmaß der Mindestsicherung

[LGBl.Nr. 64/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 17/2018]

(1) Mindestsicherung wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen gewährt. Eine Geldleistung an einen Hilfsbedürftigen kann auch durch Zahlung an diejenige Person erbracht werden, der gegenüber der Hilfsbedürftige zwecks Bedarfsdeckung eine Leistung in Anspruch nimmt oder nehmen kann, wenn dadurch der Erfolg der Mindestsicherung besser gewährleistet erscheint; weiters kann eine Geldleistung an einen Hilfsbedürftigen, der nach § 5 Abs. 3 in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, durch Zahlung an den Rechtsträger der stationären Einrichtung erbracht werden. Geldleistungen können im Falle des § 6 und des Abs. 4 auch als Darlehen gewährt werden. Anstelle von Geldleistungen können Sachleistungen gewährt werden, wenn dadurch der Erfolg der Mindestsicherung besser gewährleistet erscheint. Das Ausmaß der Mindestsicherungsleistung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen.

[…]

(3) Die eigenen Mittel, wozu das gesamte Vermögen und Einkommen gehört, dürfen bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit nicht berücksichtigt werden, als dies mit der Aufgabe der Mindestsicherung unvereinbar wäre oder für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde. Kleinere Einkommen und Vermögen, insbesondere solche, die der Berufsausübung dienen, sind nicht zu berücksichtigen. Bei der Gewährung von Sonderleistungen (Hilfe in besonderen Lebenslagen) ist überdies darauf Bedacht zu nehmen, dass eine angemessene Lebensführung und die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung nicht wesentlich erschwert werden. Bei Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen untergebracht sind, ist das Vermögen überhaupt nicht zu berücksichtigen.

(4) Nach Abs. 3 zu berücksichtigendes Vermögen ist einer unmittelbaren Verwertung dann nicht zuzuführen, wenn dies für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde oder die Verwertung des Vermögens unwirtschaftlich wäre oder nicht möglich ist.

[…]

(7) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften über die Arten, die Form und das Ausmaß der Mindestsicherung zu erlassen; weiters darüber, inwieweit das Vermögen und das Einkommen nicht zu berücksichtigen sind. Schließlich sind nähere Vorschriften über die Arten der in Betracht kommenden integrationsfördernden Maßnahmen sowie über die Inhalte der Integrationsvereinbarung zu treffen.

[…]“

5.2. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Landesregierung über die Gewährung von Mindestsicherung (Mindestsicherungsverordnung - MSV) lauten auszugsweise:

Ҥ 1

Lebensunterhalt und Wohnbedarf

[LGBl.Nr. 71/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 40/2017]

[…]

(3) Zum Lebensunterhalt und Wohnbedarf in einer stationären Einrichtung (stationäre Mindestsicherung) zählen neben dem Taschengeld (§ 6 Abs. 3) jedenfalls auch der Aufwand für die dort anfallenden Unterkunfts- und Verpflegskosten.

[…]

§ 5

Form der Mindestsicherung

[LGBl.Nr. 71/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 40/2017]

(1) Die Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten in einer stationären Einrichtung hat nur dann zu erfolgen, wenn diese Form der Hilfe aufgrund des körperlichen oder geistigen Zustandes der hilfsbedürftigen Person erforderlich ist oder dadurch eine Verwahrlosung verhindert werden kann.

[…]

(4) Geldleistungen können durch Sachleistungen ersetzt sowie durch Zahlungen an Dritte ausbezahlt werden, wenn dadurch der Erfolg der Mindestsicherung besser gewährleistet erscheint. Eine solche Vorgangsweise ist insbesondere dann zweckmäßig, wenn die hilfsbedürftige Person ihr Einkommen und Vermögen nicht zur Deckung ihres Lebensunterhalts und Wohnbedarfs oder bisherige Leistungen der Mindestsicherung nicht zweckentsprechend eingesetzt hat. An eine hilfsbedürftige Person, die in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, kann die Geldleistung auch durch Zahlung an den Rechtsträger der stationären Einrichtung erbracht werden.

