TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/17 W231 2175222-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.01.2020
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Entscheidungsdatum

17.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W231 2175222-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , afghanischer Staatsangehöriger, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.09.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), §§ 55 und 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer [in Folge: "BF"] stellte nach seiner in Österreich am 09.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.11.2015 gab er an, er sei ledig, der Volksgruppe der Sadat und dem schiitischen Islam zugehörig. Er sei in Uruzgan in Afghanistan geboren, habe sieben Jahre lang die Grundschule besucht und sei zuletzt als Mechaniker tätig gewesen. Seine Fluchtgründen seien, dass er eine 21-jährige Frau geliebt habe. Sie hätten auch sexuellen Kontakt gehabt. Ihre Familie sei gegen ihre Liebe gewesen. Die Familie habe ihn umbringen wollen, da sie von ihm schwanger geworden sei. Aus diesem Grund sei er nach Österreich geflüchtet.

I.3. Bei seiner Einvernahme am 06.09.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz (in Folge: BFA) an, dass er Seyyed und schiitischer Moslem sei. Er stamme aus dem Dorf XXXX , im Distrikt Trinkot, in der Provinz Uruzgan. Er habe sieben Jahre lang die Schule besucht und eine eigene Moped-Werkstatt betrieben. Seine Familie habe auch eine Landwirtschaft besessen. Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er auf das Wesentlichste zusammengefasst an, dass er vier Monate lang ein Verhältnis zu einer Frau gehabt habe, die schwanger geworden sei. Die Familie der Frau habe ihn deswegen gesucht und mit dem Tod bedroht. Der BF sei dann sofort, ohne nach Hause zurückzukehren, aus seinem Heimatdorf geflohen, als er von seinem Schwager von dieser Bedrohung erfahren habe.

I.4. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 30.09.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt IV).

Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass er keine asylrelevanten Gründe für seine Ausreise aus Afghanistan glaubhaft machen habe können. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten.

I.5. Die Behörde gab dem BF mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG einen Rechtsberater für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht bei.

I.6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde. Dem BF drohe aufgrund des Verstoßes gegen religiöse und soziale traditionelle Normen asylrelevante Verfolgung. Es wurden auch Länderberichte zur Sicherheitslage und vorehelichem Geschlechtsverkehr in Afghanistan zitiert.

I.7. Am 08.11.2017 legte der BF eine Bestätigung über die Absolvierung eines Deutschkurses vor.

I.8. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.05.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W267 abgenommen und der Gerichtsabteilung W231 neu zugewiesen.

I.9. Am 20.09.2019 langte eine Stellungnahme des BF zu der Sicherheitslage in Afghanistan beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.10. Am 23.09.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und seiner Rechtsvertretung statt. Die belangte Behörde ist entschuldigt nicht erschienen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Der BF legte weitere Bescheinigungsmittel und diverse Integrationsunterlagen vor. Die erkennende Richterin brachte das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 01.03.2019, und die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 in das Verfahren ein.

I.11. Am 19.11.2019 wurde dem BF das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, zur Stellungnahme ins Parteiengehör übermittelt.

I.12. Am 04.12.2019 langte eine Stellungnahme des BF dazu beim BVwG ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der BF ist volljährig, führt den im Spruch genannten Namen, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Seyyed an und ist schiitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Dari. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

II.1.2. Der BF stammt aus dem Dorf XXXX , im Distrikt Trinkot, in der Provinz Uruzgan. Er hat sieben Jahre lang die Schule besucht und eine eigene Moped-Werkstatt betrieben. Seine Familie betreibt dort eine Landwirtschaft und besitzt ein Haus, Tiere und landwirtschaftliche Grundstücke. Auf den landwirtschaftlichen Grundstücken wird hauptsächlich Getreide angebaut, der Ertrag reicht zur Versorgung der gesamten Familie.

II.1.3. Die Mutter, drei Brüder und zwei Schwestern sowie ein Schwager des BF leben in einem Eigentumshaus im Herkunftsort des BF. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kontakt zu seiner Familie abgebrochen ist.

