Entscheidungsdatum
23.05.2019Norm
AsylG 2005 §19Spruch
W158 2001879-2/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX :
A)
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX in Bezug auf den Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und in Bezug auf den Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Der BF wurde demzufolge aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
I.2. Dagegen erhob der BF Beschwerde, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.10.2015 zu W152 2001879-1 in Bezug auf Spruchpunkt II. stattgegeben wurde. Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.10.2016 erteilt.
I.3. Einem am XXXX gestellten Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, gab das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX statt und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.10.2018.
I.4. Am XXXX stellte der BF einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
I.5. In der Folge holte das BFA mehrere Auskünfte den BF betreffend ein und hielt in einem Aktenvermerk vom XXXX fest, dass sich im Zuge der Prüfung des Antrags Anhaltspunkte dahingehend ergeben hätten, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung infolge geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat und geänderter persönlicher Umstände nicht beziehungsweise nicht mehr vorliegen.
I.6. Mit Schreiben vom selben Tag teilte das BFA dem BF mit, dass ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegen ihn eingeleitet worden sei. Dazu zitierte das BFA im Wesentlichen den Gesetzestext und vertrat die Ansicht, dass im Fall der Verbringung des BF in seinem Herkunftsstaat weder Art. 2 EMRK noch Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt werde und auch keine ernsthafte Gefahr für das Leben des BF oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem BF wurden keine genaueren Gründe für diesen Schritt mitgeteilt, insbesondere wurde ihm nicht mitgeteilt, was sich seit der Zuerkennung geändert habe. Laut Schreiben des BFA wurden dem BF dazu eine aktuelle Zusammenfassung betreffend die allgemeine Situation in Afghanistan übersandt, wobei dem Akt nicht zu entnehmen ist, dass und welche Länderinformationen (insbesondere welchen Datums) dem BF übermittelt wurden. Weiters wurde der BF aufgefordert innerhalb von zwei Wochen zu den Länderfeststellungen und zu näher ausgeführten Fragen zum Familien- und zum Privatleben Stellung zu nehmen.
I.7. Am XXXX ging die aufgetragene Stellungnahme des BF beim BFA ein, in der er ausführte, nicht verheiratet zu sein, aber eine Freundin zu haben, fast alles auf Deutsch zu verstehen, aber kein Zertifikat zu haben, seit drei Jahren als Küchenhilfe zu arbeiten und eine Ausbildung als Koch anzustreben. Er sei Mitglied in einem Fußballverein. Seine Familie lebe im Iran und er habe Kontakt zu ihr. In Afghanistan wäre er mittellos, da er dort weder Familie noch Angehörige oder Freunde habe, die ihn unterstützen könnten. Die Situation in Afghanistan habe sich seit seiner Abreise nicht wirklich zum Guten gewendet, er fürchte daher um seine Sicherheit.
Der Stellungnahme waren diverse Unterlagen beigelegt, die die Angaben des BF belegen sollten.
I.8. Ohne Durchführung einer Einvernahme wurde dem BF mit Bescheid vom XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Zuletzt wurde sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt VII.).
Begründend führte das BFA aus, dass die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF eine Rückkehr zulasse. Ebenso wäre ihm eine Rückkehr nach Kabul möglich und zumutbar. Der Grund für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei nicht mehr gegeben. Der Eingriff in das Privatleben sei gerechtfertigt, da der BF nicht mit seiner Freundin zusammenlebe und ihm und seiner Freundin bei Eingehen der Beziehung der unsichere Aufenthaltsstatus bewusst sein müsse. Auch seine Arbeit und seine Mitgliedschaft in einem Fußballverein führten nicht zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung.
I.9. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.10. Am XXXX erhob der BF durch seinen damaligen Vertreter Beschwerde gegen die Spruchpunkt I., II. und IV. bis VII. und beantragte den Bescheid ersatzlos zu beheben und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes noch vorlägen und dem Antrag auf Verlängerung stattzugeben, in eventu den Bescheid zu beheben und zur weiteren Verfahrensführung an das BFA zurückzuverweisen, in eventu auszusprechen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und einen Aufenthaltstitel zu erteilen, jedenfalls die Rückkehrentscheidung und den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben und eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Begründend wurde einleitend auf den Akteninhalt verwiesen und weiter ausgeführt, dass sich aus den aktuellen Länderfeststellungen ergebe, dass sich die Situation seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gebessert, sondern verschlechtert habe. Auch hinsichtlich der persönlichen Situation habe sich beim BF seitdem nichts Entscheidungswesentliches geändert.
