TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/4 W113 1424959-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2019
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Entscheidungsdatum

04.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W113 1424959-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Katharina David über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2019, Zl. 811063807/190447279, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 15.09.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.02.2012 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.).

2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.09.2014 wurde die dagegen erhobene Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen, jedoch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gewährt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Zu Spruchpunkt II. wurde auszugsweise in den Feststellungen ausgeführt:

"Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers, er sei aufgrund einer Feindschaft zwischen seinem Vater und dem General Dostum im Herkunftsstaat bedroht, sind nicht glaubhaft.

Es wird der Beurteilung zugrunde gelegt, dass die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers in Saudi Arabien leben und sein Onkel väterlicherseits seit etwa eineinhalb Jahren für den Beschwerdeführer nicht mehr erreichbar war.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund der langen Abwesenheit vom Herkunftsstaat mit den dort bestehenden Verhältnissen nicht vertraut, er verfügt dort über keine familiären Anknüpfungspunkte und hätte daher im Falle einer Rückkehr zu befürchten, dass er in eine ausweglose Lebenssituation geraten werde.

Der Beschwerdeführer steht wegen eines Angstsyndroms und Depression in psychiatrisch-neurologischer Behandlung.

Der Beschwerdeführer hat am 11.08.2013 in Wien eine Ehe nach religiös-islamischem Ritus mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen und bereitet eine standesamtliche Trauung vor."

Aus der Beweiswürdigung ergibt sich auszugsweise:

"Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthalt seines Onkels seit eineinhalb Jahren nicht mehr bekannt ist, ergibt sich ebenfalls aus der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 18.09.2014, ebenso die Feststellungen über vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigungen und die beabsichtigte Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen."

Aus der rechtlichen Beurteilung ergibt sich auszugsweise:

"Im Fall des Beschwerdeführers ergibt sich aus den Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers, dass Rückverbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Afghanistan dazu führen würde, dass dieser in eine ausweglose Lebenssituation geraten müsste.

Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat bereits im Alter von etwa acht Jahren verlassen und befindet sich daher nunmehr seit 12 Jahren - nach seinen Angaben mit einer dreimonatigen Unterbrechung im Jahr 2011 vor seiner illegalen Einreise nach Österreich - außerhalb des Herkunftsstaates. Er ist daher mit den örtlichen Verhältnissen in keiner Weise vertraut und er verfügt - da sich seine Kernfamilie in Saudi Arabien aufhält und er auch keinen Kontakt zu seinem Onkel väterlicherseits hat - auch über kein soziales oder familiäres Netzwerk im Herkunftsstaat. Es ergibt sich bereits aus den diesbezüglich weiterhin zutreffenden Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, dass in Afghanistan staatliche soziale Sicherheitssysteme nicht existieren und die soziale Absicherung traditionell bei Familien und Stammesverbänden liege, sowie dass Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten stoßen.

Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in einer größeren Stadt in Afghanistan oder im ruralen Bereich ohne Familienanschluss oder soziales Netzwerk auf sich alleine gestellt in der Lage wäre, dort Fuß zu fassen und seine existenziellen Grundbedürfnisse zu decken, zumal er nicht von vornherein über die nötigen finanziellen Mittel für eine Ansiedlung verfügt und er auch keine Erfahrung im Erwerbsleben hat.

Ausgehend davon ist mit Blick auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers zu erkennen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Abschiebung real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Eine Rückverbringung des Beschwerdeführers nach Afghanistan steht nach dem Gesagten im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG. Dem Beschwerdeführer war daher der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen."

3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde zuletzt bis 30.09.2019 erteilt.

4. Aufgrund einer Information über Reisebewegungen des Beschwerdeführers nach Pakistan zwecks "Familienbesuch" führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, im Folgenden: belangte Behörde) eine Einvernahme des Beschwerdeführers am 05.06.2019 durch und erließ den nunmehr angefochtenen Bescheid.

Mit diesem Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt" (Spruchpunkt I.) und ihm die "mit Bescheid vom 28.09.2017 [...] erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter [...] gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen" (Spruchpunkt II.). Ferner sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn "gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters legte sie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

5. Mit 31.07.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG. Über diesen Antrag wurde bis dato nicht entschieden.

