TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/10 W271 2170539-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.01.2020
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Entscheidungsdatum

10.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W271 2170539-1/29E

Schriftliche Ausfertigung des am XXXX mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX alias XXXX alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Clemens LAHNER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, stellte zunächst am XXXX in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Nachdem der BF am XXXX illegal nach Österreich eingereist ist, suchte dieser am XXXX bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion XXXX um internationalen Schutz an.

3. Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der BF im Beisein einer Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in der Provinz Paktia, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX , geboren worden, habe neun Jahre lang eine Schule besucht und bislang keine Beschäftigung ausgeübt. Der BF gab weiters an, über eine Familie im Herkunftsland zu verfügen: Diese bestehe aus seinen Eltern und einem Bruder; ein weiterer Bruder sei vor ca. acht Monaten bei einem Bombenanschlag getötet worden. Danach habe der BF den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen; schlussendlich sei er vor ungefähr sechs Monaten ausgereist.

Als Fluchtgrund führte der BF im Wesentlichen an, dass sein Vater als LKW-Fahrer gearbeitet habe und auch Aufträge für die Amerikaner habe ausführen müssen. Aufgrund dessen sei der Vater von den Taliban bedroht worden. Nach einigen Drohungen sei der ältere Bruder des BF bei einem Bombenanschlag getötet worden. Der BF und seine Familie hätten Angst vor weiteren Angriffen der Taliban gehabt und aus diesem Grund sei der BF zwei Monate später aus seinem Herkunftsstaat geflohen. Dieser habe nun Angst, bei einer Rückkehr von der regierungsfeindlichen Gruppierung getötet zu werden.

4. Aufgrund von Zweifeln an der Altersangabe des BF wurde ein Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung eingeholt und dessen Geburtsdatum mit dem XXXX festgelegt.

5. Mit bei der belangten Behörde am XXXX eingelangtem Schreiben erklärte die Republik Bulgarien mit der Begründung, dass der BF ein unbegleiteter Minderjähriger sei, ihre Unzuständigkeit für den Fall.

6. Am XXXX erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") in Anwesenheit eines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Die Frage, ob es Probleme mit dem Dolmetscher oder dem Protokoll in der Erstbefragung gegeben habe, bejahte der BF: Er habe vor der Polizeiinspektion gesagt, dass sein Bruder durch eine Bombe getötet worden sei; dies sei nicht richtig, denn dieser sei erschossen worden.

Der BF führte an, am XXXX in der Provinz Paktia, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX , geboren worden und aufgewachsen zu sein. Dort habe er die Schule bis zur neunten Klasse besucht, diese wegen seiner Probleme aber abgebrochen. Der BF habe einmal sechs Monate lang als Verkäufer gearbeitet. Seine Eltern und sein Bruder sowie zwei Onkel mütterlicherseits würden nach wie vor im Heimatdorf leben, es bestehe seit der Ausreise des BF jedoch kein Kontakt, weil es kein Internet und kein Handy gebe sowie der Vater aufgrund seines Berufes nie zuhause sei. Der BF führte weiters an, vor eineinhalb Jahren aus Afghanistan ausgereist zu sein und bis zur Flucht ausschließlich im Heimatdorf gelebt zu haben. Für seine Weiterreise aus der Türkei habe er dort drei Monate lang als Schneider gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen befragt schilderte der BF zusammengefasst, dass sein Vater als Autofahrer für die Amerikaner in XXXX tätig gewesen sei (vor ca. drei bis vier Jahren habe der Vater mit dieser Arbeit begonnen). Irgendjemand habe im Dorf spioniert und diese Information an die Taliban weitergeleitet, woraufhin Anhänger der feindlichen Gruppierung die Familie (Vater und Bruder) bedroht und gesagt hätten, dass einer der Söhne/Brüder mit ihnen zusammenarbeiten müsse; eine Zusammenarbeit hätten diese aber abgelehnt. Der Bruder des BF habe ein Teegeschäft am Bazar XXXX gehabt und sei dort von den Taliban getötet worden. Die berufliche Tätigkeit des Vaters sei auch für den BF ein Problem gewesen: Er habe einen Englischkurs besucht, woraufhin die regierungsfeindliche Gruppierung gedacht habe, dass der BF später mit den Amerikanern zusammenarbeiten wolle. Nachdem der Bruder getötet worden sei, habe dieser das Land verlassen.

7. Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

8. Der BF erhob am XXXX gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Es wurde insbesondere hervorgehoben, dass der BF bei einer Rückkehr wegen der Probleme seines Vaters, die schon zur Ermordung des Bruders geführt hätten, von den Taliban ermordet oder zwangsrekrutiert werden würde. Im Herkunftsland herrsche überdies eine prekäre Sicherheitslage und eine aussichtslose Lage für Minderjährige, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

9. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am XXXX langte der Akt beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

10. Mit Eingaben vom XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wurden mehrere Integrations- und Krankenunterlagen des BF an das BVwG übermittelt.

11. Mit Schreiben vom XXXX wurde das BVwG von einer Anklageerhebung gegen den BF verständigt.

12. Mit Bescheid vom XXXX verlor der BF das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab XXXX .

13. Am XXXX reichte die belangte Behörde ein Urteil zu einer rechtskräftigen Verurteilung des BF nach.

14. Mit Eingabe vom XXXX schickte der BF weitere Dokumente zum Nachweis seiner Integration nach.

15. Mit Schriftsatz vom XXXX gab der BF erneut eine Stellungnahme zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ab und brachte zahlreiche Unterlagen in Vorlage. Der BF machte eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Angehörigen von Personen, die für die amerikanischen Truppen arbeiten würden, sowie zur sozialen Gruppe der Angehörigen von Personen, die eine Unterstützung der Taliban verweigert hätten, geltend. Außerdem würden ihm Angriffe der Taliban aufgrund des Absolvierens eines Englischkurses, seiner Weigerung, sich der regierungsfeindlichen Gruppierung anzuschließen, und seiner Flucht drohen. Es seien zudem zahlreiche Nachfluchtgründe entstanden: Der BF pflege eine westliche Lebensweise, ihm werde eine Apostasie/Blasphemie im Herkunftsland unterstellt und er sei auch durch den afghanischen Staat aufgrund der im Ausland verhängten Strafe gefährdet. Zudem stehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, weil es keine sozialen Kontakte in Afghanistan gebe und der BF regelmäßig medikamentös, psychiatrisch und psychotherapeutisch betreut werden müsse. Abschließend wies der BF auf seine erfolgreiche Integration hin.

16. Das BVwG führte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu und im Beisein eines Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Vernommen wurden dabei auch fünf Zeugen. Zu Beginn der Vernehmung wies der BF darauf hin, dass es an einer Stelle im BFA-Protokoll zu einem Fehler gekommen sei: Es stehe an einer Stelle "eineinhalb Jahre", obwohl dieser ein "halbes Jahr" gesagt habe.

17. Anschließend an die Verhandlung wurde die Entscheidungen hinsichtlich des bekämpften Bescheides mündlich verkündet: Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen.

18. Der BF beantragte mit Schreiben vom XXXX eine schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Person des BF

1.1.1. Der BF trägt den Namen XXXX (alias XXXX ) und führt das Geburtsdatum XXXX ; dieser hat mehrere Aliasgeburtsdaten ( XXXX , XXXX und XXXX ). Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Paschtunen und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Dieser spricht Paschtu als Muttersprache und beherrscht die Sprache in Wort und Schrift. Außerdem beherrscht er Englisch sowie etwas Dari und Urdu. Paschtu und Dari gehören zu den offiziellen Landessprachen in Afghanistan.

1.1.2. Der BF ist volljährig, ledig sowie kinderlos und wurde in der Provinz Paktia, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX , geboren. Dort besuchte er zumindest neun Jahre lang die Schule und absolvierte einen Englischkurs. Nach Abbruch der Schule arbeitete der BF für ein halbes Jahr als Verkäufer in Afghanistan.

1.1.3. In Afghanistan hat der BF zwei Onkel mütterlicherseits, die im Heimatdorf leben. Ein Onkel väterlicherseits lebt mit seiner Familie in London. Die Kernfamilie des BF lebt weiterhin im Heimatdorf; Kontakt zu dieser ist möglich. Der BF machte widersprüchliche Angaben dazu, ob er Kontakt mit seiner Familie hat.

1.1.4. Die Ausreise des BF erfolgte etwa im XXXX von seinem Heimatdorf aus. Er reiste spätestens am XXXX in Österreich ein und stellte am XXXX im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Flucht des BF wurde von seiner Familie organisiert und finanziert. In der Türkei arbeitete der BF für ein paar Monate als Schneider, um seine Weiterreise nach Europa zu finanzieren.

1.1.5. In seinem Herkunftsstaat ist der BF nicht vorbestraft, er war auch nicht politisch tätig und hatte keine Probleme mit den Behörden. Probleme mit Gerichten und Behörden sind auch bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht zu erwarten.

1.1.6. Aktuell geht es dem BF, abgesehen davon, dass er manchmal aufgeregt oder schlaflos ist, gesundheitlich gut. Seine früheren Schlafstörungen hat er mit Hilfe von Stressbewältigungsstrategien in den Griff bekommen.

1.1.7. Im Bundesgebiet verfügt der BF über keine Verwandten.

1.1.8. Der BF wohnte für einige Monate mit einer österreichischen Familie in einem Haus der Familie in XXXX ; nunmehr in einer gemeinsamen Wohnung in der XXXX in XXXX . Der BF bezieht Gelder aus öffentlichen Mitteln, einer regelmäßigen bezahlten Beschäftigung geht er nicht nach. Er ist als Praktikant im Kindergarten des jüngsten Kindes der Familie, bei der er lebt, tätig und es wurde ihm für den Fall einer positiven Entscheidung in Aussicht gestellt, eine Beschäftigung dort zu bekommen. Nach einigen "falschen Freunden" aus dem Kreis der Afghanen hat der BF sich von diesen weitgehend abgewendet. Er führte eine Liebesbeziehung zu einem in Österreich aufgewachsenen Mädchen; derzeit ist er alleinstehend. Er geht unbefangen, respektvoll und frei mit Burschen und Mädchen um und kümmert sich liebevoll um die Töchter seiner österreichischen "Patenmutter", insbesondere um deren kleine Tochter. Der BF schätzt rechtsstaatliche Demokratien und möchte seine Lebensentscheidungen selbst treffen.

Der BF absolvierte seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet mehrere Deutschkurse und legte Sprachprüfungen bis zum Niveau B2 ab (bestand B2 jedoch nicht); er beherrscht die deutsche Sprache besser, als es sein Diplom glauben lässt. Zudem absolvierte der BF mehrere Module sowie Kurse, wirkte als Interviewpartner bei einer Forschungsarbeit mit und hat früher in einem Altenheim ausgeholfen. Für den BF wurden mehrere Empfehlungsschreiben und ein Sozialbericht ausgestellt, die dessen Integrationswillen, seine angenehme Art sowie Bemühungen zur Teilhabe an der Gesellschaft unterstreichen. Künftig möchte der BF im Bereich Elektrotechnik oder als Rettungssanitäter arbeiten.

Seine Freizeit verbringt der BF überwiegend in Vereinen/Teams, und zwar für Flagfootball und für Cricket. Der BF ist in der Sportart Cricket derart begabt, dass er mit dem österreichischen Nationalteam trainiert.

1.1.9. Der BF wurde in Österreich bereits einmal rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach XXXX verurteilt und erhielt dafür eine Freiheitsstrafe von XXXX , deren Vollzug für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Nach der ersten strafgerichtlichen Verurteilung gab es einen weiteren Vorfall mit Suchtgift (hier wurde von der Verfolgung vorläufig abgesehen). Der BF hatte XXXX Gramm Cannabiskraut in XXXX "Baggies" bei sich. Er konsumierte auch nach seiner Verurteilung noch Cannabis. Mit Bescheid vom XXXX verlor der BF das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab XXXX .

1.1.10. Der BF ist sunnitischer Moslem und zelebriert in Österreich zusammen mit anderen Afghanen weiterhin islamische Festtage wie z.B. die beiden Eid-Feste. Dieser betet und besucht hin und wieder die Moschee. Eine Apostasie ist beim BF nicht eingetreten. Auch ein nachlassendes Interesse an seinem Glauben oder ein seine Religion konkret herabwürdigendes Verhalten konnten bei ihm nicht festgestellt werden.

1.1.11. Der BF verfügt über mehrere XXXX -Accounts (u.a. " XXXX " [Foto: der BF küsst eine Medaille und hält einen Pokal in der rechten Hand] und " XXXX " [Foto: der BF macht ein Foto von sich selbst in einem Aufzug]). Über diese Profile ist er mit zahlreichen XXXX -Nutzern aus Afghanistan, teilweise wohnhaft in Pakistan, und aus Pakistan (u.a. " XXXX ", " XXXX ", " XXXX " und " XXXX "), namensgleich mit seinem Familiennamen, befreundet und steht mit diesen Personen in regem Austausch (gegenseitiges "Liken", "Sharen" und "Kommentieren" von Beiträgen und Bildern).

Aus den Postings des BF auf seiner Chronik ist weiterhin eine starke Verbundenheit zum Herkunftsstaat (hoher Stellenwert der afghanischen Politik, des afghanischen Unabhängigkeitstages, der Farben der afghanischen Nationalflagge, etc.) erkennbar.

Die Freundschaftsliste des BF (" XXXX ") wurde nach der mündlichen Verhandlung auf "privat" gestellt und kann nicht mehr öffentlich eingesehen werden; es wurden auch Beiträge auf dem Profil gelöscht.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates

1.2.1. Der BF ist nicht persönlich glaubwürdig. Er hatte im Herkunftsstaat keine Probleme mit den Taliban, insbesondere nicht wegen der beruflichen Tätigkeit seines Vaters für die Amerikaner, dem Besuch eines Englischkurses oder der angeblichen eigenen Weigerung, sich der regierungsfeindlichen Gruppierung anschließen zu wollen. Die von den BF geschilderten Vorfälle haben nicht stattgefunden: Der BF und seine Familie wurden nicht von den Taliban aufgehalten und zu einer Zusammenarbeit mit diesen angehalten. Der Vater des BF wurde nicht dazu gedrängt, seinen Beruf als LKW-Fahrer aufzugeben. Dem BF wurde wegen seines absolvierten Englischkurses auch nicht unterstellt, später als Dolmetscher für die Amerikaner zu arbeiten. Der Bruder des BF wurde nicht von der regierungsfeindlichen Gruppierung getötet.

Der BF wurde nie persönlich von den Taliban bedroht; eine solche Bedrohung stand nicht unmittelbar bevor und ist im Fall einer Rückkehr auch nicht speziell zu befürchten.

Der BF hatte in Afghanistan auch sonst keine Probleme mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder sonst jemandem. Insbesondere hatte er in Afghanistan keine Probleme wegen seiner Nationalität, Religion, Ethnie, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung und sind solche Probleme im Fall seiner Rückkehr auch nicht speziell zu befürchten.

1.2.2. Auch, dass der BF mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit überall in Afghanistan Opfer einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder einer anderen regierungsfeindlichen Gruppierung werden könnte, konnte nicht festgestellt werden.

Regierungsfeindliche Kräfte sind aber (weiterhin) in der Heimatprovinz des BF aktiv. Diesem könnte daher bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz eine (Zwangs)Rekrutierung oder ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen, auch wenn der BF mit keiner regierungsfeindlichen Gruppierung persönlich Probleme hatte. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb der Heimatprovinz, insbesondere in Regionen, in denen regierungsfeindliche Elemente keinen maßgeblichen Einfluss haben, wie in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, ist der BF keiner akuten Gefahr durch eine regierungsfeindliche Gruppierung ausgesetzt.

1.2.3. Es konnte darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass in Afghanistan gegen den BF persönlich eine integritätsbedrohende Handlung oder Maßnahme, insbesondere wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, Religion, Nationalität Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung, gesetzt wurde oder eine solche Handlung oder Maßnahme unmittelbar bevorstand oder er eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan überall im Land zu befürchten hätte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften, insbesondere wegen seiner zT liberaler gewordenen Werthaltung und seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa, eine gegen ihn gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung erlitten hat, eine solche unmittelbar bevorstand oder er eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan speziell zu befürchten hätte. Der BF hat keine "westliche Lebensweise" verinnerlicht, die ein Leben in Afghanistan wegen damit einhergehender Gefahren unmöglich machen würde.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Integrierte Kurzinformationen

KI vom 04.06.2019

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019-31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019). Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht.

