Entscheidungsdatum
05.11.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W142 2129085-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , XXXX , StA.: Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.05.2016, Zl: 1079315908-150916261, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2019, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, reiste (spätestens) am 23.07.2015 schlepperunterstützt und unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein, stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde hiezu sogleich von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.
Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab der BF an, keine Ausbildung zu haben und Analphabet zu sein. Er habe zuletzt als Gelegenheitsarbeiter gearbeitet. Sein Vater sei bereits verstorben, sonst habe er noch seine Mutter, einen Bruder und eine Schwester.
Zum Fluchtgrund gab der BF an, aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage und Bedrohung durch die Taliban sein Herkunftsland verlassen zu haben. Zudem könne er aufgrund der Sicherheitslage in seinem Heimatland weder arbeiten noch sich weiterbilden. Ursprünglich in Kabul wohnhaft, habe er zuletzt im Iran gelebt, wo er jedoch weder über eine Aufenthaltskarte, noch sonstige Rechte verfügt hätte. Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland befürchte er aufgrund der generellen Allgemeinumstände im Kontext mit den Taliban umgebracht werden zu können.
2. Am 03.05.2016 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eine niederschriftliche Einvernahme des BF statt. Dabei gab er im Wesentlichen an, ledig sowie kinderlos zu sein. In Afghanistan würden nach wie vor ein jüngerer Bruder, eine ältere Schwester sowie seine Mutter wohnen; sein Vater wäre demgegenüber bereits vor geraumer Zeit verstorben. Des Weiteren sei aktuell auch noch eine Tante mütterlicherseits im Herkunftsland vorhanden.
Seine letzte Wohnadresse wäre acht Jahre zuvor in der Provinz Gharabagh, konkret in Ghazni gelegen gewesen. Wenngleich sich der BF nicht mehr genau an sein damaliges Leben erinnern könne, so habe er dennoch Medienberichten entnommen, dass die Sicherheitslage noch immer unsicher sei. Als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara wäre es dem BF nicht zuletzt aufgrund der ständigen Bedrohung durch die Taliban verwehrt geblieben, eine Schule zu besuchen oder eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren. Zudem würden auch Vertreter der Volksgruppe der Paschtunen immer wieder Angehörige der Hazara diskriminieren und erniedrigen. Er selbst sei jedoch nie persönlich Ziel von Übergriffen geworden. Er habe aber mitbekommen, dass Verwandte und Freunde durch die Taliban erniedrigt worden seien. Zudem habe er beobachtet, dass Freunde von Paschtunen festgehalten, geschlagen und als Geisel genommen worden seien. Weiters hätte eine nicht näher definierte Tätergruppe einmal den Vater des BF auf dessen Weg nach Kabul an- und anschließend einen unbestimmten Zeitraum lang festgehalten. Dies habe ihm seine Mutter erzählt. Erst auf Intervention durch die Dorfältesten habe man den Gefangenen wieder freigelassen.
Ausschlaggebend für die Übersiedelung in den Iran wäre die Idee einer bekannten Familie gewesen, welche seiner Mutter ein besseres Leben im Iran vorgeschlagen habe. Konkret wäre nach dem Tod des Familienoberhauptes ein massives finanzielles Problem entstanden, welches unter den bestehenden Bedingungen nur schwer kompensiert hätte werden können. Da der befreundete Familienverband seinerseits ohnehin in den Iran umgezogen sei, habe man den BF trotz seines noch sehr jugendlichen Alters von erst zwölf Jahren mitnehmen wollen. Die im benachbarten Zielland zu erwartenden Verhältnisse wären in ihrer Gesamtheit weitaus positiver eingeschätzt worden, als in Afghanistan selbst. Sie hätten gesagt, es gäbe dort bessere Möglichkeiten, um die Familie zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund hätte seine Mutter das Angebot angenommen und sei der BF dann in den Iran übersiedelt, wo er bis zu seiner Ausreise nach Österreich seinen Lebensmittelpunkt unterhalten habe.
