TE Bvwg Beschluss 2020/2/21 W166 2185361-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.02.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
VOG §1
VOG §3
VOG §4
VOG §6a
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W166 2185361-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Vorsitzende und die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den RA Dr. Helmut Blum, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 18.12.2017, betreffend die Abweisung des Antrages vom 20.10.2015 auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz in Form der Gewährung von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, des Ersatzes des Verdienstentganges, der Heilfürsorge sowie des Kostenersatzes für psychotherapeutische Krankenbehandlung, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 20.10.2015 beim Sozialministeriumservice (in weiterer Folge: belangte Behörde) einen Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Ersatz des Verdienstentganges, Heilfürsorge sowie Kostenersatz für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz. Antragsbegründend wurde angegeben, dass er am 23.04.2015 Opfer einer schweren Körperverletzung im Stiegenhaus zu seiner Wohnung geworden sei. Seine damalige Freundin sei ihm zu Hilfe gekommen und habe ihn in die Wohnung gebracht, wo ein weiterer Bekannter seiner Freundin gewesen sei, der ihn ebenfalls geschlagen habe. Er habe sich schwer verletzt schlafen gelegt. Zwei Tage später sei eine Freundin in die Wohnung gekommen und habe ihn sofort ins Krankenhaus einliefern lassen. Er sei von 25.04.2015 bis 08.06.2015 in der XXXX und danach auf Rehabilitation am XXXX gewesen. Durch den Vorfall habe er ein Schädel-Hirn-Trauma mit Schädelfraktur und ICB li. Okzipital, parietla, frontal plus SAB, Epidural Blutung links frontolateral, organisches Psychosyndrom, Melaena und eine Ulcusnarbe im Bulbus Duodeni erlitten. Er könne seit dem Vorfall nicht mehr arbeiten und leide an den Folgen.

Dem Antrag schloss er folgende Unterlagen an:

* Zeugenvernehmung bei der Polizei vom 16.07.2015

* Schreiben seiner Psychotherapeutin (undatiert), wonach er seit 17.08. bei ihr in Psychotherapie stehe und an einem organischen Psychosyndrom (F 07.8) sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F 43.1) leide

* Patientenbrief der XXXX vom 05.06.2015

* Situationsbericht XXXX vom 08.06.2015

* Pflege-/Überleitungsbericht XXXX vom 04.07.2015

* Ergotherapiebericht XXXX vom 30.06.2015

* Logopädiebericht XXXX vom 01.07.2015

* Arbeitsunfähigkeitsmeldungen

* Lohnabrechnungen

Die belangte Behörde holte den Strafakt, XXXX , bei der Staatsanwaltschaft Wien ein und waren diesem neben der bereits vorgelegten Zeugenvernehmung des Beschwerdeführers, die Polizeiberichte der LPD Wien, die Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung der XXXX vom 05.05.2015 und vom 26.07.2016, Zeugenvernehmung der XXXX vom 15.03.2016, Beschuldigtenvernehmung des XXXX vom 20.10.2015, Beschuldigtenvernehmung des XXXX vom 15.10.2015, Beschuldigtenvernehmungen des XXXX vom 17.08.2015 und vom 29.09.2015, Beschuldigtenvernehmung des XXXX vom 17.09.2015, Beschuldigtenvernehmung des XXXX vom 17.09.2015, der Anordnungs- und Bewilligungsbogen der Staatsanwaltschaft Wien, die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Wien vom 06.08.2016 zum Antrag auf Fortführung des Strafverfahrens durch den Beschwerdeführer, sowie der Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, XXXX über die Abweisung des Antrages auf Fortführung einliegend.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 15.12.2016 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass sein Antrag vom 20.10.2015 abgewiesen werden würde und stützte sich begründend, nach Zitierung der entsprechenden Gesetzesstellen des Verbrechensopfergesetzes, im Wesentlichen auf die Einsichtnahme in den Strafakt der Staatsanwaltschaft Wien, wonach den Beschuldigten keine Straftat zuordenbar sei. Laut dem behandelndem Arzt Dr. XXXX sei ein Unfall ohne Fremdverschulden aus dem Verletzungsbild denkbar. Auch sei der Antrag auf Fortführung des Strafverfahrens abgewiesen worden.

In seiner Stellungnahme vom 21.12.2016 forderte der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass seine Verletzungen durch ein Gewaltverbrechen verursacht worden seien.

Nach Einholung sämtlicher Krankenunterlagen des Beschwerdeführers zu dem Vorfall vom 23.04.2015 beauftrage die belangte Behörde den Ärztlichen Dienst des Hauses mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens, basierend auf der Aktenlage.

