Entscheidungsdatum
26.03.2020Norm
FrPolG 2005 §120 Abs1aText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Richter Dr. Marvin Novak, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn A, ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 3. Mai 2019, Zl. ***, zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und es wird das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben.
2. Das Verwaltungsstrafverfahren wird gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) eingestellt.
3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Weitere Rechtsgrundlagen:
§ 50 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG)
§ 25a des Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG)
Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG)
Entscheidungsgründe:
1. Maßgeblicher Verfahrensgang:
1.1. Das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, Herrn A, einem Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, beruht auf der Anzeige der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 3. September 2018.
Mit Strafverfügung vom 4. April 2019 wurde deshalb über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe verhängt, zu welcher der Beschwerdeführer fristgerecht einen begründeten Einspruch einbrachte.
1.2. Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 3. Mai 2019 wurde der Beschwerdeführer eines Verstoßes gegen § 120 Abs. 1a FPG für schuldig befunden und es wurde eine Geldstrafe in Höhe von 600,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 10 Stunden) verhängt. Zusätzlich wurden Kosten in Höhe von 60,-- Euro vorgeschrieben.
Begründend wird im Straferkenntnis im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Beschwerdeführer habe sich als Fremder am 3. September 2018 um 8:20 Uhr im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten, obwohl er sich innerhalb eines Zeitraumes von 180 Tagen nicht länger als 90 Tage im Schengenraum aufhalten dürfe. Er habe sich bereits von 29. März 2018 bis 15. Juni 2018 und von 18. Juni 2018 bis 3. September 2018 im Schengenraum aufgehalten.
Die Überschreitung der erlaubten Aufenthaltsdauer sei von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge einer Ausreisekontrolle anhand der Stempel im Reisepass festgestellt worden. Ein Aufenthaltstitel habe nicht vorgewiesen werden können und sei auch den Einträgen im Zentralen Fremdenregister nicht zu entnehmen. Im Einspruch sei auf Art. 8 EMRK und auf die Richtlinie 2004/38/EG verwiesen worden; weiters darauf, dass ein Verfahren zur Dokumentation des Aufenthaltes gemäß § 54 NAG anhängig sei und keine BFA-Verfügung vorliege.
Den Einspruchsangaben sei entgegenzuhalten, dass Verfügungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht Voraussetzung für die Beurteilung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes seien. Der Behörde liege außerdem eine Stellungnahme der MA *** vor, wonach die Ehefrau des Beschwerdeführers keinen Freizügigkeitssachverhalt nachweisen habe können und daher kein Aufenthaltsrecht gemäß § 54 NAG vorliege, wobei die Antragsabänderung geprüft werde. Eine Entscheidung liege bislang aber nicht vor und es begründe die Säumnis der Niederlassungsbehörde keinesfalls ein Aufenthaltsrecht. Es stehe fest, dass der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt nicht zum Aufenthalt berechtigt gewesen sei.
Zur Strafbemessung wurde ausgeführt, dass die lange Dauer des unrechtmäßigen Aufenthaltes als Erschwerungsgrund zu werten sei und dass die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit nicht geeignet sei, den Erschwerungsgrund zu überwiegen.
1.3. In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Der Beschwerdeführer sei seit November 2016 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, die auf Grund grenzüberschreitender Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen von künstlerischer Tätigkeit von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe. Darüber hinaus sei die Ehefrau gebürtige deutsche Staatsangehörige. Auch wenn die Niederlassungsbehörde über die beantragte Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltes noch nicht entschieden habe, sei der Beschwerdeführer rechtmäßig aufhältig. Bei Annahme des Nichtbestehens dieses Aufenthaltes würde der Niederlassungsbehörde ein Abspruch verwehrt sein und es müsste ein Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeleitet werden.