Der Vater des BF ist verstorben, die Todesursache kann nicht festgestellt werden.

II.1.4. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

II.1.5. Der BF ist gesund und erwerbsfähig.

II.1.6. Der BF stellte nach seiner illegalen Einreise in Österreich am 09.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

II.1.7. Der BF war in Afghanistan nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

II.1.8. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Familie des Mädchens, mit dem er eine außereheliche Beziehung hatte, verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe in diesem Zusammenhang zu befürchten hätte. Die vom BF vorgebrachten Gründe für seine Ausreise werden mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt.

Der BF konnte insgesamt nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, Religion, oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe und eine mit dieser zusammenhängende (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung zu befürchten hätte.

II.1.9. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Die Sicherheitslage in Uruzgan ist volatil. Dem BF steht jedoch eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung.

Bei einer Rückkehr bzw. Neuansiedlung in diesen Städten kann er auch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF hat in seinem Heimatort sieben Jahre lang die Schule besucht und eine eigene Moped-Werkstatt betrieben. Er könnte wieder an diese frühere Tätigkeit anknüpfen. Er spricht eine der Landessprachen des Herkunftsstaates, und hat bis zu seiner Ausreise in Afghanistan gelebt, ist somit mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut.

Mit Unterstützung seiner Familie aus der Herkunftsprovinz ist ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage auch in den Städten Mazar-e-Sharif oder Herat möglich. Er hat keine Sorgepflichten. Seine Existenz könnte er - zumindest anfänglich - ebenso mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Die Städte Mazar-e Sharif und Herat sind mittels Flugzeug sicher erreichbar. Er kann auch Unterstützungsleistungen für Rückkehrer in Anspruch nehmen.

II.1.10. Der BF war seit seiner Asylantragstellung in Österreich für die Dauer seines Asylverfahrens bisher bloß vorläufig aufenthaltsberechtigt. Der BF hält sich seit seiner Einreise nach Österreich im November 2015 seit etwa vier Jahren im Bundesgebiet auf und konnte spätestens ab Erhalt der seinen Asylantrag abweisenden Entscheidung vom 30.09.2017 nicht mit einem weiteren Bleiberecht in Österreich rechnen.

Der BF lebt von der Grundversorgung. Er ist in Österreich nie einer Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit nachgegangen, und somit nicht selbsterhaltungsfähig.

Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen.

Der BF hat Deutschkurse bis zum Sprachniveau A1.2 besucht. Derzeit besucht er keinen Deutschkurs. Er lernt im Eigenstudium Deutsch über YouTube und kann sich auf einfachem Niveau auf Deutsch unterhalten. Er geht tagsüber in der Stadt spazieren und spielt abends Fußball. Er hat an einem Werte- und Orientierungskurs sowie an einem Radfahrtraining teilgenommen. Der BF ist mit anderen afghanischen Asylwerbern aus seiner Unterkunft befreundet und hat beim Fußballspielen freundschaftliche Kontakte zu Österreichern geknüpft.

II.1.11. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019):

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Uruzgan:

Die Provinz Ghazni liegt im zentralen Teil Afghanistans. Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen sowie Hazara und Kuchi-Nomaden. Im Jahr 2019 leben ca. 428.466 Menschen in Uruzgan.

In Uruzgan kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Paschtunen und Hazara. Die Präsenz der Taliban in Uruzgan ist groß. Aufständische der Taliban sind in manchen unruhigen Distrikten der Provinz aktiv und führen oftmals terroristische Aktivitäten aus. Speziell die Provinzhauptstadt Tirinkot hat seit der Verlautbarung der Frühjahrsoffensive der Taliban im Jahr 2019 einen Anstieg an Aufständischenaktivitäten registriert.

Die Anzahl der zivilen Opfer ist im Jahr 2017 gegenüber 2017 um 70% zurückgegangen. Die Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von IEDs und Luftangriffen.

