Entscheidungsdatum
20.02.2020Norm
BBG §40Spruch
W264 2224531-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 21.6.2019, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 7.10.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin (BF) ist im Besitz eines bis zum 1.5.2019 befristeten Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. und der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel". Bei der BF wurden basierend auf einem Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Orthopädie vom 1.6.2018 folgende Funktionseinschränkungen festgestellt: 1. Z.n. transverser Myelitis TH6 (40%) und 2. Hüftgelenksabnützung rechts (30%).
Aufgrund der Befristung stellte die BF am 22.2.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses unter Verwendung des Formblattes 7/2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge: belangte Behörde).
2. Die belangte Behörde holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Orthopädie ein und stellte die Sachverständige DDr.
XXXX infolge persönlicher Untersuchung der BF am 25.3.2019 in ihrem Gutachten vom 2.4.2019 folgende als bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Funktionseinschränkungen fest:
1. Zustand nach transverser Myelitis TH6 (30%)
2. Valusgonarthrose links (30%)
3. Hüfttotalendoprothese rechts (10%)
Die medizinische Sachverständige stellte nach der Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012 einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. fest und attestierte "Dauerzustand".
Als Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung hielt die Sachverständige fest, dass das führende Leiden 1 durch das Leiden 2 um eine Stufe erhöht werde, da eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliege. Das Leiden 3 erhöhe hingegen nicht.
Als Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten, gab die fachärztliche Sachverständige an, dass eine Besserung des Leidens 1 eingetreten sei und verwies dazu auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen klinischen Status, welcher eine seitengleiche Bemuskelung dokumentiere. Es liege ein geringgradiges Restdefizit vor. Das Leiden 2 habe sich nach Implantation einer Hüfttotalendoprothese ebenfalls verbessert. Es bestehe zudem ein gutes postoperatives Ergebnis.
3. Mit Schreiben vom 2.4.2019 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens mit und räumte ihr die Möglichkeit ein, binnen zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
4. In ihrer Stellungnahme vom 16.4.2019 äußerte die Beschwerdeführerin, vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband, dass weiterhin eine Parese des linken Beins vorliege. Die BF sei nur mit Unterarmstützkrücken in sehr geringem Maß mobil. Selbst die Sachverständige halte in ihrem Gutachten fest, dass bei Belastung der linken unteren Extremität eine Hyperextension im linken Kniegelenk sowie eine Zunahme der Valgusstellung vorliege. Aufgrund der schweren Beschwerden sei am 1.4.2019 eine Knie-TEP durchgeführt worden, weshalb die Mobilität der BF im Moment nicht gegeben sei. Insgesamt bestehe eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen den Lähmungserscheinungen im linken Bein sowie den Beschwerden im linken Kniegelenk, was zu einer Einschätzung von einem Grad der Behinderung von 50 v.H. führen hätte müssen. Der BF sei es aufgrund ihrer deutlich eingeschränkten Mobilität auch nicht möglich die öffentlichen Verkehrsmittel zu benützen.
Die BF schloss ihrer Stellungnahme einen Befundbericht Dris. XXXX vom 11.4.2019, einen Arztbrief des Landesklinikum XXXX vom 7.3.2019 und einen Entlassungsbrief der genannten Krankenanstalt vom 12.4.2019 an.
5. Zur Überprüfung der Einwendungen der BF, sowie der zusätzlich in Vorlage gebrachten Befunde, holte die belangte Behörde eine weitere Stellungnahme der bereits befassten Fachärztin für Orthopädie ein und erstattete DDr. XXXX in einem Schreiben vom 19.6.2019 die Einschätzung wie folgt:
"AW erklärt sich mit dem Ergebnis der Begutachtung vom 25. 3. 2019 nicht einverstanden und bringt in der Stellungnahme vom 16. 4. 2019, vertreten durch den KOBV, vor, dass weiterhin eine Parese des linken Beins vorliege und die AW nur mit Unterarmstützkrücken in sehr geringem Maß mobil sei. Aufgrund der schweren Beschwerden im linken Kniegelenk sei am 1. 4. 2019 die Implantation einer Knietotalendoprothese vorgenommen worden. Aufgrund dieser Operation sei nunmehr die Mobilität der AW im Moment nicht gegeben. Es bestünde außerdem eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Lähmungserscheinungen im linken Bein und Beschwerden im linken Knie. Sie könne 300-400 m ohne fremde Hilfe nicht zurücklegen und nicht in einem öffentlichen Verkehrsmittel transportiert werden.