Des Weiteren liege eine Notstandssituation vor und es würde auf Grund des Privat- und Familienlebens mit der Ehefrau und dem gemeinsamen Kind eine erzwungene Ausreise eine Verletzung des Kernbestandes der Unionsbürgerrechte darstellen. Auch sei eine Ausweisung als unzulässig anzusehen.
1.4. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich als belangte Behörde legte – ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung – den Verwaltungsstrafakt zur Entscheidung vor.
1.5. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich ersuchte den Magistrat der Stadt Wien in Folge um Mitteilung des aktuellen Verfahrensstandes sowie um Übermittlung einer Aktenkopie. Mit Schreiben vom 28. Februar 2020 wurde eine Aktenkopie samt Abweisungsbescheid vom selben Tag übermittelt.
1.6. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich beraumte für den 27. März 2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung an, wobei die Behörde mit der Verhandlungsladung ersucht wurde, allfällige verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen des Beschwerdeführers bekannt zu geben.
1.7. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich übermittelte am 9. März 2020 einen Auszug betreffend die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen des Beschwerdeführers samt diesbezüglichem Straferkenntnis und hg. erfolgter Beschwerdezurückweisung wegen Verspätung.
1.8. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich teilte der Behörde daraufhin mit, dass sich aus der zuletzt erfolgten Vorlage ergebe, dass der Beschwerdeführer bereits mit Straferkenntnis vom 4. April 2019 wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes bestraft worden sei. Weiters wurde mitgeteilt, dass sich aus der vorliegenden Aktenlage ergebe, dass der Beschwerdeführer seit November 2016 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und mit dieser zwei im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder (geboren 2017 und 2019) habe. Es wurde vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund näher zitierter höchstgerichtlicher Judikatur um Mitteilung ersucht, ob auf die Durchführung der ausgeschriebenen Verhandlung verzichtet werde.
1.9. Mit Schreiben vom 16. März 2020 wurde seitens der Behörde im Wesentlichen Folgendes angegeben:
Gemäß den zitierten Entscheidungen, die aus Zeitmangel nur überflogen hätten werden können, seien Doppelbestrafungen bei überlappenden Strafzeiträumen nicht zulässig. In den beiden Verfahren seien jedoch keine Zeiträume, sondern der unrechtmäßige Aufenthalt an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit angelastet worden. Der Beschwerdeführer sei im ersten Verwaltungsstrafverfahren im Zuge seiner Ausreise von der Anzeigenerstattung in Kenntnis gesetzt worden; die Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts habe ihm daher spätestens mit diesem Zeitpunkt bewusst sein müssen, was ihn jedoch nicht davon abgehalten habe, wenige Tage später wieder in das Bundesgebiet einzureisen. Es sei am 3. September 2018 ein unrechtmäßiger Aufenthalt vorgelegen. Sollte der Niederlassungsantrag abgewiesen worden sein, werde angeregt, falls zulässig, das Beschwerdeverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich aufenthaltsbeendender Maßnahmen auszusetzen. Auf die Durchführung der Verhandlung werde verzichtet.
1.10. Die hg. ausgeschriebene Verhandlung wurde daraufhin abberaumt.
2. Feststellungen und Beweiswürdigung:
2.1. Feststellungen:
Der am *** geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina.
Gegen den Beschwerdeführer wurde im Mai 2016 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen. Im Juni 2016 erfolgte die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer ist seit 21. November 2016 verheiratet mit Frau B, die am *** in *** als deutsche Staatsbürgerin geboren wurde und der mit 17. April 1986 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde.
Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau haben zwei gemeinsame Kinder, geboren am *** und am ***. Beide verfügen über die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer lebte zum verfahrensgegenständlichen Tatzeitpunkt und lebt auch aktuell mit seiner Ehefrau und den Kindern in Wien im gemeinsamen Haushalt.
Bereits am 27. Dezember 2016 beantragte der Beschwerdeführer in Österreich die Ausstellung einer Aufenthaltskarte als Angehöriger einer (freizügigkeitsberechtigten) Österreicherin gemäß § 54 Abs. 1 iVm § 57 NAG.
Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Februar 2020 abgewiesen. Begründet wurde die Abweisung im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer auf die Ausübung der Freizügigkeit durch seine Ehefrau auf Grund von grenzüberschreitenden Tätigkeiten in Deutschland und Italien berufe, dass allerdings ein qualifizierter Freizügigkeitssachverhalt nicht gegeben sei, weil es sich bei den von der Ehefrau erbrachten Dienstleistungen nur um einzelne, zeitlich auf kurze Dauer befristete Tätigkeiten gehandelt habe. Auch könne der Aufenthalt der Ehefrau als deutsche Staatsbürgerin in Österreich im Kindesalter nicht der Verwirklichung der Freizügigkeit diesen, da die Ehefrau bereits vor dem EU-Beitritt Österreichs die österreichische Staatsbürgerschaft erworben habe. Der Beschwerdeführer falle daher unter die Regelung des § 47 NAG.
Der Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 4. April 2019, Zl. ***, wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiet mit einer Geldstrafe in Höhe von 600,-- Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 10 Stunden) bestraft. Konkret wurde dem Beschwerdeführer angelastet, dass im Zuge einer Ausreisekontrolle festgestellt worden sei, dass er sich am 15. Juni 2018 um 21:00 Uhr im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten habe, obwohl er sich innerhalb eines Zeitraumes von 180 Tagen nicht länger als 90 Tage im Schengenraum aufhalten dürfe. Er habe sich von 22. Dezember 2016 bis 21. März 2018 und von 29. März 2018 bis 15. Juni 2018 im Schengenraum aufgehalten.
Die Zustellung dieses Straferkenntnisses erfolgte am 9. April 2019. Mit hg. Beschluss vom 27. Juni 2019, Zl. LVwG-S-1323/001/2019, wurden sowohl die gegen das Straferkenntnis erhobene Beschwerde als auch ein dazu eingebrachter Wiedereinsetzungsantrag als verspätet zurückgewiesen.
Mit dem verfahrensgegenständlichen Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 3. Mai 2019, ergangen nach fristgerecht beeinspruchter Strafverfügung vom 4. April 2019, wurde der Beschwerdeführer wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich am 3. September 2018 um 8:20 Uhr bestraft (s. auch Punkt 1. des dargelegten maßgeblichen Verfahrensganges).
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
2.2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen basieren auf den Inhalten des vorliegenden Verwaltungsstrafaktes und des Gerichtsaktes. Im Einzelnen ist Folgendes konkret festzuhalten:
Zur Person des Beschwerdeführers ist insbesondere auf die aktenkundige Reisepasskopie zu verweisen, zur aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur freiwilligen Ausreise auf die aktenkundigen Auszüge des Zentralen Fremdenregisters. Zur Heirat des Beschwerdeführers und zur Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau ist insbesondere auf die Beschwerdeangaben und auf die im Zentralen Melderegister ersichtlichen Daten zu verweisen; darüber hinaus ist in der vom Magistrat der Stadt Wien übermittelten Aktenkopie auch die Heiratsurkunde und der Bescheid über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft enthalten. Zum 2017 geborenen gemeinsamen Kind ist auf die Beschwerdeangaben zu verweisen, darüber hinaus auf die im Zentralen Melderegister ersichtlichen Daten und auf die in der Aktenkopie des Magistrates der Stadt Wien enthaltene Geburtsurkunde. Zum 2019 geborenen Kind ist insbesondere wieder auf das Melderegister zu verweisen. Der festgestellte gemeinsame Haushalt ergibt sich anhand der unstrittigen Aktenlage (insb. Beschwerdeangaben und Melderegisterabfragen).
Zum Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte ist wiederum auf die Fremdenregisterabfragen und auf die eingeholte Aktenkopie zu verweisen; aus letzterer ergeben sich auch die Feststellungen zum Abweisungsbescheid.