Als Hilfsarbeiter in einem Kfz-Ersatzteillager tätig, hätte der BF mit dem daraus erzielten Erlös den Lebensunterhalt seiner im Heimatland verbliebenen Familie bestritten. Angesichts des Bewusstseins, illegal im Iran aufhältig zu sein, sei sein Leben stets von der Sorge respektive Befürchtung getragen gewesen, eines Tages von den lokalen Polizeibehörden aufgegriffen und anschließend nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Im Verlauf der sieben letzten Jahre wäre der BF auch tatsächlich insgesamt dreimal aufgegriffen worden, wobei es seinem damaligen Arbeitgeber zweimal gelungen sei, seine Freilassung zu erwirken. Einmal habe man die Abschiebung nach Afghanistan seitens der iranischen Behörden aber dann doch vollzogen. Kurz danach hätte der BF einen Schlepper damit beauftragt, ihn wieder zurück in den Iran zu bringen. Da die reguläre Route seitens der Taliban massiv kontrolliert worden wäre, habe der Schlepper zur Zielerreichung eine alternative, weitaus weniger gefährlich eingeschätzte, Strecke vorgeschlagen. Dennoch sei die Gruppe des BF von Vertretern der Radikalislamisten überrascht und kontrolliert worden. Nach dreitägiger Gefangenschaft wäre der BF gegen Zahlung einer Lösegeldsumme von 10.000 iranischen Toman wieder freigelassen worden. Danach hätte der BF gemeinsam mit zwanzig weiteren Migranten und dem Schlepper seinen Weg zur pakistanischen Grenze fortgesetzt, um neuerlich von zwei nicht näher definierten Gruppen kontrolliert und zur Zahlung von Weggeld genötigt zu werden. Auch die pakistanische Grenzpolizei habe pro Person zwischen 5.000 und 10.000 Toman für die Einreise ins Grenzland eingehoben. Anschließend habe man dann aber endlich die Reise in den Iran ungestört fortsetzen können. Am Weg nach Teheran sei es jedoch neuerlich zu einem unerwarteten Zwischenfall gekommen, in dessen Verlauf sich der Asylwerber wie auch dessen Mitreisende lediglich durch Flucht in einen nahegelegenen Wald vor dem Zugriff iranischer Sicherheitskräfte entziehen hätten können. Obwohl nunmehr an seinem ursprünglich angestrebten Zielpunkt angelangt, habe der BF die zuvor durchlebten Schwierigkeiten zum Anlass genommen, sich ein Jahr später aus der iranischen Hauptstadt zu verabschieden, um stattdessen in Europa sein Glück zu versuchen. Mit Unterstützung eines Freundes hätte er einen geeigneten Schlepper kontaktiert und dafür bezahlt, ihn über die Türkei und Griechenland nach Österreich zu bringen.
Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan würde es ihm seine Familie gestatten, dass er zu ihnen komme, solange seine Sicherheit dort gewährleistet sei. Generell wäre sein Heimatland aber durch die Probleme mit den Taliban und den kriegsähnlichen Zuständen ebenso wie auch aufgrund der Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten instabil, weshalb er eine Rückkehr nicht in Betracht ziehen würde. Stattdessen beabsichtige der BF im Bundesgebiet zu bleiben. Aktuell in Grundversorgung lebend, verfüge der BF über keinerlei nennenswerte soziale Kontakte zur heimischen Bevölkerung und verbringe seine Zeit primär mit Fußballspielen wie auch dem Erwerb von Deutschkenntnissen.
Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes gab der BF an, Arzneimittel aufgrund eines Knieproblems erhalten zu haben. Er habe sich während der Flucht verletzt und sei in Österreich deswegen in Behandlung gewesen. Aktuell sei er nicht in Behandlung.