§ 6

                                             Deckung des Lebensunterhalts

                           [LGBl.Nr. 71/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 89/2018]

[…]

(3) Im Falle eines Aufenthaltes in einer Kranken- oder Kuranstalt, in einer stationären Therapieeinrichtung, in einem Heim oder in einer vergleichbaren Einrichtung, wird die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes zur Abdeckung kleinerer persönlicher Bedürfnisse durch ein monatliches Taschengeld für volljährige Personen in Höhe von 22 v.H. des gemäß Abs. 1 lit. a Z. 1 vorgesehenen Mindestsicherungssatzes, für mündige Minderjährige in Höhe von 60 v.H. und für unmündige Minderjährige in Höhe von 30 v.H. des Taschengeldbetrages für volljährige Personen gewährt, soweit ein solches nicht durch andere Einkünfte oder Ansprüche gesichert ist.

[…]

§ 9
Berücksichtigung von eigenen Mitteln
sowie Leistungen Dritter

[LGBl.Nr. 71/2010 zuletzt geändert durch LGBl.Nr. 105/2017]

(1) Nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6 sind bei der Ermittlung des Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung

     […]

b) außerhalb von stationären Einrichtungen in einer Wohngemeinschaft sowie in einer stationären Einrichtung die Einkünfte und das Vermögen der hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter,

c) in einer stationären Pflegeeinrichtung die Einkünfte der hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden Leistungen Dritter

zu berücksichtigen.

(2) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen folgende Einkünfte nicht berücksichtigt werden:

[…]

(4) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen Vermögen nicht berücksichtigt werden, wenn durch deren Verwertung eine Notlage erst ausgelöst, verlängert oder deren Überwindung gefährdet werden könnte. Dies gilt für

[…]

d)

Ersparnisse bis zum Betrag von Euro 4.200 im Rahmen der Deckung des Lebensunterhalts (§ 6 Abs. 1 und 2) oder Wohnbedarfs (§ 7) außerhalb einer stationären Einrichtung, dies jedoch nur dann, wenn es sich nicht um die Gewährung von Sonderbedarfen handelt,

[…]“

6.   Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob das Haftentlassungsgeld bei der Bemessung des Mindestsicherungsanspruches als Einkommen zu berücksichtigen ist, oder ob es als Vermögen dem Mindestsicherungswerber verbleiben muss.

Die Behörde ist im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass ein Haftentlassungsgeld aufgrund der Qualifikation als Einkommen bei der Bemessung des Mindestsicherungsanspruches zu berücksichtigen ist. Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Meinung, dass das Haftentlassungsgeld als Vermögen frei bleiben müsse.

Im Zusammenhang mit dem Subsidiäritätsprinzip, dem der Anspruch auf Gewährung von Mindestsicherung gegenüber dem Einsatz eigener Mittel unterliegt, definiert § 8 Abs 3 MSG lediglich, dass zu den eigenen Mitteln das gesamte Vermögen und das Einkommen gehört. Der Einkommens- bzw Vermögensbegriff ist nicht näher definiert. Vielmehr werden in § 9 MSV mehrere Ausschlusstatbestände in Bezug auf Einkünfte (Abs 2) bzw in Bezug auf Vermögen (Abs 4) angeführt. Auf Basis dieser Normen ist die Zuordnung eines Haftentlassungsgeldes nicht zweifelsfrei möglich.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH wird als Einkommen bezeichnet, was dem Bezieher tatsächlich zufließt und ihm zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung steht (VwGH 03.10.2018, Ro 2018/12/0014; VwGH 21.01.2015, Ro 2014/10/0027). Ersparnisse sind dagegen als Vermögen zu behandeln. Dabei ist es nicht maßgeblich, aus welchen Quellen Ersparnisse gebildet wurden. Auch dann, wenn die Ersparnisse aus Einkommensteilen gebildet worden sind, die bei der Gewährung von Sozialhilfe außer Ansatz zu bleiben haben, sind die Ersparnisse als Vermögen des Betreffenden zu behandeln (vgl VwGH 29.01.2009, 2006 10/0060).