I.11. Am XXXX langte die gegenständliche Beschwerde samt dem Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
I.12. Am XXXX zeigte der im Spruch genannte Vertreter seine Bevollmächtigung an und führte ergänzend aus, das BFA habe in mehreren Punkten die Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Erkenntnis übergangen, sodass der Bescheid inhaltlich rechtswidrig sei. Es habe sich an der Situation des BF seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nichts geändert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
II.2. Zum Spruchpunkt A):
II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
II.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung beziehungsweise der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
II.2.3. Nach § 1 Z 1 AslyG regelt dieses Bundesgesetz die Zuerkennung und die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde in Österreich.
Das vierte Hauptstück des AsylG (§§ 17 bis 41) ist mit "Asylverfahrensrecht" überschrieben. Der erste Abschnitt des vierten Hauptstücks (§§ 17 bis 27a) regelt das Allgemeine Asylverfahrensrecht. Diese Bestimmungen stellen daher besondere Verfahrensregelungen in Ergänzung zu den allgemeinen Regelungen des AVG auf.
§ 18 AsylG, der mit "Ermittlungsverfahren" überschrieben ist, regelt, dass die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Bestimmung stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).
§ 19 AsylG lautet auszugsweise:
"Befragungen und Einvernahmen
[...] (2) Ein Asylwerber ist vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und - soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird - zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber, ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3). Weiters kann eine Einvernahme im Zulassungsverfahren unterbleiben, wenn das Verfahren zugelassen wird. § 24 Abs. 3 bleibt unberührt. [...]"
Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG ist ein Asylwerber ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.
Vom Wortlaut des § 19 Abs. 2 AsylG sind daher nur jene Fremde erfasst, deren Verfahren noch nicht rechtskräftig beendet wurde. Im Verlängerungsverfahren besteht daher im Gegensatz zum Asylverfahren dem Wortlaut nach keine Pflicht zur Einvernahme. Es stellt sich daher die Frage, ob in diesem Fall eine planwidrige Lücke vorliegt, die mittels Analogie zu schließen ist, oder ob der Gesetzgeber eine unterschiedliche Behandlung im Verlängerungsverfahren regeln wollte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner ständigen Rechtsprechung die grundsätzliche Zulässigkeit der Analogie auch im öffentlichen Recht wiederholt anerkannt. Voraussetzung hierfür ist freilich das Bestehen einer echten (d.h. planwidrigen) Rechtslücke. Sie ist dort anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Da das öffentliche Recht schon von der Zielsetzung her nur einzelne Rechtsbeziehungen unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses zu regeln bestimmt ist, muss eine auftretende Rechtslücke in diesem Rechtsbereich im Zweifel als beabsichtigt angesehen werden. Eine durch Analogie zu schließende Lücke kommt nur dann in Betracht, wenn das Gesetz anders nicht vollziehbar ist oder wenn das Gesetz in eine Regelung einen Sachverhalt nicht einbezieht, auf welchen - unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes und gemessen an den mit der Regelung verfolgten Absichten des Gesetzgebers - ebendieselben Wertungsgesichtspunkte zutreffen wie auf die im Gesetz geregelten Fälle und auf den daher - schon zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Ungleichbehandlung - auch dieselben Rechtsfolgen angewendet werden müssen (VwGH 29.10.2015, Ro 2015/07/0019).
§ 19 AsylG liegt zugrunde, dass gerade in Asylverfahren die Einvernahme oftmals das einzige Beweismittel ist, das dem Antragsteller zur Verfügung steht. Durch die persönliche Einvernahme soll ihm damit ermöglicht werden, Gründe anzugeben, die gegen eine Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen. Ausnahmen von der Pflicht zur Anhörung sind daher sehr eng zu fassen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 19 AsylG, K 1).
