TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/17 I408 2223077-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.12.2019
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Entscheidungsdatum

17.12.2019

Norm

AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs4 Z1
FPG §52 Abs4 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I408 2223077-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 03.12.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Marokko, vertreten durch KOCHER & BUHCER Rae OG, Friedrichgasse 31, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt vom 19.07.2019, Zl. 1002847300/190577911, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.12.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer wurde im Oktober 2014 ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" aufgrund der Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin erteilt, welcher zuletzt bis zum XXXX2019 verlängert wurde.

2. Mit Antrag vom 02.05.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag des Aufenthaltstitels.

3. Bei der Prüfung des Sachverhaltes wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer seit 16.05.2017 nicht mehr mit seiner Ehegattin einen gemeinsamen Wohnsitz aufweist. Im Rahmen des Verfahrens gab der Beschwerdeführer an, dass er sich scheiden lassen wolle und in Marokko erneut geheiratet habe.

4. Am 07.06.2019 erging durch die zuständige NAG Behörde eine Anfrage an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

5. Mit Bescheid vom 19.07.2019 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt II). Für eine freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt III).

6. Am 24.07.2019 übermittelten die der RAe Dr. Mitzner & Dr. Krautzer, eine Vollmachtanzeige an die belangte Behörde.

7. Am 07.08.2019 erhob der Beschwerdeführer durch den am 29.07.2019 bevollmächtigten Verein Menschenrechte Österreich fristgerecht Beschwerde.

9. Am 22.10.2019 übermittelten die Rae Dr. Kocher & Dr. Bucher eine Vollmachtsanzeige und eine Beschwerdeergänzung.

10. Mit 31.10.2019 wurde die Vollmacht seitens des Verein Menschenrechte Österreich aufgelöst.

11. Am 02.12.2019 langte eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung samt Ersuchen, die anberaumte Verhandlung zu vertagen, ein. Die Vertagungsbitte wurde telefonisch abgelehnt.

12. Die für den 03.12.2019 anberaumte Verhandlung fand in Abwesenheit des Beschwerdeführers und dessen Vertreter, jedoch in Anwesenheit eines Behördenvertreters statt und das Erkenntnis wurde nach Erörterung des Sachverhaltes mündlich verkündet.

13. Am 10.12.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Marokkos. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer hält sich seit Oktober 2014 in Österreich auf. Sein Aufenthalt gründet sich auf eine Aufenthaltsberechtigung "Familienangehöriger", die zuletzt bis zum XXXX2019 ausgestellt wurde.

Der Beschwerdeführer war bis zum 01.09.2018 beschäftigt und selbsterhaltungsfähig. Derzeit geht er keiner Beschäftigung nach. Er ist gesund und arbeitsfähig und er verfügt über eine Einstellungszusage seines früheren Arbeitsgebers.

Der Beschwerdeführer führt kein aufrechtes Familienleben mit seiner Ehegattin. Es besteht kein gemeinsamer Wohnsitz und kein Kontakt.

Der Beschwerdeführer verfügt in Marokko über familiäre Anknüpfungspunkte und reiste zudem regelmäßig nach Marokko.

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 19.07.2019 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle (Stand 17.08.2018) "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Marokko" vollständig zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.

Marokko ist ein sicherer Herkunftsstaat. Es ist politisch wie sicherheitspolitisch ein stabiles Land. Marokko ist fähig und willig, seine Bürger zu schützen. Justiz und Sicherheitsapparate funktionieren. Die Justiz ist gemäß der geltenden Verfassung unabhängig. Ein rechtsstaatliches, faires Verfahren mit dem Recht, Berufung einzulegen, ist gesetzlich gewährleistet. Über Beeinflussung der Gerichte durch Korruption oder durch außergerichtliche Einflussmaßnahmen wird berichtet. Der Sicherheitsapparat besteht aus Polizei- und paramilitärischen Organisationen. Eine zivile Kontrolle über Sicherheitskräfte ist abgehen von Einzelfällen effektiv. Folter steht unter Strafe, wobei Berichte über Folterungen und Gewaltanwendung gegenüber Gefangenen bestehen. Die in Marokko verbreitete Korruption steht unter Strafe, welche aber nicht effektiv vollzogen wird. Eine Reform der Korruptionsbekämpfungsbehörde ist geplant, aber noch nicht verwirklicht.