Nach dem Zuflussprinzip ist für die Frage, ob Geld oder Geldeswert dem Einkommen oder dem Vermögen zuzurechnen ist, der Zeitpunkt des Zuflusses an den Empfänger entscheidend. Im Zuflussmonat stellen die Einkünfte Einkommen dar. Der im Zuflussmonat nicht verbrauchte Teil der Einkünfte wächst dem Vermögen zu (vgl VwGH 25.05.2018, Ra 2017/10/0135). Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Arten eigener Mittel, nämlich von Einkommen und Vermögen, besteht daher lediglich darin, dass es sich beim Einkommen um laufende, aber nicht unbedingt regelmäßige Einnahmen in Geld handelt, beim Vermögen hingegen um (im jeweiligen Zeitraum) bereits vorhandene Werte, mögen sie auch aus dem Überschuss nicht verbrauchten Einkommens entstanden sein (vgl VwGH 28.02.2018, Ra 2016/10/0055; VwGH 30.09.1994, 93/08/0001).

Zudem führen die Materialien (Beilage 75/2010 zu den Sitzungsberichten des XXIX. Vorarlberger Landtages) zu Art 13 der Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung (Mindestsicherungsvereinbarung), LGBl Nr 62/2010, die auch im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.05.2019, Ro 2018/10/0033, zitiert werden, Nachstehendes aus: „Der in jedem Fall, also auch im Rahmen einer Verwertung zu gewährleistende Vermögensfreibetrag nach Z. 4 und Z. 5 bringt dagegen eine Neuerung für einige Länder. Aus dieser Ausnahme, die natürlich etwa im Hinblick auf unterschiedliche Familienkonstellationen großzügiger gefasst werden kann (Art. 2 Abs. 4), darf jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass weitergehende Ersparnisse (z.B. für eine Altersvorsorge) jederzeit verwertbar sind. Dies wird nicht zuletzt davon abhängen, wie lange und/oder in welchem Ausmaß Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bezogen werden. Auch das Entlassungsgeld nach dem Strafvollzugsgesetz wird wohl angesichts des Vermögensfreibetrages als nicht zu verwertendes Vermögen anzusehen sein.

Im verfahrensgegenständlichen Fall ist dem Beschwerdeführer der Geldwert des Haftentlassungsgeldes im Zuge seines Haftaufenthaltes (im Zeitraum vom 06.11.2018 bis 16.01.2020) zugeflossen, und hat dieser die gesamte Geldsumme in den Zuflussmonaten während seiner Haft nicht verbraucht, sodass die gesamte Summe des Haftentlassungsgeldes dem Vermögen zugewachsen ist. Aufgrund der dargelegten Gründe ist das Haftentlassungsgeld daher als Vermögen in Form von Ersparnissen zu qualifizieren und kann – entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nicht als bedarfsminderndes Einkommen berücksichtigt werden.

Nachdem das Haftentlassungsgeld gemäß § 54 Abs 2 und 5 Strafvollzuggesetz (StVG) grundsätzlich auch der Vorsorge für den Lebensunterhalt in der ersten Zeit nach der Entlassung dient, ist anzunehmen, dass durch die Verwertung dieses Vermögens eine Überwindung einer Notlage gefährdet werden könnte. Das Haftentlassungsgeld in Höhe von 3.121,30 Schweizer Franken (entspricht ca 2962,07 Euro) überschreitet zudem gegenständlich nicht den Vermögensfreibetrag von 4.200 Euro gemäß § 9 Abs 4 lit d MSV und war daher bei der Berechnung der Mindestsicherung als nicht der Verwertungspflicht unterliegendes Vermögen nicht zu berücksichtigen.

Folglich besteht der Anspruch des Beschwerdeführers auf Miet- und Verpflegskosten bzw auf monatliches Taschengeld im Zuge der Unterbringung im K G im gegenständlich maßgeblichen Bedarfszeitraum (dh für den gesamten Zeitraum der Unterbringung) bereits ab 16.01.2020, anstatt ab 01.02.2020, bis einschließlich 25.02.2020.

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

7.   Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde von keiner Partei beantragt. Zudem hält das Landesverwaltungsgericht eine Verhandlung gemäß § 24 VwGVG aufgrund der klaren Aktenlage nicht für erforderlich. Daher konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Weder war der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl Nr C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

8.              Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im konkreten Fall fehlt. Soweit ersichtlich gibt es keine Rechtsprechung zur Frage, ob das Haftentlassungsgeld als Einkommen oder als Vermögen zu qualifizieren ist.

Schlagworte

Mindestsicherung, Haftentlassungsgeld kein Einkommen, Vermögen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGVO:2020:LVwG.340.4.2020.R18

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Vorarlberg LVwg Vorarlberg, http://www.lvwg-vorarlberg.at
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