TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/31 W235 2121306-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.07.2019
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Entscheidungsdatum

31.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W235 2121306-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2019, Zl. 1085577901-190058515, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 05.12.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG stattgegeben und XXXX , geb. XXXX , eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 26.01.2021 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 02.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 03.09.2015 erfolgte seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde er am 23.01.2016 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.01.2016, Zl. 1085577901-151255174, sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.01.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

Festgestellt wurde, dass sich der Beschwerdeführer bis zu seinem 24. Lebensjahr in Afghanistan aufgehalten habe. Den Herkunftsstaat habe er aufgrund der Sicherheitslage während des Bürgerkrieges verlassen. Während der letzten 13 Jahre habe er durchgehend in der Stadt XXXX im Iran gelebt. Er habe eine Schwester, welche nach wie vor in seinem Heimatdorf lebe. Kontakt bestehe zu ihr allerdings nicht. Er verfüge über keine Schulbildung, sei Analphabet und habe als Schneider gearbeitet. Zu seiner Kernfamilie, die in XXXX aufhältig sei, habe er regelmäßigen Kontakt. Zu keinem Zeitpunkt habe er in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat gewohnt. Körperlich sei er nicht eingeschränkt, er sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Im Fall des Beschwerdeführers liege ein Abschiebehindernis vor. Dies ergebe sich aus dem fehlenden sozialen Netzwerk sowie aus den zu seiner Person getroffenen Feststellungen. Auf den Seiten 7 bis 49 dieses Bescheides wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.

Beweiswürdigend wurde unter anderem festgehalten, dass aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie aufgrund des nicht vorhandenen sozialen Netzwerkes ein Abschiebungshindernis vorliege.

Rechtlich folgerte das Bundesamt zu Spruchpunkt II. dieses Bescheides, dass sich die Situation in Afghanistan gegenüber den letzten Jahren zwar verbessert habe, die Lage jedoch weder sicher noch stabil sei. Die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse sei in Afghanistan häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiären Schutz seien im Fall des Beschwerdeführers gegeben. So sei er zwar erwerbsfähig und könne daher die grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden, allerdings seien seine Möglichkeiten einer Teilnahme am Erwerbsleben aufgrund des Umstandes, dass er Analphabet sei, geschmälert. Die Lage in Afghanistan sei insgesamt als angespannt zu bezeichnen und würden sich keine Hinweise ergeben, dass dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Schutzalternative, etwa in der als verhältnismäßig sicher eingestuften Region Kabul, offenstehe, da er in Afghanistan über keine Verwandten verfüge. Ferner sei zu berücksichtigen, dass er seit 15 Jahren im Iran aufhältig gewesen sei, dort eine Ehe geschlossen habe und daher auch im Iran seinen Lebensmittelpunkt gehabt habe. Somit habe er in Afghanistan weder familiäre bzw. soziale noch wirtschaftliche Anknüpfungspunkte. Aufgrund des Fehlens eines unterstützenden sozialen bzw. familiären Netzwerks in Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif stehe ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände im konkreten Fall könne daher nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, einer Bedrohung seines Lebens oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK unterworfen zu werden.

1.3. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.08.2018, W178 2121306-1/4E, als unbegründet abgewiesen.

1.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2016, Zl. 1085577901-151255174, wurde die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis 26.01.2019 verlängert.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Am 05.12.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

2.2. Am 17.01.2019 erfolgte eine mündliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Zuge derer er angab, er sei gesund, nehme keine Medikamente und sei in der Lage zu arbeiten. Aktuell arbeite er bei XXXX im Lager als Leiharbeiter. Der Beschwerdeführer gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der Religionsgemeinschaft der Schiiten an. Seine Erstsprache sei Dari, er spreche auch ein wenig Türkisch und ein bisschen Deutsch. Befragt, ob er in der Sprache Dari lesen und schreiben könne, gab er zur Antwort, er könne ein bisschen lesen und auch ein wenig schreiben.

