Entscheidungsdatum
11.10.2019Norm
AsylG 2005 §57Spruch
I408 1403248-3/12E
Schriftliche Ausfertigung des am 18.03.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch: RA Dr. Michael VALLENDER, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien, Außenstelle Wien vom 29.12.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 11.11.2008 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Nigeria ausgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27.04.2009 rechtskräftig abgewiesen.
2. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.04.2009 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 6 Monate bedingt, verurteilt.
3. Mit Bescheid der BPD Wien vom 23.06.2009 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Einer dagegen erhobenen Berufung wurde keine Folge gegeben. Aufgrund seines Antrages vom 26.04.2017 wurde dieses Aufenthaltsverbot mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2017, Z. 471353502/170504103/BMI-BFA, aufgehoben.
4. Am 30.11.2009 stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, der wegen entschiedener Sache mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.03.2010 zurückgewiesen und der Beschwerdeführer nach Nigeria ausgewiesen wurde. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 01.04.2010 abgewiesen.
5. 2010 scheiterten zwei Versuche, den Beschwerdeführer durch Vertreter der nigerianischen Botschaft zu identifizieren.
6. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 29.09.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt.
7. Am 21.02.2011 wurde der Beschwerdeführer aus der Strafhaft der nigerianischen Botschaft vorgeführt. Dabei gab er wiederholt an, Staatsbürger von Liberia zu sein und verweigerte ein Interview mit Vertretern der nigerianischen Botschaft.
8. Am 03.11.2011 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Karte für Geduldete. Dieser Antrag wurde mit Bescheid der BPD Wien vom 11.11.2011 abgewiesen.
9. Am 26.04.2017 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes ein, dem mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 14.07.2017 stattgegeben und das am 23.06.2009 erlassene Aufenthaltsverbot aufgehoben wurde.
10. Am 30.05.2017 brachte der Beschwerdeführer über seine rechtliche Vertretung per Fax den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ein.
11. Am 02.06.2017 wurde der Beschwerdeführer aufgrund eines Ladungsbescheides der nigerianischen Botschaft vorgeführt und als nigerianischer Staatsbürger identifiziert.
12. Am 16.08.2017 brachte der Beschwerdeführer nach behördlicher Aufforderung persönlich den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG ein.
13. Am 25.08.2017 und am 06.12.2017 übermittelte Der Beschwerdeführer der belangten Behörde eine schriftliche Stellungnahme bzw. diverse Unterlagen und am 07.12.2017 erfolgte seine Einvernahme vor der belangten Behörde.
14. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 28.11.2018, XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 2a SMG, § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.
15. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid, zugestellt am 03.01.2019, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.) und festgestellt, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
16. Mit Schriftsatz seiner bevollmächtigten Rechtsvertretung erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
17. in der mündlichen Verhandlung am 18.03.2019 wurde im Beisein seines Rechtsvertreters der Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer erörtert und im Anschluss daran das Erkenntnis mündlich verkündet.
18. Mit Schriftsatz vom 29.03.2019 beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsbürger und hält sich seit 2008 in Österreich auf. Dem Beschwerdeführer verfügt nach dem negativen Abschluss seiner beiden Asylverfahren über kein Aufenthaltsrecht im Bundegebiet.
Die Identität des Beschwerdeführers ist über ein gültiges Reisedokument nicht abgeklärt bzw. hat er trotz Aufforderung bisher ein solches nicht vorgelegt.
Der Beschwerdeführer verhinderte in der Vergangenheit trotz aller Bemühungen der belangten Behörde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die nigerianische Botschaft und verblieb im Bundesgebiet. So kam er 2010 zwei Ladungen zur Identifizierung durch Vertreter der nigerianischen Botschaft wegen Erkrankungen nicht nach und 2011, als er aus Schubhaft heraus der nigerianischen Botschaft vorgeführt wurde, gab er gegenüber Vertretern der nigerianischen Botschaft an, Staatsbürger von Liberia zu sein.
Erst am 02.06.2017 konnte der Beschwerdeführer nach neuerlichen Vorführung zur nigerianischen Botschaft als nigerianischer Staatsbürger identifiziert werden.
Im Anschluss daran beantragte er zunächst am 26.04.2017 die Aufhebung des seit 2009 bestehenden Aufenthaltsverbotes und am 30.05.2017 die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG, die er nach behördlicher Aufforderung am 24.08.2017 nochmals persönlich einbrachte.
Der Aufforderung der belangten Behörde diesem Antrag entsprechende Identitätsdokumente beizuschließen (Parteiengehör am 16.08.2017, Einvernahme am 07.12.2017) kam der Beschwerdeführer bisher nicht nach und konnte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht dafür keine überzeugende Erklärung abgeben.
Wie schon im Verfahrensgang dargelegt wurde der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Bundegebiet drei Mal wegen Suchtmitteldelikten verurteilt. Zuletzt wurde er am 25.10.2018 beim Verkauf von Suchtgift aufgegriffen, verhaftet und verbüßte bis 06.03.2019 die dafür verhängte Haftstrafe.
Nach 10 Jahren Aufenthalt in Österreich weist der Beschwerdeführer nur bescheidene Deutschkenntnisse auf, die über ein ÖSD Zertifikat A1 vom 08.03.2016 dokumentiert sind, und beherrscht die englische Sprache deutlich besser. Er hat 2017 eine Krankenversicherung über die SVA erreicht, ging aber bisher in Österreich keiner geregelten Erwerbstätigkeit nach und wurde in den letzten Jahren von Freundinnen unterstützt, bei denen er wohnte bzw. wie zuletzt Gelegenheitsarbeiten in ihrem Lokal erbrachte. Abgesehen von Aktivitäten bei einem Fußballverein haben sich keine weiteren, hervorzuhebenden sozialen Kontakte ergeben.
Zudem handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden, volljährigen, arbeitsfähigen Mann, bei welchem die Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Er wurde in Nigeria hauptsozialisiert, hat dort vor seiner Ausreise als Fahrer gearbeitet und Produkte von Farmern transportiert und ist mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten im Land vertraut. In Nigeria herrscht zudem kein Bürgerkrieg und die staatlichen Institutionen funktionieren. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse (Nigeria zählt zu den wirtschaftlich führenden Nationen Afrikas, verfügt über Bodenschätze und eine funktionierende Landwirtschaft) lassen nicht den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in eine lebens- oder existenzbedrohende Lage geraten würde. Der Beschwerdeführer war in den 10 Jahren seines Aufenthaltes in Europa bzw. in Österreich in der Lage, seinen Lebensunterhalt in einem zunächst ungewohnten Umfeld zu bestreiten.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang, insbesondere die daraus ersichtlichen behördlichen sowie gerichtlichen Entscheidungen zu den beiden rechtskräftig abgewiesenen bzw. zurückgewiesenen Anträgen auf internationalen Schutz, sowie seinem Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte und seinen strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus den angeführten Bescheiden und Urteilen und dem unbestrittenen Akteninhalt; ebenso die Versuche der Behörde nach Eintritt der Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen ein Heimreisezertifikat über die nigerianische Botschaft zu erwirken.
Die nigerianische Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers ergibt sich nach seiner Identifizierung durch die nigerianische Botschaft aus dem Bericht des BFA vom 06.06.2017 (AS 53) und wird vom Beschwerdeführer auch nicht in Abrede gestellt. Einen Reisepass hat er sich aber bisher nicht beschafft. Seine in der mündlichen Verhandlung dazu angeführten Aktivitäten, zuletzt im September 2018 bei der nigerianischen Botschaft vorgesprochen zu haben und seine Erklärung: "... Aber sie haben mir ja auch diese Bestätigung (gemeint vom 06.12.2017) gegeben, damit ich zeigen kann, dass der Pass in Arbeit ist. Sie haben immer wieder gesagt, er ist noch nicht fertig. Vielleicht wollen sie ja auch Geld von mir, sie machen immer wieder Tricks. Ich glaube, sie wollen die Aufenthaltskarte sehen, bevor ich ihn bekomme" sind nicht überzeugend, durch nichts belegt und werden als Schutzbehauptung angesehen, um - wie in der Vergangenheit - eine behördliche Entscheidung oder deren Effektuierung zu verhindern.
Die Feststellungen zu seinem Privatleben in Österreich beruhen auf seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung und die im Verfahren vorgelegten Unterlagen. Die geringen Deutschkenntnisse (er versteht einfache Ausführungen, es ist aber erkennbar, dass er sich in seinem Umfeld überwiegend auf Englisch verständigt) ergeben sich aus dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung, seinen diesbezüglichen Angaben und des Umstandes, dass er überwiegend auf die Übersetzung durch den Dolmetscher angewiesen war. Dass er in Österreich bisher keiner geregelten Beschäftigung nachgegangen ist und in den letzten Jahren überwiegend von Unterstützungen von Freundinnen gelebt hat, sei es, dass er bei ihnen gewohnt oder von ihnen verpflegt wurde, sind seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zu entnehmen.
Seine strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem vorliegenden Strafregisterausdruck und werden vom Beschwerdeführer auch nicht in Abrede gestellt.