Die Feststellungen zum Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 4. April 2019 samt Zustellung und hg. Zurückweisungsbeschluss ergeben sich aus der behördlichen Übermittlung vom 9. März 2020, mit der ein Auszug betreffend die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen des Beschwerdeführers, das Straferkenntnis vom 4. April 2019, sowie der hg. Zurückweisungsbeschluss vom 27. Juni 2019 vorgelegt wurden. Zum verfahrensgegenständlichen Straferkenntnis und dem dargelegten Verfahrensgang ist allgemein auf die gegebene Aktenlage zu verweisen.
Dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich anhand einer hg. durchgeführten Strafregisterabfrage und es ist dem vorliegenden Akteninhalt und auch den Behördenausführungen nichts Gegenteiliges zu entnehmen.
3. Maßgebliche Rechtslage:
§ 120 Abs. 1a des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der zur angelasteten Tatzeit geltenden Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, (FPG) lautet:
„Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt
§ 120. […]
(1a) Wer als Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 500 Euro bis zu 2 500 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 2 500 Euro bis zu 7 500 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes; bei Betretung in einem öffentlichen Beförderungsmittel die nächstgelegene Ausstiegsstelle, an der das Verlassen des öffentlichen Beförderungsmittels gemäß dem Fahrplan des Beförderungsunternehmers möglich ist. Die Verwaltungsübertretung gemäß erster Satz kann durch Organstrafverfügung gemäß § 50 VStG in der Höhe von 500 Euro geahndet werden.“
4. Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:
4.1. Zur angelasteten Verwaltungsübertretung:
4.1.1. Dem Beschwerdeführer wird mit dem angefochtenen Straferkenntnis der unrechtmäßige Aufenthalt in Österreich am 3. September 2018 um 8:20 Uhr zur Last gelegt.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
Der Beschwerdeführer wurde bereits mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 4. April 2019, zugestellt am 9. April 2019, wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes rechtskräftig bestraft. Der im verfahrensgegenständlichen Verfahren angelastete Tatzeitpunkt (3. September 2018 um 8:20 Uhr) ist der Erlassung dieses Straferkenntnisses zeitlich vorgelagert und daher von den Wirkungen dieser Bestrafung erfasst. Eine neuerliche Bestrafung scheidet demgemäß aus. Festzuhalten ist dazu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Vorliegen eines Dauerdelikts oder eines fortgesetzten Delikts (vgl. dazu auch etwa VwGH 3.5.2017, Ra 2016/03/0108) die Bestrafung – ungeachtet einer im Spruch des Straferkenntnisses angeführten Tatzeit und unabhängig davon, ob der Behörde die Fortsetzung des verpönten Verhaltens bekannt war – alle bis zur Zustellung des Straferkenntnisses gesetzten Einzeltathandlungen abdeckt. Es darf daher nicht neuerlich gegen denselben Täter eine Strafe verhängt werden und es sind nur jene Tathandlungen, die nach Zustellung des Straferkenntnisses gesetzt werden, von der Abgeltungswirkung nicht erfasst (vgl. dazu etwa VwGH 11.4.1991, 91/06/0001; 9.10.2001, 97/21/0866; 15.9.2011, 2009/04/0112; 24.9.2014, Ra 2014/03/0023).