Der Facharzt für Unfallchirurgie führte in seinem Gutachten vom 07.03.2017 aus, dass der Befundbericht der Krankenanstalt XXXX keine detaillierten Angaben über äußere Verletzungszeichen enthalte und kein Unfallhergang angeführt werde. Eine Ursache des Schädel-Hirn-Traumas sei den ärztlichen Befunden somit nicht zu entnehmen, sodass aus fachärztlicher Sicht die Beurteilung mit einer diesbezüglichen ausreichenden Wahrscheinlichkeit nicht möglich sei.

Mit Schreiben vom 29.03.2017 wurde dem Beschwerdeführer das eingeholten fachärztliche Gutachten übermittelt und die Gelegenheit eingeräumt dazu Stellung zu nehmen.

Dazu äußerte der Beschwerdeführer am 24.04.2017, dass die Einholung eines Aktengutachtens für die Beurteilung der maßgeblichen Fragen völlig ungeeignet sei. Das Schreiben des Facharztes entspreche im Übrigen nicht den Anforderungen eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens. Es fehle auch eine Begründung für das Gutachtensergebnis.

Mit Bescheid vom 18.12.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 20.10.2015 auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz ab. Das Vorliegen der grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 1 Abs. 1 Verbrechensopfergesetz könne nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Gemäß dem behandelnden Arzt Dr. XXXX sei ein Unfall ohne Fremdverschulden aus dem Verletzungsbild denkbar. Die Zeugin XXXX habe angegeben, dass sie am Beschwerdeführer keine offensichtlichen Verletzungen wahrnehmen habe können, als er die Wohnung betreten habe. Die Angaben des Beschwerdeführers würden den Angaben der XXXX , des XXXX und XXXX gegenüberstehen. An objektiven Beweisergebnissen würde lediglich das Anrufprotokoll des Mobil-Telefons vorliegen, welches sich mit den Angaben der XXXX decke, hingegen mit den Angaben des Beschwerdeführers nicht in Einklang zu bringen sei. Die Angaben des Beschwerdeführers seien der Staatsanwaltschaft auch nicht verlässlich erschienen. Auch die Unstimmigkeiten der Angaben der Zeugin XXXX seien nicht geeignet erschienen, die glaubhaften Angaben der XXXX zu wiederlegen bzw. ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern, weshalb von einer Straftat nicht ausgegangen werden könne.

Mit Eingabe vom 26.01.2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin aus, dass der Sachverhalt von der belangten Behörde völlig unzureichend ermittelt worden sei. Der Beschwerdeführer sei nicht einvernommen worden und sei das eingeholte Sachverständigengutachten nicht korrekt. Schon angesichts der Schwere der Verletzungen könne kein Zweifel daran bestehen, dass er die Verletzung nicht durch einen Sturz erlitten habe, sondern hiefür massive Gewaltanwendung von dritter Seite notwendig sei. Seine ehemalige Freundin XXXX habe einer Bekannten gegenüber zugegeben, dass der Beschwerdeführer von "ihren Freunden" geschlagen worden sei. Es gebe einen Zeugen, welcher aussagen könne, dass der Beschwerdeführer sich am Abend des gegenständlichen Tages am XXXX in bester gesundheitlicher Verfassung befunden habe und auch in keiner Weise alkoholisiert gewesen sei. Er beantrage die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, insbesondere seine Einvernahme als Partei, die Einvernahme der XXXX , der XXXX , und des XXXX sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Unfallchirurgie basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers.

Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 05.02.2018 vorgelegt und langte hg. am 07.02.2018 ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 9d Abs. 1 Verbrechensopfergesetz (VOG), BGBl. Nr. 288/1972 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des VOG durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit gegenständlich Senatszuständigkeit vor.

Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2.

Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013)

§ 28 VwGVG Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für

eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze klargestellt:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes, BGBl. 288/1972 idF BGBl. I. 152/2015, lauten:

"Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2. durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3. als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

[...]

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

1. Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges;

2. Heilfürsorge

...

2a. Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten;

3. Orthopädische Versorgung

...

4. medizinische Rehabilitation

...

