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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit den UNHCR-Richtlinien sowie einem Bericht des EASO zur Verfolgungsgefahr wegen ZwangsrekrutierungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 29. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, dass sein Bruder für die afghanische Regierung gearbeitet habe. Als die Taliban davon erfahren hätten, seien sie zur Familie des Beschwerdeführers gekommen und hätten den Vater des Beschwerdeführers mitgenommen. Sie hätten gefordert, dass der Bruder des Beschwerdeführers aufhören solle, für die Regierung zu arbeiten, und sich ihnen anschließen solle. Die Taliban hätten den Vater des Beschwerdeführers verprügelt und seinen Kopf unter Wasser getaucht. Am selben Nachmittag hätten die Taliban den Vater freigelassen. Drei Tage später seien die Taliban wieder gekommen und hätten verlangt, dass sich der Beschwerdeführer und sein Bruder ihnen anschließen sollten, andernfalls würden sie getötet. In derselben Nacht seien der Beschwerdeführer und sein Bruder ausgereist.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7. August 2017 wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Ferner wurde eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt.
2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Dezember 2019 wurde die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus:
Der Beschwerdeführer habe glaubhaft vorgebracht, dass die Taliban seinen Vater auf Grund der Tätigkeit seines Bruders mitgenommen und nach einem halben Tag wieder freigelassen hätten. Ebenso habe der Beschwerdeführer glaubhaft schildern können, dass die Taliban einige Tage später wieder bei der Familie des Beschwerdeführers aufgetaucht seien und den Beschwerdeführer und seinen Bruder aufgefordert hätten, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Es sei jedoch festzuhalten, dass die Taliban den Beschwerdeführer und seinen Bruder ausschließlich auf Grund ihres Geschlechts und ihres Alters hätten rekrutieren wollen, nicht jedoch auf Grund der früheren Tätigkeit des Bruders. Der Vater des Beschwerdeführers habe nämlich den Taliban gesagt, dass der Bruder nicht mehr für den Staat arbeiten würde, woraufhin diese erwidert hätten, dass das keine Rolle mehr spiele, und der Beschwerdeführer und sein Bruder mit ihnen gehen und heiligen Krieg führen sollten. Auf Grund der Aussage der Taliban, wonach dies "keine Rolle mehr spiele", habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft schildern können, dass eine Verfolgungsgefahr durch die Taliban auf Grund der Tätigkeit des Bruders des Beschwerdeführers für die afghanische Regierung vorliege.
Dem Beschwerdeführer drohe im Falle der Rückkehr keine Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban im gesamten Staatsgebiet Afghanistans. Der Einflussbereich der Taliban erstrecke sich nicht bis in die Stadt Mazar-e Sharif, weshalb sich der Beschwerdeführer dort niederlassen könne. Eine individuelle Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers durch die Taliban in der Stadt Mazar-e Sharif könne daher nicht erkannt werden, zumal der Beschwerdeführer lediglich unsubstantiiert angegeben habe, dass die Taliban eine große Organisation seien und ihn überall finden würden. Der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, wie die Taliban überhaupt Kenntnis von der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif erlangen könnten. Da die Stadt Mazar-e Sharif unter Kontrolle der afghanischen Regierung stehe und es dort auch zu keinen militärischen Auseinandersetzungen mit den Taliban komme, sei der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan keiner Gefahr einer Verfolgung in Form einer (möglicherweise zwangsweisen) Rekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte ausgesetzt.
Da der Beschwerdeführer volljährig, gesund, arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter sei sowie vier Jahre lang die Schule in Afghanistan besucht habe, sei anzunehmen, dass sich der Beschwerdeführer, auch wenn er sich noch nie in Mazar-e Sharif aufgehalten habe und dort über kein familiäres bzw soziales Netzwerk verfüge, innerhalb kurzer Zeit Ortskenntnisse in Mazar-e Sharif aneignen könne. Dem Beschwerdeführer stehe daher eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif offen. Somit seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Taliban auf Grund der Tätigkeit des Bruders für die afghanische Regierung nicht vorliege und im Falle der Rückkehr daher aus diesem Grund keine Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban im gesamten Staatsgebiet Afghanistans drohe.
Gleichzeitig stuft das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung den vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt hinsichtlich der versuchten Zwangsrekrutierung aber als glaubwürdig ein, wobei es davon ausgeht, dass die Taliban den Beschwerdeführer und seinen Bruder nicht auf Grund dessen Tätigkeit für die afghanische Regierung, sondern ausschließlich auf Grund ihres Geschlechts und ihres Alters hätten rekrutieren wollen.
Es ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, warum sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem – von ihm selbst als gesicherten Sachverhalt festgestellten – Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der versuchten Zwangsrekrutierung nicht näher auseinandergesetzt, sondern bloß festgehalten hat, dass der Beschwerdeführer eine aktuelle Verfolgungsgefahr in Afghanistan durch die Taliban auf Grund der früheren Tätigkeit seines Bruders für die afghanische Regierung nicht glaubhaft habe machen können. Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103; 28.1.2015, Ra 2014/18/0090; 13.10.2015, Ra 2015/01/0089; 15.3.2016, Ra 2015/01/0069; 19.4.2016, Ra 2015/01/0079) ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheidend, mit welchen Reaktionen der Taliban der Beschwerdeführer auf Grund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss, und ob in seinem Verhalten eine – wenn auch nur unterstellte – politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (siehe VfGH 13.12.2017, E2497/2016 ua; 25.2.2019, E4032/2018).
2.2. Nach den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 (im Folgenden: UNHCR-Richtlinien) sind "Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, […] Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden" (S. 59 f.). Auch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen weist in seinem aktuellen Bericht darauf hin, dass jungen Männern in Afghanistan im Fall eines Widerstands gegen eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban Gewalt drohen und dies als Verfolgung auf Grund der politischen Überzeugung qualifiziert werden könne (European Asylum Support Office, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019, S. 54). Sowohl in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte der Beschwerdeführer aus, dass die Taliban ihm und seinem Bruder mit dem Tod gedroht hätten, woraufhin sie unmittelbar geflohen seien. Dieses Vorbringen hat das Bundesverwaltungsgericht rechtlich nicht gewürdigt, sondern nur festgestellt, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung auf Grund der früheren Tätigkeit seines Bruders für die afghanische Regierung drohe. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich aber vor dem Hintergrund der angeführten Länderinformationen im Zuge seiner rechtlichen Beurteilung mit dem als glaubwürdig festgestellten Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die versuchte Zwangsrekrutierung durch die Taliban näher auseinandersetzen müssen.
2.3. Das angefochtene Erkenntnis entbehrt daher mangels Auseinandersetzung mit den Gefahren, die dem Beschwerdeführer auf Grund der als glaubwürdig festgestellten versuchten Zwangsrekrutierung drohen, einer schlüssigen Begründung, warum keine asylrelevante Verfolgung vorliegt. Ebenso fehlt es im Zusammenhang mit der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an einer nachvollziehbaren Begründung für die Aussage, dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr durch die Taliban in Mazar-e Sharif drohe und eine Rückkehr dorthin sicher und zumutbar sei, gehen doch die UNHCR-Richtlinien grundsätzlich davon aus, dass für Personen, die von den Taliban verfolgt werden, in Afghanistan gerade keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe (S. 120 f.).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E4682.2019Zuletzt aktualisiert am
29.04.2020