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b). Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen.

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 01.03.2019

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

KI vom 22.01.2019

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 08.01.2019

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

KI vom 23.11.2018

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.08.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Weder die Taliban, noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

KI vom 29.10.2018

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet.

KI vom 19.10.2018

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 [Stand:

04.06.2019, in Folge: "LIB"], Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen")

1.3.2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage in Afghanistan für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018). Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Taliban-Angriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder.

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018). Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018).

Regierungsfreundliche Kräfte

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018). Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

1.3.3. Grundversorgung und Wirtschaftslage

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

1.3.3.1. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Projekte der afghanischen Regierung

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Abschätzung der Arbeitslosenrate ist wegen des informellen Charakters des Markts schwierig. Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll, jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.

Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, unregulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks aus Februar 2018 [in Folge: "EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf, Pkt. 4.1.)

Laut ALCS 2016-17 können 2 Millionen Afghanen - 23,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung - als arbeitslos eingestuft werden, was bedeutet, dass sie nicht arbeiten oder eine Beschäftigung suchen oder weniger als acht Stunden pro Woche arbeiten. Junge Afghanen treten jedes Jahr in großer Zahl in den Arbeitsmarkt ein, aber die Beschäftigungsmöglichkeiten können aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten.

Afghanistan war seit 2011-2012 mit einem starken Anstieg von Armut konfrontiert, wobei sowohl die städtischen als auch die ländlichen Armutsraten zunahmen. In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind.

Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016-2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt.

52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft.

Die Hauptstadt hat einen großen Anteil an Angestellten, während Selbständigkeit im Vergleich zu ländlichen Teilen des Landes weniger verbreitet ist. Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul zählen kommunale, soziale und persönliche Dienstleistungen sowie die öffentliche Verwaltung.

In Herat Stadt gibt es Möglichkeiten in Bezug auf Handel, Import und Export von Waren, Bergbau und Produktion. Ungefähr die Hälfte der Erwerbsbevölkerung sind Tagelöhner. Einige der jahrhundertealten handwerklichen Erzeugnisse (Teppiche, Glas, Stickereien) haben überlebt, während sich auch eine Reihe moderner industrieller Tätigkeiten entwickelt hat (z.B. Lebensmittelverarbeitung und -verpackung).

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Afghanistan Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City [in Folge: "EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, Pkt. 4.2.1.)

Die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 lagen rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Damit steht die Lohnentwicklung im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans.

(Auszug aus folgender Quellen: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 ["Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre"], unter Angabe weiterer Quellen)

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabil. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt waren Service- und Verkäufer.Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1%), gefolgt von Managern/Fachleuten/Technikern und Angestellten (20,9%).

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren, Pkt. 4.2.1.)

In Mazar-e Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

(Auszug aus folgender Quellen: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 ["Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre"], unter Angaben weiterer Quellen)

Bei der Arbeitssuche besonders relevant sind alle Arten von Netzwerken, von denen die Verwandten im Verband von Großfamilien hervorzuheben sind, aber auch Netzwerke, die auf einem gemeinsamen Hintergrund oder auf gemeinsamen Arbeits- oder Bildungserfahrungen beruhen. Es wird zum Beispiel berichtet, dass sich die jüngsten Siedlungen in Kabul häufig aus Bewohnern mit einem gemeinsamen regionalen oder ethnischen Hintergrund zusammensetzen, die sich ausschließlich aufeinander stützen, um Wohnraum und Arbeit zu finden. Quellen berichten, dass erweiterte Familiennetzwerke für Rückkehrer bei der Suche und Aufrechterhaltung von Beschäftigung und Wohnraum von entscheidender Bedeutung waren. Bei unbegleiteten Minderjährigen, alleinstehenden Frauen und Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand waren die Anfälligkeiten trotz familiärer Unterstützung höher. Viele Rückkehrer, insbesondere solche ohne familiäre Bindungen, ließen sich in Städten nieder, weil sie der Ansicht waren, dass diese sicherer und die Existenzgrundlage besser sei.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Country Guidance:

Afghanistan aus 2019 [in Folge: "EASO-Länderleitfaden 2019"], abrufbar unter https://www.easo.

europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf, Seite 134)

1.3.3.2. Nahrungsmittelsicherheit

Sozioökonomische Schlüsselindikatoren

44,6% der Afghanischen Bevölkerung (ca. 13 Millionen) leben in schwerer bis moderater Lebensmittelunsicherheit; 2011 waren es noch 30,1%. Ein Anstieg wurde in allen Bevölkerungsgruppen beobachtet, wobei der stärkste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu beobachten war. Während der Aussaat im Winter (Dezember 2017 bis Februar 2018) kam es zu einer längeren Trockenheitsperiode. UNOCA ist der Ansicht, dass die Trockenperiode 2018 etwa zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen hat. Die Lebensmittelsicherheit in Kabul und Mazar-e Sharif wurde im Dezember 2018 vom "Famine Early Warning System" (FEWS) als "stressed" (selbst mit humanitärer Hilfe wies mindestens einer von fünf Haushalten nur einen minimalen Nahrungsmittelkonsum auf, und konnte sich einige wesentliche Ausgaben für andere Zwecke nicht leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden) und in Herat als "crisis" (trotz humanitärer Hilfe war mindestens jeder fünfte Haushalt unterernährt oder lag über der üblichen akuten Unterernährung oder war nur geringfügig in der Lage, den Mindestnahrungsbedarf zu decken) bezeichnet.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Leitfaden 2019, Seite 132, unter Verweis auf den EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren)

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Auszüge und Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif auf Grund anhaltender Dürre" vom 13.9.2018 (in der Folge: "ABSD Dürre") und der ACCORD-Anfragebeantwortung "Afghanistan: Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif" vom 12.10.2018 (in der Folge: "Accord Dürre"):

Aufgrund der Dürre wird die Getreideernte geringer ausfallen, als in den vergangenen Jahren. Da die Getreideernte in Pakistan und im Iran gut ausfallen wird, kann ein Defizit in Afghanistan ausgeglichen werden. Die Preise für Getreide waren im Mai 2018 verglichen zum Vormonat in den meisten großen Städten unverändert und lagen sowohl in Herat-Stadt als auch in Mazar-e Sharif etwas unter dem Durchschnitt der Jahre 2013-2017 (ABSD Dürre, Seite 3). Das Angebot an Weizenmehl ist relativ stabil (Accord Dürre Seite 8). Aufgrund der Dürre wurde bisher kein nationaler Notstand ausgerufen (ABSD Dürre, Seite 11).

Für die Landflucht spielen die Sicherheitslage und die fehlende Beschäftigung eine Rolle. Durch die Dürre wird die Situation verstärkt, sodass viele Haushalte sich in städtischen Gebieten ansiedeln. Diese Personen - Vertriebene, Rückkehrer und Flüchtlinge - siedeln sich in informellen Siedlungen an (Accord Dürre, Seiten 2 und 5). Dort ist die größte Sorge der Vertriebenen die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, diese sind jedoch mit der Menge und der Regelmäßigkeit des Trinkwassers in den informellen Siedlungen und den erhaltenen Hygienesets zufrieden. Viele Familien, die Bargeld für Lebensmittel erhalten, gaben das Geld jedoch für Schulden, für Gesundheitsleistungen und für Material für provisorische Unterkünfte aus. Vielen Familien der Binnenvertriebenen gehen die Nahrungsmittel aus bzw. können sich diese nur Brot und Tee leisten (Accord Dürre, Seite 6). Arme Haushalte, die von einer wassergespeisten Weizenproduktion abhängig sind, werden bis zur Frühjahrsernte sowie im nächsten Jahr Schwierigkeiten haben, den Konsumbedarf zu decken (Accord Dürre, Seite 11). Es werden, um die Folgen der Dürre entgegen zu treten, nationale und internationale Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen gesetzt (Accord Dürre, Seiten 17ff).

Die Abnahme der landwirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten zusammen mit der steigenden Migration sowie der hohen Anzahl an Rückkehrerin und Binnenvertriebenen führt zu einer Senkung der Löhne für Gelegenheitsarbeit in Afghanistan und zu einer angespannten Wohnraum- und Arbeitsmarktlage in urbanen Gebieten (Accord Dürre, Seiten 15f).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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