5. Am 29.11.2019 fand über die Beschwerde eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt. Der Beschwerdeführer nahm daran in Begleitung eines Vertreters der von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer individuell

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, wurde am XXXX in Afghanistan geboren, war daher zur Zeit des Bescheides vom 08.02.2012 beinahe 18 Jahre alt und zur Zeit des Erkenntnisses vom 30.09.2014 jedenfalls volljährig. Der Beschwerdeführer und seine Eltern stammen aus der Provinz Faryab. Die Familie zog nach Saudi-Arabien, wo der Beschwerdeführer etwa 4-8 Jahre lebte. Nachdem er nach Afghanistan abgeschoben worden war, blieb der Beschwerdeführer wenige Wochen in Kabul und reiste dann Richtung Europa aus. Der Vater lebt nach wie vor in Saudi-Arabien und arbeitet dort und der Rest der Familie, die Mutter, zwei Brüder und eine verheiratete Schwester, befindet sich seit etwa 7 Jahren in Kabul. Der Vater unterstützt die Familie finanziell.

Der Beschwerdeführer pflegt regelmäßig Kontakt zu seiner Familie in Kabul. Von 26.10.2018 bis 20.11.2018 traf er seine Familie in Pakistan und sie machten gemeinsam dort Urlaub. Der Grund, warum er nicht nach Afghanistan zu ihnen kam, war, dass er mit seinem Reisepass nicht nach Afghanistan reisen darf.

Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer spricht mittlerweile auch soweit Deutsch, dass eine Unterhaltung mit ihm in der deutschen Sprache gut möglich ist. In Afghanistan wuchs der Beschwerdeführer im Kreise seiner afghanischen Familie in der Provinz Faryab auf. Er besuchte eine Koranschule und kann lesen und schreiben. In Afghanistan hat der Beschwerdeführer weder eine Berufsausbildung noch Berufserfahrung gesammelt, er wurde damals von seiner Familie erhalten.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

1.2.1. Zu Dauer, Qualität und (Un-)Sicherheit des Aufenthaltsstatus des Beschwerdeführers

Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet war der Beschwerdeführer zunächst ab September 2011 als Asylwerber aufhältig. Seit dem Erkenntnis aus 2014 besaß der Beschwerdeführer den befristeten Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde zuletzt bis 30.09.2019 erteilt. Aufgrund einer Information über Reisebewegungen des Beschwerdeführers nach Pakistan zwecks "Familienbesuch" führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, im Folgenden: belangte Behörde) eine Einvernahme des Beschwerdeführers am 05.06.2019 durch und erließ den nunmehr angefochtenen Aberkennungsbescheid.

1.2.2. Zur psychischen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer befand sich in Österreich 2012-2014 in psychologischer Behandlung wegen einer diagnostizierten Depression, einem phobischen Angstsyndrom und einer Traumafolgenstörung (PTSD). Er nahm entsprechende Medikamente ein.

Im Oktober 2019 nahm der Beschwerdeführer die Behandlung nach einer Behandlungspause wieder auf. Eine psychiatrisch/psychotherapeutische Behandlung und unterstützende Betreuung sind gemäß Attest eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 07.10.2019 notwendig.

Die aktuelle Medikation des Beschwerdeführers besteht aus Mutan 20 mg (halbe bis eine Tablette pro Tag) und Risperidon 1 mg (1 Tablette pro Tag). Er war aufgrund seiner Erkrankung nicht in stationärer Behandlung. Es bestehen derzeit keine Hinweise auf Selbst- oder Fremdgefährdung.

Der Beschwerdeführer konnte der Beschwerdeverhandlung am 29.11.2019 gut folgen, er beantwortete die an ihn gestellten Fragen gezielt und umfassend und er wirkte wach, orientiert und aufmerksam.

1.2.3. Zu Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerbstätigkeiten, Ausbildungen etc.

Der Beschwerdeführer bezieht die Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig und arbeitswillig. Trotz seiner psychischen Probleme ist es ihm zumutbar und möglich, zumindest einfache Hilfsdienste zu verrichten.

Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthalts in Österreich am Beginn Deutschkurse besucht (Prüfung bis A2). Seit Erhalt des Aberkennungsbescheides besucht er wieder einen Deutschkurs (Niveau B2).

Während seines Aufenthalts in Österreich hat der Beschwerdeführer zwei Monate für eine Reinigungsfirma gearbeitet und ehrenamtliche Hilfsdienste verrichtet.

1.2.4. Zu Wohnverhältnissen, privaten Bindungen und integrativen Aspekten in Österreich

Der Beschwerdeführer wohnt zur Miete. Er hat keine Verwandten in Österreich. Er ist auch nicht verheiratet und hat keine Kinder. Er pflegt Kontakt zu afghanischen Freunden in Österreich, hat aber keine österreichischen Freunde.

In seiner freien Zeit liest er und wenn möglich, besucht er zwei bis drei Mal pro Tag die Moschee. Der Beschwerdeführer ist sehr religiös. Früher war er im Fitnesscenter Sport betreiben.