Der Beschwerdeführer sei in der Provinz Sar-e-Pol geboren, habe dort keine Schule besucht und habe als Kind begonnen in der Landwirtschaft zu arbeiten. Daraufhin sei er in den Iran gereist, wo er zehn bis fünfzehn Jahre als Schneider gearbeitet habe. Dann sei er nach Österreich gelangt. Auf Nachfrage gab er an, dass er zunächst alleine in den Iran gereist sei. Daraufhin seien seine Mutter und seine Geschwister nachgekommen, da sein Vater getötet worden sei. Seine Geschwister seien jetzt aber in Afghanistan, während seine Mutter mit seinem Onkel mütterlicherseits im Iran sei. Sein Vater sei vor 40 Jahren getötet worden, seine Mutter sei mit ihrem neuen Mann in den Iran gereist. Im Herkunftsstaat habe er nur mehr eine Schwester. Sein Onkel väterlicherseits, sein Onkel mütterlicherseits sowie seine drei Halbbrüder würden im Iran leben. Auf Vorhalt, er habe zuvor angegeben, dass seine Geschwister in Afghanistan seien, erklärte der Beschwerdeführer, er habe damit nur seine Schwester gemeint. Sie lebe in Sar-e-Pol. Dort gebe es keine Telefone. Seine Schwester rufe im Iran an und seine Mutter erzähle ihm davon. Der Bruder seines Stiefvaters lebe in Mazar-e-Sharif und besuche manchmal die Schwester des Beschwerdeführers. Dann gebe er der Mutter Bescheid. Auf Vorhalt, er habe behauptet, es gebe bei seiner Schwester keine Telefone, brachte er vor, sie habe schon ein Telefon, das gehe aber manchmal nicht. Der Beschwerdeführer erkundige sich bei seiner Mutter, wie es seiner Schwester gehe. Tagsüber würde er arbeiten und wenn er nachts Zeit habe zu telefonieren, sei es dort zu spät. Die Nummer seiner Schwester könne er sich von seiner Mutter besorgen. Sein Stiefvater habe zwei Brüder, die in Mazar-e-Sharif und in Sar-e-Pol leben würden. Den Bruder, der in Mazar-e-Sharif lebe, rufe er gelegentlich an. Auf die Frage, wie es ihm gehe, antwortete der Beschwerdeführer, Afghanistan sei unsicher, ihm gehe es gesundheitlich gut. Er habe einen Bauernhof und Ländereien, die Situation sei eigentlich gut. Zum anderen Bruder des Stiefvaters habe er keinen Kontakt.

Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab der Beschwerdeführer an, es gebe in Afghanistan noch immer dieselben Probleme mit den Taliban, der Regierung und "den Leuten". Sein Stiefvater sei auch dort getötet worden vor ca. 20 Jahren. Seine Halbgeschwister seien erwachsene Männer. Seine Mutter lebe mit den Halbbrüdern im Iran. Hin und wieder werde sie von seinem Bruder unterstützt. Mit der Mutter spreche er drei- bis viermal in der Woche, seine Halbgeschwister rufe er nicht an. Seine Schwester sei verheiratet und habe vier bis sechs Kinder. Der Bruder seines Stiefvaters, der in Mazar-e Sharif lebe, habe erwachsene Kinder, die in Sar-e-Pol und in Mazar-e Sharif leben würden. Er habe viele Kinder. Der Beschwerdeführer schätze, es seien sieben bis zehn Kinder. Vor sechs Monaten habe er mit dessen Sohn gesprochen. Der habe ein Handy und lebe in Mazar-e-Sharif. Der Bruder seines Stiefvaters habe schon immer in Mazar-e Sharif und in Sar-e-Pol gelebt, er reise hin und her.

Zu seinem Aufenthalt in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er habe zunächst Deutschkurse besucht. Für ihn als älteren Mann sei es sehr schwer gewesen und er habe länger gebraucht, um "das" zu lernen. Dann habe er Arbeit gesucht und sei vor einem Jahr fündig geworden. Private oder familiäre Bindungen habe er in Österreich nicht. Ein Sohn seines Onkels mütterlicherseits lebe seit ca. drei Jahren in Österreich und verfüge über den Status des subsidiär Schutzberechtigten. Dieser mache eine Lehre in einem Hotel und lebe auch mit einem Österreicher zusammen. Mitglied in einem Verein oder einer Organisation sei der Beschwerdeführer nicht.

Abschließend wurde mit dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 08.01.2019 erörtert.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.01.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag vom 05.12.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger sei und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam angehöre. Er spreche Dari. Ferner beherrsche er ein wenig Deutsch und Türkisch. Über Schulbildung verfüge er nicht, allerdings sei er arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Geboren und aufgewachsen sei er in Sar-e-Pol. Überdies habe er zehn bis fünfzehn Jahre im Iran gelebt. Berufserfahrung habe er in Österreich sowie im Iran gesammelt. Die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten würden nicht mehr vorliegen, da sich seine subjektive Lage seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten verändert habe. Er sei nunmehr kein Analphabet, könne Dari lesen und schreiben und verfüge über soziale Anknüpfungspunkte in Mazar-e Sharif. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan könne er nicht glaubhaft machen. Er verfüge über eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif. Auf den Seiten 10 bis 82 wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.