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Ausschlussbestimmungen

§ 8 (1) Von den Hilfeleistungen sind Opfer ausgeschlossen, wenn sie

1. an der Tat beteiligt gewesen sind,

2. ohne einen von der Rechtsordnung anerkannten Grund den Täter zu dem, verbrecherischen Angriff vorsätzlich veranlasst oder sich ohne anerkennenswerten Grund grob fahrlässig der Gefahr ausgesetzt haben, Opfer eines Verbrechens zu werden,

3. an einem Raufhandeln teilgenommen und dabei die Körperverletzung oder die Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) erlitten haben oder

4. es schuldhaft unterlassen haben, zur Aufklärung der Tat, zur Ausforschung des Täters oder zur Feststellung des Schadens beizutragen.

[...]"

Grundsätzliche Voraussetzung für die Gewährung von Versorgungsleistungen für Gesundheitsschädigungen nach dem Verbrechensopfergesetz ist, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Antragsteller durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten hat und muss das schädigende Ereignis in ursächlichem Zusammenhang (Kausalzusammenhang) mit der Gesundheitsschädigung stehen.

Das VOG 1972 knüpft den Anspruch des Geschädigten an das Vorliegen einer zumindest bedingten vorsätzlichen Handlung iSd § 1 Abs. 1 VOG 1972. Eine ausreichende Wahrscheinlichkeit iSd § 1 Abs. 1 VOG 1972 ist erst gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (Hinweis E vom 6. März 2014, 2013/11/0219, mwN).

Die belangte Behörde begründete gegenständlich die Abweisung des Antrages damit, dass nicht mit Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen einer Straftat ausgegangen werden könne.

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt jedoch aus folgenden Gründen als gravierend mangelhaft:

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auf die von der Polizei, im Zuge deren Ermittlungen eingeholten Einvernahmen und die in weiterer Folge verfügte Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft. Des Weiteren legte sie das eingeholte Aktengutachten vom 07.03.2017 der Entscheidung zu Grunde, aus welchem hervorgeht, dass den vorgelegten ärztlichen Befunden die Ursache für das Schädel-Hirn-Trauma nicht zu entnehmen sei.

Die belangte Behörde verkennt dabei, dass im Strafverfahren eine andere Wahrscheinlichkeit über die Täterschaft gefordert wird als im Verbrechensopfergesetz. Gemäß § 210 StPO hat die Staatsanwaltschaft Anklage bei dem für das Hauptverfahren zuständigen Gericht einzubringen, wenn auf Grund ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung nahe liegt und kein Grund für die Einstellung des Verfahrens oder den Rücktritt von der Verfolgung vorliegt. Für eine Verurteilung im Strafverfahren wird jedoch gemeinhin subjektiv die volle Gewissheit über die Täterschaft und Schuld gefordert. Als objektives Mindestmaß gilt eine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit" (s. Lendl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 258 (Stand 1.8.2009, rdb.at) Rz 30).

Der Anspruch auf eine Leistung nach dem VOG hat damit nicht ein verurteilendes Straferkenntnis zu Voraussetzung, also nicht den Beweis, sondern lediglich die Annahme der "Wahrscheinlichkeit", dass der Anspruchswerber durch eine mit mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten hat und ihm dadurch Heilungskosten oder eine Minderung der Erwerbsfähigkeit entstanden sind (OGH 28.06.1994, 5Ob527/94)

Demnach folgt aus einer Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 190 Z. 2 StPO 1975 ebenso wenig zwingend wie aus dem Unterbleiben einer Anklage, dass die von § 1 VOG 1972 geforderte Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung nicht gegeben ist. Die Behörde hat vielmehr, so nicht eine bindende strafgerichtliche Verurteilung vorliegt, eine eigenständige, auf Feststellungen gegründete und schlüssige Beurteilung vorzunehmen (VwGH vom 21.08.2014, 2013/11/0251).

Durch Einvernahme des Beschwerdeführers, sowie der XXXX hätte sich die belangte Behörde einen persönlichen Eindruck von deren Glaubwürdigkeit verschaffen können. Indessen wurden lediglich die Protokolle der von der Polizei durchgeführten Einvernahmen gesichtet und gewürdigt. Dies betreffend ist im Übrigen auszuführen, dass sich aus der Einvernahme der XXXX in Zusammenschau mit der Einvernahme ihres Besuches XXXX an besagtem Abend einige Widersprüche ergeben bzw. noch Fragen offen bleiben, worauf die belangte Behörde im Rahmen einer persönlichen Befragung der XXXX eingehen und die Zeugin dazu befragen hätte können.