Der BF legte folgende Unterlagen vor:
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Teilnahmebestätigung von einem Alphabetisierungskurs für Asylwerber vom 27.04.2016;
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Bestätigung eines gemeinnützigen Gemeindeprojektes im Ausmaß von 20 Stunden vom 28.04.2016.
3. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens erließ das BFA den bekämpften Bescheid mit dem es den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten Asyl gem. § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich des Status des subsidiären Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 i. V. m.§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abwies (Spruchpunkt II.), ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilte, gem. § 10 Abs. 1 Z 3 Asyl i. V. m. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erließ, gemäß § 52 Abs. 9 FPG feststellte, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festsetzte (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die Erstinstanz im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu Spruchpunkt I. zunächst aus, dass der BF im Zuge des Verfahrens keinerlei identitätsbezeugende Dokumente vorgelegt habe, weshalb dessen Angaben zu seiner Person nicht objektiv verifiziert hätten werden können.
In Bezug auf die konkret vorgebrachte Fluchtgeschichte wurde ausgeführt, dass der BF eine persönliche Verfolgung - gleichgültig ob aus asylrelevanten oder aus sonstigen Gründen - explizit ausgeschlossen hätte. Stattdessen sei die illegale Migration in den iranischen Nachbarstatt lediglich auf Empfehlung einer befreundeten Familie erfolgt, um auf diese Weise ein wirtschaftlich erfolgreicheres Leben führen zu können, was insbesondere nach dem vorangegangenen Tod des Vaters positive Nebeneffekte für die solcherart vom BF finanziell unterstützte Kernfamilie gehabt habe. Auch sonst hätte der Genannte im Verlauf seines Rechtsganges keinerlei Vorbringen erstattet, welches ihn als eine individuell besonders herausragende Persönlichkeit erscheinen lassen würde und wären auch sonst keine Hinweise in dieser Richtung hervorgetreten. Angesichts des uneingeschränkten Gesundheitszustandes des BF könne gesichert davon ausgegangen werden, dass der BF durch erneute Aufnahme einer Beschäftigung seine elementaren Lebensbedürfnisse auch weiterhin werde decken können. Im vorliegenden Fall hätten lediglich wirtschaftliche Überlegungen zum Entschluss des Asylwerbers geführt, sein Heimatland zu verlassen. Derartigen Motiven komme aber keinerlei Asylrelevanz zu und habe die belangte Behörde auch amtswegig keine weiteren Gefährdungspotentiale ausgemacht, weshalb nicht zuletzt mangels Verfolgungssituation der Antrag auf internationalen Schutz negativ zu finalisieren gewesen sei.
Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde primär darauf verwiesen, dass der BF selbst eingestanden habe, im Falle seiner Rückkehr bei seiner Familie in Afghanistan wieder Aufnahme zu finden. Diese lebe nach wie vor im ursprünglichen Heimatdorf, weshalb soziale Anknüpfungspunkte vor Ort jedenfalls als gegeben erachtet werden könnten. Eine Rückkehr in die Heimatprovinz sei mittels existierender Busverbindung gefahrlos möglich, wie auch den der Entscheidung zugrunde gelegten aktuellen Länderfeststellungen zweifelsfrei zu entnehmen sei. Darüber hinaus bestehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, welche im Bedarfsfall vom BF ergriffen werden könnte. So wäre es dem BF etwa auch möglich sich in Kabul eine Existenz aufzubauen; bereits in der Vergangenheit sei ihm dies im Iran trotz illegalem Aufenthaltsstatus gelungen. Angesichts der mangelnden Verfolgungssituation, dem Vorliegen familiärer respektive sozialer Anknüpfungspunkte, der uneingeschränkten Gesundheit des BF in Kombination mit den zur Entscheidung konkret herangezogenen Länderfeststellungen unabhängiger Quellen, könnten zusammenfassend keinerlei Gründe erkannt werden, welche eine potentielle Gefahr für den Asylwerber existent und darauf basierenden die Zuerkennung subsidiären Schutzes gerechtfertigt erscheinen lassen würden.