Im Zuge der Beweiswürdigung wurde unter anderem ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine aktuellen Fluchtgründe vorgebracht habe, da er in diesem Zusammenhang lediglich auf die allgemeine Sicherheitslage verwiesen habe. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei ihm zuerkannt worden, da er zum Entscheidungszeitpunkt Analphabet gewesen sei, über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt und bereits 15 Jahre im Iran gewohnt habe. Seine Situation habe sich geändert, da er angegeben habe, Dari lesen und schreiben zu können. Folglich könne davon ausgegangen werden, dass er eine Arbeitsstelle in seinem Heimatland finden könne, da er dies auch in Österreich geschafft habe, ohne die Sprache zu sprechen. Nun spreche er perfekt Dari und könne sogar lesen und schreiben. Daher sei es ihm möglich, seinen Lebensunterhalt in Afghanistan zu sichern. Zusammengefasst sei sohin der größte Unterschied, dass der Beschwerdeführer nun gebildeter sei. Ferner verfüge er in Mazar-e Sharif über soziale Anknüpfungspunkte, zumal der Bruder seines Stiefvaters in dieser Stadt lebe. Dieser könne ihn anfangs unterstützen, indem er ihm Ortskenntnisse beibringe und bei der Arbeitssuche behilflich sei. Der Beschwerdeführer pflege eine Beziehung zum Onkel seines Stiefvaters, weshalb ihn dieser mit Sicherheit unterstützen würde. Ferner kenne der Beschwerdeführer die Stadt bereits, da er selbst angeführt habe, ab und zu dort gewesen zu sein. Ferner habe er während seines langjährigen Aufenthaltes in Europa an Lebenserfahrung gewonnen und Berufserfahrung gesammelt, sodass es ihm nunmehr leichter fallen werde, in Afghanistan einer Arbeit nachzugehen. Überdies könne der Beschwerdeführer nunmehr auf die Unterstützung zahlreicher internationaler Einrichtungen zurückgreifen, da laut einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.02.2018 internationale Organisationen wie IOM, die UN-Agentur UNHCR, US-amerikanische Organisationen, wie USAID, sowie lokale Nichtregierungsorganisationen, wie IPSO und AMASO, zu den unterstützenden Akteuren zählen würden. Ferner bestehe auch die Möglichkeit, finanzielle Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Rechtlich folgerte das Bundesamt, dass sich die individuelle Situation des Beschwerdeführers geändert habe, da er kein Analphabet mehr sei und über soziale Anknüpfungspunkte in Mazar-e Sharif verfüge. Darüber hinaus stehe nunmehr - im Gegensatz zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes - fest, dass alleinstehende, arbeitsfähige Männer in gewissen Regionen Afghanistans jedenfalls ein zumutbares Leben führen könnten, weshalb Anträge auf internationalen Schutz von dieser Personengruppe auch regelmäßig gänzlich abgewiesen würden. Dies stehe im Einklang mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, der Einschätzung durch EASO sowie mit den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018. Damit komme zum Ausdruck, dass sich die Lage für Rückkehrer jedenfalls soweit klar zum Besseren gewandt habe, da andernfalls nicht sämtliche mit Asylverfahren befasste Einrichtungen zu einer positiven Prognose für Rückkehrer kämen. Aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergebe sich keine Gefährdungslage im Sinne des § 8 AsylG. Trotz der insgesamt als prekär zu bezeichnenden Sicherheitslage im Hinblick auf die regional und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr wohl unterschiedliche Sicherheitslage sowie seiner individuellen Situation sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr zumutbar. Aus den Feststellungen ergebe sich hinsichtlich Mazar-e-Sharif eine schwierige Sicherheitssituation, die aber vor allem durch sicherheitsrelevante Vorfälle auf sogenannte High Profile Ziele geprägt sei. Der Beschwerdeführer sei davon als unbeteiligter Zivilist sohin nicht betroffen. Ferner sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Schutzsuchende, sofern sie den Wunsch auf Unterstützung in Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen entsprechend formulieren, auch Gehör und Hilfe bei der Neu- oder Wiederansiedlung in Herat und Mazar-e Sharif erfahren würden. Ferner liege es auch im grundlegenden Interesse sämtlicher in Afghanistan existierender Volksgruppen, sohin auch der Hazara, ihre Mitglieder zu schützen. Erneut wurde ausgeführt, dass für den Beschwerdeführer die Möglichkeit bestehe, auf die Unterstützung durch internationale Organisationen zurückzugreifen und finanzielle Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen. Ergänzend wurde auch auf die Judikatur des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen, wonach eine Ansiedlung in Afghanistan auch Personen zumutbar sei, die noch nie in Afghanistan aufhältig gewesen seien und über kein familiäres Netzwerk verfügen würden. Hingewiesen wurde auch darauf, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig sei und ihm seine Berufserfahrung beim Einstieg in das Berufsleben in Mazar-e Sharif helfen würde. Da ein großer Anteil der afghanischen Bevölkerung Flüchtlingshintergrund habe, sei auch nicht davon auszugehen, dass Rückkehrer in besonderer Weise diskriminiert würden. So würden auch vermehrt Flüchtlinge aus Pakistan nach Afghanistan zurückkehren, da die Unterstützung von UNHCR verdoppelt worden sei. Die Behörde stelle sohin fest, dass dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr keine reale Gefahr einer Bedrohung oder Verfolgung im Sinne von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Zusatzprotokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen würde.