Marokko verfügt über einen umfassenden Grundrechtbestand, lediglich das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit fehlt. Die Grundrechte werden durch den Vorbehalt in Bezug auf die Monarchie, den islamischen Charakter von Staat und Gesellschaft und die territoriale Integrität beschränkt. Ferner fehlen zT Durchführungsgesetze. Allgemein bestehen grundrechtliche Probleme hinsichtlich der Sicherheitskräfte sowie schlechter Haftbedingungen. Staatliche Repressionen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer religiösen Überzeugung können nicht festgestellt werden. Die Haftbedingungen sind generell schlecht und entsprechen nicht internationalen Standards. Hygienische Verhältnisse und die medizinische Versorgung in Gefängnissen sind nicht gut. Gefängnisse sind in Marokko überbelegt. Es existieren Berichte über folterähnliche Praktiken in Gefängnissen. Die Todesstrafe wird weiterhin in Marokko verhängt. Seit 1993 wurden aber keine Todesstrafen mehr vollstreckt.

Eine nach Marokko zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Volljährigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, sowie zu seinem Familienstand gründen sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde sowie aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Aufgrund der Vorlage von identitätsbezeugenden Dokumenten steht die Identität des Beschwerdeführers fest.

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und seiner Arbeitsfähigkeit ergeben sich ebenfalls aus seinen Angaben vor der belangten Behörde und dem unbestrittenen Akteninhalt.

Dass der Beschwerdeführer kein gemeinsames Familienleben mehr mit seiner Ehegattin führt, ergibt sich aus seinen erstmaligen Ausführungen vor der NAG-Behörde, der Auskunft aus dem Melderegister sowie aus der Wohnsitzüberprüfung vom 21.11.2019. Die Versuche des Beschwerdeführers, darzulegen, dass er sich mit seiner Gattin versöhnt habe und sohin weiterhin ein aufrechtes Familienleben bestehe, wird durch die Angaben der Ehegattin vor der belangten Behörde - festgehalten durch Aktenvermerk vom 03.07.2019 - sowie vor der Polizei bei der Wohnsitzüberprüfung vom 21.11.2019 widerlegt. Auch dass kein gemeinsamer Wohnsitz besteht, lässt deutlich erscheinen, dass es sich um kein bestehendes Familienleben, wie behauptet, handelt.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers beruht daher ausschließlich auf der Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin und diese Beziehung existiert nicht mehr. Abgesehen von seiner Selbsterhaltungsfähigkeit liegen keine weiteren Gründe für ein Absehen von einer Rückkehrentscheidung vor. Auch wenn der Beschwerdeführer behauptet, sich darum zu bemühen die deutsche Sprache zu lernen, resultiert daraus noch kein schützenswertes Privatleben in Österreich. Zudem geht der Beschwerdeführer derzeit keiner Beschäftigung mehr nach. Nach den telefonischen Angaben des Rechtsvertreters liegt aber eine Einstellungszusage des früheren Arbeitsgebers vor.

Hinweise auf mögliche Schwierigkeiten in Marokko bei einer Rückkehr wurden vom Beschwerdeführer konkret nie vorgebracht. Die Ausführungen zu Marokko in der Beschwerdeergänzung vom 22.10.2019 beziehen sich nicht auf die individuellen Lebensumstände des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer brachte im Gegenteil sogar vor, er beabsichtige, freiwillige nach Marokko zurückzukehren und aus dem vorgelegten Reisepass gehen mehrere Reisen nach Marokko in den letzten Jahren hervor. Auch wenn die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Marokko nicht mit jenen in Österreich zu vergleichen sind, bestehen wie bereits ausgeführt stabile Verhältnisse. Marokko ist ein "sicherer Herkunftsstaat" und es ist bei einem jungen, gesunden und arbeitsfähigem Mann nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in eine ausweglose oder lebensbedrohliche Lage geraten wird.