In manchen Distrikten hat sich die Sicherheitslage in den vorangegangenen Monaten verschlechtert. Um die Sicherheitslage in der Provinz zu verbessern, wurde eine regionale Streitkraft nach Uruzgan entsandt. In der Provinz kam es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen, bei denen auch Luftangriffe durchgeführt, Aufständische getötet und Gefangene der Taliban befreit wurden.

Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Die Taliban dehnten 2018 ihre Tätigkeit auf Gebiete aus, die bis dahin verschont geblieben waren - beispielsweise der Distrikt Khas Uruzgan - und entfachten intensive Kämpfe zwischen den Milizen des Kommandanten Schujai und den Taliban (LIB 13.11.2019, S. 213 ff).

Mazar-e Sharif:

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Herat:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

Internet und Mobiltelefonie

Der Zugang zum Internet wird von staatlicher Seite nicht eingeschränkt und es gibt keine Berichte zu Überwachung privater Online-Kommunikation ohne rechtliche Genehmigung. 2017 hatten 11,4% der Bevölkerung Zugang zu Internetverbindungen, hauptsächlich in städtischen Gebieten. Mit Stand 2016 war GSM-Netz in Kabul und allen 34 Provinzen verfügbar. Förderungen für den ländlichen Raum haben die Netzabdeckung in abgelegenen Gebieten verbessert und 85% der Bevölkerung leben in Gebieten, die vom GSM-Netz abgedeckt sind.

In Gebieten unter Talibankontrolle werden den Mobilfunkanbietern Vorgaben gemacht, wann das Netzwerk zur Verfügung gestellt werden darf; häufig müssen die Netze nach Einbruch der Dunkelheit abgeschaltet werden. Die Mobilfunkbetreiber kommen den Anweisungen in der Regel nach, da in den vergangenen Jahren teure Infrastruktur zerstört und Ingenieure und Angestellte angegriffen und getötet wurden, wenn Anweisungen der Aufständischen nicht befolgt worden sind. Der regierungsnahe Mobiltelefonanbieter Salam ist in den von Taliban kontrollierten Gebieten gesperrt. Die Taliban kontrollieren Handys nach Salam-SIM-Karten. Sollte man mit einer solchen SIM-Karte erwischt werden, wird die Karte wahrscheinlich zerstört und deren Besitzer geschlagen (LIB 13.11.2019, S. 269).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Korruption:

Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, S. 254f).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).

Wirtschaft

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Die Angehörigen der Volksgruppe der Seyyed (in dem Bericht auch als Sayyid oder Sayeed bezeichnet) werden als Nachkommen der Familie des Propheten Mohammed betrachtet und haben eine angesehene Stellung innerhalb Afghanistans inne. Es gibt schiitische und sunnitische Seyyed, die in muslimischen Gemeinschaften sehr respektiert sind. Die sunnitischen Seyyed sind vor allem in den Provinzen Balkh und Kundus im Norden ansässig. Schiitische Seyyed gibt es in der Provinz Bamyan und anderswo (Bescheid des BFA, AS. 144ff.).

Religionen:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10-19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB 13.11.2019, S. 279).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 13.11.2019, S. 280).

2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Die getroffenen Feststellungen zur Person des BF stützen sich auf folgende Beweiswürdigung:

Die Identität des BF ergibt sich aus seinen im verwaltungsbehördlichen, wie auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getätigten gleichbleibenden Angaben dazu, wobei mangels Vorlage von Identitätsdokumenten die Feststellungen zur Identität des BF ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren gelten.

Die Staats-, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Verfahren.

Die Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen des BF in seinem Herkunftsstaat, insbesondere auch zu seinem Schulbesuch und seiner Berufserfahrung, beruhen auf seinen diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Asylverfahren.

Die Feststellungen zu den Besitztümern seiner Familie gründen auf seinen Ausführungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (Verhandlungsschrift [in Folge: "VHS"] S. 5).

II.2.2. Die Feststellungen zu der Lebenssituation der Familienangehörigen in seinem Heimatdorf gründen auf seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung (VHS S. 5). Vor dem BFA gab er an, dass er Kontakt zu seinen - zu jener Zeit noch im Iran aufhältigen - Familienangehörigen habe. In der Verhandlung behauptete er, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie im Heimatdorf habe, weil die Taliban die Telefonmasten zerstört hätten und es keinen Empfang gebe (VHS S. 5). Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass mit Stand 2016 ein GSM-Netz in allen 34 Provinzen verfügbar war. In Gebieten unter Talibankontrolle werden den Mobilfunkanbietern Vorgaben gemacht, wann das Netzwerk zur Verfügung gestellt werden dar; die Netze müssten häufig nach Einbruch der Dunkelheit abgeschaltet werden. Die Mobilfunkanbieter kommen den Anweisungen in der Regel nach. Der regierungsnahe Mobiltelefonanbieter Salam ist in den von Taliban kontrollierten Gebieten gesperrt. Aus diesen Informationen lässt sich jedoch nicht ableiten, dass ein Mobilfunknetzwerk den Bewohnern, der von den Taliban kontrollierten Gebiete, gar nicht zur Verfügung steht, sondern bloß, dass der Zugang zu diesem unter Umständen beschränkt ist. Der BF gab in der Verhandlung außerdem an, dass ein Freund von ihm, der in seinem Heimatdorf wohne, ihn aus Kabul angerufen habe (VHS S. 5).

Angesichts des langen Zeitraumes, in dem die Kommunikation mit seiner Familie - wenn auch im Iran - funktioniert hat, ist die Rechtfertigung des BF zum nunmehrigen Kontaktabbruch nicht lebensnah. Die vom BF ins Treffen geführte dauerhafte Zerstörung der Telefonmasten ist, angesichts der auch für die Taliban wichtigen Infrastruktur, nicht nachvollziehbar. Deshalb ist es nicht glaubwürdig, dass er keinen Kontakt zu seinen Angehörigen hat oder herstellen kann. Den zitierten Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Unter Berücksichtigung des auch von Österreich lange aufrechten Kontakts zu seiner Familie, der Art und Weise, wie er den Kontaktabbruch schilderte, sowie der diesbezüglich nachvollziehbaren Quellenlage kommt der Behauptung des BF, keinen Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan zu haben oder herstellen zu können, keine Glaubwürdigkeit zu.

Dass der Vater des BF verstorben ist, ergibt sich aus den diesbezüglich gleichbleibenden Aussagen des BF im Lauf des Verfahrens. Er legte in der mündlichen Verhandlung auch ein Foto seines Vaters, mit Angabe seines Sterbedatums, vor (Beilage ./A). Das behauptete Motiv für den Tod seines Vaters resultierte aus dem Fluchtvorbringen des BF. Er gab an, dass der Onkel und der Bruder seiner Freundin seinen Vater ca. einen Monat nach seiner Flucht getötet hätten, weil dieser ihnen den Zutritt zum Wohnhaus verweigert habe. Da aber das im Verfahren geschilderte Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft ist (siehe dazu Punkt II.2.6.1.), kann ein Tod des Vaters in diesem Zusammenhang und in weiterer Folge die tatsächliche Todesursache seines Vaters nicht festgestellt werden.

II.2.3. Die strafrechtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF folgt aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung (VHS S. 3).

Die Feststellung, dass der BF arbeitsfähig ist, beruht auf seinen eigenen Aussagen in der mündlichen Verhandlung. So hat er gesagt, dass er bei der Feuerwehr und bei der Caritas gewesen sei, wo er sich als ehrenamtlicher Helfer zur Verfügung gestellt habe. Er wolle eine Ausbildung im Bereich Mechatronik machen und spiele regelmäßig mit seinen Freunden Fußball (VHS S. 13). Außerdem betrieb der BF in Afghanistan seine eigene Werkstatt. Es sind auch sonst keine Umstände im Verfahren hervorgekommen, die auf eine Arbeitsunfähigkeit des BF hinweisen würden.

II.2.4. Die Feststellung zu seiner illegalen Einreise und seinem Antragsstellungszeitpunkt beruht auf seinen Angaben in der Erstbefragung.