Mit Verfahrensanordnung vom 18.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner ausgewiesenen Vertretung am 18.02.2019 Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und beantragte (unter anderem) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Begründend wurde nach Darstellung des wesentlichen Sachverhalts zusammengefasst ausgeführt, die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt, inwiefern sich die Lage in Afghanistan oder die persönliche Situation des Beschwerdeführers seit dem Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes maßgeblich geändert habe. Im Rahmen einer richtlinienkonformen Interpretation der Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG hätte die belangte Behörde eine grundlegende und dauerhafte Änderung jener Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt habe, darlegen müssen.

Die belangte Behörde habe jedoch lediglich angeführt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zuerkennung Analphabet gewesen sei und nunmehr "sogar lesen und schreiben könne" (vgl. Seite 84 des Bescheides). Allerdings habe er nur angegeben, ein bisschen lesen und ein wenig schreiben zu können. Hätte die Behörde nachgefragt, so hätte der Beschwerdeführer angeben können, dass er sich über die Internetplattform YouTube einige Grundkenntnisse des persischen Alphabetes angeeignet habe. Der Beschwerdeführer sei aber nach wie vor funktionaler Analphabet in der Sprache Dari. Ferner habe die Behörde behauptet, ein wesentlicher Unterschied sei, dass er nunmehr über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat verfüge, weil der Bruder seines Stiefvaters in Mazar-e Sharif lebe. Der Beschwerdeführer habe lediglich vor sechs Monaten Kontakt zu einem Sohn dieses Mannes gehabt, sodass die Ausführungen der Behörde, er habe zu ihm selbst Kontakt gehabt, nicht nachvollziehbar seien. Diese entfernten Bekannten hätten bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes in Afghanistan gelebt. Eine wesentliche Änderung der Umstände sei sohin nicht eingetreten. Das Versäumnis der Behörde, zum damaligen Zeitpunkt weitere Ermittlungen anzustellen, könne dem Beschwerdeführer nicht zur Last gelegt werden. Davon abgesehen handle es sich um keine maßgebliche Änderung, da es sich beim Bruder des Stiefvaters kaum um ein tragfähiges familiäres Netzwerk handle. Aus den einschlägigen Länderberichten gehe hervor, dass bei solchen weitschichtigen Verwandtschaftsverhältnissen keinerlei soziale oder traditionelle Verpflichtung einer Unterstützung bestehe, insbesondere auch aus dem Grund, dass der Bruder des Stiefvaters selbst eine sehr große Familie mit zehn Söhnen in einer wirtschaftlich äußerst angespannten Lage versorgen müsse. Als weiteren Grund habe die Behörde angeführt, dass der Beschwerdeführer durch seinen langen Aufenthalt in Europa in einer solchen Weise an Lebenserfahrung gewonnen habe, dass er nunmehr in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt in Afghanistan zu bestreiten. Es müsse aber bezweifelt werden, dass Kenntnisse der deutschen Sprache sowie der europäischen Kultur bei der Sicherung des Lebensunterhalts in Afghanistan helfen könnten. Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer am österreichischen Arbeitsmarkt mit Hilfe des AMS, Schulungsmaßnahmen und guter Konjunktur etablieren habe können, sei mit der prekären Situation in Afghanistan nicht vergleichbar. Aufgrund der nunmehr immer länger andauernden Abwesenheit von seinem Herkunftsland könne ihm nunmehr weniger zugemutet werden zurückzukehren und würden sich die wirtschaftlich schwierige Lage in Afghanistan sowie die prekäre Sicherheitslage zudem verschlechtern. Der Aberkennungsgrund des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG liege sohin nicht vor und habe die belangte Behörde die Aberkennung des subsidiären Schutzes vielmehr auf mit einer von ihr verorteten Änderung der Judikatur begründet. Eine neue rechtliche Beurteilung eines im wesentlichen unveränderten Sachverhalts könne eine Aberkennung jedoch nicht tragen. Ferner habe sich die Behörde mit der Sicherheitslage in Afghanistan nicht auseinandergesetzt, obwohl die Gewährung von subsidiären Schutz unter anderem auf die zum damaligen Zeitpunkt instabile Sicherheitslage gestützt worden sei. In weiterer Folge wurde zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Stellung bezogen.