Zu Spruchpunkt III. verwies das Bundesamt zunächst auf die fehlenden familiären Anknüpfungspunkte des BF in Österreich. Vor dem Hintergrund der erst sehr kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet im Ausmaß von zehn Monaten könne keine dermaßen tiefe Verwurzelung in die heimischen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse erblickt werden, welche ein schutzwürdiges Vertrauen auf ein dauerhaftes Bleiberecht rechtfertigen oder eine Rückkehr ins Herkunftsland als unzulässig werten lassen würde. Dies umso mehr, als dass der BF seit seiner Einreise seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus Zuwendungen der öffentlichen Hand bestreite und nicht einmal durchschnittliche Deutschkenntnisse erworben habe. Aus einer Gesamtschau der rechtlich relevanten Faktoren sei somit eine Abschiebung des BF nach Afghanistan als zulässig zu qualifizieren.
4. Gegen diese Entscheidung erhob der BF innerhalb offener Frist vollinhaltliche Beschwerde und wurde der Beschwerde ein persönliches handschriftliches Schreiben des BF in der Sprache Farsi beigelegt.
5. Am 23.08.2016 übersandte der rechtsfreundliche Vertreter des BF eine Beschwerdeergänzung. Demnach gehöre der BF einer nicht näher konkretisierten sozialen Gruppe an und sei die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin instabil, weshalb dem BF internationaler oder zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre. Der BF habe sieben Jahre im Iran gelebt und habe nach dem Tod des Vaters in Afghanistan keine zumutbare Existenz führen können. In der Sicherheitslage in Afghanistan - auch im aktuellen EASO-Bericht - sei eine massive Verschlechterung zu erkennen. Des Weiteren besuche der BF einen Deutschkurs und werde dieser demnächst eine entsprechende Prüfung auf der Niveaustufe A1 erfolgreich absolvieren. Neben der Teilnahme an gemeinnützigen Tätigkeiten seiner Quartiergemeinde hätte der BF auch schon einen Erste-Hilfe-Kurs des Roten Kreuzes besucht, was durch eine entsprechende Bescheinigung vom 20.07.2016 belegt werden könne. Er habe auch soziale Kontakte zu Österreichern und familienähnliche Bindungen.
6. Am 26.09.2016 langte die Übersetzung des mit der Beschwerde vorgelegten persönlichen Schreibens des BF ein. Darin wurde ausgeführt, dass im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sein Leben in Gefahr sei. Er könne nicht zurückgehen, da die Taliban seinen Vater getötet hätten. Seit etwa einem Jahr habe er keine Nachricht von seiner Familie. Wenn er nach Afghanistan zurückgehe, werde er nochmals illegal in den Iran flüchten müssen. Er würde nach Syrien in den Krieg gehen müssen, um eine befristete Aufenthaltsberechtigung für den Iran zu bekommen. Seine Freunde seien nach Syrien geschickt und alle getötet worden. Er gehe niemals nach Afghanistan zurück.
7. Mit Schreiben vom 20.04.2018 übermittelte der BF über seine rechtsfreundliche Vertretung zwei Kursbesuchsbestätigungen von Alphabetisierungskurse für Asylwerber der Stufen 2 und 3, datiert vom 29.08.2016 und 11.05.2017, verbunden mit dem Ersuchen um eine positive Entscheidung.
