TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/21 W264 2225546-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2020
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Entscheidungsdatum

21.02.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
VOG §1
VOG §2
VOG §6a

Spruch

W264 2225546-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde der unmündigen minderjährigen XXXX , vormals XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch die Obsorgeberechtigte XXXX , diese wiederum vertreten durch feldbacher_barth Rechtsanwälte, gegen Spruchpunkt 3. des Bescheides des Sozialministeriumservice Landesstelle Steiermark vom 4.9.2019 betreffend die Höhe des gewährten Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Beschwerdeführerin eine einmalige Geldleistung in Höhe von EUR 8.000,-- als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld mit der Maßgabe gewährt, dass die bereits geleistete Schmerzengeldzahlung von EUR 4.000,-- anzurechnen ist.

Die Durchführung der Auszahlung obliegt dem Sozialministeriumservice.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) und ihre minderjährige Schwester XXXX begehrten mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters Riesemann Rechtsanwalts GmbH vom 11.10.2017 beim Sozialministeriumservice Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und den Ersatz des Unterhaltsentganges. Begründend wurde ausgeführt, dass deren Mutter XXXX , in der Nacht von 14.2. auf 15.2.2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Kindesvater und Ehegatten mittels Verschließen der Atemöffnungen vorsätzlich getötet worden sei und sei der Vater der BF hierfür verurteilt worden. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig.

2. Die Obsorge für die BF und deren Schwester XXXX wurden mit Beschluss des Bezirksgericht XXXX vom 17.5.2017, XXXX , dem Kindesvater entzogen und auf die Großmutter XXXX übertragen.

3. Mit Urteil des Landesgericht für Strafsachen XXXX als Geschworenengericht vom 26.9.2017, XXXX , wurde der BF wegen Mordes schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

4. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 14.3.2018 wurde die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX zurückgewiesen.

5. Mit Urteil des Oberlandesgericht XXXX vom 8.5.2018, XXXX , wurde der Berufung des XXXX Folge gegeben und die verhängte Freiheitsstrafe auf 20 Jahre herabgesetzt.

6. Mit Schriftsatz vom 13.7.2018 gab die BF, vertreten durch die Obsorgeberechtigte bekannt, dass sie nunmehr von feldbacher_barth Rechtsanwälte rechtsfreundlich vertreten werde.

7. Mit einem weiteren Schriftsatz ihres Rechtsvertreters vom 13.7.2018 gab die BF ein rgänzendes Vorbringen zum Einkommen ihrer Mutter und zu den monatlichen Fixkosten unter Beilage von die finanziellen Belange der verstorbenen Mutter betreffenden Beweismitteln ab.

8. Auf Ersuchen der belangten Behörde übermittelte die BF mit Email ihrer Rechtsvertretung vom 7.1.2019 eine Bestätigung des XXXX vom 4.12.2018, in welchem mitgeteilt werde, dass sich die BF von Jänner bis September 2018 im genannten Institut in psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Im Fall einer rezidivierenden Belastungssymptomatik werde eine weiterführende Psychotherapie empfohlen.

9. Mit Erledigung vom 20.2.2019 ersuchte die belangte Behörde das XXXX um Mitteilung, welche Gesundheitsschädigungen zu Behandlungsbeginn bei der BF festgestellt worden seien, und welche aktuell noch vorhanden seien. Weiters wurde ersucht mitzuteilen, ob die Gesundheitsschädigungen mit Wahrscheinlichkeit auf den Vorfall vom 15.2.2017 zurückzuführen seien, und inwieweit akausale Lebensumstände oder bereits vorher bestehende psychische Erkrankungen bzw. Probleme eine Rolle gespielt hätten.