Ferner wurde ausgeführt, dass nunmehr neue Abschiebehindernisse vorliegen würden, da der Beschwerdeführer regelmäßig die Messe in der Pfarre XXXX besuche und derzeit im Taufvorbereitungskurs besuche, auch wenn er sich noch im Transformations-Prozess befinde und seine innere Überzeugung noch nicht als hinreichend gefestigt sehe. Überdies wurde moniert, dass die Behörde im Zuge der Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung lediglich eine mangelhafte Interessensabwägung nach Art. 8 EMRK durchgeführt habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an und stammt aus der der Provinz Sar-e-Pol. Er besuchte keine Schule in Afghanistan, sondern arbeitete bereits im Kindesalter in der Landwirtschaft. Nach seiner endgültigen Ausreise aus Afghanistan siedelte sich der Beschwerdeführer im Iran an, wo er zehn bis fünfzehn Jahre als Schneider tätig war. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er spricht Dari und verfügt über Grundkenntnisse in Deutsch und Türkisch. In Österreich hat der Beschwerdeführer begonnen, sich Kenntnisse im Schreiben und Lesen der Sprache Dari anzueignen. Es steht jedoch nicht fest, dass er in der Lage ist, berufliche oder private Belange, welche Lese- oder Schreibkompetenzen erfordern, eigenständig abzuwickeln. Seine Lese- und Schreibkompetenzen sind folglich nur gering ausgeprägt.

In Österreich ist der Beschwerdeführer unbescholten. Er ist unselbstständig erwerbstätig und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.

1.1.2. Nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 02.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist er durchgehend in Österreich aufhältig.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2016, Zl. 1085577901-151255174, wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 26.01.2017 erteilt. Festgestellt wurde unter anderem, dass der Beschwerdeführer die letzten dreizehn Jahre durchgehend in der Stadt XXXX im Iran gelebt habe. Er habe keine Schulbildung, verfüge jedoch über Berufserfahrung als Schneider. Seine Schwester lebe nach wie vor in seinem Heimatdorf, Kontakt bestehe zu ihr jedoch nicht. Zu seiner Kernfamilie, welche sich in XXXX aufhalte, pflege er regelmäßigen Kontakt. In den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat habe er noch nie gewohnt. Er sei körperlich nicht eingeschränkt, sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Im Fall des Beschwerdeführers liege aufgrund des Fehlens eines sozialen Netzwerkes im Herkunftsstaat sowie aufgrund seiner individuellen Umstände ein Abschiebehindernis vor.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2016, Zl. 1085577901-151255174, wurde die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis 26.01.2019 verlängert. Der Beschwerdeführer stellte am 05.12.2018 einen Antrag auf (weitere) Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

1.1.3. Die Mutter des Beschwerdeführers, sein Onkel väterlicherseits, sein Onkel mütterlicherseits sowie seine drei Halbbrüder leben in der Stadt XXXX im Iran. Der Vater sowie der Stiefvater des Beschwerdeführers sind bereits vor seiner Ausreise aus dem Iran verstorben. Zu seiner Schwester, welche nach wie vor in der afghanischen Provinz Sar-e-Pol lebt, pflegt der Beschwerdeführer keinen direkten Kontakt. Mit seiner Mutter telefoniert er hingegen drei- bis viermal in der Woche. Der Bruder seines Stiefvaters lebt in der Stadt Mazar-e Sharif und hat mehrere erwachsene Kinder. Er besitzt einen Bauernhof und Ländereien. Der Beschwerdeführer hat gelegentlich Kontakt zum Bruder seines Stiefvaters. Ferner ist er auch in der Lage, zu einem von dessen Söhnen Kontakt aufzunehmen. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Bruder seines Stiefvaters sowie dessen Familie willens und in der Lage sind, den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr wesentlich und nachhaltig zu unterstützen.

1.1.4. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz Sar-e-Pol sowie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2016, Zl. 1085577901-151255174, wesentlich und nachhaltig verändert haben.

1.2. Zur allgemeinen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

[...]

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele:

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten:

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen:

[...]

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban:

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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