TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/5 W191 2198468-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.12.2019
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Entscheidungsdatum

05.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W191 2198468-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ihre Mutter XXXX , geboren am XXXX , diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno Wageneder, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2018, Zahl 1100653501-152083380, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.11.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), Frau XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), ihr gemeinsamer Sohn XXXX , geboren am XXXX (BF3), und ihre gemeinsame Tochter XXXX , geboren am XXXX (BF4), afghanische Staatsangehörige, reisten am 30.12.2015 irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten, die minderjährigen Kinder gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF am 24.12.2015 in Mytilini (Griechenland) erkennungsdienstlich behandelt worden waren.

1.2. In ihrer Erstbefragung am 31.12.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, machten die BF1 und der BF2 Angaben zu ihren Personalia und im Wesentlichen übereinstimmende Angaben zu ihren Lebensumständen und Fluchtgründen.

Die BF1 gab an, sie sei im Iran geboren und aufgewachsen und habe sechs Jahre eine Schule besucht. Der BF2 gab an, er stamme aus Afghanistan und sei vor ca. sechs Jahren in den Iran gezogen, wo er seine Ehefrau geheiratet habe.

Den Iran hätten sie nunmehr verlassen, weil es für ihre Kinder ohne Dokumente keine Möglichkeit gebe, sich eine Zukunft aufzubauen.

1.3. Bei ihrer Einvernahme am 01.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari, bestätigten die BF1 und der BF2 die Richtigkeit ihrer bisher gemachten Angaben und korrigierten die Geburtsdaten von BF1, BF3 und BF4, die bei der Erstbefragung nicht genau aufgenommen wären.

Sie nannten ihr Heiratsdatum (in Teheran), legten die Heiratsurkunde vor und schilderten die Umstände der Hochzeitsfeierlichkeiten. Ihre Brüder hätten die Ehe arrangiert.

Als weiteren fluchtauslösenden Grund schilderten die BF übereinstimmend ihre Lebensumstände in Afghanistan bzw. im Iran und ihre Probleme. Der ältere Bruder des BF2, XXXX , hätte diesen sein Leben lang drangsaliert und gezwungen, mit in den Iran zu gehen und dort in einer Fabrik zu arbeiten und ihm den Lohn abzuliefern. XXXX habe die BF1 regelmäßig gezwungen, für sie zu arbeiten, und sie geschlagen und in den Bauch getreten, als sie schwanger gewesen sei, was dazu geführt habe, dass die BF4 von Geburt an große gesundheitliche Probleme mit ihrem Darm habe.

Es habe einen Vorfall gegeben, wobei dieser ältere Bruder des BF2 der BF1 unterstellt habe, einen Goldschmuck verloren zu haben. Er habe sie und die BF4 umbringen wollen und habe vor ca. einem Jahr ihren Bruder BF1, der mit einem Motorrad mit ihrer Mutter unterwegs gewesen sei, mit dem Auto überfahren.

Die BF1 legte zum Beleg für dieses Vorbringen Fotos ihrer Mutter und ihres Bruders, die sie verletzt im Krankenhaus zeigen, und Krankenhausbestätigungen vor (im Verwaltungsakt unchronologisch vor der Einvernahmeniederschrift eingereiht).

Als sie ihre Tochter (die BF4, wie auch schon den BF3 mit Kaiserschnitt) geboren habe, sei sie gesundheitlich sehr angeschlagen gewesen und hätte länger im Krankenhaus bleiben müssen. XXXX hätte dies aber verhindern wollen und sie gezwungen, mit dem Kind nach Hause zu gehen. Als Nachbarn einige Tage später die gesundheitliche Lage ihrer Tochter mitbekommen hätten, hätten sie ihr geholfen, sie gegen den Willen von XXXX , der zu dieser Zeit nicht zu Hause gewesen sei, wieder ins Krankenhaus zu bringen.