Die Feststellungen zur Sicherheitslage und den wirtschaftlichen Verhältnissen im Herkunftsstatt wurden mit dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erörtertet und beruhen auf dem, dem Beschwerdeführer mit der Ladung übermittelten Länderbericht und den darin angeführten Quellen. Der Beschwerdeführer trat weder den Feststellungen noch den Quellen substantiiert entgegen, sondern wies nur darauf hin, dass er nicht wisse, ob diese Informationen stimmen bzw. wo er ihn Nigeria hingehen müsse, um Hilfe zu bekommen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.):
Gemäß §58 Abs. 11 Z 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nachkommt.
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG-DV 2005 sind folgende Urkunden und Nachweiseunbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 - dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:
1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);
2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;
3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;
4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschafts-urkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.
Die Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments rechtfertigt bei Unterbleiben einer Antragstellung nach § 4 Abs. 1 Z 3 und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV grundsätzlich eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0206-7).
Im vorliegenden Fall hat es der Beschwerdeführer trotz Aufforderung bisher verabsäumt, dem verfahrensgegenständlichen Antrag vom 24.08.2017 nach § 55 AsylG 2005 einen gültigen Reisepass anzuschließen.
3.2. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte II. - IV): Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.
In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6 FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017)
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, Zl. 2006/01/0126).
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).
Hierbei ist neben diesen (beispielhaft angeführten) Kriterien, aber auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal etwa das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt rechtswidrig oder lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VfGH 12.06.2007, B 2126/06; VfGH vom 29.09.2007, Zl. B 1150/07-9; VwGH 24.04.2007, 2007/18/0173; VwGH 15.05.2007, 2006/18/0107, und 2007/18/0226).
Im gegenständlichen Fall hält sich der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise 2008 und der zwei in Rechtskraft erwachsenen negativen Asylentscheidungen ohne eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich auf. Er negierte die beiden in diesem Zusammenhang ergangenen Rückkehrentscheidungen sowie ein am 23.06.2009 gegen ihn erlassenes Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren. Versuche der belangten Behörde über die nigerianische Botschaft die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu erwirken, wurden vom Beschwerdeführer verhindert. Erst über eine Vorführung bei der nigerianischen Botschaft am 02.06.2017 wurde der Beschwerdeführer letztendlich als nigerianischer Staatsbürger identifiziert, hat aber bisher die Ausstellung eines Reisepasses trotz Aufforderung nicht veranlasst.
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich wiederholt wegen Suchtmitteldelikten zu Freiheitstrafen von 7 Monaten 2009, 9 Monaten 2010 und zuletzt 7 Monate 2018 verurteilt und befand sich zuletzt bis 17.03.2019 in Strafhaft.
Abgesehen von diesen Straffälligkeiten liegt - trotz seines Aufenthaltes von 11 Jahren im Bundesgebiet - nur eine relativ geringe soziale Integration und berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers vor.
So hat der Beschwerdeführer hat zwar Sprachzertifikate auf dem Niveau A2 vom 09.11.2017 sowie Niveau A1 vom 08.03.2016 vorgelegt, doch konnte sich der erkennende Richter in der Verhandlung vor dem BVwG persönlich von den Sprachkenntnissen des BF überzeugen, wonach dieser nur sehr einfach gestellten Fragen auf Deutsch beantworten konnte. Darüber hinaus musste der anwesende Dolmetscher beigezogen werden. In Bezug auf seinen langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet sind die Deutschkenntnisse als bescheiden anzusehen.
In Österreich ging der Beschwerdeführer nie einer geregelten, legalen Tätigkeit nach und lebte von Gelegenheitsarbeiten und der Unterstützung von Freundinnen. Derzeit lebt der Beschwerdeführer bei einer nigerianischen Freundin, die eine Lokal betreibt und den Beschwerdeführer auch einstellen würde.
Außerdem handelt es sich aber beim Beschwerdeführer um einen gesunden, volljährigen, arbeitsfähigen Mann, bei welchem die Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Der Beschwerdeführer ist ein seinem Herkunftsstaat hauptsozialisiert worden, beherrscht Englisch deutlich besser als Deutsch und hat gezeigt, dass er sich auch in einem anderen Kulturkreis in Europa zu helfen weiß, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich vorerst zumindest mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nach den Länderfeststellungen zu Nigeria jedenfalls nicht vor.
In Summe kann daher trotz eines Aufenthaltes von über 10 Jahren keine nach Art. 8 EMRK geschützte "Aufenthaltsverfestigung" angenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Unter Zugrundelegung der Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 23.07.2012 in Verbindung mit dem bisher Ausgeführten, wonach sich eine maßgebliche Veränderung weder im Herkunftsstaat noch in der Person des BF ergeben hat, können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde. Die Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist gegeben.
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Abschiebung, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I408.1403248.3.00Zuletzt aktualisiert am
28.04.2020