Trotz rechtzeitiger Ladung ist der Beschwerdeführer nicht vor dem erkennenden Gericht erschienen. Auch wenn einen Tag vor der Verhandlung eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung einlangte, ist anzumerken, dass laut dieser dem Beschwerdeführer keine Bettruhe verordnet wurde. Es geht auch nicht hervor, dass der Beschwerdeführer an diesem Tag nicht verhandlungsfähig gewesen wäre. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer aus medizinischen oder anderen triftigen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, der Ladung Folge zu leisten. Dieser Umstand wurde auch seinem Rechtsvertreter nach Einlangen der Vertagungsbitte am Vortag der mündlichen Verhandlung telefonisch mitgeteilt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Zur Erlassung der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs 4 Z 4 FPG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dieser im Verlängerungsverfahren steht und der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs 1 und 2 NAG entgegensteht.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Falle des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

Auf Grund eines vor Ablauf des Aufenthaltstitels gestellten Verlängerungsantrages hält sich der Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs 1 NAG noch rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die für diesen NAG Antrag zuständige Behörde hat dem Bundesamt ihre Bedenken gegen die Verlängerung mitgeteilt.

Das Bundesamt sah im gegenständlichen Fall zu Recht die Voraussetzungen gem. § 52 Abs 4 Z 4 FPG als gegeben an. Der Beschwerdeführer führt kein tatsächliches Familienleben mehr mit seiner Ehegattin. Der Beschwerdeführer darf sich daher nicht auf die bestehende Ehe berufen.

Damit ist zu prüfen, ob die verfügte Rückkehrentscheidung in unzulässiger Weise in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreifen würde:

§ 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umstände beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FOG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG, BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hierfür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Der Ermessensspielraum der zuständigen Behörde und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, variiert nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sind Beginn, Dauer und Rechtsmäßigkeit des Aufenthalts, wobei bezüglich der Dauer vom EGMR keine fixen zeitlichen Vorgaben gemacht werden, zu berücksichtigen; das Ausmaß der Integration im Aufenthaltsstaat, die sich in intensiven Bindungen zu Dritten, in der Selbsterhaltungsfähigkeit, Schul- und Berufsausbildung, in der Teilnahme am sozialen Leben und der tatsächlichen beruflichen Beschäftigung; Bindung zum Heimatstaat; die strafrechtliche Unbescholtenheit bzw. bei strafrechtlichen Verurteilungen auch die Schwere der Delikte und die Perspektive einer Besserung/Resozialisierung des Betroffenen bzw. die durch die Aufenthaltsbeendigung erzielbare Abwehr neuerlicher Tatbegehungen; Verstöße gegen das Einwanderungsrecht.

Im zu beurteilenden Fall fällt die gem. Art 8 Abs 2 EMRK gebotene Abwägung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zu Lasten des Beschwerdeführers aus und stellt die Rückkehrentscheidung jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK dar:

Der Beschwerdeführer führt kein aufrechtes Familienleben mehr mit seiner Ehegattin. Auch wenn eine aufrechte Ehe besteht, führt dies nicht automatisch dazu, dass diese auch als schützenswert angesehen wird. Dies vor allem dadurch, dass die Ehe zwar noch aufrecht ist, aber kein Eheleben und kein Familienleben mehr geführt wird. Die Ehegattin führt sogar schon eine Beziehung zu einem anderen Mann und es gab auch der Beschwerdeführer mehrmals an, sich scheiden lassen zu wollen.

Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner regelmäßigen Beschäftigung nach. Auch wenn er in der Vergangenheit im Berufsleben verankert war und auch über eine Wiedereinstellungszusage verfügt, führt dieser Umstand alleine dazu, dass sein in Österreich geführtes Privatleben als schützenswert anzusehen ist. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Deutschkenntnisse und wurde er bereits mehrmals wegen Nichterfüllung der Integrationsvereinbarung verwaltungsstrafrechtlich belangt. Sonstige wesentliche soziale Bindungen bestehen nicht. Es bestehen jedoch Anknüpfungspunkte nach Marokko, welche sich vor allem aus den mehrmaligen Reisen laut Reisepass ergeben und aus den Angaben des Beschwerdeführers, dass er in Marokko erneut geheiratet habe und seine neue Frau nach Österreich holen möchte. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer sogar angab, freiwillig nach Marokko auszureisen.

So überwiegen nach Maßgabe der Interessensabwägung im Sinne des §§ 9 BFA-VG das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers im Verbleib im Bundesgebiet und es liegt daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art 8 EMRK nicht vor.

Da die Voraussetzungen des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG vorliegen und aus den Ausführungen zu § 9 BFA-VG hervorgeht, dass die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG ebenfalls nicht gegeben sind, war die Rückkehrentscheidung zu bestätigen.

Der Beschwerdeführer blieb trotz ordnungsgemäßer Ladung der Verhandlung vom 03.12.2019 fern. Am Tag vor der anberaumten Verhandlung langte über den rechtsfreundlichen Vertreter eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung ein - Bettruhe wurde nicht verordnet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei im Falle einer ordnungsgemäßen Ladung zwingende Gründe für das Nichterscheinen darzutun. Das bedeutet, dass nicht allein die Tatsache des Vorliegens einer Erkrankung behauptet und dargetan werden muss, sondern auch die Hinderung aus diesem Grunde, bei der Verhandlung zu erscheinen. Die Triftigkeit des Nichterscheinens zu einer Verhandlung muss überprüfbar sein (VwGH vom 18.06.2015 2015/20/0110). Die von dem Beschwerdeführer vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsmeldung ist daher - der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend - jedenfalls nicht dazu geeignet, die Triftigkeit seiner Abwesenheit zu belegen (siehe VwGH vom 15.12.2016, 2016/02/0242).

Es ist daher kein Grund hervorgekommen, der den Beschwerdeführer daran gehindert hätte, an der für den 03.12.2019 anberaumten Verhandlung teilzunehmen und konnte daher die Verhandlung in Abwesenheit des Beschwerdeführers durchgeführt werden.

3.2. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist eine Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der europäischen Menschenrechtskonvention oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Auch wenn im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers die Todesstrafe praktiziert wird, so müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer gab keine ihn betreffende konkrete Gefährdung iS oben angeführter Tatbestände an. Auch wenn die Situation in Marokko nicht vergleichbar mit jener in Österreich ist, handelt es sich bei Marokko um einen sicheren Herkunftsstaat und hat der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr mit keinerlei ernsthaften Bedrohung seines Lebens zu rechnen.

Damit liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte, die eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat unzulässig machen würde, vor.

3.3. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 55 Abs 1 und 3 FPG wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Diese beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgehalten wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Im Verfahren haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, die gegen eine Rückkehrentscheidung oder Abschiebung sprechen. Die Zuerkennung einer Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft dieser Entscheidung finden in der gesetzlichen Regelung Deckung.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Asylgründen und zur Relevanz des Privat- und Familienlebens und der Aufenthaltsdauer bei Rückkehrentscheidungen; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung, freiwillige Ausreise, Frist, Interessenabwägung,
mündliche Verhandlung, mündliche Verkündung, öffentliche Interessen,
Privat- und Familienleben, private Interessen, Rückkehrentscheidung,
schriftliche Ausfertigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I408.2223077.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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