Darüber hinaus ist auf Grund der anhand der vorliegenden Aktenlage getroffenen Feststellungen Folgendes auszuführen:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für den Fall, dass im Tatzeitpunkt noch keine – nach Vornahme einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK – rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme ergangen war, von der Strafbehörde im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung selbst die gebotene Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der (hypothetischen) Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmen. Ergibt sich dabei, dass eine (hypothetische) aufenthaltsbeendende Maßnahme im Tatzeitpunkt nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so wirkt sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes gemäß § 120 Abs. 1a FPG aus. Denn wären auch Fremde, die derart intensive private (und familiäre) Bindungen in Österreich haben, dass ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwiegt, von der Strafdrohung der genannten Norm erfasst, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch. Es muss daher das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden, wenn einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Weg steht (vgl. etwa VwGH 19.9.2018, Ra 2019/21/0184). Selbiges gilt, wenn zwar eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt, sich aber die für die Beurteilung nach Art. 8 EMRK maßgeblichen Umstände seither geändert haben (vgl. etwa VwGH 29.02.2012, 2010/21/0049; 2.8.2013, 2012/21/0076).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur auch ausgesprochen, dass eine Trennung von einem österreichischen Ehepartner alleine wegen eines unrechtmäßigen Aufenthaltes nicht verhältnismäßig wäre; eine solche Trennung wurde in der Judikatur im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“ (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0199). Auch einer Beeinträchtigung des Kindeswohles durch Trennung des Kindes von einem Elternteil wurde in der höchstgerichtlichen Judikatur entscheidungswesentliche Bedeutung beigemessen (vgl. wiederum etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0199; vgl. weiters etwa VfGH 3.10.2019, E 3456/2019).
Im vorliegenden Fall verfügte der Beschwerdeführer bereits zum Tatzeitpunkt über intensive familiäre Bindungen in Österreich in Form seiner über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügenden und mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehefrau und seinem ebenso über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügenden und mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden minderjährigen Kind. Es ist vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund der dargelegten höchstgerichtlichen Judikatur von der Unzulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zum Tatzeitpunkt auszugehen und von einem Überwiegen des Interesses des Beschwerdeführers am Aufenthalt in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung. Darauf hinzuweisen ist, dass der Beschwerdeführer nach den getroffenen Feststellungen strafgerichtlich unbescholten ist und dass keine Anhaltspunkte für eine beabsichtigte Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung vorliegen.
Zur von der Behörde im Schreiben vom 16. März 2020 angeregten Verfahrensaussetzung (bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bezüglich aufenthaltsbeendender Maßnahmen) ist festzuhalten, dass eine solche Aussetzung vor dem Hintergrund der bereits getätigten Ausführungen nicht zielführend erscheint und dass auch keine Verpflichtung zur Aussetzung besteht (vgl. etwa VwGH 30.5.2001, 2001/12/0067). Davon abgesehen ist im vorliegenden Fall nach der bereits zitierten Judikatur eine Beurteilung bezogen auf den Tatzeitpunkt vorzunehmen, während das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die in seinem Entscheidungszeitpunkt gegebene Sach- und Rechtslage heranzuziehen hat. Eine Aussetzung kommt daher auch deshalb nicht in Betracht (vgl. allgemein etwa VwGH 14.1.1986, 85/04/0104; 12.3.1999, 97/19/0066).
4.1.2. Der Beschwerde ist daher Folge zu geben und es ist das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben. Das Verwaltungsstrafverfahren ist gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.
4.1.3. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte entfallen, weil bereits auf Grund der im Entscheidungszeitpunkt gegebenen Aktenlage feststeht, dass das mit Beschwerde angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist (§ 44 Abs. 2 VwGVG). Darüber hinaus wurde eine Verhandlung von keiner Partei begehrt und es hat die Behörde auf die Durchführung ausdrücklich verzichtet (§ 44 Abs. 5 VwGVG).
4.2. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Derartige Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen und es folgen die Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur. Das Vorliegen einer Rechtsfrage, die über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besäße, ist nicht zu erkennen (vgl. etwa VwGH 23.7.2019, Ra 2019/17/0065).
Schlagworte
Fremdenpolizei; Verwaltungsstrafe; unrechtmäßiger Aufenthalt; Dauerdelikt; Erfassungswirkung; Strafausschließungsgrund; Interessenabwägung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.S.1400.001.2019Zuletzt aktualisiert am
29.04.2020