Die Feststellungen zum Privatleben des BF in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben in der behördlichen Einvernahme und der Beschwerdeverhandlung sowie den im Akt einliegenden Integrationsunterlagen (Beilage ./B).

II.2.5. Die Feststellung, dass der BF kein Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung war und keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat hatte, gründet auf seiner Aussage in der Einvernahme vor der belangten Behörde (AS. 54).

II.2.6. Die Feststellung, dass der BF nicht glaubhaft machen konnte, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Der BF hat im Verfahren Fotos vorgelegt. Weiter Ausführungen dazu folgen. Darüber hinaus konnte der BF keine Belege für sein Vorbringen beibringen. Besondere Bedeutung kommt daher dem Vorbringen eines Asylwerbers zu, das auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist. Dieses muss genügend substantiiert, plausibel und in sich schlüssig sein. Es obliegt dem BF, die in seiner Sphäre gelegenen Umstände seiner Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Schließlich muss der BF auch persönlich glaubwürdig sein.

II.2.6.1. Die Angaben des BF zu dem Grund für das Verlassen seines Herkunftsstaates sind insgesamt widersprüchlich und unplausibel:

Der BF gab in seiner Erstbefragung zu seinen Fluchtgründen an, dass er eine 21-jährige Frau geliebt habe. Sie hätten auch sexuellen Kontakt gehabt. Ihre Familie sei gegen ihre Liebe gewesen. Die Familie habe ihn umbringen wollen, da sie von ihm schwanger geworden sei. Aus diesem Grund sei er nach Österreich geflüchtet.

In der behördlichen Einvernahme vor dem BFA führte er dann zu seinen Fluchtgründen näher aus, dass er vier Monate ein Verhältnis zu einer Frau gehabt habe. Als sie schwanger geworden sei, habe ihm ihre Familie gedroht. Ihr Onkel und ihr Bruder seien vor seiner Werkstatt gewesen, als er gerade Fußballspielen gewesen sei. Sie hätten dem Mann seiner Schwester gesagt, dass sie ihn töten würden, wenn sie ihn finden. Sein Schwager habe ihn angerufen und habe ihm das erzählt. Der BF sei dann nicht nach Hause oder in die Werkstatt gegangen, sondern sei nach Kandahar gegangen, wo er einen Abend bei einem Freund geblieben sei. Danach sei er über Nimroz nach Pakistan und weiter in den Iran gereist.

Dieser Rahmengeschichte bediente er sich auch im weiteren Verfahrensverlauf. Allerdings waren die Ausführungen des BF zu der außerehelichen Beziehung zu einem Mädchen und der Verfolgung durch ihre Familie vage, unschlüssig und gesteigert, sohin insgesamt unglaubwürdig.

Zunächst waren bereits seine Angaben zu dem Beginn der Beziehung zu seiner Freundin unplausibel. Er behauptete seine Freundin seit Kindertagen zu kennen, näher gekommen seien sie sich allerdings erst, als er sie öfters mit dem Motorrad in die Schule gebracht habe. Sie habe jeden Tag alleine einen eineinhalb stündigen Schulweg zurücklegt und der BF habe ihr angeboten, sie mitzunehmen. Nach der Schule sei sie ab und zu bei der Werkstatt des BF vorbeigekommen und habe ca. 2 Stunden dort verbracht. Sie hätten auch Geschlechtsverkehr in der Werkstatt gehabt (AS. 54 ff., VHS S. 6 ff). Weiters erklärte er, dass der Vater seiner Freundin ein Mullah gewesen sei und ihre Familie streng religiös gewesen sei (AS. 57, VHS S. 9). Vor dem Hintergrund des konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaftsbildes ist es jedoch völlig unüblich, dass die alleinstehende Tochter eines Mullahs im heiratsfähigen Alter alleine mit einem unverheirateten jungen Mann auf dem Motorrad in die Schule fahren dürfte. Der BF erzählte in der mündlichen Verhandlung, dass die Beziehung zu seiner Freundin ca. vier Monate gedauert habe und er sie in dieser Zeit fast jeden Tag in die Schule gefahren habe (VHS S. 7). Allerdings ist anzunehmen, dass eine solche verpönte Vorgehensweise, schon aufgrund der Dauer und Häufigkeit und der Öffentlichkeit, die mit dem gemeinsamen Fahren auf dem Motorrad verbunden ist, der Familie des Mädchens (Vater) aufgefallen wäre bzw. ihr berichtet worden wäre. Dass eine solche verpönte Vorgehensweise über Monate unentdeckt geblieben wäre, ist nicht lebensnahe.

Der BF versuchte dies damit zu rechtfertigen, dass die Frauen in Afghanistan verschleiert seien und man ihre Gesichter nicht sehe (VHS S. 7). Diese Argumentation wird aber schon dadurch relativiert, dass der BF behauptete, seine Freundin selbst auf dem Schulweg erkannt und angesprochen zu haben. Wenn sie von ihm erkannt worden sei, dann ist zu erwarten, dass auch andere Dorfbewohner auf sie aufmerksam geworden wären und dem Mullah von diesen Fahrten berichtet hätten. Vor allem sind auch die Treffen des BF und seiner angeblichen Freundin in seiner Werkstatt, und damit wieder auch in gewisser Öffentlichkeit, nicht mit den Sitten in Afghanistan vereinbar. Der BF antwortete in der Einvernahme vor dem BFA dazu befragt, dass seine Freundin und er ein- bis zweimal in der Woche Geschlechtsverkehr in seiner Werkstatt gehabt hätten (AS. 55). Es ist aber nicht lebensnah, dass die Tochter eines streng religiösen Vaters (Mullahs) die Gelegenheit erhalten hätte, über Monate hinweg, in regelmäßigen Abständen, den BF nach der Schule alleine in seiner Werkstatt zu besuchen und dort auch Geschlechtsverkehr zu haben. Dies müsste der Familie jedenfalls aufgefallen sein.

Außerdem blieben die Aussagen des BF zu der Beziehung zu seiner angeblichen Freundin vage und oberflächlich. Über Aufforderung in der Beschwerdeverhandlung, anschaulich von seiner Beziehung zu erzählen, meinte er lediglich, er habe damals nicht gedacht, dass die Folge dieser Beziehung so schlecht sein könnte (VHS S. 8). Der BF war nicht in der Lage, seine Beweggründe für das Eingehen einer außerehelichen Beziehung mit seiner Freundin logisch darzulegen. Er brachte zwar vor, davon gewusst zu haben, dass eine solche Beziehung in Afghanistan zu Problemen führen könne (AS. 56). Nachgefragt, wieso er diese Beziehung dann eingegangen sei, antwortete der BF nur lapidar, dass es halt so passiert sei. Viele hätten in Afghanistan heimlich eine Freundin, er habe nicht an die Folgen gedacht (VHS S. 9). Dass der BF und seine angebliche Freundin, als Tochter eines Mullahs, nicht an die Konsequenzen ihres (auch geschlechtlichen) Verhältnisses gedacht hätten, ist jedenfalls nicht schlüssig. In der Beschwerde des BF wurden Länderberichte zu den Folgen von außerehelichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen zitiert. Der BF erklärte vor dem BFA selbst, dass eine unverheiratete Frau mit Kind in Afghanistan nicht existieren könne und er die afghanischen Gesetze kenne (AS. 55, 57). Angesichts dessen ist ein angebliches außereheliches Verhältnis des BF umso unglaubwürdiger, insbesondere da er davon sprach, einen Heiratsantrag nie in Betracht gezogen zu haben (AS. 56).

Weiters nannte der BF vor der belangten Behörde als Heiratshindernis die unterschiedlichen sozialen Schichten, aus denen er und seine angebliche Freundin gekommen seien. Ihre Familie sei aus einer höheren sozialen Schicht (AS. 55). In der Beschwerdeverhandlung führte er davon abweichend ins Treffen, dass nicht sein sozialer Status entscheidend für die Einwilligung ihrer Familie in die Heirat gewesen wäre, sondern seine Volksgruppenzugehörigkeit (VHS S. 9). Dabei wäre davon auszugehen, dass der BF diesbezüglich gleichbleibende Aussagen machen könnte.