8. In weiterer Folge sandte der gewillkürte Vertreter des BF mit Schriftsatz vom 17.05.2019 der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichts auszugsweise zitierte Passagen eines aktualisierten Länderinformationsblatts, der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018 zur Situation in Afghanistan zu. Weiters wurde auf die Anfragebeantwortung zu Afghanistan (Folgen der Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif) sowie das Gutachten von Stahlmann verwiesen. Zudem wurde darin in allgemeiner Weise auf den Abfall des Glaubens (Apostasie) hingewiesen und ausgeführt, dass dem BF aufgrund seiner Weltansicht eine konkrete Verfolgung drohe. Weiters wurde auf verwestlichte Personen hingewiesen, welche von terroristischen Gruppen als Feinde angesehen würden. Der BF habe mehrere Jahre außerhalb von Afghanistan verbracht. In dieser Zeit habe er zwar die Heimatsprache nicht verlernt, jedoch einen Akzent entwickelt, welcher innerhalb der Bevölkerung von Afghanistan erkennbar sei. Darüber hinaus habe der BF Werte der Demokratie gelernt und anerkannt, welche in Afghanistan in diesem Ausmaß nicht gegeben seien. Der BF sei - nachdem er die österreichischen Werte und die Kultur - erlernen habe dürfen kritisch gegenüber den konservativ-islamischen Werten Afghanistans geneigt. Der BF traue sich auch diese Kritik offen auszusprechen. Er habe insbesondere gelernt, dass es sehr wohl möglich sei mit Andersdenkenden (Atheisten, Agnostiker, gläubige Christen, Juden oder Moslems) zusammenzuleben und trotz der unterschiedlichen Meinung eine Toleranz zu haben. Auch wenn der BF die Gepflogenheiten Afghanistans nicht vollständig verlernt habe, so sei er dennoch in einer Situation, in der er jene Gepflogenheiten nicht mehr folgen wolle und teilweise sogar ablehnend gegenüberstehe. Selbst wenn diese "verwestlichte" Einstellung aus Sicher einer "westlichen Person" noch keine Verwestlichung darstelle, so stelle sie dennoch im Verhältnis und aus Sicht der afghanischen Bevölkerung eine eindeutige Verwestlichung dar. Dem BF sei Asyl, andernfalls subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch eine Rückkehrentscheidung sei unzulässig.
9. Anlässlich der vom Bundesverwaltungsgericht anberaumten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.05.2019, wurde Beweis erhoben durch Einvernahme des BF im Beisein dessen Rechtsvertreters und Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Behörde und des Bundesverwaltungsgerichts.
Befragt nach seinem aktuellen Gesundheitszustand, bestätigte der BF zunächst seine uneingeschränkte mentale wie physische Leistungsfähigkeit.
Zum Beweis seiner Integrationsbemühungen legte der BF neben den bisher bereits vorgelegten Unterlagen auch noch einen undatierten Gemeindeblattbericht der Wohnsitzkommune, in welchem für Sympathien und Unterstützung für den BF sowie andere vor Ort untergebrachte Asylwerber geworben wird, ebenso vor wie ein Empfehlungsschreiben seines Unterkunftgebers vom 12.05.2019, die schriftliche Ausfertigung einer Gemeindevereinbarung mit dem BF hinsichtlich einer auf vier Tage beschränkten gemeinnützigen Tätigkeit auf einem Bauernhof respektive in einer Schulbücherei, datiert vom 26.09.2017 und drei Besuchsbestätigungen von Deutschkursen der Niveauebene A1/1 und A1/2 vor.
Neuerlich zu den fluchtauslösenden Gründen befragt, bestätigte der BF, im Alter von elf oder zwölf Jahren von Afghanistan in den Iran übersiedelt und vor etwa vier Jahren ins Bundesgebiet eingereist zu sein.
Als Analphabet ohne Schulbildung habe er im Iran als Hilfsarbeiter in einem Traktorgeschäft sein Geld verdient. Seine Haupttätigkeit hätte in der Vorbereitung und Anlieferung für den anschließenden Verkauf der Schleppfahrzeuge bestanden.