Befunde:
Entlassungsbrief Krankenhaus XXXX Orthopädie 12.4.2019 (zementierte Knietotalendoprothese links, komplikationsloser postoperativer Verlauf)
Befund Dr. XXXX Facharzt für Orthopädie 11.4.2019 (Zustand nach achsgekoppelter Knietotalendoprothese links 1.4.2019, Zustand nach Myelitis TH VII mit Parese linkes Bein, 6 Wochen Teilbelastung mit 2 Krücken, eventuell auch permanent nötig, abschwellende Therapie, Motorschiene, Rehabilitation vorgesehen)
Bericht Orthopädische Ambulanz Krankenhaus XXXX 7.3.2019 (hochgradige Varusgonarthrose mit medialer und lateraler Instabilität, Zustand nach Hüfttotalendoprothese. OP geplant)
Stellungnahme:
Die bei der Begutachtung am 25. 3. 2019 festgestellten Defizite im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates wurden in der Beurteilung hinsichtlich Einstufung nach der EVO und hinsichtlich beantragter Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in vollem Umfang berücksichtigt, wobei jedoch durch die objektivierbare Funktionsminderung, insbesondere auch im Bereich des linken Kniegelenks, eine hochgradige Einschränkung der Gehstrecke, wie o.a., gerade eben nicht begründet werden konnte.
Die vorgelegten Befunde dokumentieren die Implantation einer Knietotalendoprothese links mit unkompliziertem postoperativem Verlauf.
Maßgeblich für die Einstufung behinderungsrelevanter Leiden nach den Kriterien der EVO sind objektivierbare Funktionsdefizite, sodass anhand der aktuell vorgelegten Befunde keine Neueinstufung vorgenommen wird, eine einstufungsrelevante Verbesserung oder Verschlimmerung durch erfolgte Operation ist derzeit nicht belegt.
Vorgelegte Befunde stehen nicht in Widerspruch zu getroffener Einstufung.
Eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung zwischen Leiden 1 und 2 wird in der Einstufung berücksichtigt.
Befunde, die noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, wurden nicht vorgelegt.
Die vorgebrachten Argumente beinhalten keine neuen Erkenntnisse, welche das vorhandene Begutachtungsergebnis entkräften könnten, sodass daran festgehalten wird."
6. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 21.6.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses aufgrund des bei der BF vorliegenden Grades der Behinderung von 40 % ab und stützte sich begründend auf die Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens. In der Beilage wurden der BF das eingeholte Gutachten vom 2.4.2019 und die Stellungnahme vom 19.6.2019 DDris.
XXXX übermittelt.
7. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 19.7.2019 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, dass aufgrund ihrer transversen Myelitis Th6 mit linksbetonter Paraparese die Wiederherstellung ihrer Mobilität bisher nicht gelungen sei. Aufgrund der vorhandenen Beinlähmung seien die bisherigen physikalischen Therapien sowie das Gehtraining nur von mäßigem Erfolg begleitet gewesen. Bei höheren Temperaturen komme es zu einem Verlust der kompletten Körperspannung, einer Inkontinenz sowie einer Muskelschwäche. Laut der behandelnden Neurologin Dr. XXXX sei es durch die Operation zu einer Verschlechterung der Spastik und damit auch u einer Zunahme der Gangstörung gekommen. Damit verbunden seien auch dauerhafte Gleichgewichts- und Gangstörungen mit einer erhöhten Sturzgefahr. Durch die Implantation einer Knieprothese sei die bereits sehr eingeschränkte Mobilität nochmals reduziert. Insgesamt sei das Leiden Nummer 1 mit einem höheren Grad der Behinderung einzuschätzen und eine gegenseitige negative Leidensbeeinflussung zwischen dem Leiden der Nummer 1 und dem Leiden der Nummer 2 festzustellen. Aufgrund der Gangstörung mit erhöhter Sturzgefahr sei die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel nicht zumutbar. Auch liege bei der BF eine Dranginkontinenz vor. Es werde beantragt, ein neurologisches Sachverständigengutachten einzuholen sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Darüber hinaus legte die Bf ihrer Beschwerde einen aktuellen Befundbericht ihrer Neurologin Dr. XXXX vom 10.7.2019 vor.
8. Aufgrund der erhobenen Einwendungen holte die belangte Behörde ein weiteres Sachverständigengutachten, basierend auf einer neuerlichen persönlichen Untersuchung der BF am 20.9.2019 ein. Der nunmehr befasste Facharzt für Orthopädie Dr. XXXX führte in seinem Gutachten vom 4.10.2019 nach Erhebung des Untersuchungsbefundes und Feststellung der bei der BF voraussichtlich länger als sechs Monate vorliegenden Funktionseinschränkungen aus wie folgt:
"Zwischenzeitlich wurde im April ein achsgeführtes Kunstgelenk im linken Knie implantiert, Das bedeutet, die Wiedererlangung der Bandstabilität durch die Achsführung des Implantates. Die postoperative Rehabilitation ist aufgrund des Grundleidens, einer Schwäche und einer Spastik im linken Bein bei transverser Myelitis verzögert und aus orthopädischer Sicht noch nicht abgeschlossen.
Die Entwicklung der Spastik ist durch die Befundlage nicht eindeutig belegbar.
Im REHAB Bericht der Rehaklinik Baumgarten wird eine Schwäche im linken Bein angegeben, eine Spastik in den Befunden nicht angeführt.
Demgegenüber bescheinigt die behandelnde Neurologin, Dr.in XXXX , unter Zugrundelegung eines klinisch neurologischen Status vom 22.01.2018(!), noch vor den Großgelenksoperationen, im Befundbericht vom 10.7.2019 eine durch die Operationen Verschlechterung der Spastik und damit verbunden eine Zunahme der Gangstörung und Sturzgefahr.
Im amtsgutachten vom März 2019 und im Rahmen der eigenen Untersuchung konnte eine relevante Spastik, die eine Sturzgefahr bewirkt, nicht festgestellt werden.
Das Ergebnis der Hüftprothesenimplantation rechts bei Vorliegen von belastungsstabilen Verhältnissen ist gut.
An der oberen Extremität liegen durch die Krückenbelastung Weichteilschmerzen vor die aber zu keiner Funktionsbehinderung führen.
Zusammenfassend ergibt sich aus orthopädischer Sicht zweifelsfrei ein verzögerter Rehabilitationsverlauf bei noch nicht abgeschlossener Nachbehandlung. Mit der Implantation von Kunstgelenken ist eine maßgebliche Belastungs- und Funktionsverbesserung erreicht worden."
Unter dem Punkt "Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ..." führte der Sachverständige in seinem Gutachten vom 4.10.2019 aus:
"Die Bewältigung kurzer Wegstrecken ist mittelfristig, bei geeignetem Fortführen der Rehabilitation, möglich. Einfache Gehhilfen können die Belastbarkeit verbessern. Die Verwendung von 2 UA-Krücken ist krankheitsbedingt langfristig nicht notwendig. An der oberen Extremität finden sich keine maßgeblichen Funktionsbehinderungen, die die Benützung von Haltegriffen oder Aufstiegshilfen erschweren. Bewegungsumfang, Kraft und Koordination der unteren Extremität sind ausreichend um Niveauunterschiede zu überwinden."