Ferner ist es nicht verständlich, dass der BF seit seiner Ausreise aus Afghanistan keinerlei Informationen zu dem Befinden seiner angeblichen ehemaligen Freundin hat. Der BF antwortete in der Verhandlung dazu befragt, wie es ihr nun gehe, dass er, seit er Afghanistan verlassen habe, nichts über sie wisse (VHS S. 8). Allerdings konnte er nicht überzeugend dartun, weshalb er noch nicht einmal versucht hat, sich nach seiner angeblichen Freundin und deren Befinden zu erkundigen, obwohl er vorbrachte, von seinem Bruder von der angeblichen Abtreibung des ungeborenen Kindes erfahren zu haben, als er bereits in Österreich gewesen sei (AS. 57). Auch im Jahr 2018, als er von einem Freund von dem Angriff auf seine Schwester erfahren habe, hat er die Gelegenheit, nach seiner Freundin zu fragen, nicht genützt (VHS S. 8). Diese auffallende Gleichgültig- und Emotionslosigkeit überrascht umso mehr, als selbst dem BF bekannt ist, was unverheirateten, schwangeren Frauen in Afghanistan droht. Auch vor diesem Hintergrund konnte die erkennende Richterin nicht den Eindruck gewinnen, dass der BF hier reale Begebenheiten schildert.

Überdies ist es nicht nachvollziehbar, dass die Angehörigen des BF nach der vermeintlichen Tötung seines Vaters durch Familienangehörige seiner Freundin erneut in sein Heimatdorf zurückkehren würden. Der BF erzählte in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde, dass sein Vater ca. einen Monat nach seiner Flucht vom Onkel und Bruder seiner Freundin getötet worden sei, als dieser ihnen den Zutritt zum Wohnhaus verweigert habe. Sie hätten damit gedroht, den Rest der Familie umzubringen, weshalb seine Familie beschlossen habe, in den Iran zu fliehen (AS. 67). In der Beschwerdeverhandlung behauptete er dann, dass seine Familie seit Anfang 2018 wieder im Heimatdorf in der Provinz Uruzgan lebe. Drei Monate nach der Rückkehr seiner Familie in das Heimatdorf hätten sie versucht, seine Schwester zu verschleppen, aber weil diese sich gewehrt habe, hätten sie ihr mit einer Pistole ins Bein geschossen. Seine Schwester sei sechs Monate lang in Kabul im Emergency Krankenhaus gewesen. Nun sei seine Schwester im Heimatdorf (VHS S. 11).

Zuerst ist es nicht lebensnahe, dass zwei erwachsene Männer es nicht geschafft hätten, die Schwester des BF mitzunehmen, und dass die drei Brüder und die Nachbarn, deren Präsenz der Grund für das Ablassen der Männer gewesen seien, es nicht geschafft hätten, diese festzuhalten bis die Polizei kommt. Der BF gab an, dass die Angreifer bewaffnet gewesen seien und es in ihrem Ort keine Polizei gebe (VHS. 12). Dabei ist es, eben aufgrund der behaupteten Bewaffnung der Angreifer, widersinnig, dass diese sich von der bloßen Anwesenheit seiner Brüder und Nachbarn von der Verschleppung seiner Schwester abhalten hätten lassen.

Im Übrigen konnte der BF keine triftigen Gründe für die Rückkehr seiner Familie in sein Heimatdorf vorbringen. Er argumentierte damit, dass seine Familie sonst nirgendwo eine Wohnmöglichkeit habe, weder in Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul (VHS S. 32). Dieser Argumentation ist jedoch zu entgegen, dass die Familie des BF durch den Verkauf ihrer Grundstücke über finanzielle Mittel verfügen würde, um einen Umzug in eine sichere Gegend zu finanzieren. Daher ist davon auszugehen, dass die Familie des BF bei

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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