In Europa verfüge er über keinerlei verwandtschaftlichen Beziehungen; im Gegensatz dazu würden in seinem Heimatland noch immer seine beiden erwachsenen Geschwister, seine Mutter und eine Tante leben. Vor ungefähr eineinhalb Jahren wäre allerdings der Kontakt zu diesen verlorengegangen, weshalb der BF keine Kenntnis über deren aktuellen Aufenthaltsort besäße.
Während seines Aufenthalts im Iran habe der BF seine Familie regelmäßig finanziell unterstützt. Die Reise nach Europa hätte insgesamt € 5.000,00.- gekostet; ein Betrag den er zum Teil selbst zum Teil über Freunde fremdfinanziert habe.
Eine Rückkehr in sein Herkunftsland ziehe der BF persönlich nicht in Betracht, da er weder soziale Kontakte noch Besitztümer vor Ort vorfinden würde. Ebenso stelle sich aus seiner Sicht die Präsenz der Taliban als massives Problem dar. In Kabul sei er noch nie zuvor gewesen und könne er sich aus den zuvor genannten Gründen auch kein Leben in der afghanischen Hauptstadt, wie auch nicht in Herat oder Mazar-e Sharif vorstellen. Auf Vorhalt, demzufolge der BF vor dem BFA sogar noch eine ehemalige Wohnanschrift in Kabul zu Protokoll gegeben habe, gab dieser diesbezüglich rechtfertigend an, dass er auf seiner Reise die afghanische Metropole zwar durchquert, nie aber dort gewohnt hätte. Wie lange sein Aufenthalt in der afghanischen Hauptstadt letztlich gedauert habe, könne er nicht genau sagen, aber vermute er dies sei vielleicht weniger als einen Monat gewesen.
Ausschlaggebend für das Verlassen seiner Heimat in jungen Jahren wäre die Empfehlung einer ebenfalls gerade in den Iran übersiedelnden Familie gewesen, welche seiner Mutter die wirtschaftliche Perspektivenlosigkeit im Heimatland des BF deutlich vor Augen geführt hätte. Dies insbesondere angesichts des vorzeitigen Todes des Vaters. Zudem sei die Möglichkeit, mit zunehmenden Alter mit den Taliban in einen allenfalls verhängnisvollen Konflikt zu geraten, als ausgesprochen hoch eingestuft worden, zumal diese keine Schiiten mögen würden. Neben Farsi und Dari beherrsche der BF auch ein wenig Paschtu.
Im Bundesgebiet verbringe er seine Zeit mit Fußballspielen und ehrenamtlichen Tätigkeiten für das Rote Kreuz. Zudem hätte der BF auch schon diverse Deutschkurse besucht und ein Talent fürs Haareschneiden entwickelt. Letztgenanntem Aspekt sei es auch zu verdanken, dass er seine berufliche Zukunft in Österreich im Friseurbereich sehe. Die hiefür erforderlichen Kenntnisse habe er sich im Bundesgebiet selbst beigebracht, wobei sich entsprechende YouTube-Beiträge als ausgesprochen nützlich erwiesen hätten.
Besonders positiv in Österreich empfinde der BF in sämtlichen Bereichen des Lebens die Freiheit zu haben, dieses so führen zu können, wie man es selbst für richtig halte. Am allerwichtigsten wäre "Menschlichkeit".
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des BF:
Seine Identität konnte mangels der Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht festgestellt werden.
Der BF ist ein Staatsangehöriger Afghanistans. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der BF hat keine Kinder und ist nicht verheiratet.
Der BF spricht die Sprachen Dari und Farsi sowie etwas Paschtu.
Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz Ghazni geboren, verließ seinen Heimatstaat jedoch bereits im Alter von etwa 11-12 Jahren gemeinsam mit einer anderen afghanischen Familie und lebte fortan (bis zu seiner Ausreise nach Europa) im Iran.
Der BF hat weder in Afghanistan, noch im Iran eine Schule besucht. Im Iran hat er in einem Traktorenhandel als Hilfsarbeiter gearbeitet.