9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 7.10.2019 wies die belangte Behörde die Beschwerde ab und sprach aus, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 40% nicht vorlägen. Begründend stützte sich die Behörde auf die zuletzt durchgeführte ärztliche Begutachtung durch den Ärztlichen Dienst vom 4.10.2019 und übermittelte der BF in der Beilage zum Bescheid das Gutachten vom 4.10.2019.
10. Die Beschwerdeführerin brachte dagegen das Rechtsmittel des Vorlageantrages am 16.10.2019 ein und führte darin im Wesentlichen dasselbe aus, wie in ihrer Beschwerde vom 19.7.2019.
Dem Vorlageantrag schloss sie einen neuen Befundbericht ihrer Fachärztin für Nervenheilkunde Dris. XXXX vom 9.10.2019 bei und beantragte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Neurologie einzuholen, sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
11. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Beschwerdevorlageschreiben vom 18.10.2019 den bezughabenden Akt zur Entscheidung vor und langte dieser noch am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich die Beschwerdeführerin mit der Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses nicht einverstanden erklärt hat, war die Beschwerde dahingehend zu prüfen.
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist im Besitz eines bis zum 1.5.2019 befristeten Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. und der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel".
Bei der BF wurden basierend auf einem Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Orthopädie vom 1.6.2018 folgende Funktionseinschränkungen festgestellt:
1. Z.n. transverser Myelitis TH6 (40%)
2. Hüftgelenksabnützung rechts (30%)
Die Beschwerdeführerin stellte am 22.2.2019 den gegenständlichen Antrag auf neuerliche Ausstellung eines Behindertenpasses.
Die Beschwerdeführerin leidet aktuell an folgenden Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1. Z.n. transversaler Myelitis TH6 mit geringer Beinschwäche links (30%)
2. Knietotalendoprothese links (30%)
3. Hüfttotalendoprothese rechts (10%)
Im Vergleich zum Vorgutachten ist eine Besserung des Leidens 1 aufgrund eines verbesserten klinischen Status eingetreten.
Hinsichtlich der vormals als 2. geführten Funktionseinschränkung "Hüftgelenksabnützung rechts" hat zwischenzeitlich eine Hüttotalendoprothesen-Implantation stattgefunden und ist ein gutes postoperatives Ergebnis vorliegend. Diese Leiden wird nunmehr als 3. Funktionseinschränkung "Hüfttotalendoprothese rechts" erfasst.
Im Vergleich zum Vorgutachten vom 1.6.2018 trat die Funktionseinschränkung 2. "Knietotalendoprothese links" hinzu und wurde daher neu erfasst und entsprechend bewertet.
Die aktuell als 1. und 2. gelisteten Funktionseinschränkungen stehen in einer negativen wechselseitigen Leidensbeeinflussung zueinander, weshalb der Grad der Behinderung des Hauptleidens (1.) um eine Stufe erhöht wird.
Bei der Beschwerdeführerin liegt aktuell ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. vor.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung zum Besitz des Behindertenpasses mit einer Befristung bis zum 1.5.2019 beruht auf dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt. Dem Akt ist auch das Gutachten vom 1.6.2018 einliegend, weshalb die entsprechenden Feststellungen getroffen werden konnten.
Die Feststellungen zu den aktuell bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Funktionseinschränkungen beruhen - in freier Beweiswürdigung - in nachstehend ausgeführtem Umfang auf den vorgelegten und eingeholten Beweismitteln:
Das von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Orthopädie vom 2.4.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.3.2019, ist in Zusammenschau mit der ergänzenden Stellungnahme dieser Fachärztin vom 19.6.2019, sowie dem ergänzend eingeholten Sachverständigengutachten eines weiteren Facharztes für Orthopädie vom 4.10.2019, ebenfalls basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, schlüssig und nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf.
