TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/8 G314 2226827-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2020
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Entscheidungsdatum

08.01.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs5
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch

G314 2226827-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der montenegrinischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.11.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF), der 2013 ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" ausgestellt wurde (wobei das entsprechende Dokument bis 05.06.2018 gültig war), wurde im Bundesgebiet 2008 und 2015 wegen Suchtgiftdelikten strafgerichtlich verurteilt. Anlässlich ihres Verlängerungsantrags vom 27.08.2018 ersuchte die NAG-Behörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) um Bekanntgabe allfälliger Bedenken gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Das BFA forderte die BF daraufhin mit dem Schreiben vom 07.02.2019 auf, sich zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu äußern. Die BF erstattete eine entsprechende Stellungnahme. Am 25.06.2019 wurde sie vor dem BFA in dieser Angelegenheit vernommen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 5 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Montenegro zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein sechsjähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt IV.), und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Dies wurde im Wesentlichen mit ihren strafgerichtlichen Verurteilungen begründet; die öffentlichen Interessen an der Einhaltung fremdenpolizeilicher und aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen seien höher zu bewerten als ihre privaten und familiären Interessen an einem Verbleib, zumal sie seit mehreren Jahren Notstandshilfe beziehe.

Dagegen richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, Durchführung einer Beschwerdeverhandlung und Behebung des angefochtenen Bescheids. Dies wird zusammengefasst damit begründet, dass sich die BF schon seit ihrer Schulzeit rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufhalte. Wegen ihres gewalttätigen Vaters sei sie als Jugendliche eine Zeitlang in einem Krisenzentrum bzw. in einer Wohngemeinschaft untergebracht gewesen. Schon in jungen Jahren sei sie mit Drogen in Berührung gekommen, habe sich aber mittlerweile von ihrem Freund, der ebenfalls drogenabhängig sei, getrennt. Sie habe sich während der Haft vorbildlich verhalten, die Termine mit ihrer Bewährungshelferin stets eingehalten und sei seit Jahren nicht mehr straffällig geworden. Seit 2014 sei sie in einer Substitutionstherapie und werde in einem Suchtbehandlungszentrum betreut. Sie versuche, ihre Schulden im Rahmen eines Abschöpfungsverfahrens zu regulieren. Sie beziehe Notstandshilfe sowie eine Richtsatzergänzung und bewohne aktuell ein Zimmer in einer Einrichtung für Obdachlose, wo sie auch sozialarbeiterisch betreut werde. Sie nehme vorsichtig wieder Kontakt zu ihrer in Österreich lebenden Mutter auf. Sie habe nie in Montenegro gelebt und habe dort keine Bezugspersonen. Das BFA habe bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ihr Privat- und Familienleben in Österreich und insbesondere ihre Suchterkrankung, die hier erfolgreich behandelt werde, nicht entsprechend berücksichtigt, zumal die Fortsetzung der Substitutionsbehandlung in Montenegro nicht gewährleistet wäre.

Das BFA legte die Beschwerde samt Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF ist Staatsangehörige von Montenegro; sie beherrscht neben der serbischen auch die deutsche Sprache. Sie wurde am XXXX in Wien geboren und wuchs zunächst vorwiegend bei ihren Großeltern in Serbien auf, wo sie sechs Jahre lang die Schule besuchte. Ab 1998 hielt sie sich bei ihren in Wien lebenden Eltern auf und besuchte ab der zweiten Hauptschulklasse in Österreich die Schule. Jedenfalls seit 2002 verfügte sie über eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung; zuletzt wurde ihr 2013 ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" erteilt.

Nach dem Abschluss der Polytechnischen Schule begann sie 2002 eine Lehre, die sie 2004 im zweiten Lehrjahr abbrach. Seither war sie nur zwischen 22.08. und 01.09.2005 sowie zwischen 02.01. und 23.03.2012 geringfügig beschäftigt sowie zwischen 06.02. und 31.12.2012 vollversichert erwerbstätig, ansonsten bezog sie (mit Unterbrechungen) Arbeitslosen- oder Krankengeld bzw. Notstandshilfe.

Ungefähr ab 2003 konsumierte die BF Heroin. Wegen familiärer Gewalt war sie 2004/2005 eine Zeitlang in einem Krisenzentrum bzw. in einer Wohngemeinschaft der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht. In der Folge ging sie eine Beziehung mit einem ebenfalls suchtgiftabhängigen serbischen Staatsangehörigen ein und hielt sich teilweise in Österreich und teilweise in Serbien auf.

Im Oktober 2007 wurde die BF verhaftet und in der Folge in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX2008, XXXX, wurde sie wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 siebter Fall SMG und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt, wobei ein Strafteil von 20 Monaten bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass sie im September 2007 einerseits gemeinsam mit einer Mittäterin Heroin an mehrere Abnehmer verkauft und andererseits zur Ausfuhr einer das 25-fache der Grenzmenge weit übersteigenden Menge Heroin aus Serbien und deren Einfuhr in das Bundesgebiet dadurch beigetragen hatte, dass sie den Lieferanten die Abnahme in Wien im Vorhinein zusagte, das aus Serbien nach Wien gebrachte Suchtgift übernahm und es an ihre Mittäterin zum Verkauf weitergab. An Milderungsgründen lagen das Geständnis, die Unbescholtenheit, das Alter unter 21 Jahren und die untergeordnete Beteiligung im Rahmen der Organisation des Suchtgiftimports vor, erschwerend wirkten sich die überaus große Suchtgiftmenge und das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen aus. Die BF verbüßte den unbedingten Strafteil bis August 2008 in der Justizanstalt XXXX. Der bedingte Strafteil wurde 2012 endgültig nachgesehen, nachdem die BF die dreijährige Probezeit bestanden hatte.

Nach dieser Verurteilung wurde der BF mit dem Schreiben der Bundespolizeidirektion XXXX vom 22.02.2010 mitgeteilt, dass das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung aufgrund ihrer persönlichen und familiären Verhältnisse nicht weitergeführt werde, sie aber bei einem weiteren Fehlverhalten mit einem solchen Verfahren rechnen müsse.

Im August 2015 wurde die BF erneut festgenommen und in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX2015, XXXX, wurde sie wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 3 SMG, 15 StGB und der Vorbereitung des Suchtgifthandels nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass sie im Juli und August 2015 einerseits eine das 25-fache der Grenzmenge übersteigende Menge Heroin anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen bzw. zu überlassen versucht hatte, indem sie es für den unmittelbar bevorstehenden Verkauf bereithielt und andererseits Suchtgift (Heroin sowie Substitol- und Compensan-Tabletten) in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben und besessen hatte, dass es in Verkehr gesetzt werde. An Milderungsgründen wurden das reumütige Geständnis, der Beitrag zur Wahrheitsfindung und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, berücksichtigt; erschwerend wirkten sich die einschlägige Vorstrafe und das Zusammentreffen von mehreren strafbaren Handlungen aus. Die BF verbüßte die Freiheitsstrafe in den Justizanstalten XXXX und XXXX. Am XXXX2016 wurde sie nach dem Vollzug eines Strafteils von 16 Monaten wegen sehr guter Führung bedingt entlassen. Für die dreijährige Probezeit, die am XXXX2019 abgelaufen ist, wurde die Bewährungshilfe angeordnet und der BF die Weisung erteilt, sich einer ambulanten Drogentherapie zu unterziehen. Die BF arbeitete gut mit ihrer Bewährungshelferin zusammen und kam der Weisung in Form einer Therapie in einem Suchtbehandlungszentrum nach.

Die BF nimmt Substitutionsmedikamente ein; es bestehen ein Abhängigkeitssyndrom (insbesondere durch Opioide) und ein Zustand nach chronischer Hepatitis C; außerdem leidet sie an Depressionen. Trotzdem ist sie grundsätzlich arbeitsfähig und wird vom AMS bei der Arbeitssuche unterstützt.

Nach ihrer Haftentlassung wohnte sie zunächst bei der Mutter ihres Freundes, von dem sie sich 2017 trennte und zu dem sie seither keinen Kontakt mehr hat. Seit Oktober 2019 lebt sie in einem Übergangswohnhaus für obdachlose Menschen in XXXX, wo auch die Möglichkeit einer sozialarbeiterischen Betreuung besteht. Sie bezieht Notstandshilfe und eine Richtsatzergänzung. Zu Regulierung ihrer Schulen von ca. EUR 11.000 beantragte sie im Februar 2018 die Eröffnung eines Schuldenregulierungsverfahrens, das im Juni 2018 nach der Einleitung des Abschöpfungsverfahrens aufgehoben wurde. Die BF zahlt im Rahmen des Abschöpfungsverfahrens EUR 20 pro Monat an den Treuhänder.

Die BF ist ledig und kinderlos. Ihre Mutter ist serbische Staatsangehörige, ihr Vater und ihr 2002 geborener Bruder sind montenegrinische Staatsangehörige. Alle drei leben in einem gemeinsamen Haushalt in Wien; die BF hat kaum Kontakt zu ihnen. Sie hat auch zwei Halbschwestern, die in Österreich leben, und eine Halbschwester, die in Serbien lebt; zu ihnen besteht (wie auch zu ihren Tanten, die mit ihren Familien in Montenegro leben) ebenfalls kein Kontakt. Die BF hat in Montenegro weder Bezugspersonen noch eine Unterkunft; sie hat dort noch nie für längere Zeit gelebt.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungserhebliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren ebenfalls auf dem Akteninhalt, insbesondere auf den Angaben der BF und den von ihr vorgelegten Urkunden. Ihre Geburtsurkunde und eine Kopie aus ihrem (mittlerweile abgelaufenen) Reisepass untermauern die Angaben zu ihrer Identität. Die von der BF angegebenen Sprachkenntnisse sind glaubhaft, zumal sie ihre Schulzeit zum Teil in Serbien und zum Teil in Österreich verbrachte und vor dem BFA problemlos ohne Dolmetsch einvernommen wurde. Sie war zwar laut den aktenkundigen Meldebestätigungen und dem Zentralen Melderegister (ZMR) seit ihrer Geburt fast durchgehend mit Hauptwohnsitz im Inland gemeldet, gab aber konsistent an, bis zu ihrem elften Lebensjahr vorwiegend bei ihren Großeltern in Serbien gelebt zu haben. Zeugnisse über den Schulbesuch in Österreich ab der zweiten Hauptschulklasse im Schuljahr 1998/99 liegen vor. Aus dem Zentralen Fremdenregister gehen die die BF erteilten Aufenthaltstitel hervor.

Die Versicherungszeiten der BF werden anhand des Versicherungsdatenauszugs festgestellt; ihr Lehrvertrag ist aktenkundig. Sie schilderte den Abbruch der Lehre in ihrer Stellungnahme und vor dem BFA.

Die BF gab ihren Suchtgiftkonsum unumwunden zu. Dieser ergibt sich auch aus dem Sozialbericht von XXXX vom XXXX2019 und aus der Bestätigung des XXXX vom selben Datum. Die BF schilderte, dass ihr Vater Gewalt gegen sie ausgeübt habe und sie deshalb eine Zeitlang in einem Krisenzentrum bzw. in einer Wohngemeinschaft verbracht habe. Dies steht mit der Nebenwohnsitzmeldung an der Adresse XXXX, wo die XXXX Kinder- und Jugendhilfe ein Mädchenheim betreibt, zwischen März 2004 und April 2005 laut ZMR in Einklang. Die BF schilderte die Beziehung zu XXXX (auch XXXX) XXXX sowohl in diesem Verfahren als auch bei ihren Einvernahmen im 2007/2008 gegen sie geführten Strafverfahren. Aus der Beschuldigtenvernehmung vom XXXX2007 geht hervor, dass sie sich damals abwechselnd in Österreich und bei ihm in Serbien aufhielt. In der Hauptverhandlung vom XXXX2015 entschlug er sich gemäß § 157 Abs 1 Z 1 StPO der Aussage, was belegt, dass die Beziehung damals noch aufrecht war. In diesem Verfahren gab die BF an, dass sie sich 2017 von ihm getrennt habe. Dies überzeugt insbesondere angesichts des Umstands, dass sie laut ZMR seit Oktober 2019 nicht mehr an derselben Adresse wie seine Mutter XXXX, bei der sie nach der Haftentlassung zunächst wohnte, gemeldet ist.

Die Feststellungen zu den von der BF in Österreich begangenen Straftaten, zu ihren Verurteilungen und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf den vorliegenden Strafurteilen. Die Rechtskraft der Verurteilungen und die endgültige Strafnachsicht ergeben sich aus dem Strafregister, in dem keine weiteren Verurteilungen der BF aufscheinen. Die Untersuchungshaft und der Strafvollzug gehen aus der Vorhaftanrechnung laut den Strafurteilen hervor und decken sich mit entsprechenden Wohnsitzmeldungen in Justizanstalten. Das Schreiben der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX2010 ist aktenkundig. Der Beschluss über die bedingte Entlassung der BF, in dem ihr sehr gutes Vollzugsverhalten hervorgehoben wird, liegt vor. Die Befolgung der Weisung zu einer ambulanten Drogentherapie und die Zusammenarbeit mit der Bewährungshelferin werden anhand des Schreibens von XXXX vom 12.12.2019 bestätigt, in dem auch auf den Ablauf der Probezeit hingewiesen wird.

Die Substitutionsbehandlung der BF ergibt sich aus dem von ihr vorgelegten Behandlungsvertrag, ihr Gesundheitszustand aus dem ärztlichen Schreiben vom 30.11.2018. Ihre Arbeitsfähigkeit folgt aus den vorgelegten Unterlagen über Versuche, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die BF legte auch Unterlagen über den Bezug von Notstandshilfe und bedarfsorientierter Mindestsicherung vor. Ihr aktueller Wohnsitz geht aus ihren Angaben sowie aus der Wohnsitzmeldung laut ZMR hervor. An der Adresse XXXX, besteht ein Übergangswohnhaus für wohnungslose Menschen mit sozialarbeiterischer Betreuung (siehe z.B. https://www.XXXX; Zugriff am 03.01.2019).

Das Schuldenregulierungs- und das Abschöpfungsverfahren werden anhand des Auszugs aus der Insolvenzdatei und den damit übereinstimmenden, von der BF vorgelegten Unterlagen festgestellt.

Der ledige Familienstand der BF ergibt sich aus ihren Angaben, die mit übrigen aktenkundigen Informationen dazu übereinstimmen. Es gibt keine Anhaltspunkte für Kinder oder Unterhaltspflichten. Die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern und ihres Bruders wird anhand der Angaben der BF festgestellt, die im Einklang mit dem ZMR stehen, aus dem auch deren gemeinsamer Haushalt hervorgeht. Aufgrund der Vorgeschichte der BF leuchtet ein, dass seit längerem kein Kontakt zu ihren Angehörigen besteht, obwohl in der Beschwerde eine vorsichtige Annäherung an ihre Mutter beschrieben wird. Die Feststellungen zu anderen Angehörigen basieren auf der plausiblen Schilderung der BF. Es gibt keine Hinweise dafür, dass sie sich je für einen längeren Zeitraum in Montenegro aufhielt oder in Kontakt zu jemandem, der dort lebt, steht. Für weitere private oder familiäre Anknüpfungen im Bundesgebiet oder zusätzliche Integrationsmomente gibt es weder im Akteninhalt noch im Vorbringen der BF Hinweise.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag der BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Die BF ist als Staatsangehörige von Montenegro Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 10 FPG. Da sie über einen Daueraufenthaltstitel verfügt, setzt eine Rückkehrentscheidung gegen sie nach § 52 Abs 5 FPG voraus, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass ihr weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Dies ist (soweit hier relevant) gemäß § 53 Abs 3 Z 1 FPG dann der Fall, wenn sie von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist. Diese Voraussetzung ist hier grundsätzlich erfüllt.

Einschränkungen der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen die BF ergeben sich aus § 9 BFA-VG. Erweist sich demnach eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs 5 FPG - aus welchem Grund auch immer - als unzulässig, besteht das Aufenthaltsrecht aufgrund des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" weiter. Allenfalls kann nach § 28 Abs 1 NAG von der Niederlassungsbehörde eine "Rückstufung" vorgenommen werden (siehe VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).

Da die Rückkehrentscheidung massiv in das Privat- und Familienleben der BF eingreift, deren Lebensmittelpunkt seit ihrer Kindheit in Österreich liegt, ist unter dem Gesichtspunkt von Art 8 EMRK deren Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Dabei ist hier zu berücksichtigen, dass sich die BF seit vielen Jahren rechtmäßig in Österreich aufhält und daueraufenthaltsberechtigt ist. Sie hat in Österreich einen Teil der Pflichtschule absolviert und eine Lehre begonnen; danach gelang es ihr aber nicht nachhaltig, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts der BF in Österreich, wo ihre Sozialkontakte bestehen und ihre Opiatabhängigkeit behandelt wird, hat sie ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Sie ist zu einem erheblichen Teil im Inland aufgewachsen und hier durch ihre Deutschkenntnisse auch sprachlich verankert. Die Rückkehrentscheidung greift - auch aufgrund der gelockerten Bindung zu seinem Herkunftsstaat, in dem sie nie niedergelassen war und wo sie keine Bezugspersonen hat - trotz der fehlenden Unbescholtenheit und der schwerwiegenden Suchtgiftkriminalität unverhältnismäßig in ihre Rechte nach Art 8 EMRK ein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sie zwei Mal Probezeiten bestanden hat, ihre letzten Straftaten 2015 beging und sich nach ihrer bedingten Entlassung, die wegen ihres positiven Vollzugsverhaltens bewilligt werden konnte, an die Weisungen des Gerichts gehalten hat und sich erkennbar bemüht hat, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken (z.B. durch Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe, Drogentherapie, Schuldenregulierung, Trennung von ihrem drogenabhängigen Partner). Aufgrund ihrer schwierigen Kindheit und der Suchterkrankung fällt die fehlende Integration am Arbeitsmarkt demgegenüber weniger ins Gewicht.

Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist angesichts der Integration der BF während ihres langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen sie Abstand zu nehmen. Ihr privates Interesse an einem Verbleib überwiegt (auch bei Bedachtnahme auf die beiden strafgerichtlichen Verurteilungen) das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.

In der Folge wird allenfalls die Niederlassungsbehörde zur Prüfung einer allfälligen "Rückstufung" gemäß § 28 Abs 1 NAG zu befassen sein, zumal die BF trotz Ausstellung eines Daueraufenthaltstitels straffällig wurde.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig, weil das BVwG grundsätzliche Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht zu lösen hatte. Die Gefährdungsprognose bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot und die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG sind grundsätzlich nicht revisible Einzelfallentscheidungen (siehe z.B. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0285).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2226827.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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