10. Mit Schreiben vom 5.3.2019 teilte das XXXX hinsichtlich die BF mit, dass bei der Beschwerdeführerin zu Behandlungsbeginn Belastungsdepressionen ICD-10: F43.2 Anpassungsstörung festgestellt worden sei. Die BF habe vermehrt geringere Impulskontrolle gezeigt und sei gegenüber ihrer Schwester XXXX immer öfter massiv jähzornig, lautstark aufbrausend gewesen, habe herumgeschrien, sich nichts mehr sagen gelassen und sich nicht mehr beruhigen lassen. Das Akzeptieren von Grenzen und Regeln sei der BF kaum mehr gelungen und habe sie bei den Hausaufgaben eine Kerze angezündet und das Foto der verstorbenen Mutter neben sich gestellt, sodass ihr diese bei den Aufgaben helfe. Aufgrund des gewaltsamen Todes der Kindesmutter und der daraus folgenden massiven emotionalen Belastung der BF sei zu befürchten gewesen, dass sie mit dem geschilderten Verhalten zu kompensieren versucht habe. Im Laufe der Therapie habe der Verlust der Mutter altersangemessen in das Selbstkonzept der BF und ihrer Schwester integriert werden können. Das traumatische Erlebnis werde sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit noch lange begleiten, der weitere Verlauf und der aktuelle Gesundheitszustand der Mädchen seien nicht bekannt. Die festgestellten Gesundheitsschädigungen seien posttraumatische Belastungssymptomatik und auf den Vorfall in der Nacht auf den 15.2.2017 zurückführbar. Es hätten keine akausalen Lebensumstände oder bereits vorher bestehende psychische Erkrankungen bzw. Probleme eine Rolle gespielt, so die Ausführungen der Psychotherapeutin XXXX , XXXX .

11. Mit Schriftsatz vom 10.4.2019 übermittelte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin ein Versäumungsurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen XXXX , mit dem der Vater unter anderem zur Zahlung von Schmerzengeld in Höhe von EUR 24.000,-- zuzüglich 4% Zinsen seit 15.2.2017 an die BF verpflichtet worden sei. Die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin teilte mit, dass eine Zahlung bislang nicht eingegangen sei.

12. Zum Zwecke der Überprüfung des Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld holte die belangte Behörde das Sachverständigengutachten der Klinischen und Gesundheitspsychologin DSA Mag. XXXX vom 5.8.2019 ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der BF am 22.7.2019 erstatteten Gutachten gelangt die Sachverständige nach Anamnese und testdiagnostischer Untersuchung der BF zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die BF aufgrund des gewaltsamen Todes der Kindesmutter durch den Kindesvater an einer Anpassungsstörung leide, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Straftat in der Nacht auf den 15.2.2017 zurückzuführen sei.

Die Straftat mit den entsprechenden Folgen für die weitere Entwicklung der BF sei alleinige Ursache des derzeitigen Leidenszustandes der BF. Vor der Straftat seien bei ihr keine Hinweise auf eine Anpassungsstörung vorgelegen und stelle die Anpassungsstörung eine "angemessene" Folge des Verbrechens dar. Eine Erfahrung wirke dann traumatisierend, wenn sie unsere Bewältigungsfähigkeiten überfordere. Vor allem im Kindesalter verankere sich ein Trauma in der Seele relativ schnell. Schwerwiegende negative Erfahrungen, besonders in spezifisch vulnerablen Phasen (2. Bis 4. Lebensjahr, 8. Bis 10. Lebensjahr und Pubertät) könnten gravierende Langzeitauswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen haben.

Bei der BF liege insofern eine schwere Körperverletzung vor, als die Anpassungsstörung durch das gewaltsame Ereignis ausgelöst worden sei und einer sechsmonatigen therapeutischen Behandlung bedurft habe. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde dieses Ereignis der Nacht auf den 15.2.2017 auch in der Zukunft noch Auswirkungen auf die Entwicklung der BF haben und sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzbar, welche Auswirkungen die Tat auf die Persönlichkeitsentwicklung der BF haben werde, dies auch vor dem Hintergrund der Gewalttat des eigenen Vaters und möglicher Stigmatisierung in der Gesellschaft, so die Gutachterin.

13. Mit Schriftsatz vom 21.8.2019 teilte der Rechtsvertreter der BF mit, dass vom Täter bis dato keine Zahlungen geleistet worden seien. Aufgrund seiner Vermögenssituation sei auch zweifelhaft, ob hier in Zukunft namhafte Beträge erstritten werden können.

14. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 4.9.2019 bewilligte die belangte Behörde den Antrag der BF auf Ersatz von Unterhaltsentgang gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 1 und § 3 VOG (Spruchpunkt 1.). Gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 9, § 3a und § 10 Abs. 1 VOG gebühre keine einkommensabhängige Zusatzleistung (Spruchpunkt 2.). Weiters erkannte die belangte Behörde der BF eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Z 10 und § 6a Abs. 1, 2. Halbsatz VOG in der Höhe von EUR 4.000,-- zu (Spruchpunkt 3.).

Begründend führte die belangte Behörde ad Spruchpunkt 3. aus, dass zur Prüfung, ob die BF im Zuge der Straftat eine schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB erlitten habe, ein klinisch-psychologisches Sachverständigengutachten eingeholt worden sei, mit welchem festgestellt worden sei, dass die BF durch die Straftat eine Anpassungsstörung von mehr als dreimonatiger Dauer erlitten habe.

15. Mit Schriftsatz ihres rechtsfreundlichen Vertreters vom 23.10.2019 erhob die BF gegen Spruchpunkt 3. dieses Bescheides fristgerecht Beschwerde und begründete diese.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin XXXX ist österreichische Staatsbürgerin.

Sie beantragte mit Schriftsatz ihres damaligen Rechtsvertreters vom 11.10.2017 beim Sozialministeriumservice eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld und den Ersatz des Unterhaltsentganges nach dem Verbrechensopfergesetz.

1.2. Die Mutter der BF wurde in der Nacht von 14.2.2017 auf 15.2.2017 von XXXX - ihrem Ehemann und dem Vater der BF und dessen Schwester XXXX - getötet und wurde wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig gesprochen.

1.3. Die BF hat mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch die Tat vom 15.2.2017 eine Anpassungsstörung erlitten, welche als schwere Körperverletzung zu qualifizieren ist, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft noch Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben wird.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die unter 1.1. getroffene Feststellung zur Staatsangehörigkeit sowie zum Antrag auf Hilfeleistungen nach dem VOG basieren auf dem Inhalt des vorgelegten Fremdaktes.

2.2. Die unter 1.2. getroffenen Feststellungen zur Tat und zur Verurteilung des XXXX gründen auf den im vorgelegten Fremdakt einliegenden strafgerichtlichen Entscheidungen.

2.3. Die unter 1.3. getroffenen Feststellungen zu der von der BF durch die Tat des Vaters erlittenen Gesundheitsschädigung "Anpassungsstörung ICD-10 F43.2" fußt auf dem von der belangten Behörde eingeholten klinisch-psychologischen Sachverständigengutachten der Mag. XXXX vom 5.8.2019, welches nach testdiagnostischer Untersuchung der BF am 22.7.2019 erstellt wurde.

In diesem Gutachten wird nach einem mit der Großmutter ohne Beisein der BF durchgeführten Anamnesegespräch und nach Befundaufnahme des Status Psychicus der BF nach der testdiagnostischen Untersuchung der BF festgestellt, dass die seelische Belastung bei der Verarbeitung der Ermordung ihrer Mutter durch den Vater von der BF jedenfalls enorm ist. Die BF stellt sich laut Gutachterin den Vater in ihren phantasiegeleiteten Erzählungen als guten Vater vor und ist dieses Bild mit der Ermordung der Mutter nicht vereinbar, dass die Gutachterin annimmt, die BF spalte Teile ihrer Erinnerung und Wahrnehmung ab. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sieht die Gutachterin eine Notwendigkeit darin, der BF für die Integration des traumatischen Ereignisses in die eigene Lebensbiographie psychologische / psychotherapeutische Unterstützung angedeihen zu lassen.

Es kann daher mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die nunmehr drei Jahre zurückliegende vom Kindesvater gegenüber der Kindesmutter verübte Tat bei der BF für immer oder für lange Zeit ein schweres Leiden verursacht hat.

Die BF rügte in ihrem Beschwerdeschriftsatz, dass die belangte Behörde das von Mag. XXXX erstattete Gutachten nicht im Parteigehör übermittelte und die BF somit der Möglichkeit sich am Verfahren zu beteiligen benommen war. Dadurch konnte sie keine Fragen oder Anträge stellen oder die Einholung eines psychiatrisches Gutachtens beantragen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit an dem bereits im behördlichen Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Das Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat, und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.9.1978, 1013, 1015/76).

Die Würdigung der Beweise ist zufolge § 45 Abs 2 AVG keinen gesetzlichen Regeln unterworfen. Davon ist jedoch eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht ausgeschlossen. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie ua den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen.

Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führt beispielsweise in Zitierung des Urteils des OGH vom 29.2.1987, 13 Os 17/87, aus: "Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Richter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirischhistorischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (...)".

Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte ist das vorliegende Sachverständigengutachten schlüssig und nachvollziehbar:

dieses erhebt durch Anamnese und Testung der BF den Sachverhalt, weist keine Widersprüche auf und wird im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung verwertet. Dieses Sachverständigengutachten erfüllen auch die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen: es enthält nach Untersuchung der BF einen Befund, nämlich die unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden vorgenommene Tatsachenfeststellung. Zur Gewinnung der Schlussfolgerungen aus dem Befund griff die Sachverständige auf ihre besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen zurück.

Das Sachverständigengutachten enthält jeweils das eigentliche Gutachten im engeren Sinn (sachverständige Äußerung im Sinne von der Abgabe eines Urteiles) und lässt es sowohl die Tatsachen, auf die sich die sachverständige Äußerung gründet, als auch die Art und wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen. Die beigezogene Sachverständigen legt in dem Gutachten auch dar, auf welchem Weg es zu den Schlussfolgerungen in ihren Gutachten gekommen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Ad Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes lauten auszugsweise:

"Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

(4) Hatte die Handlung im Sinne des Abs. 1 den Tod eines Menschen zur Folge, dann ist den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, Hilfe zu leisten, wenn sie österreichische Staatsbürger sind und ihnen durch den Tod der Unterhalt entgangen ist. Die Kostenübernahme gemäß § 4 Abs. 5 erfolgt unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlichen Unterhaltsentganges.

(5) Kindern ist Hilfe gemäß Abs. 4 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu leisten. Darüber hinaus ist ihnen auch dann Hilfe zu leisten, wenn sie

1. wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten können, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, gebührt die Hilfe nur dann, wenn sie ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992, betreiben;

2. infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sofern das Gebrechen vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder während des in Z 1 bezeichneten Zeitraumes eingetreten ist und solange dieser Zustand dauert.

(6) Hilfe ist Unionsbürgern sowie Staatsbürgern von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise wie österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1

1. im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde oder

2. im Ausland begangen wurde, die betroffenen Personen ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und die Handlung nach dessen Begründung begangen wurde.

(7) Hilfe ist ferner den nicht in den Abs. 1 und 6 genannten Personen zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde und sie sich zum Zeitpunkt der Handlung dort rechtmäßig aufgehalten haben. Wurde ein unrechtmäßiger Aufenthalt zum Tatzeitpunkt durch einen erlittenen Menschenhandel bewirkt, ist Personen Hilfe solange zu leisten, als sie dafür über ein Aufenthaltsrecht für besonderen Schutz verfügen oder im Anschluss daran weiterhin aufenthaltsberechtigt sind und sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten.

(8) Einer Körperverletzung und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des Abs. 1 stehen die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, insbesondere einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich, wenn die zur Beschädigung führende Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 begangen wurde. Der Ersatz und die Reparatur richten sich nach § 5 Abs. 2.

§ 2 leg.cit. normiert, welche Leistungen als Hilfeleistungen vorgesehen sind:

1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

2. Heilfürsorge

a) ärztliche Hilfe,

b) Heilmittel,

c) Heilbehelfe,

d) Anstaltspflege,

e) Zahnbehandlung,

f) Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);

2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;

3. orthopädische Versorgung

a) Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,

b) Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,

c) Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

d) Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

e) notwendige Reise- und Transportkosten;

4. medizinische Rehabilitation

a) Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen,

b) ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluß oder im Zusammenhang mit der unter lit. a angeführten Maßnahme erforderlich sind,

c) notwendige Reise- und Transportkosten;

5. berufliche Rehabilitation

a) berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbsfähigkeit,

b) Ausbildung für einen neuen Beruf,

c) Zuschüsse oder Darlehen (§ 198 Abs. 3 ASVG 1955);

6. soziale Rehabilitation

a) Zuschuß zu den Kosten für die Erlangung der Lenkerberechtigung, wenn auf Grund der Behinderung die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist,

b) Übergangsgeld (§ 306 ASVG 1955);

7. Pflegezulagen, Blindenzulagen;

8. Ersatz der Bestattungskosten;

9. einkommensabhängige Zusatzleistung;

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld

§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht."

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) lauten auszugsweise:

"Schwere Körperverletzung

§ 84 (1) Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) an einem Beamten, Zeugen oder Sachverständigen während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten begeht.

(3) Ebenso ist der Täter zu bestrafen, wenn er mindestens drei selbstständige Taten (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) ohne begreiflichen Anlass und unter Anwendung erheblicher Gewalt begangen hat.

(4) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (Abs. 1) des anderen herbeiführt.

(5) Ebenso ist zu bestrafen, wer eine Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 oder Abs. 2) begeht

1. auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist,

2. mit mindestens zwei Personen in verabredeter Verbindung oder

3. unter Zufügung besonderer Qualen.

Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen

§ 85 (1) Wer einen anderen am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig für immer oder für lange Zeit

1. den Verlust oder eine schwere Schädigung der Sprache, des Sehvermögens, des Gehörs oder der Fortpflanzungsfähigkeit,

2. eine erhebliche Verstümmelung oder eine auffallende Verunstaltung,

2a. eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen, oder

3. ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit des Geschädigten,

herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

(2) Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren ist zu bestrafen, wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Dauerfolge (Abs. 1) beim Verletzten herbeiführt."

Die BF ist österreichische Staatsbürgerin und wurde ihre Mutter in der Nacht vom 14.2.2017 auf 15.2.2017 von ihrem Vater durch Verschließen der Atemöffnungen vorsätzlich getötet, weshalb der Kindesvater wegen des Verbrechens des Mordes gemäß § 75 StGB schuldig gesprochen wurde.

Durch dieses vom Kindesvater begangene Verbrechen erlitt die BF eine Anpassungsstörung.

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 VOG liegen die grundsätzlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz damit vor.

Die belangte Behörde bewilligte der BF mit Spruchpunkt 1. - welcher in der gegenständlichen Beschwerde nicht bekämpft wurde - die beantragte Hilfeleistung in Form des Ersatzes des Unterhaltsentganges. Mit Spruchpunkt 3. bewilligte die belangte Behörde den Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in Höhe von EUR 4.000,-- gemäß § 6a Abs. 1 VOG und stützte sich die belangte Behörde dabei auf die Ausführungen der klinisch-psychologischen Sachverständigen, wonach die Anpassungsstörung eine schwere Körperverletzung darstellt, welche länger als drei Monate andauert. Unberücksichtigt blieb von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid die Ausführung der Sachverständigen in dem Gutachten, wonach in der sensiblen Phase der Integration der Tat des Vaters in die Lebensbiographie der BF mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft eine psychologische / psychotherapeutische Unterstützung notwendig sein wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19.3.2014, Zl. 2013/09/0181).

Es ist daher mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das Verbrechen bei der Beschwerdeführerin zu einer Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gemäß § 85 Abs. 1 Z 3 StGB geführt hat.

Da die Sachverständige Mag. XXXX einerseits ohnehin bereits ausführte, dass das Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft noch Auswirkungen auf die Entwicklung der BF [Anm:

Integration der vom Vater begangenen Tat in die Lebensbiographie der BF] haben wird und es sich bei der Beurteilung, ob die festgestellte Gesundheitsschädigung eine schwere Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 1 StGB oder eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gemäß § 85 StGB darstellt, um eine Rechtsfrage handelt, war dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens nicht zu folgen.

Wie oben ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte und persönlicher Untersuchung der BF basierender klinisch-psychologische Sachverständigengutachten vom 5.8.2019 zu Grunde gelegt, wonach die durch die Tat erlittene Anpassungsstörung der BF für lange Zeit Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben wird: "Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dieses Ereignis in der Nacht auf den 15. Feb. 2017 auch in der Zukunft noch Auswirkungen auf die Entwicklung von XXXX haben und ist aus sachverständiger Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzbar, welche Auswirkung das Ereignis auf die Persönlichkeitsentwicklung von XXXX haben wird", so das Gutachten von Mag. XXXX auf die behördlich begehrte Auskunft "Falls verbrechenskausale psychische Gesundheitsstörungen vorliegen und diese nicht auf die gegenständliche Straftat zurückgeführt werden kann, wird um Bekanntgabe ersucht, ob die psychischen Beeinträchtigungen eine für die Gewährung des Schmerzengeldes erforderliche ‚schwere Körperverletzung iSd § 84 StGB' darstellen und ob die durch die Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigungen länger als drei Monate andauert" (AS 80).

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß mit der Maßgabe stattzugeben, dass die bereits geleistete Schmerzengeldzahlung von EUR 4.000,-- auf die nunmehr bewilligte Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in Höhe von EUR 8.000,-- anzurechnen ist.

Zum Absehen von der mündlichen Verhandlung:

Im Hinblick auf die seit 1.1.2014 bestehende Verwaltungsgerichtsbarkeit I. Instanz ist die Entscheidung, ob eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durchgeführt wird, anhand der Bestimmungen des § 14 VwGVG zu treffen (VwGH 9.9.2014, Ro2014/09/0049). Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen

(§ 24 Abs 1 VwGVG). Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (§ 24 Abs 2 VwGVG).

Nach § 24 Abs 4 VwGVG 2014 kommt ein Entfall der Verhandlung dann nicht in Betracht, wenn Art 6 MRK und Art 47 GRC die Durchführung einer solchen gebieten. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um 'civil rights' oder 'strafrechtliche Anklagen' iSd Art. 6 MRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (VwGH 27.4.2015, Ra2015/11/0004 mit Hinweis auf VwGH 9.9.2014, Ro 2014/09/0049).

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10.5.2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3.5.2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 3.10.2013, 2012/06/0221). Zwar handelt es sich bei der im gegenständlichen Verfahren begehrten Hilfeleistung in Geldform um ein "civil right" iSd Art 6 EMRK„ aber hätte in casu die Verhandlung keine über den bisher erhobenen Sachverhalt hinausgehende Klärung gebracht.

Um zu ermitteln, ob eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs 1 VOG vorliegt, wurde für die geltende ärztlich-wissenschaftliche Lehrmeinung das Sachverständigengutachten von Mag. XXXX herangezogen, welche die BF persönlich untersuchte.

In seinem Urteil vom 18.7.2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 3.10.2013, 2012/06/0221).

Aus Art 47 Abs 2 GRC kann ein absoluter Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht abgeleitet werden, so der VfGH in seiner Entscheidung vom 9.10.2018, E 3817/2018, worin dieser auf die Judikatur des EGMR verweist und ausspricht, dass dieser folgend laut VfGH-Judikatur eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn die Tatfrage unumstritten oder nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (siehe VfSlg 18994/2010, 19.632/2012). Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.

Im vorliegenden Fall wurde von den Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit Hinweis auf EGMR 21.3.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Im gegenständlichen Verfahren konnte daher die mündliche Verhandlung unterbleiben, da eine solche weder beantragt wurde, noch es einer solchen bedurfte, um die gegenständliche Rechtsache zu klären.

Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Ad Spruchteil B) - Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Anpassungsstörung, Entwicklungsstörung, Körperverletzung,
Pauschalentschädigung, Sachverständigengutachten, Schmerzengeld,
Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W264.2225546.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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