Die beiden befassten fachärztlichen Sachverständigen stellte bei der Beschwerdeführerin die Funktionseinschränkungen 1. Zustand nach transverser Myelitis TH6 fest, wobei der Facharzt Dr. XXXX in seinem Gutachten vom 4.10.2019 zusätzlich "mit geringer Beinschwäche links" ausführte. Während die fachärztliche Sachverständige DDr. XXXX in ihrem Gutachten vom 2.4.2019 noch von einer Valgusgonarthrose links ausging, stellte der Sachverständige Dr. XXXX in seinem Gutachten vom 4.10.2019 richtigerweise als Funktionseinschränkung 2. Knietotalendoprothese links fest, da zwischenzeitlich im April 2019 ein achsgeführtes Kunstgelenk im linken Knie der Beschwerdeführerin implantiert wurde. Als 3. Funktionseinschränkung wurde seitens beider Sachverständigen eine Hüfttotalendoprothese rechts festgehalten. Die beiden Sachverständigen gehen in ihren jeweiligen Gutachten auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei ein.
Dabei nehmen die Sachverständigen auch Bezug auf das im Fall der Beschwerdeführerin entscheidungswesentliche Vorgutachten vom 1.6.2018.
Die von den beiden fachärztlichen Sachverständigen herangezogenen Positionsnummern der Anlage zur Einschätzungsverordnung und die gewählten Rahmensätze stimmen mit den diesbezüglichen Kriterien der Anlage zur Einschätzungsverordnung sowie mit dem basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen Untersuchungsbefund - zuletzt am 20.9.2019 - überein und sind schlüssig und nachvollziehbar.
Hinsichtlich der Funktionseinschränkung "Zustand nach transverser Myelitis TH6" wählten die fachärztlichen Sachverständigen dieselbe Positionsnummer der Anlage zur Einschätzungsverordnung und kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass zwischenzeitlich eine Besserung des Leidens eingetreten sei, weshalb sie hinsichtlich des Grades der Behinderung eine Stufe unter dem oberen Rahmensatz wählten. Demzufolge schätzten sie den Grad der Behinderung bei einer Zuordnung zur Position 04.01.01 mit 30 % ein. Dabei begründete die fachärztlich Sachverständige DDr. XXXX die Wahl des Rahmensatzes damit, dass ein geringgradiges Restdefizit bestehe. Der Sachverständige Dr. XXXX führte aus, dass eine geringe belastungsabhängige Beinschwäche links und eine geringe Spastik bestehe. Dabei hielt er weiterführend fest, dass die Entwicklung der Spastik durch die Befundlage nicht eindeutig belegt sei.
Die Funktionseinschränkung "Knietotalendoprothese links" wurde von dem Sachverständigen Dr. XXXX weiterhin unter die Position 02.05.20 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet, da eine gute Beweglichkeit besteht, jedoch belastungsabhängige Schmerzen und eine Beinschwäche links bei noch nicht abgeschlossener Rehabilitation vorliegen. Die Positionsnummer sieht einen fixen Satz von 30% vor und stimmen die Parameter von "Streckung/Beugung 0-10-90°" mit dem Untersuchungsergebnis der Beschwerdeführerin am 20.9.2019 überein.
Basierend auf der aktuellen Befunddokumentation war die Funktionseinschränkung der "Hüfttotalendoprothese rechts" in Anwendung der Einschätzungsverordnung unter die Position 02.05.07 der Anlage der Einschätzungsverordnung einzugliedern, welche einen Rahmensatz von 10 - 20 % vorsieht. Die beiden Sachverständigen begründeten die Einschätzung mit einem guten postoperativen Ergebnis. Der Sachverständige Dr. XXXX führte in seinem Gutachten vom 4.10.2019 zudem aus, dass sich zweifelsfrei ein verzögerter Rehabilitationsverlauf bei noch nicht abgeschlossener Nachbehandlung ergebe. Mit der Implantation von Kunstgelenken sei jedoch eine maßgebliche Belastungs- und Funktionsverbesserung erreicht worden. Die Verwendung von zwei Unterarmkrücken sei langfristig nicht notwendig. Es sei unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen und des aktuellen Untersuchungsbefundes in der langfristigen Beurteilung daher keine Änderung des Ergebnisses des Gutachtens Dris. XXXX vom 2.4.2019 vorzunehmen.