1.2.5. Zur Sachverhaltsänderung

Der Beschwerdeführer ist im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung der vorhergehenden Entscheidungen (aus 2012 und 2014) älter, erfahrener, hat mehr Berufserfahrungen gemacht, ergänzende Bildungsschritte unternommen und Kontakte geknüpft, darunter auch zu in Österreich aufhältigen afghanischen Freunden.

Der Beschwerdeführer hält derzeit auch Kontakt zu seiner Familie in Kabul. Eine wesentliche Sachverhaltsänderung im Vergleich der gegenständlichen Entscheidung zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes und dessen Verlängerungen ist die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sehr wohl Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan pflegt und im Heimatstaat somit über ein familiäres Netz verfügt.

Ein weiterer Punkt ist der Umstand, dass er tatsächlich keine familiären Bindungen zu Österreich hat. Er hat weder Tanten noch eine Ehefrau, wie zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes noch festgestellt.

Was die damaligen Feststellungen zu den psychischen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers betrifft (Depression und Angststörung), hat sich nichts Wesentliches verändert, außer, dass der Beschwerdeführer seit der erstmaligen Gewährung des subsidiären Schutzes die Behandlung abgebrochen hat und erst nach Erhalt des Aberkennungsbescheides wieder aufgenommen hat.

1.3. Zur Lage in Afghanistan hier Auszüge aus dem Länderinformationsblatt für Afghanistan der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Aktualisierungsstand 13.11.2019, dem auch die zu Grunde gelegten Quellen entnommen werden können:

3. Sicherheitslage allgemein

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

[...]

3.1. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen:

Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen;

Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana;

Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamen Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018, KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.8.2019).

Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.1.2019) und Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 6.2012; vgl. AAN 19.3.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.9.2018).

[...]

3.9. Faryab

Die Provinz Faryab grenzt im Westen und Norden an Turkmenistan, im Osten an Jawzjan und Sar-e Pul, im Süden an Ghor und im Südwesten an Badghis und liegt im Nordwesten Afghanistans (UNOCHA 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Maimana. Die Provinz umfasst die folgenden Distrikte: Almar, Andkhoy, Bilchiragh, Dawlat Abad, Gurziwan, Khani Charbagh, Khwaja Sabz Posh-i Wali, Kohistan, Maimana, Pashtun Kot, Qaram Qul, Qaisar, Qurghan, Shirin Tagab (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die Zugehörigkeit des Distrikts Ghormach ist umstritten: Während UNODC den Distrikt seit 2017 als Teil von Faryab führt (UNODC/MCN 11.2018), wurde im August 2018 berichtet, dass die Verwaltungsangelegenheiten von Ghormach aus Sicherheitsgründen zurück nach Badghis transferiert würden (FRP 28.8.2018). Auch für die Bevölkerungsschätzungen der CSO und die Parlamentswahlen wurde Ghormach Badghis zugeschrieben (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die CSO schätzt die Bevölkerung von Faryab für den Zeitraum 2019-20 auf 1.089.228 Personen (CSO 2019). Zusammen mit Sar-e Pul ist Faryab eine der beiden Provinzen mit usbekischer Mehrheit in Afghanistan. Darüber hinaus leben in der Provinz Tadschiken/Aimaqs, Paschtunen, Hazara, Moghol und andere kleinere Ethnien (AAN 17.3.2017; vgl. PAJ o. D.).

Ein Teil der Ring Road führt durch Faryab und verbindet die Provinz mit der Nachbarprovinz Jawzjan und schließlich Mazar-e Sharif in Balkh (TD 5.12.2017). Trotz erheblicher Finanzierung seit 2005 waren im September 2017 nur rund 15% eines geplanten 233 Kilometer langen Abschnitts der Ring Road zwischen dem Distrikt Qaisar in Faryab und dem Ort Laman in Badghis fertiggestellt. SIGAR führte das Projektversagen hauptsächlich auf Sicherheitsprobleme zurück und schätzte die Aussichten auf eine zeitnahe Fertigstellung aufgrund zunehmender Unsicherheit in der Region als düster ein (SIGAR 6.2018).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Faryab 2018 zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans - allerdings befand es sich im untersten Drittel dieser zehn größten Anbauprovinzen. Im Vergleich zu 2017 sank die Größe der Mohnanbaufläche in Faryab 2018 um 64%, obwohl UNODC Ghormach - einen Distrikt mit großen Anbauflächen - 2018 erstmals als Teil von Faryab zählte. UNODC führt den Rückgang hauptsächlich auf die Wetterbedingungen des Jahres zurück, da Faryab von einer Dürre betroffen war (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Im Januar 2019 wurde berichtet, dass Faryab zu den relativ volatilen Provinzen im Norden Afghanistans gehört, in denen Taliban-Kämpfer in einigen Distrikten aktiv sind und oft versuchen, Angriffe auf Regierungsinstitutionen und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 14.1.2019). Die Gewalt nahm in der vormals friedlichen nördlichen Region in den vergangenen Jahren zu, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Aufständischen im Süden und Osten des Landes vorgingen (XI 21.7.2019). Faryab hat strategische Bedeutung, da es die westlichen Teile Afghanistans mit dem Norden verbindet (AAN 17.3.2017).

Einem Bericht zufolge wurden die Taliban in der Provinz zunehmend erfolgreicher, nachdem sie begannen auf lokale Kämpfer zurückzugreifen. Dies ist eine Strategieänderung gegenüber ihrer Vorgehensweise vor 2001 (AAN 3.7.2015; vgl. AAN 17.3.2017). Neben lokalen Taliban-Aufständischen gibt es angeblich Kämpfer des zentralasiatischen Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) in Faryab und Jawzjan. Die UN schätzt die Truppenstärke der IMU in ganz Afghanistan auf höchstens 100 Personen, wobei die Hälfte davon Familienmitglieder der Kämpfer sein sollen (UNSC 13.6.2019).

Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 170 Kämpfern in der Provinz Faryab, die mit dem IS sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Im August 2018 wurde von Kämpfen zwischen Taliban und IS-Sympathisanten in den Provinzen Jawzjan und Faryab berichtet (JF 10.8.2018).

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Faryab im Verantwortungsbereich des 209. ANA Shaheen Corps (USDOD 6.2019; vgl. NYT 14.8.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Neben den regulären Regierungstruppen gibt es in Faryab eine Miliz oder "popular uprising group", welche Abdul Rashid Dostum nahe steht (NYT 4.7.2018; vgl. TN 2.7.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA in der Provinz Faryab 646 zivile Opfer (230 Tote und 416 Verletzte). Dies entspricht einer Steigerung von 1% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und nicht explodierter Munition (unexploded ordnance, UXO)/Landminen. Hinsichtlich der Anzahl an zivilen Opfern befand sich Faryab damit unter allen afghanischen Provinzen an fünfter Stelle (UNAMA 24.2.2019). Auch im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA Faryab zu den Provinzen, deren zivile Bewohner vom bewaffneten Konflikt am meisten betroffen waren (UNAMA 30.7.2019).

Faryab befand sich im Jahr 2018 unter den acht Provinzen mit der höchsten Anzahl an Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte (SIGAR 30.4.2019). Auch zu Beginn des Jahres 2019 zählte Faryab zu den Provinzen mit der höchsten Konzentration an Kämpfen (BAAG 2.2019; vgl. ACLED 29.1.2019). Im April 2019 fanden dort nach Nangarhar und Ghazni die meisten Angriffe in ganz Afghanistan statt (PAJ 2.5.2019).

Berichten zufolge, standen im Herbst 2018 die meisten Distrikte von Faryab unter Taliban-Kontrolle (PAJ 28.11.2018). Die RS-Mission verzeichnete im Oktober 2018 in sieben der 14 Distrikte von Faryab Aktivitäten von Aufständischen, in einem Distrikt - Bilchiragh - wurden die Aktivitäten als "hoch" eingeschätzt. Fünf Distrikte standen unter Regierungseinfluss, zwei Distrikte - Dawlat Abad und Khwaja Sabz Posh i Wali - galten als umkämpft (SIGAR 30.1.2019). Im Juni 2019 konnten die Regierungstruppen den Distrikt Bilcheragh wieder von den Taliban zurückerobern (TN 25.6.2019). Zehn Distrikte in Faryab werden von der Provinzhauptstadt aus regiert, wobei ein Distriktgouverneur die unsichere Lage als Grund für seine Abwesenheit im Distrikt nannte (SW 24.6.2019).

Die Regierungskräfte haben ihre Luftangriffe zumindest seit Jänner 2018 intensiviert (AAN 12.3.2018). Luftangriffe der Afghan Air Force (AAF) sowie Zusammenstöße zwischen Taliban und Regierungstruppen setzten sich auch 2019 fort. Einem UN-Bericht von Februar 2019 zufolge, gehörte Faryab im Zeitraum 7.12.2018 bis 28.2.2019 zu den sechs Provinzen mit der größten Anzahl an Luftangriffen in Afghanistan. Die Winteroffensive der ANDSF fokussierte unter anderem auf Faryab (UNGASC 28.2.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 68.267 konfliktbedingt aus der Provinz Faryab vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, aber auch in den Provinzen Jawzjan, Balkh, Herat, Ghor und Kandahar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 33.789 aus der Provinz Faryab vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz blieben oder nach Balkh, Jawzjan, Kabul oder Sar-e-Pul gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 51.126 Vertriebene in die Provinz Faryab, die alle aus der Provinz

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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