Auch im Verfahren zur Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geht es primär um die Frage, ob dem Antragsteller eine Rückkehr in seine Heimat (nunmehr) möglich ist oder ob einer Rückkehr (weiterhin) Art. 2, 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention entgegenstehen oder ihm dort als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde. Insoweit ist die Situation daher zu Asylverfahren vergleichbar, zumal auch dort die Einvernahme, neben der Ermittlung der Fluchtgründe, dazu dient, Umstände geltend zu machen, die die Zuerkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigen könnten.
Auch bei Folgeanträgen ist nach § 19 AsylG eine Einvernahme grundsätzlich vorgesehen. Eine solche kann lediglich dann entfallen, wenn dem Antragsteller ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt. Soweit dem Fremden in seinem Folgeverfahren jedoch ein faktischer Abschiebeschutz zukommt, ist er daher zwingend einzuvernehmen. Selbst in einem solchen Fall, in dem bereits einmal rechtskräftig entschieden wurde, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat keine reale Gefahr der in § 8 AsylG genannten Rechte droht, ordnet das AsylG daher ausdrücklich die zwingende Einvernahme eines Asylwerbers auch zur Klärung dieser Frage an. Das AsylG geht daher offensichtlich davon aus, dass die persönliche Einvernahme zu den wichtigsten Ermittlungsschritten zählt, weshalb diese nur in Ausnahmefällen entfallen darf.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Bestimmung des § 19 Abs. 2 AsylG wegen der vergleichbaren Situation und dem gleichen Zweck der Einvernahme auch im Verlängerungs- beziehungsweise Aberkennungsverfahren zum subsidiären Schutz anzuwenden ist, sodass von einer zwingenden Einvernahme auszugehen ist, zumal dort gerade im Gegensatz zum Folgeverfahren bereits rechtskräftig entschieden wurde, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr der in § 8 AsylG genannten Rechte droht. Es treffen daher in diesem Fall dieselben Wertungsgesichtspunkte zu, sodass, um eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung Fremder zu vermeiden, die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG auch im Verlängerungsverfahren anzuwenden ist.
Zudem kommt nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen, insbesondere auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände, besondere Bedeutung zu (statt vieler VwGH 25.10.2018, Ra 2018/20/0318). Auch aus diesem Grund scheint eine persönliche Befragung des BF im Verfahren zur Verlängerung des subsidiären Schutzes beziehungsweise zu dessen Aberkennung bereits durch das BFA unumgänglich. Dies umso mehr, als der BF angab, seit drei Jahren eine Freundin im Bundesgebiet zu haben. Das BFA stellte die Beziehung zwar entsprechend den Angaben des BF fest, führte jedoch keine weiteren Ermittlungen dahingehend durch, ob diese Beziehung bereits unter das von Art. 8 EMRK geschützte Familienleben fällt. Das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben ist nach ständiger Rechtsprechung nämlich nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen ("marriagebased relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben, wobei auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen abzustellen ist, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können. Für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung sind gegebenenfalls auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens von Bedeutung. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VwGH 08.03.2019, Ra 2018/20/0394). Ob eine solche Abhängigkeit besteht, wurde vom BFA jedoch in keiner Weise ermittelt.
Im gegenständlichen Fall scheint eine persönliche Einvernahme auch deswegen zwingend geboten, zumal dem unvertretenen BF im schriftlichen Parteiengehör durch das BFA keine genauen Gründe für die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens mitgeteilt wurden, sondern lediglich allgemein festgehalten wurde, dass die Gründe, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt hätten, nicht mehr gegeben seien. Um dem BF jedoch die Möglichkeit zu geben, ein substantiiertes Vorbringen zu erstatten, warum die Voraussetzungen noch immer vorliegen, wären dem BF vom BFA genauere Informationen zu geben gewesen, die es zu diesem Schritt veranlassten, wie beispielsweise, inwiefern sich die Sicherheitslage wesentlich verbessert oder die persönliche Situation des BF sich maßgeblich geändert habe (siehe dazu auch Art. 45 Abs. 1 lit a Verfahrensrichtlinie).