Damit steht der vom Sachverständigen Dr. XXXX erhobene Untersuchungsbefund vom 20.9.2019 in Einklang, wonach die Hüftgelenke der Beschwerdeführerin eine Beweglichkeit von rechts S 0-0-110, R 30-0-20, F 30-0-30 und links S 0-0-120, R 30-0-30, F 30-0-30 aufweisen. Auch die Kniegelenke erscheinen mit einer Beweglichkeit von rechts S 0-0-140 und links S 0-0-130 ausreichend beweglich und hielt der Sachverständige Bandstabilität hinsichtlich beider Kniegelenke fest.
Aus dem von der Beschwerdeführerin mit Vorlageantrag zuletzt vorgelegtem Befundbericht ihrer Fachärztin für Nervenheilkunde vom 9.10.2019 geht hervor, dass eine Monoparese links unverändert besteht und deckt sich dieser Befundbericht mit den vorangegangenen Befundberichten, welche von der Beschwerdeführerin im Verfahren bereits in Vorlage gebracht wurden und von den Sachverständigen bei der Erstellung ihrer Gutachten bereits berücksichtigt wurden.
Eine Draninkontinenz wurde von der Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt bei den persönlichen Untersuchungen am 20.9.2019 und am 25.3.2019 vorgebracht. Eine diesbezügliche Befunddokumentation ihrer Nervenfachärztin in den vorgelegten Befunden vom 10.7.2019 und vom 9.10.2019 ist nicht ausreichend fachärztlich belegt.
In den eingeholten Sachverständigenbeweisen wurde umfassend und ausreichend auf die Art der Leiden und deren Ausmaß eingegangen und führten beide Sachverständigen übereinstimmend aus, dass das Hauptleiden "Zustand nach transverser Myelitits TH6 mit geringer Beinschwäche links" durch das Leiden 2 "Knietotalendoprothese links" um eine Stufe erhöht werde, da insbesondere in der Belastbarkeit des linken Beines eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegen sei.
Die Beschwerdeführerin ist mit dem Vorbringen in ihrer Beschwerde und in ihrem Vorlageantrag den auf der persönlichen Untersuchung basierenden Sachverständigengutachten zweier Fachärzte für Orthopädie nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten; steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom 2.4.2019, beruhend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 25.3.2019, sowie des Sachverständigengutachtens vom 4.10.2019, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 20.9.2019, und werden diese Sachverständigenbeweise in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) bedeutet nach stRsp des VwGH nicht, dass der in der Begründung des Bescheids niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist.
Die vorliegenden Beweismittel und der vorgelegte Fremdakt der belangten Behörde - in welchem die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Beweismittel einliegen - ermöglichen dem erkennenden Gericht, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen.
Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat, und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Die Würdigung der Beweise ist zufolge § 45 Abs. 2 AVG keinen gesetzlichen Regeln unterworfen. Davon ist jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht ausgeschlossen. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie ua den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen.
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führt beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Richter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)".
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungs-methoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte - insbesondere der zitierten Entscheidungen - sind die zitierten medizinischen Sachverständigengutachten
DDris. XXXX vom 2.4.2019 und Dris. XXXX vom 4.10.2019 schlüssig, nachvollziehbar, weisen keine Widersprüche auf und erfüllen diese - die Grundlage der Einschätzung des Grades der Behinderung bildenden eingeholten Gutachten - die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012.
Nach Würdigung des erkennenden Gerichtes erfüllen die verwaltungsbehördlich eingeholten fachärztlichen Sachverständigengutachten auch die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die maßgeblichen formalrechtlichen Rechtsgrundlagen sind jene des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) und jene des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG).