Die BF1 habe wegen ihrer Lage auch einmal versucht, Selbstmord zu begehen. Sie hätte sich gegen ärztlichen Rat geweigert, in eine Psychiatrie zu gehen, und habe Medikamente bekommen.

Am 24.02.2015 habe sie aufgrund dieser Umstände und ihrer Situation eine Fehlgeburt erlitten.

XXXX halte sich in Afghanistan und im Iran auf und werde die BF bei einer Rückkehr finden und weiter verfolgen.

Die BF legten Belege über ihre Integrationsbemühungen vor (Deutschzertifikate - BF1: A1, BF2: A2; Empfehlungsschreiben, Bestätigung betreffend gemeinnützige Arbeiten durch den BF2 und Arbeitsplatzzusagen für ihn).

1.4. Am XXXX wurde XXXX als weitere gemeinsame Tochter von BF1 und BF2 in Österreich geboren und am 12.04.2018 auch für sie ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt.

1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 08.05.2018 (BF1 bis BF4) bzw. 12.04.2018 (BF5) die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 30.12.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidungen in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden den BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das von den BF erstattete Vorbringen habe sich "im Sinne der GFK als nicht relevant erwiesen". Es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Der BF würden nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG erfüllen, der Erlassung von Rückkehrentscheidungen stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wären. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Bezüglich der von der BF1 in ihrer Einvernahme thematisierten "freien Lebensweise in Österreich" sei festzuhalten, dass "[...] der Fruchtgenuss einzelner in einer fremden Gesellschaftsordnung vorhandener Lebensaspekte, welche einem angenehm sind [...] keine Gesinnung [...] oder gar einen Gesinnungswandel [...]" darstellen würden.

1.6. Gegen diesen Bescheid brachten die BF mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 11.06.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen moniert, dass die belangte Behörde, die doch eine Fachbehörde sei, die sich mit Fremden allgemein und mit Flüchtlingen im Besonderen auseinandersetze, anscheinend nicht über die Kultur und Länder betreffend die BF (nämlich insbesondere die starren und völlig veralteten Strukturen, familiäre Zwangsstrukturen mit Gewaltbeziehungen) Bescheid wisse und diese unzulässig mit Wertvorstellungen in Westeuropa verglichen habe. Dies zeige die Art der Fragestellungen in den Einvernahmen und führe zu einer falschen Beweiswürdigung.

Die BF1 sei in Teheran vom Bruder des BF2 schwerst misshandelt und verfolgt worden. Dies habe zu einem Selbstmordversuch und zu einer Fehlgeburt geführt. Sie sei daher aus Furcht vor Verfolgung und ihrem Wunsch, ihren Kindern ein menschenwürdiges Leben bieten zu wollen, geflohen. In Afghanistan habe sich die BF2, wie auch ihre Kinder, noch nie aufgehalten.

Mehrere Fehler in den angefochtenen Bescheiden (etwa die Anführung der Personalia einer völlig anderen Person im Bescheid der BF1) wurden aufgezeigt.

1.7. Das BVwG führte am 11.11.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der die BF persönlich in Begleitung von drei Vertrauenspersonen (Arbeitgeber für BF2, Freundin der BF1) erschienen. Die belangte Behörde entschuldigte ihr Fernbleiben.

Dabei gaben die BF1 und der BF2 auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF2: Dari. Ich verstehe auch etwas Farsi.

BF1: Dari, da wir im Elternhaus Dari gesprochen haben. Auf Grund meines lebenslangen Aufenthaltes im Iran spreche ich aber besser Farsi.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für die BF?

D: Dari bzw. Farsi.

RI befragt BF, ob sie D gut verstehen; dies wird bejaht.

BF: Ja.

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Wir sind schon in der Lage, wir sind nur etwas gestresst.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF2: Nein.

BF1: Nein.

RI an BF1: Haben Sie auf Grund der Vorfälle mit Ihrem Schwager keine gesundheitlichen Folgen?