Der Vater des BF ist bereits vor langer Zeit gestorben. Der BF hat seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr zu seiner Familie (Mutter, Bruder und Schwester). Den derzeitigen Aufenthaltsort seiner Familie kennt der BF daher nicht.
Der BF war zwar nur als Kind bis etwa 11-12 Jahren in Afghanistan aufhältig, er ist jedoch mit der afghanischen Kultur vertraut und in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen.
Der BF leidet an keinen schwerwiegenden psychischen oder physischen Erkrankungen, die einer Rückkehr nach Afghanistan iSd Art. 3 EMRK entgegenstehen würden oder ihn in seiner Arbeits- oder Leistungsfähigkeit einschränken würden. Er hat während des Verfahren stets angegeben gesund zu sein und auch keine medizinischen Unterlagen in Vorlage gebracht.
Der BF ist arbeitsfähig sowie leistungsfähig und kann bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.
Der BF ist in Österreich nicht straffällig geworden.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
Die Beweggründe, die den BF zum Verlassen seines Herkunftslandes veranlasst haben, sind rein wirtschaftlicher Natur, mit dem Endziel einer dauerhaften Verbesserung seines Lebensstandards.
Dem BF droht individuell und konkret in Afghanistan weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch die Taliban oder die afghanische Regierung.
Der BF hat im Iran keine Handlungen gesetzt, die ihn in Afghanistan einer Verfolgung aussetzen würden.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der BF als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie als schiitischer Moslem in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich im Iran und in Europa aufgehalten hat und "westlich" orientiert ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan psychische und/oder physische Gewalt zu befürchten hätte. Afghanische Staatsangehörige, die aus dem Iran bzw. Europa nach Afghanistan zurückkehren, droht in Afghanistan allein aufgrund ihres Aufenthaltes außerhalb Afghanistans keine psychische und/oder physische Gewalt.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfinden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten bzw. der Aktivitäten von Talibanaufständischen ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
Der BF ist jung, gesund und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif oder Herat - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Der BF hat zwar in Afghanistan bzw. dem Iran keine Schule besucht, hat aber bereits Berufserfahrung gesammelt und im Iran in einem Traktorenhandel als Hilfsarbeiter gearbeitet. Diese Berufserfahrung wird er auch in Mazar-e Sharif oder Herat nutzen können. Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Auch eine grundlegende medizinische Versorgung ist in Herat bzw. Mazar-e Sharif vorhanden.
Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:
Der unbescholtene BF lebt seit rund vier Jahren und vier Monaten in Österreich. Er hat zwar schon gemeinnützige Arbeiten (auf einem Bauernhof und in einer Schulbücherei) geleistet, lebt aber seit seiner Einreise nach Österreich von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF hat weiters an diversen Deutsch- und Alphabetisierungskursen teilgenommen, ein Deutschdiplom hat er aber nicht erworben. Zudem hat er an einem Erste-Hilfe-Kurs des Roten Kreuzes teilgenommen und engagiert sich dort ehrenamtlich. In seiner Freizeit spielt er Fußball und schneidet anderen Personen die Haare. Er führt in Österreich kein Familienleben und hat auch sonst keine engen sozialen Bindungen.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Unter Bezugnahme auf das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 22.01.2019) sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:
KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).
Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).
Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).
KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabu l
Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).
Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der
Präsidentschaftswahl
Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).
Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach der Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).
KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018).
Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018).
Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).
KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)
Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:
Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).
Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilisten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und
im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).
Anmerkung: Weiterführende Informationen über den Wahlprozess in Afghanistan können der Kl der Staatendokumentation vom 19.10.2018 entnommen werden.
Zivile Opfer
Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).
Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:
davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).
Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).
KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:
Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).
Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).
Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der
Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).
Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.
...
(BFA Staatendokumentation 15.10.2018a)
Im Folgenden wird das Verhältnis zwischen den diversen sicherheitsrelevanten Vorfällen für den Zeitraum 1.4.2018 - 30.9.2018 durch eine Grafik der Staatendokumentation veranschaulicht.
Afghanistan: sicherhertsrelevante Vorfälle 1.4.2013 bis 30.9.2013
¿ Sonstige. Undefiniert
¿ Verhaltungen, "ötungen
¿ Angriffe auf militärische Einrichtungen oder Rekrutierungszentnen Angriffe auf Logistik. Hafer. Fracht. Wasserstraßen
Flughäfen, Flugverkehr Brandstiftung, Feuer Verschleppungen.
Entführungen
(BFA Staatendokumentation 15.10.2018b)
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).
Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).
Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).
(UNAMA 15.7.2018)
Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA
15.7.2018) .
Wahlen
Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).
Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018) Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).
Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).
KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)
Anschläge in Nangarhar 11.9.2018
Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).
Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).
Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018
Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).
Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt der Provinz Sar-i Pul, wo nach wie vor u.a. mit Einsatz der Luftwaffe gekämpft wird (Tolonews 10.9.2018b; vgl. FAZ 10.9.2018). Quellen zufolge haben die Taliban das Gebiet Balghali im Zentrum der Provinzhauptstadt eingenommen und unter ihre Kontrolle gebracht (FAZ 10.9.2018). Sar-i-Pul-Stadt gehört zu den zehn Provinzhauptstädten, die Quellen zufolge das höchste Risiko tragen, von den Taliban eingenommen zu werden. Dazu zählen auch Farah-Stadt, Faizabad in Badakhshan, Ghazni-Stadt, Tarinkot in Uruzgan, Kunduz-Stadt, Maimana in Faryab und Pul-i- Khumri in Baghlan (LWJ 10.9.2018; vgl. LWJ 30.8.2018). Weiteren Quellen zufolge sind auch die Städte Lashkar Gar in Helmand und Gardez in Paktia von einer Kontrollübernahme durch die Taliban bedroht (LWJ 10.9.2018).
IS-Angriff während Massoud-Festzug in Kabul 9.9.2018
Bei einem Selbstmordanschlag im Kabuler Stadtteil Taimani kamen am 9.9.2018 mindestens sieben Menschen ums Leben und ungefähr 24 weitere wurden verletzt. Der Anschlag, zu dem sich der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte, fand während eines Festzugs zu Ehren des verstorbenen Mudschahedin-Kämpfers Ahmad Shah Massoud statt (AJ 10.9.2018; vgl. Khaama Press 10.9.2018b).
IS-Angriff auf Sportverein in Kabul 5.9.2018
Am Mittwoch, dem 5.9.2018, kamen bei einem Doppelanschlag auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi mindestens 20 Personen ums Leben und ungefähr 70 weitere wurden verletzt (AJ 6.9.2018; vgl. CNN 6.9.2018, TG 5.9.2018). Zuerst sprengte sich innerhalb des Sportvereins ein Attentäter in die Luft, kurz darauf explodierte eine Autobombe in der sich vor dem Klub versammelnden Menge (SO 5.9.2018) Der Islamische Staat (IS/ISKP) bekannte sich zum Anschlag (RFE/RL 5.9.2018).
KI vom 22.08.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS) in Kabul und Paktia und Aktivitäten der Taliban in Ghazni, Baghlan, Faryab und Kunduz zwischen 22.7.2018 und 20.8.2018
Entführung auf der Takhar-Kunduz-Autobahn 20.8.2018
Am 20.8.2018 entführten die Taliban 170 Passagiere dreier Busse, die über die Takhar-Kunduz-Autobahn auf der Reise nach Kabul waren (Tolonews 20.8.2018; vgl. IFQ 20.8.2018). Quellen zufolge wurden die Entführten in das Dorf Nikpe der Provinz Kunduz gebracht, wo es zu Kämpfe