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Im Bundesbehindertengesetz normiert § 45 Abs. 3, dass in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses oder auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grad der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch Senat zu erfolgen hat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor, sodass entsprechend dem § 45 Abs. 4 BBG ein Vertreter der Interessensvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundiger Laienrichter hinzuzuziehen war.
Zu Spruchpunkt A) - Entscheidung in der Sache:
Die maßgeblichen materiellrechtlichen Bestimmungen sind jene des Bundesbehindertengesetzes (BBG).
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter "Behinderung" iSd BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, welche geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40 Abs. 1 BBG normiert, dass behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen ist, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl 22/1970, angehören.
Behinderten Menschen, welche nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist (§ 40 Abs. 2 BBG).
Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,
1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,
2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.
§ 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG) sieht vor, dass die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit
(Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen sind. Eine solche zuständige Stelle ist:
-
Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).
-
Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.
-
In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967,
BGBl 376.
Gemäß § 41 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 BBG vorliegt.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt gemäß § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.
Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:
Behinderung
§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-
sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-
zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im gegenständlichen Fall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF BGBl II 251/2012 einzuschätzen war und blieb dies in der Beschwerde auch unbestritten.
Betreffend die bei der Beschwerdeführerin sachverständig festgestellten vorliegenden Leiden ist der Anlage zur Einschätzungsverordnung BGBl II 261/2010 idF
BGBl II 251/2012 Folgendes zu entnehmen:
Leiden 1 betreffend:
04.01 Cerebrale Lähmungen
04.01.01 Leichten Grades 10 - 40%
10 - 20 %: Feinmotorische Störung und Schwäche einzelner
Muskelgruppen
30 - 40 %: Ausfall einzelner Muskelgruppen
Leiden 2 betreffend:
02.05 Untere Extremitäten
Kniegelenk
02.05.20 Funktionseinschränkung mittleren Grades einseitig 30%
Streckung/Beugung 0-10-90°
Leiden 3 betreffend:
02.05 Untere Extremitäten
Hüftgelenke
02.05.07 Funktionseinschränkung geringen Grades einseitig 10 - 20%
Streckung/Beugung bis zu 0-10-90°
mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit
Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014,
Ro 2014/11/0023).
Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist das Beschwerdevorbringen nicht geeignet darzutun, dass der in der Höhe von weniger als 50 v.H. festgestellte Grad der Behinderung nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß der Beschwerdeführerin entspräche. Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde die Beschwerdeführerin am 25.3.2019 und am 20.9.2019 von zwei ärztlichen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Orthopädie untersucht und sind diese Untersuchungsbefunde in die Gutachten eingeflossen. Die fachärztlichen Sachverständigengutachten vom 2.4.2019 und vom 4.10.2019 erfüllen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 der Einschätzungsverordnung und bilden die Grundlage der Einschätzung des Grades der Behinderung der Beschwerdeführerin.
Zu der in der Beschwerde als auch im Vorlageantrag geforderten Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Neurologie ist auf die entsprechende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach das Gesetz keine Regelung enthält, aus der ein Anspruch des Antragstellers auf Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes geschlossen werden kann. Es kommt vielmehr auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an (VwGH 24.06.1997, 96/08/0114).
Die aus dem Fachbereich der Orthopädie eingeholten Sachverständigengutachten vom 2.4.2019 und vom 4.10.2019 befunden die Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin und beurteilen entsprechend dem § 2 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung deren Auswirkungen als Grad der Behinderung. Im Übrigen ist auszuführen, dass die Sachverständige DDr. XXXX auch als Sachverständige auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin tätig ist und zusätzlich zu ihrem Gutachten vom 2.4.2019 in ihrer Stellungnahme vom 19.6.2019 ausführte, dass sich aus den ergänzend vorgelegten Befundunterlagen der Beschwerdeführerin - zwischenzeitlich wurde die Implantation der Knietotalendoprothese durchgeführt - keine Änderungen ergeben würden, da eine einstufungsrelevante Verbesserung oder Verschlimmerung durch die erfolgte Operation derzeit nicht belegt sei. In beiden Sachverständigengutachten wird die Einschätzung des Grades der Behinderung iSd § 3 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung vorgenommen und kamen die Sachverständigen zu dem Ergebnis eines bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Gesamtgrades der Behinderung von 40 v.H.
Unter Beachtung der oben dargetanen Positionen aus der Einschätzungsverordnung samt deren Rahmensätzen und den Vorgaben der Einschätzungsverordnung in den §§ 2 und 3 wurde der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin in den fachärztlichen Sachverständigengutachten unter Zugrundelegung der Einschätzungsverordnung mit 40 v.H. korrekt eingeschätzt. Demnach liegt bei der Beschwerdeführerin zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt kein Grad der Behinderung von mindestens 50 v. H. (mehr) vor und ist ihr in Ermangelung des Grades der Behinderung von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass nicht auszustellen.
Im Übrigen ist aber darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war aus den dargelegten Gründen als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG). Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist, die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist oder die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird (§ 24 Abs. 2 VwGVG).
Nach § 24 Abs. 4 VwGVG 2014 kommt ein Entfall der Verhandlung dann nicht in Betracht, wenn Art. 6 MRK und Art. 47 GRC die Durchführung einer solchen gebieten. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um 'civil rights' oder 'strafrechtliche Anklagen' iSd Art. 6 MRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (VwGH 9.9.2014, Ro 2014/09/0049).
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10.5.2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3.5.2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 3.10.2013, 2012/06/0221).
Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 18.7.2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 3.10.2013, 2012/06/0221).
Aus Art. 47 Abs. 2 GRC kann ein absoluter Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht abgeleitet werden, so der VfGH in seiner Entscheidung vom 9.10.2018, E 3817/2018, worin dieser auf die Judikatur des EGMR verweist und ausspricht, dass dieser folgend laut VfGH-Judikatur eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn die Tatfrage unumstritten oder nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (siehe VfSlg 18994/2010, 19.632/2012).
Laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof ist sowohl bei der Einschätzung des Grades der Behinderung auf Grundlage eines medizinischen Sachverständigengutachtens als auch bei der Beurteilung, ob die gesundheitlichen Einschränkungen des Betroffenen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar erscheinen lassen, "wegen des für die Entscheidungsfindung wesentlichen persönlichen Eindrucks von der Person des Antragstellers" grundsätzlich eine mündliche Verhandlung geboten (VwGH 19.8.2018, Ra 2018/11/0145, VwGH 21.6.2017, Ra 2017/11/0040-5 mit dem Hinweis VwGH 8.7.2015, 2015/11/0036, 21.4.2016, Ra 2016/11/0018, 25.5.2016, Ra 2016/11/0057, und 16.8.2016, Ra 2016/11/0013).
Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 24 Abs. 1 VwGVG lautet aber auch, dass das Verwaltungsgericht (selbst bei anwaltlich Vertretenen) auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen hat, wenn das Verwaltungsgericht eine solche für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts steht (VwGH 18.10.2016, 2015/03/0029 mwH). Dies ist nach der Rechtsprechung etwa dann anzunehmen, wenn die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft oder ein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet wird.
Zwar wurde in casu die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde nicht substantiiert bekämpft, jedoch überlasst das Gesetz (kann-Bestimmung im § 24 Abs. 4 VwGVG) die Beurteilung der Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung dem Einzelrichter bzw dem Senat, sodass es dem Gericht obliegt zu beurteilen, ob die Aktenlage für die Entscheidung ausreicht oder es zur weiteren Klärung der Rechtssache einer mündlichen Erörterung bedarf.
Soweit nicht in einem Bundes- oder einem Landesgesetz anderes bestimmt ist, kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG die Verhandlung entfallen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.3.2010 S. 389 entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).