BF1: Meine Tochter (BF4) war im Iran zweimal im Krankenhaus stationär aufhältig, einmal 40 Tage und einmal zwei Wochen. Ich war jedes Mal als Begleitperson mit dabei. Als mich mein Schwager geschlagen hatte und ich ins Krankenhaus kam, wurde festgestellt, dass ich höchstwahrscheinlich eine Frühgeburt erleiden würde und das Kind womöglich nicht überleben würde. Nachdem das Kind zur Welt gekommen ist, sind wir nach Hause gekommen. Das Kind hat ständig geweint. Der Schwager ließ uns nicht ins Spital. Ein iranischer Nachbar, der das bemerkte, ist zu uns gekommen und hat darauf bestanden, dass unbedingt das Kind ins Spital muss, er hat gedroht, falls es nicht passiere, würde er die Polizei alarmieren. Auf Grund dessen hat der Schwager keinen Widerstand geleistet. So sind wir ins Spital gekommen. Als ich mein Kind mit der Nachbarin ins Spital brachte, war der Schwager nicht zu Hause.

In Österreich hat mich einmal mein Hausarzt zu einer Fachärztin für Psychiatrie verwiesen, auf Grund von Sprachproblemen konnte ich nicht behandelt werden.

RI an BF1: Wie geht es der BF4?

BF1: Sie hat öfters Verdauungsprobleme und Bauchschmerzen. Wir müssen aufpassen, was sie isst. Sie darf keinen Sport treiben. Wenn sie z. B. etwa im Kindergarten etwas Falsches isst, müssen wir ins Spital fahren.

Angemerkt wird, dass die BF1 einen selbstbewussten, engagierten und erregten Eindruck macht, wenn Sie über ihre Probleme mit ihrem Schwager im Iran und ihren Kindern spricht.

RI an BF2: Wie viele Brüder haben Sie?

BF2: Zwei. Mein Bruder XXXX ist über 20 Jahre älter als ich, er hat meine Frau geschlagen. Mein zweiter Bruder ist ca. drei Jahre älter als ich, man weiß nicht, wo er sich aufhält. Ich habe ihn zuletzt kurz bei meiner Hochzeit in Teheran, im Iran, gesehen. Die Hochzeit war am XXXX (= XXXX ).

[...]

Die BF haben bisher ihre Heiratsurkunde sowie Belege zu ihrer Integration (BF1: Deutschzertifikat A1; BF2: A2, Empfehlungsschreiben über Praktikumstätigkeit in einer KFZ-Werkstätte und über gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde) sowie zur Gesundheit der BF1 und der BF4 vorgelegt.

Heute legen sie weiters vor:

-

Freiwilligenpass der BF1,

-

Empfehlungsschreiben, Schulbesuchs- und Kindergartenbestätigung,

-

Deutschkursbesuchsbestätigung A2 für BF1,

-

diverse Fotos betreffend Integration der BF (etwa auch die BF1 beim Baden mit Bikini),

die teilweise in Kopie zum Akt genommen werden.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Unsere Geburtsdaten lauten richtig:

BF1: XXXX (= XXXX )

BF3: XXXX (= XXXX )

BF4: XXXX ( XXXX )

Die BF legen dazu ihre iranischen Geburtsurkunden vor, die der D bezüglich der Daten übersetzt und die in Kopie zum Akt genommen werden.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Schiitische Moslems.

RI: Gehen Sie in die Moschee?

BF: Wir waren in Österreich noch nicht in einer Moschee.

RI: Halten Sie das Fasten im Ramadan ein?

BF: Ja.

RI: Wie vereinbaren Sie das Schwimmen im Schwimmbad im Bikini mit den islamischen Bekleidungsvorschriften?

BF1: In einem islamischen Staat ist das Einhalten des islamischen Kodex ein Zwang. Hier darf ich mich kleiden wie ich will, und ich will leben.

RI: Sind Sie verheiratet und haben drei Kinder?

BF1: Wir sind verheiratet. Einmal hatte ich eine Fehlgeburt.

RI: Haben Sie eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Ich habe im Iran sechs Jahre lang einen Kurs "Kampf gegen Analphabetismus" besucht und habe dort Lesen und Schreiben in Farsi gelernt.

