TE Vfgh Erkenntnis 2020/3/10 E4415/2019 ua

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Veröffentlicht am 10.03.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §34, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Familie irakischer Staatsangehöriger; mangelnde Auseinandersetzung mit der Situation von Minderjährigen im Herkunftsstaat

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.360,00 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak und lebten in Babil (südlich an Bagdad angrenzend). Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet stellten die Beschwerdeführer jeweils am 4. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Oktober 2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt, Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

2.       Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. Oktober 2019 abgewiesen.

2.1.    Das Bundesverwaltungsgericht begründete die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer damit, dass seinem Fluchtvorbringen keine Glaubwürdigkeit zukomme. Für die Zweitbeschwerdeführerin seien keine weiteren, sowie für den minderjährigen Drittbeschwerdeführer und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden.

2.2.    In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter stellte das Bundesverwaltungsgericht zunächst fest, dass die Beschwerdeführer in Babil gelebt haben und der Erstbeschwerdeführer nicht nur dort, sondern auch in Bagdad beruflich tätig gewesen sei. Aus einer Zusammenschau der wiedergegebenen Länderberichte sowie der festgestellten persönlichen Umstände und familiären Verhältnisse sei nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage gerieten.

Bei dem Erstbeschwerdeführer handle es sich um einen arbeitsfähigen Mann, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Er verfüge auch über eine mehrjährige Schulbildung und sei zuletzt im Irak erwerbstätig gewesen. Auch bei der Zweitbeschwerdeführerin, die ebenfalls über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, könne die Möglichkeit zur Teilnahme am Erwerbsleben grundsätzliche vorausgesetzt werden.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, der Sache nach auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von einer Äußerung jedoch abgesehen.

II.      Erwägungen

1.       Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seinen Entscheidungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter unterlaufen:

Die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis betreffen ua die Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Babil und Bagdad, die wirtschaftliche Lage sowie die Situation von Binnenflüchtlingen und Rückkehrern. Diese Feststellungen basieren ausweislich der Beweiswürdigung auf unterschiedlichen Berichten verschiedener, teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen. In den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Länderfeststellungen finden sich jedoch keine Angaben zur Lage von minderjährigen Kindern.

Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB VfGH 11.10.2017, E1803/2017 ua; 9.6.2017, E484/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018, E26.6.2019 2828/2018 ua).

Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis auf die Minderjährigkeit des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin nicht ein. Weder trifft es Feststellungen zur Gefährdungslage für Minderjährige im Irak, noch erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Tatsache der Minderjährigkeit dieser beiden Personen in der Beweiswürdigung oder (über die Zurechnung von Handlungen der Eltern an die Minderjährigen hinausgehend) in der rechtlichen Beurteilung. Damit unterbleibt eine Klärung der Frage, ob der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin durch die Rückkehrentscheidung(en) in ihren gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bedroht sind (vgl zB VfGH 11.10.2017, E1734/2017 ua; 21.9.2017, E2130/2017 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua).

Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin und – daran anknüpfend – auf die Rückkehrentscheidungen bzw auf die Zulässigerklärung der Abschiebungen in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es daher mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua) und belastet auch diese mit objektiver Willkür (VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin – aufzuheben.

4.       Die Behandlung der Beschwerde wird, soweit damit jeweils die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten bekämpft wird, aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG und dem ausdrücklichen Antrag, einen Pauschalsatz iHv € 2.000,00 zuzüglich Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,00 und Eingabegebühren in der Höhe von € 960,-- zuzuerkennen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4415.2019

Zuletzt aktualisiert am

29.04.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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