Das BFA hat daher zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts nur völlig ungeeignete Ermittlungen gesetzt und die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG nicht beachtet, indem es den unvertretenen BF nicht persönlich einvernommen hat. Der angefochtene Bescheid leidet daher unter erheblichen Ermittlungsmängeln. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, ist nicht ersichtlich. Es war daher gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides und einer Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde vorzugehen.
Diesem Ergebnis steht auch das Erkenntnis des VwGH vom 25.09.2018, Ra 2017/21/0253 nicht entgegen. Darin führte der Verwaltungsgerichtshof zwar aus, dass das Begnügen mit schriftlichem Parteiengehör durch das BFA anstatt einer persönlichen Einvernahme für sich genommen nicht zur Zurückverweisung berechtigt, weil es grundsätzlich immer auch Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts ist, sich vor Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung selbst einen persönlichen Eindruck vom Fremden zu verschaffen, sofern nicht ausnahmsweise ein eindeutiger Fall gegeben ist. Von dieser Verpflichtung ist das Bundesverwaltungsgericht auch dann nicht entbunden, wenn das BFA im erstinstanzlichen Verfahren eine persönliche Einvernahme durchgeführt hat; eine solche mag zwar in vielen Fällen zweckmäßig sein, sie kann aber den persönlichen Eindruck des im Beschwerdeverfahren entscheidenden Richters nicht ersetzen. Es liegt daher - sofern nicht sonstige grobe Ermittlungsmängel vorliegen - im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG, wenn das Bundesverwaltungsgericht in Fällen, in denen es von der Notwendigkeit der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks ausgeht, die Einvernahme selbst in einer mündlichen Verhandlung durchführt.
Der diesem Erkenntnis zugrundeliegende Sachverhalt ist jedoch mit dem gegenständlichen nicht vergleichbar. Im dort entschiedenen Fall handelt es sich um ein rein fremdenrechtliches Verfahren, da dem dortigen BF bereits zuvor der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde. Mit dem mit Beschwerde bekämpften Bescheid wurde daher nur mehr eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei und ein Einreiseverbot erlassen. Im Gegensatz zum vorliegenden Fall bestand daher keine dem § 19 AsylG vergleichbare Regelung, die die zwingende Einvernahme des BF vorsieht. Zudem ermittelte das BFA im gegenständlichen Fall auch in Bezug auf die private Situation des BF im Bundesgebiet wie oben gezeigt mangelhaft, sodass im gegenständlichen Fall eine Kassation nach Ansicht der erkennenden Richterin zulässig ist. Zudem ist aus dem Akt auch nicht ersichtlich, dass und welche Länderinformationen dem BF zur Stellungnahme übermittelt wurden.
Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA - vorbehaltlich allfällig sodann notwendig werdender weiterer Ermittlungsschritte - den BF persönlich einzuvernehmen und in Hinblick auf mögliche reale Gefahren einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausführlich und zielgerichtet zu befragen haben. Ebenso wird ihm Gelegenheit zu geben sein zu seiner Beziehung nähere Ausführungen zu tätigen. Das BFA wird die dargestellten Mängel zu verbessern und in Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs dem BF die Ermittlungsergebnisse unter Heranziehung von aktuellen Länderfeststellungen zur Kenntnis zu bringen haben.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
II.4. Zu Spruchpunkt B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Zur hier gegenständlichen Frage, ob die Vorschrift des § 19 Abs. 2 AsylG auch im Aberkennungs- beziehungsweise Verlängerungsverfahren zum subsidiären Schutz anzuwenden ist und der BF daher zwingend durch das BFA einzuvernehmen ist, fehlt Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Dieser Frage kommt aufgrund der vermehrten Anzahl an Verlängerungs- und Aberkennungsverfahren auch über den Einzelfall hinaus Bedeutung zu. Zudem steht die Entscheidung in einem gewissen - wenn auch nicht unauflöslichen - Spannungsverhältnis zum Erkenntnis des VwGH vom 25.09.2018, Ra 2017/21/0253. Die ordentliche Revision war daher zuzulassen.
Schlagworte
Aberkennungsverfahren, Einvernahme, Ermittlungspflicht, Kassation,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W158.2001879.2.00Zuletzt aktualisiert am
28.04.2020