RI: Hätten Sie gerne eine Schule besucht?

BF1: Ja, sehr gerne.

BF1 lacht.

RI: Was hätten Sie gerne gelernt?

BF1: Ich hatte im Iran keine Möglichkeiten, etwas zu lernen und mir etwas zu wünschen. Heute würde ich gerne Frisörin werden. In meiner Bekanntschaft übe ich privat schon solche Tätigkeiten aus. Meine Haare habe ich mir selbst gefärbt.

RI an BF2: Sind Sie damit einverstanden, dass Ihre Frau das machen möchte?

BF2: Ja. Ich bin sehr damit einverstanden, dass Frauen arbeiten, dass den Männer eine Last von den Schultern genommen wird.

Ich habe im Afghanistan diverse Hilfsarbeiten ausgeübt, im Iran habe ich als Tischler und in einer Glasfabrik gearbeitet. Ich habe keine Schule besucht.

RI an BF2: Wann sind Sie von Afghanistan in den Iran gekommen?

BF2: Ca. sieben, acht Jahre vor meiner Ausreise aus dem Iran.

RI: Haben Sie in Afghanistan Verwandte?

BF1: Nein.

BF2: Ja. Ich hatte in Afghanistan einige Tanten und Onkeln sowie einen Bruder.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF: Nein.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern?

BF: Ja.

RI befragt die VP1 [Vertrauensperson], die dazu angibt, dass die BF vor ca. zwei Monaten umziehen mussten. Sie hatten vorher gute soziale Kontakte und waren in das Gemeindeleben eingebunden. Es wurden oft Mitfahrgelegenheiten mit dem Auto zur nächsten Zugverbindung gefunden.

RI an VP1: Was können Sie mir über Ihre Freundin erzählen?

VP1: Ich besuche die BF1 jeden Freitag und hole sie ab zum Sozialmarkt. Wir gehen gemeinsam einkaufen. Anschließend trinken wir zu Hause gemeinsam Tee. Die BF1 kleidet sich zu diesem Anlass besonders, das ist ein Ausflug. Zwei weitere Bekannte von mir lernen regelmäßig mit ihr Deutsch. Manchmal kochen wir gemeinsam.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF1: Ich verstehe Sie ein bisschen.

BF2: Ich verstehe mehr als die Hälfte von dem, was Sie sagen.

RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen großteils verstanden und gebrochen auf Deutsch beantwortet haben.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach? Wie ist Ihr Tagesablauf?

BF1: Ich treffe mich mit österreichischen Bekannten, wir trinken gemeinsam Tee, ich lade zum Essen ein. Ich gehe gerne Radfahren, Schwimmen und Spazieren. Unlängst war in OÖ [Oberösterreich] eine afghanische Schriftstellerin für eine Lesung geladen, ich habe dort gekocht.

RI: Ist das wahr, dass - wie der BFV [Vertreter der BF] sagt - Sie Ihre Frau für intelligenter als Sie halten?

BF2: Ja, das stimmt. Ich bin Analphabet, meine Frau kann Lesen und Schreiben. Ich lasse mich oft von ihr beraten und nehme sie zum Einkaufen mit.

RI: Wieso können Sie dann besser Deutsch als sie?

BF1: Ich konnte auf Grund der Schwangerschaft weniger an Deutschkursen teilnehmen.

BF2: Ja, ich habe sogar einen B1-Kurs besucht, aber noch keine Prüfung abgelegt.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF2: Nein, nur einmal wurde ich als Zeuge vorgeladen.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF2: Nein.

BF1: Ich bin mit meiner Mutter im Iran in Kontakt.

RI: Wie lange hat die Reise aus dem Iran nach Österreich gedauert?

BF: Ca. einen Monat.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Warum sind Sie aus dem Iran nach Österreich gekommen?

BF: Unser Leben und das unserer Kinder war in Gefahr durch den Bruder des BF2.

RI: Hat Sie Ihr Schwager einmal oder öfter geschlagen?

BF1: Er hat mich regelmäßig geschlagen. Er wollte meine Tochter umbringen. Er hat mir unterstellt, dass ich den Schmuck der Schwägerin meines Mannes verloren hätte. Unter diesem Vorwand wollte er uns umbringen.

RI an BF2: Stimmt das?

BF2: Ja.

RI: Wieso sind Sie nicht schon früher geflüchtet?

BF2: Wir hatten schon früher die Absicht, aber aus Krankheits- und anderen Gründen ging es nicht früher. Wir konnten auch nicht nach Afghanistan gehen, dort hätte er uns auch gefunden.

RI: Ihre Ehe ist arrangiert worden?

BF1: Ja.

RI an BF2: Sind Sie damit zufrieden?

BF2: Ja, ich bin sehr zufrieden.

BF1: Ich bin auch zufrieden.

RI an BF1: Wen wird Ihre Tochter einmal heiraten?

BF1: Wen sie liebt und mag.

RI: Angemerkt wird, dass die BF1 hochhackige Stiefeletten, eine schwarze Nylonstrumpfhose und ein ärmeloses, mittellanges gepunktetes Kleid trägt. Sie trägt die Haare blondgefärbt, schulterlang und offen. Sie trägt Ohrringe und eine Uhr und hat die Fingernägel lackiert. Sie ist geschminkt.

R an BF1: Sind Sie immer so gekleidet wie heute?

BF1: Sie meinen freizügig?

RI: Ja.

BF1: Ja, freizügig im Sommer, wenn es heiß ist. Ich bin immer chic gekleidet.

RI an VP1: Stimmt das, was die BF1 sagt?

VP1: Ich kann das bestätigen.

RI an VP1: Ist sie immer geschminkt?

VP1: Wenn ich am Freitag zu ihr komme, ist sie immer geschminkt und immer schön angezogen.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens der BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben der BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

Der BFV beantragt die Stattgebung der Beschwerde.

RI befragt BF, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wollen; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob sie D gut verstanden haben; dies wird bejaht.

[...]"

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte schriftlich die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung von BF1 und BF2 am 31.12.2015 und ihrer Einvernahme vor dem BFA am 01.02.2018, die vorgelegten Schriftstücke (Heiratsurkunde, Krankenhausbestätigungen aus dem Iran, Fotos der verletzten Mutter und des Bruders der BF1, Integrationsbelege) sowie die Beschwerde vom 11.06.2018

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, etwa Bescheidseiten 19 bis 102 im unnummerierten Verwaltungsakt der BF1)

* Einvernahme von BF1 und BF2 im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 11.11.2019, Befragung der anwesenden Vertrauenspersonen als sonstiges Auskunftsmittel sowie Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Belege zur Integration der BF (Freiwilligenpass der BF1, Empfehlungsschreiben, Schulbesuchs- und Kindergartenbestätigung für BF3 bzw. BF4, Deutschkursbestätigung A2 für BF1, mehrere Fotos betreffen die BF1 in Österreich - etwa beim Baden mit Bikini)

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, über die Lage der Frauen und Kinder und der Angehörigen der Volksgruppe der Hazara, über die medizinische Versorgung sowie über die Lage in den Provinzen Parwan und Maidan Wardak (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 04.06.2019)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), ihr gemeinsamer Sohn XXXX , geboren am XXXX (BF3), und ihre gemeinsamen Töchter XXXX , geboren am XXXX (BF4) und XXXX , geboren am XXXX in Österreich (BF5).

Sie sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari, die BF1 spricht aufgrund ihres lebenslangen Aufenthaltes im Iran auch Farsi.

3.1.2. Lebensumstände:

Die BF1 ist im Iran geboren und aufgewachsen und war nie in Afghanistan aufhältig.

Der BF2 ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, besuchte keine Schule und übersiedelte ca. 2008 mit seinem um ca. 20 Jahre älteren Bruder XXXX in den Iran, wo er im Jahr 2012 - über Arrangement der Brüder der BF - die BF1 heiratete.

XXXX drangsalierte den BF2 sein Leben lang und zwang ihn zur Ausübung von Hilfsarbeiten (etwa in einer Fabrik) und zur Ablieferung des Lohns.

XXXX zwang auch seine Schwägerin, die BF1, für ihn (Haushalts- und andere) Arbeiten vorzunehmen und schlug sie regelmäßig. Tritte in den Bauch der schwangeren BF1 bewirkten, dass ihre ältere Tochter, die BF4, nun mit großen gesundheitlichen Problemen (mit ihrem Darm) leben muss. Unter dem Vorwand, dass die BF1 einen nicht ihr gehörenden Goldschmuck verloren hätte, und wegen Schulden des Bruders der BF1 ihm gegenüber bedrohte XXXX die BF1 und die BF4 mit dem Tod. Er ist offenbar auch verantwortlich für einen Unfall, bei dem der Bruder der BF1 mit ihrer Mutter von einem Auto vom Motorrad gestoßen und beide erheblich verletzt worden sind.

Die BF verließen aus angegebenen Gründen den Iran und stellten am 30.12.2015 (BF1 bis BF4) bzw. 12.04.2018 (BF5 im Familienverfahren) jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

3.1.3. Die BF bemühen sich um ernsthaft und erfolgreich um ihre Integration in Österreich. Sie haben Deutschkurse besucht und Deutschzertifikate erlangt (BF1: A1, BF2: A2).

Der BF2 hat gemeinnützige Arbeiten für seine Wohnsitzgemeinde verrichtet und verfügt über eine Arbeitsplatzzusage in einer KFZ-Werkstätte (deren Betreiber als Vertrauenspersonen bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung anwesend waren). Die BF1 hat Anschluss an österreichische Bekannte gefunden und verfügt über einen Freundeskreis.

Die BF halten den Fastenmonat ein, besuchen aber regelmäßig nicht die Moschee.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

3.2.1. Die BF sind aus Angst um ihr Leben und das ihrer Kinder vor dem Bruder des BF2 XXXX geflüchtet.

3.2.2. Die BF1 ist eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert ist. In Österreich kleidet, frisiert und schminkt sich die BF1 nach westlicher Mode, trifft sich regelmäßig mit einer Freundin, geht mit ihr Einkaufen und lädt sie und andere Bekannte nachher zu Tee und Essen ein. Sie wies einen Freiwilligenpass vor und treibt Sport (Spazierengehen, Radfahren, Schwimmen). Sie kleidet sich modern nach westlicher Mode und möchte eine Ausbildung als Frisörin machen und einer Erwerbstätigkeit nachgehen.

Die BF1 lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben. Ihre Einstellung und ihr Lebensstil stehen im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegenden und auch entsprechend verfestigten Änderung ihrer Lebensführung würde die BF1 im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frau angesehen werden.

3.2.3. Der BF2 hat - wie auch die Kinder von BF1 und BF2 - keine eigenen asylrelevanten Verfolgungsgründe vorgebracht. Die BF leben im gemeinsamen Haushalt.

3.2.4. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten auszuschließen wären.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

3.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 13.11.2019", Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015), und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für fünf Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14.11.2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden, und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben, und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert, und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss, und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.01.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.06.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.01.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.06.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigte Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019).

Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.05.2019).

3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 03.09.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.04.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.06.2019; vgl. AJ 12.04.2019; NYT 12.04.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.04.2019; vgl. NYT 12.04.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.06.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.01.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 08.09.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 03.09.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 07.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.04.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte, die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren, und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran, ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 03.09.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich es keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 03.09.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 07.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 07.12.2018; vgl. ARN 23.06.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 03.09.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.02.2019).

[...]

Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevante Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 03.09.2019). Für den Berichtszeitraum 08.02 - 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.06.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.05 - 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 03.09.2019).

Im Gegensatz dazu registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

[...]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung sta

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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