TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/17 W183 2211424-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2019
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Entscheidungsdatum

17.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W183 2211425-1/10E

W183 2211424-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. PIELER über die Beschwerde von 1) XXXX , geb. XXXX , und 2) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , beide StA. Iran, beide vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.12.2018, Zl. 1) XXXX 2) XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.11.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) verließen im Jahr 2018 Iran, stellten am 13.07.2018 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz und wurden am 14.07.2018 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. BF1 wurde am 27.09.2018, BF2 am 28.09.2018 von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), zu ihren Fluchtgründen niederschriftlich einvernommen.

Im behördlichen Verfahren gaben BF1 und BF2 als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sie wegen ihrer Heirat mit ihren Eltern Probleme bekommen hätten und insbesondere von den afghanischen Verwandten (väterlicherseits) der BF2 verfolgt werden.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden (zugestellt am 06.12.2018) wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gegen BF1 und BF2 Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Iran zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Das BFA stellte BF1 und BF2 amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.

3. Mit Schriftsatz vom 18.12.2018 erhoben BF1 und BF2 durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt sowie vorgebracht, dass die BF2 nicht, wie von der belangten Behörde angenommen, die iranische, sondern die afghanische Staatsbürgerschaft innehabe.

4. Mit Schriftsatz vom 07.01.2019 (eingelangt am 09.01.2019) legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 28.03.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der bislang zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der nun zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen (eingelangt am 15.05.2019).

5. Mit Schreiben vom 07.10.2019 wurden der BF1, die BF2 sowie das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.11.2019 geladen und wurde in den Ladungen darauf hingewiesen, dass das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigt, die Länderberichte gemäß dem "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Iran, Gesamtaktualisierung am 14. Juni 2019" sowie dem "Länderreport 10 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Iran - Situation der Christen, Stand 3/2019" als Grundlage für die Feststellungen zur Situation in Iran heranzuziehen. Es wurde Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme gegeben. Schriftliche Stellungnahmen wurden von keiner der Parteien dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.11.2019 unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher BF1 und BF2 sowie deren Rechtsvertretung teilnahmen. BF1 und BF2 wurden ausführlich zu ihrer Person und ihren Fluchtgründen befragt. Es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, alle Gründe umfassend darzulegen, zu den ins Verfahren eingeführten Länderberichten Stellung zu nehmen und ihre Situation in Österreich darzustellen. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende Dokumente zum Parteiengehör:

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.06.2017 zu "Iran Staatsangehörigkeit (allgemein und von Personen mit iranischen Müttern und nicht-iranischen Vätern)"; Lifos-Bericht vom 10.04.2018 zu "Afghanistan: Afghanen im Iran" (Arbeitsübersetzung). Das BFA nahm an dieser Verhandlung unentschuldigt nicht teil und gab keine schriftliche Stellungnahme zu der Situation im Herkunftsland ab.

BF1 und BF2 legten folgende Unterlagen vor: Bestätigung der Teilnahme des BF1 an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 24.10.2019, zwei Unterstützungsschreiben.

Strafregisterabfragen betreffend BF1 und BF2 wurden am Tag der Verhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF1 und BF2

BF1 und BF2 sind volljährige iranische Staatsangehörige schiitischen Glaubens und miteinander verheiratet. BF1 und BF2 tragen die im Erkenntniskopf genannten Namen und sind an den dort angeführten Daten geboren. Ihre jeweiligen Identitäten stehen nicht fest.

BF1 stammt aus Mashad und lebte dort bis zu seiner Ausreise, gehört der Volksgruppe der Perser an, spricht Farsi, verfügt über einen Schulabschluss und arbeitete in Iran als Schneider und als Fahrer. In Iran leben seine Eltern, vier Brüder und eine Schwester. BF1 hat regelmäßigen Kontakt zu seinem Vater und seinem kleinen Bruder; das Verhältnis zu seiner Familie ist gut.

Der Vater und der jüngere Bruder des BF1 haben als Zeugen an der Hochzeit von BF1 und BF2 teilgenommen und die Heiratsurkunde unterschrieben, BF1 hat sein Geschäft seinem Bruder überlassen und wird von diesem bei Bedarf auch finanziell unterstützt.

BF2 stammt aus Mashad und lebte dort bis zu ihrer Ausreise, gehört der Volksgruppe der Hazara an, spricht Farsi, verfügt über einen Schulabschluss und arbeitete in Iran als Schneiderin. In Iran leben ihre Mutter, zwei Brüder, eine Schwester sowie die Familie ihrer Mutter. Ihr Vater ist bereits verstorben. Die Familie ihres Vaters lebt in Afghanistan, wo ihre Eltern ursprünglich herstammen. BF2 hatte, seit sie in Österreich ist, Kontakt zu ihrer Schwester, ihrem jüngeren Bruder und ihrer Mutter.

BF1 und BF2 reisten illegal nach Österreich ein und stellten am 13.07.2018 in Österreich jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.

BF1 und BF2 leiden an keiner physischen oder psychischen (schweren oder lebensbedrohlichen) Erkrankung und sind arbeitsfähig.

BF1 und BF2 verfügen über keine familiären oder sonstigen verwandtschaftlichen bzw. familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich. Sie sind in Österreich nicht Mitglied in Vereinen oder anderen Organisationen. Sie besuchen keine Schule und absolvieren keine Ausbildung. BF1 hat einen Werte- und Orientierungskurs beim ÖIF besucht. Zum Freundeskreis von BF1 und BF2 zählen unter anderem österreichische Staatsbürger, welche sie vorwiegend aus der Nachbarschaft oder dem Deutschunterreicht kennen. Die sozialen Kontakte entstanden zu einem Zeitpunkt, als BF1 und BF2 bereits ihre Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatten.

BF1 und BF2 beziehen in Österreich Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig; BF1 hilft bei einer Kirche im Ort am Friedhof mit, BF2 hat letztes Jahr einmal wöchentlich bei einem Ehepaar zuhause geputzt und im August/September 2018 gemeinnützige Hilfstätigkeiten verrichtet.

BF1 und BF2 besuchen einen Deutschkurs auf A1-Niveau, haben aber noch keine Prüfung abgelegt. BF1 spricht sehr wenig, BF2 wenig Deutsch. Eine Kommunikation auf Deutsch ist kaum möglich.

BF1 und BF2 sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen

BF1 und BF2 werden nicht - wie vorgebracht - von den Verwandten der BF2 verfolgt.

BF2 wird nicht wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt.

BF1 und BF2 werden nicht aufgrund ihres schiitischen Glaubens verfolgt.

BF1 und BF2 brachten keine weiteren Gründe, warum sie eine Rückkehr in den Heimatstaat fürchten, vor.

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Iran vom 14. Juni 2019 (LIB 2019) ergibt sich wie folgt:

Zur Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.

Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (11.6.2019b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 11.6.2019

* BMeiA - Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (11.6.2019): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 11.6.2019

* EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (11.6.2019): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 11.6.2019

* ÖB - Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019

Zu Rechtsschutz/Justizwesen:

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019).

Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018). Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire

Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-

Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

-

Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-

Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-

Spionage für fremde Mächte;

-

Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-

Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018). Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen - auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen ("Qisas"), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes ("Diya") kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019). Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019). Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-standnovember-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 24.5.2019

* AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-dieasyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 24.5.2019

* AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.5.2019

* BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 24.5.2019

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

* HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 24.5.2019

* ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 24.5.2019

* US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 24.5.2019

* US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom

o Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 24.5.2019

Zu Sicherheitsbehörden:

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 12.2018).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 12.1.2019). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.2.2019). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela'at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Basij und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 12.1.2019). Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018). Der Oberste Führer hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem.

Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 13.3.2019).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht einmal nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelungen durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 12.2018).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-dieasyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 31.5.2019

* BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 27.5.2019

* DW - Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft,

http://www.dw.com/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802, Zugriff 27.5.2019

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

* DIS/DRC - The Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 27.5.2019

* Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden,

https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/, Zugriff 27.5.2019

* ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 27.5.2019

* Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-soviel-macht-haben/19907934.html, Zugriff 27.5.2019

* US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 27.5.2019

Zu Sunniten:

Sunniten sind in der Verfassung als Muslime anerkannt und dürfen ihre Religion prinzipiell frei ausüben. Sie leben im Iran vor allem im Südwesten des Landes nahe den Grenzen zu den arabischen Nachbarländern. Sunniten sind - soweit sie nicht Kurden sind - meist gleichzeitig Angehörige der arabischen Minderheit (z.B. Ahwazi) (ÖB Teheran 12.2018). Sunniten sehen sich allerdings vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und werden vor dem Gesetz benachteiligt. So nehmen gerade in den letzten Jahren die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten zu (GIZ 3.2019c, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Sunniten berichten, dass sie keine Moscheen in großen Städten bauen dürfen und Probleme hätten, Posten im öffentlichen Dienst zu bekommen (FH 4.2.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018). Immer wieder werden sunnitische Geistliche verhaftet und der "Propaganda gegen das System" oder des Terrorismus bezichtigt. Außerdem fürchten die Behörden ein Überlaufen iranischer Sunniten zum Salafismus, einer radikal fundamentalistischen Auslegung des Sunni-Islam, welche vor allem in Saudi-Arabien ihren Ursprung findet (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

* FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 4.6.2019

* GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019c):

Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/, Zugriff 4.6.2019

* ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 4.6.2019

Eheschließung und Staatsangehörigkeit:

Die ausländische Ehefrau eines Iraners erwirbt durch die Eheschließung automatisch die iranische Staatsangehörigkeit und wird dann ausschließlich als Iranerin behandelt. Eine mit einem iranischen Staatsangehörigen verheiratete Frau kann nominell weder eine andere Staatsangehörigkeit erwerben noch aus der iranischen Staatsangehörigkeit entlassen werden (AA 9.12.2015).

Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen. Staatenlosen wird von einigen Provinzverwaltungen Zugang zur öffentlichen Grundversorgung und das Ausstellen von Reisedokumenten und sonstigen Papieren verwehrt, eine einheitliche Praxis fehlt (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

* -AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 5.6.2019

* ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 7.6.2019

Zu Grundversorgung und Rückkehr:

Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der Mindestlohn liegt bei ca. 14 Mio. IRR im Monat (ca. 97 Euro). Das durchschnittliche pro Kopf Einkommen liegt bei ca. 388 Euro (AA 12.1.2019).

Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. (AA 12.1.2019)

Quellen:

* AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Aus der ins Verfahren eingeführten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Iran - Staatsangehörigkeit (allgemein und von Personen mit iranischen Müttern und nicht-iranischen Vätern) vom 23. Juni 2017 ergibt sich wie folgt:

Gemäß der COI-Compilation von ACCORD wird berichtet, dass in Artikel 976 im zweiten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches folgende Personen als iranische Staatsbürger gelten: (...) 6. jede ausländische Frau, die einen iranischen Mann heiratet. (...)

Aus der ins Verfahren eingeführten Arbeitsübersetzung des Lifos Berichts zu Afghanistan: Afghanen im Iran vom 10.04.2018 ergibt sich wie folgt:

Laut iranischem Staatsbürgerschaftsgesetz überträgt ein iranischer Mann seine Staatsbürgerschaft auf eine ausländische Frau, wenn sie heiraten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (EB) und durch das BFA (EV) sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VH), der Beschwerdeschriftsatz, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Iran vom 14. Juni 2019 mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.06.2017 zu "Iran - Staatsangehörigkeit (allgemein und von Personen mit iranischen Müttern und nicht-iranischen Vätern)", die Arbeitsübersetzung des Lifos-Berichts vom 10.04.2018 zu "Afghanistan: Afghanen im Iran"; die von BF1 und BF2 beim BFA vorgelegten Dokumente (Heiratsurkunde von BF1 und BF2, Heiratsurkunde der Eltern der BF2, Sterbeurkunde des Vaters der BF2, Sorgerechtsbestätigung der Mutter der BF2, Bestätigung über gemeinnützige Hilfstätigkeiten von BF1 und BF2, Militärkarte des BF1, Geburtsurkunde des BF1, Führerschein des BF1) sowie die vor dem BVwG vorgelegten Dokumente (Teilnahmebestätigung des BF1 am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF vom 24.10.2019, Unterstützungsschreiben) und die Strafregisterabfragen vom 26.11.2019.

2.2. Zu folgenden Feststellungen wird näher ausgeführt wie folgt:

2.2.1. Zur Person der Beschwerdeführer

Die Identitäten konnten mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet BF1 und BF2 - betreffend weitere Personenmerkmale (Alter, ethnische Zugehörigkeit, Herkunftsregion, Sprachkenntnisse, Ausbildung und Berufserfahrung, Familienstand, Familienverhältnisse und Gesundheitszustand) sowie ihre Situation in Österreich für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machten. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, und waren BF1 und BF2 diesbezüglich auch in der mündlichen Verhandlung persönlich glaubwürdig.

Hinsichtlich der Feststellung, dass die BF2 Iranerin ist, ist festzuhalten, dass sich dies aus der iranischen Rechtslage ergibt, wonach eine ausländische Frau durch die Heirat mit einem iranischen Staatsangehörigen Iranerin wird (siehe Länderfeststellungen); auch ist auf der von BF1 und BF2 vorgelegten Heiratsurkunde als Staatsangehörigkeit der BF2 "Iran" vermerkt. Die Feststellung, dass BF1 und BF2 miteinander verheiratet sind, ergibt sich aus ebendieser Heiratsurkunde, die eine standesamtliche Eheschließung dokumentiert.

Die Feststellung, dass der BF1 regelmäßig Kontakt zu seinem Vater und seinem kleinen Bruder hat sowie dass das Verhältnis zu seiner Familie gut ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der VH (VH, S. 10) sowie in der EV (EV BF1, AS 75f.). Dass der Vater und jüngere Bruder des BF1 als Zeugen an der Hochzeit von BF1 und BF2 teilgenommen und die Heiratsurkunde unterschrieben haben, ergibt sich aus dieser Urkunde selbst, sowie aus den Angaben des BF1 in der VH (VH, S. 8). Dass der BF1 sein Geschäft seinem Bruder überlassen hat und von diesem bei Bedarf auch finanziell unterstützt wird, ergibt sich aus seinen Angaben in der VH (VH, S. 10) und in der EV (EV BF1, AS 74-76).

Die Feststellung, dass die BF2, seit sie in Österreich ist, Kontakt zu ihrer Schwester, ihrem jüngeren Bruder und ihrer Mutter hatte, ergibt sich aus ihren Angaben in der EV (EV BF2, AS 85f.). In der VH hingegen hat die BF2 angegeben, keinen Kontakt zu ihrer Familie zu haben, da sie gegen ihre Ehe mit dem BF1 sei; sie habe seit ihrer Ankunft in Österreich keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen gehabt (VH, S. 22). Dies steht in direktem Widerspruch zu ihrer früheren Angabe in der EV und wird davon ausgegangen, dass es sich hierbei um eine Steigerung in Folge der negativen Entscheidung ihres Antrags auf internationalen Schutz handelt, um ihre Fluchtgeschichte zu untermauern. Auch waren die Antworten auf die Frage, wie sich der letzte Kontakt mit der Familie der BF2 gestaltete, nicht glaubwürdig und wurde ausweichend geantwortet (VH, S. 22).

Die Feststellungen zur Situation von BF1 und BF2 in Österreich ergeben sich aus den vorgelegten unstrittigen Dokumenten und der Einvernahme in der mündlichen Verhandlung. Betreffend die Deutschkenntnisse konnte sich das Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung ein aktuelles Bild von den kaum vorhandenen Deutschkenntnissen machen und legten BF1 und BF2 eine Bestätigung des Besuchs von Deutschkursen auf A1-Niveau vor, jedoch kein Zeugnis über eine abgelegte Prüfung.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus den am Verhandlungstag eingeholten Strafregisterauszügen von BF1 und BF2.

2.2.2. Zum Fluchtvorbringen

Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen aufgrund der iranischen Bürokratie schwierig sind, dass jedoch interethnische Differenzen dafür ausschlaggebend wären, geht aus den Länderberichten nicht hervor. Gleichzeitig wird dort vermerkt, dass Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen keine Seltenheit sind (vgl. 1.3.).

BF1 und BF2 begründen ihre Verfolgung damit, dass die BF2 einem afghanischen Cousin versprochen worden wäre, der später habe Rache üben wollen. Allerdings bringen sowohl BF1 als auch BF2 in der Einvernahme und in der Verhandlung diesbezüglich Unterschiedliches vor, was im Laufe des Verfahrens zu einer Häufung von Widersprüchen führt. In der Einvernahme gab BF2 an, sie habe Iran verlassen, da sie und ihr Mann mit ihren Eltern und Schwiegereltern Probleme gehabt hätten (EB BF2, AS 57). BF1 brachte damals vor, sie hätten wegen ihrer Hochzeit mit ihren Eltern Probleme bekommen, sie wären gezwungen geworden, sich scheiden zu lassen (EB BF1, AS 45). Wenngleich gem. § 19 AsylG 2005 die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung von Identität und Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, so ist doch festzuhalten, dass die Angaben in der Erstbefragung nicht gänzlich unbeachtlich sind (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189). Auch wenn nicht die näheren Fluchtgründe zu erfragen sind, so ist doch zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Angaben betreffend den angeblichen Verfolger die Glaubwürdigkeit von BF1 und BF2 massiv erschüttern. Während also in der Erstbefragung als Verfolger die Eltern von BF1 und BF2 angegeben wurden, wurde in weiterer Folge diese Rolle hauptsächlich Cousins bzw. Onkeln väterlicherseits der BF2 sowie ihrem älteren Bruder zugeschrieben, die in der Erstbefragung unerwähnt blieben. So brachte BF2 in der EV erstmals vor, in Afghanistan würden traditionell gleich nach der Geburt Jungen und Mädchen einander versprochen, auch sie sei ihrem Cousin versprochen worden. Ihr Onkel (Ez.) habe sie darauf zwingen wollen, seinen Sohn zu heiraten. (EV BF2, AS 89) Zusätzlich zu diesem Vorbringen gab der BF1 in der Verhandlung weiter gesteigert an, sein Schwager habe ihm gegenüber begründet: "Wir wollen nicht unser Mädchen einem Iraner zur Frau geben." (VH, S. 12). BF1 gab diesbezüglich an, in Afghanistan würden die Mädchen dem Cousin schon als kleines Mädchen versprochen, dies sei auch bei seiner Frau so gewesen, er habe jedoch davon nichts gewusst. Der Bruder der BF2 habe "die Onkel" (Mz.) in Afghanistan verständigt (EV BF1, AS 79). In der Verhandlung gab er hingegen an, "die Cousins" väterlicherseits der BF2 seien hinter ihm her (VH, S. 6); weiters habe der Bruder der BF2 deren "Cousins" angerufen und von der Hochzeit erzählt (VH, S. 11). Die BF2 gab an, ihr Bruder habe ihren Onkel angerufen, der dann mit seinem Sohn habe nach Iran kommen wollen, um die BF2 zu holen (VH, S. 25). Nach der Identität der Verfolger befragt, gab der BF1 in der Verhandlung an, er wisse nicht, wie diese Personen heißen, er kenne sie nicht (VH, S. 12), in der Einvernahme hatte er noch gesagt, er habe seinen Namen vergessen, er habe es mal gewusst (EV BF1, AS 83). Da BF1 und BF2 vorbringen, durch Privatpersonen verfolgt zu werden, ist deren Identität zentral. Allerdings haben sie sowohl in der EB (Eltern), EV (BF1: die Onkel, BF2: ein Onkel) und VH (BF1: die Cousins, BF2: ein Onkel und ein Cousin) höchst unterschiedlich und nicht konsistent vorgebracht, wer sie eigentlich verfolgt. Letztendlich ist das Fluchtvorbringen damit auch wenig nachvollziehbar dargelegt worden. Auffallend ist auch, dass alle Bedrohungen seitens der afghanischen Verwandtschaft der BF2 indirekt erfolgt seien und deutet das darauf hin, dass es sich um ein konstruiertes Fluchtvorbringen handelt. Die mangelnden eigenständigen Wahrnehmungen erlauben letztendlich eine vage Erzählweise. Auffallend in der mündlichen Verhandlung war auch die emotionslose Erzählweise, welche nicht darauf schließen lässt, dass es sich bei dem Vorbringen um eine tatsächlich erlebte Situation handelt (vgl. VH, S. 11).

Sofern die Eltern als potentielle Verfolger angegeben werden, ist vor dem Hintergrund der streng patriarchalischen iranischen Gesellschaft zu berücksichtigen, dass der Vater des BF1 nicht gegen die Hochzeit war, sondern sogar dabei war und diese bezeugt hat, er in Telefongesprächen mit dem BF1 auch nach der BF2 fragt (EV BF1, AS 83: "Mein Vater hat meine Ehefrau kennen gelernt, er hat gesehen, dass sie eine sehr nette Person ist."), also von der Familie des BF1 nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr von asylrelevantem Ausmaß ausgeht - mag auch die Mutter des BF1 "beleidigt" sein und nicht mehr mit ihm reden. Der BF1 sagt selbst dazu: "Ich bin unabhängig und lasse nicht zu, dass sich wer in mein Leben einmischt." (VH, S. 10). Nicht mit den Länderberichten zu Iran vereinbar ist die Aussage der BF2, dass der Vater des BF1, der durch seine Anwesenheit bei und Bezeugung der Hochzeit diese gutgeheißen hat, als Familienoberhaupt "keine große Rolle bei Entscheidungen" gespielt haben soll (VH, S. 20). Hinsichtlich der Familie der BF2 ist zu berücksichtigen, dass der Vater der BF2 vor etwa 25 Jahren starb. Über ihre Mutter sagt die BF2: "Meine Mutter ist Analphabetin. Meine Mutter kann nicht lesen und schreiben." (VH, S. 21) und "Im Iran ist es auch so üblich, dass sich Männer darum kümmern und nur mit Männern darüber reden." (VH, S. 20). Die BF2 hat nie vorgebracht, dass ein Onkel mütterlicherseits oder ein anderer männlicher Verwandter als Familienoberhaupt agiert hätte. Ihr jüngerer Bruder scheint die BF2 unterstützt zu haben und ist auch jetzt noch mit ihr in Kontakt. Nicht nachvollziehbar ist, wie von einem Bruder der BF2 eine so maßgebliche Gefahr für BF1 und BF2 ausgehen soll, zumal die Kernfamilie des BF1, die die Heirat schlussendlich akzeptiert hatte, viel größer ist (sie besteht aus seinem Vater und vier Brüdern) und auch gesellschaftlich in Iran als Perser - im Gegensatz zur Familie der BF2, die eingewandert und afghanischer Abstammung ist - eine gefestigtere Stellung einnehmen. So sei etwa auch ein Onkel väterlicherseits des BF1 bei der Armee, ein Onkel mütterlicherseits Chef der Zentralbank (EV BF1, AS 75). Dass ihre Onkels/Cousins tatsächlich in Iran waren, wurde von ihr nicht einmal vorgebracht. Bis zum Anruf seiner Schwiegermutter hinsichtlich der Gefahr, dass die Onkel kommen "um klares Wasser zu schenken", was nicht gut geklungen habe, fühlte sich der BF1 auch nicht veranlasst, Iran zu verlassen (EV BF1, AS 82).

In der Verhandlung gab der BF1 an, er sei sich sicher, dass die Cousins der BF2 mittlerweile in Iran seien, da sein Bruder zu ihm gesagt habe: "Gut, dass du weg bist." Dadurch hat der BF1 jedoch nicht einmal vorgebracht, dass sein Bruder ihn von der Anwesenheit der Cousins informiert habe, sondern ist er selbst zu dieser Annahme gekommen. Er vermochte in der Verhandlung auch auf Nachfrage nicht näher auszuführen, worauf er diese gründet (VH, S. 14). Einerseits ist unklar und nicht nachvollziehbar, wieso sich die afghanischen Cousins der BF2 im November 2019 noch immer in Iran aufhalten sollten, nachdem BF1 und BF2 Iran schon im Juli 2018 verließen. Andererseits ist unverständlich, wieso die Cousins - wenn sie schon, wie vorgebracht, auf Rache der Familienehre wegen aus waren - von Afghanistan nach Iran länger brauchten als BF1 und BF2, um ihre Angelegenheiten zu regeln und nach Österreich zu fliehen. Auch ist den Verwandten der BF nichts, was eine tatsächliche Verfolgung aufgrund Rache nahelegen würde, passiert.

Während der BF1 in der Verhandlung vorbringt, er sei etwa zwei Monate nach seiner Einreise nach Österreich (also ca. im September 2018) von seinem jüngeren Bruder angerufen worden, der ihm gesagt habe, der Bruder der BF2 habe den ältesten Bruder der BF1 angerufen, sowie es sei gut, dass der BF1 nicht mehr in Iran sei, womit er meinen würde, "sie" würden ihn suchen (VH, S. 5), ist der BF2 ein solcher Anruf gänzlich unbekannt, vielmehr sei seit ihrer Ausreise aus Iran nichts Asylrelevantes mehr passiert und sei es wohl kein wichtiges Ereignis gewesen (VH, S. 15f.). Da es nicht so wichtig gewesen wäre, habe der BF1 es ihr nicht erzählt (VH, S. 16). Auf Nachfrage, wieso er bei der Einvernahme vor dem BFA (im September 2018, also in einem unmittelbaren zeitlichen Naheverhältnis) nichts davon gesagt habe, gibt BF1 an, er sei nicht danach gefragt worden (VH, S. 5). Auch in der Beschwerde wurde dieser Anruf jedoch nicht erwähnt. Es ist gänzlich unverständlich, wieso der BF1 einen Umstand, der so zentral mit seinem Fluchtgrund zusammenhängt weder bei der Einvernahme, noch in der Beschwerde, noch gegenüber seiner Frau, die ja auch davon betroffen wäre, erwähnt. Lebensfremd ist, dass er nicht ein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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