Beispielsweise gab XXXX einerseits bei der ersten Befragung durch die Polizei am 29.04.2015 im Krankenhaus der XXXX an, dass sie dem Beschwerdeführer gesagt habe, dass er von 23.04.2015 auf den 24.04.2015 nicht zu Hause übernachten könne, wohingegen sie in ihrer Einvernahme am 05.05.2015 zu Protokoll gab, dass sie ihrem Freund (dem Beschwerdeführer) mitgeteilt hätte, er könne erst um 1 Uhr nach Hause kommen, da sie mit ihrem "Ex-Freund" ein Gespräch hätte.

Fraglich ist ebenfalls, dass XXXX angab, ihr Exfreund XXXX sei um ca. 23:30 zu ihr gekommen und ungefähr nach einer Stunde habe der Beschwerdeführer am Haustor angeläutet. Sie sei bei diesem Gespräch zur Überzeugung gelangt, dass sie mit dem Beschwerdeführer zusammen sein und die Beziehung zu ihrem Exfreund endgültig beenden wolle. Dies habe sie ihrem Exfreund mitgeteilt, woraufhin dieser die Wohnung kurz verlassen habe und dann noch einmal kurz zurückgekommen sei und ihre Wohnung endgültig gegen 2 Uhr verlassen habe.

Beispielsweise bleibt aus ihrer Befragung unbeantwortet, welche Reaktion ihr Exfreund auf ihre Erklärung, die Beziehung endgültig beenden zu wollen, zeigte.

Ihr Exfreund XXXX schilderte den Verlauf des besagten Abends hingegen völlig im Widerspruch stehend zu den Angaben der XXXX . An diesem Abend sei er kurz bei Anita in der Wohnung gewesen und habe unter anderem Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt. Er habe sich Geld von ihr ausborgen wollen und sei höchstens 15 bis 20 Minuten in der Wohnung gewesen. Vier Freunde hätten vor der Tür auf ihn gewartet. Dass Anita an diesem Abend mit ihm Schluss gemacht hätte, daran könne er sich nicht erinnern.

Als unschlüssig in der Schilderung der XXXX empfindet es das Bundesverwaltungsgericht, dass der Beschwerdeführer - nach ihren Angaben gegen 00:30 Uhr - an der Wohnungstür geläutet habe. Der Beschwerdeführer gab in seiner Befragung am 16.07.2015 hingegen an, das Haustor selbst aufgesperrt zu haben, als ihn dann plötzlich drei Männer angegriffen hätten. Dass der Beschwerdeführer nicht geläutet hat, sondern das Haustor selbst aufgesperrt hat, erscheint dem Gericht vor dem Hintergrund des Umstandes, dass er dort auch selbst gewohnt hat, plausibler, als die diesbezügliche Darstellung der XXXX

.

Es wäre zudem notwendig den Beschwerdeführer im Zuge seiner Einvernahme auch mit dem Anrufprotokoll seines Mobiltelefons zu konfrontieren, wonach er um 00:26 Uhr, 00:28 Uhr und 00:29 Uhr; weiters um 01:01 Uhr, 01:10 Uhr, 01:12 Uhr, 01:15 Uhr und 01:21 Uhr und 14 weitere Anrufversuche ab 01:41 Uhr an XXXX tätigte und um 04:37 Uhr und 04:45 Uhr Anrufversuche von XXXX am Handy des Beschwerdeführers aufscheinen.

Durch die Unterlassung der persönlichen Einvernahmen hat die belangte Behörde wesentliche Beweismittel nicht genützt, um zur Feststellung des Sachverhaltes zu gelangen und somit notwendige Ermittlungen unterlassen. Damit erweist sich das verwaltungsbehördliche Verfahren aufgrund nicht durchgeführter Ermittlungen grob mangelhaft, da die belangte Behörde im gegenständlichen Fall bloß ansatzweise ermittelte.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zumindest den Beschwerdeführer, XXXX und die vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Zeugin Andrea Maria einzuvernehmen und deren Aussagen entsprechend den im Verbrechensopfergesetzt festgelegten und von der Judikatur konkretisierten Kriterien zur Wahrscheinlichkeit zu würdigen haben.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Sollte die belangte Behörde zu dem Ergebnis einer wahrscheinlich erlittenen Straftat gelangen, werden die gesundheitlichen Auswirkungen - unter Beiziehung von medizinischen Sachverständigen - zu ermitteln sein und die vom Beschwerdeführer in seinem Antrag geltend gemachten Hilfeleistungsansprüche - konkret zu prüfen sein (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2018/11/0072).

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht liegt im Lichte obiger rechtlicher Ausführungen und unter Berücksichtigung der bereits genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Sinne des Gesetzes. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - auch nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Einvernahme, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Straftat, Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W166.2185361.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten