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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Jerry Tettey in Tulln, geboren am 6. Mai 1955, vertreten durch Dr. Peter Kolb, Rechtsanwalt in Tulln, Wiener Straße 18, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. April 1996, Zl. 4.337.668/6-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana, der am 16. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 21. April 1992 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 24. April 1992 niederschriftlich einvernommen.
Hiebei gab er im wesentlichen an, er sei seit 1991 Mitglied der NCCN, einer Unterorganisation der CPP (Konventions-Volkspartei). Dabei handle es sich um eine legale Partei, die aus den alten Parteien durch die Regierung neu gegründet worden sei. Der Beschwerdeführer sei in Koforidua Leiter der Öffentlichkeitsarbeit gewesen. In einer Rede am 21. März 1992 habe er die Parteichefs der alten regierenden Parteien zum Rücktritt aufgefordert sowie zu einem neuen Anfang in der neuen Partei fair und ohne der bisherigen obligaten Korruption eingeladen. Er sei am 27. März 1992 inhaftiert worden. Man habe den Widerruf seiner Rede sowie eine "Sympathieerklärung" für die Regierung verlangt. Man habe ihm die Beistellung des geforderten Rechtsanwaltes verwehrt. Es sei ihm mitgeteilt worden, daß man ihn in Accra vor Gericht bringen müsse, weil er falsche Aussagen gemacht habe. Er sei während der folgenden Tage wiederholt brutal geschlagen worden. Am 1. April 1992 habe ihm ein Korporal mitgeteilt, daß er im Falle der Überstellung nach Accra sicher verurteilt werden würde und "vermutlich, ohne daß es jemals bekannt werden würde, hingerichtet werden würde". Der Korporal habe ihm angeboten, sich bestechen zu lassen, um dem Beschwerdeführer zur Flucht zu verhelfen. Der Beschwerdeführer habe dies über seine Lebensgefährtin organisiert und es sei ihm am 2. April 1992 die Flucht aus dem Gefängnis gelungen.
Mit dem Bescheid vom 20. Mai 1992, zugestellt am 1. Juni 1992, stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht zuträfen.
In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine Angaben bei der niederschriftlichen Einvernahme und ergänzte, daß der Korporal, der ihm zur Flucht verholfen habe, wegen Beihilfe zu dieser Flucht bereits vom Dienst suspendiert worden sei. Die beiden Geschäfte des Beschwerdeführers seien von der Regierung beschlagnahmt und sein Vermögen sei eingefroren worden.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem Bescheid vom 27. Dezember 1993 ab. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 2. März 1995, Zl. 94/19/1379, den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil die belangte Behörde irrtümlich das Asylgesetz 1991 in Ansehung der Flüchtlingseigenschaft anstelle des richtigerweise anzuwendenden Asylgesetzes (1968) angewendet hatte und die Berufungsbehörde aufgrund des noch in unbereinigter Form geltenden § 20 Abs. 2 AsylG 1991 ihrer Überprüfungsfunktion nur eingeschränkt hatte nachkommen können.
Mit dem Bescheid vom 26. April 1996 wies die belangte Behörde die Berufung neuerlich ab. Sie begründete den Bescheid damit, daß die wesentlichen Angaben des Beschwerdeführers unglaubwürdig seien. Dies begründete die belangte Behörde folgendermaßen:
"Sie behaupten in Ihrem Vorbringen, als Angehöriger der "legalen" Partei NCCN ("National Coordinating Committee of Nkrumahists"), Unterorganisation der CPP ("Convention People"s Party), die Parteichefs der alten regierenden Partei zum Rücktritt aufgefordert zu haben.
Diesbezüglich kann Ihren Ausführungen kein Glaube geschenkt werden, zumal Ghana bis zum 07.01.1993 keine "regierenden Parteien" kannte, zumal Ghana zuvor eine Militärdiktatur war und erst am 07.01.1993 zu einem demokratischen Mehrparteiensystem zurückkehrte. Daß Sie zum damaligen Zeitpunkt einer "legalen" Partei angehört hätten, widerspricht jeglicher Realität.
Die Eklatanz Ihrer Unkenntnis der politischen Lage in Ghana wie auch die Unfundiertheit Ihrer Angaben hinsichtlich Ihrer angeblichen politischen Tätigkeit macht völlig unglaubwürdig, daß Sie sich aus Gründen im Sinne der Fluchttatbestände der Genfer Flüchtlingskonvention außerhalb Ihres Heimatlandes befinden. Es ist weiters festzuhalten, daß die CPP bereits im Februar 1991 zu weniger wichtigen bzw. sogar aufgelösten Bewegungen zählte. Das aktive Eintreten für eine Organisation ist (nur dann) glaubhaft, wenn der Asylsuchende hinreichende Kenntnisse über ihre Zielsetzung, örtliche Struktur und Arbeitswesen nachweist und seinen Beitritt, seine Motive und Tätigkeiten für diese Organisation im einzelnen in zeitlich örtlich nachvollziehbarem Zusammenhang darlegt und diese Angaben durch seine persönliche Glaubwürdigkeit untermauert.
Die ehemalige NCCN, jetzige NCP ("National Convention Party"), unterstützt den einstigen Militärmachthaber und jetzigen Präsidenten J.J. Rawlings.
Daß Sie im Falle einer Rückkehr nach Ghana mit einer Inhaftierung zu rechnen hätten, ist als unglaubwürdig einzustufen, zumal es sich bei der NCP ehemals NCCN um eine regierungskonforme Organisation handelt.
Auch sind die von Ihnen behaupteten Angaben bezüglich Ihrer "Flucht" aus dem Gefängnis unglaubwürdig, zumal ein Korporal wohl kaum seine Position riskiert und noch weitere Konsequenzen auf sich nimmt, indem er einen Häftling frei läßt, wenn auch entgeltlich.
Als glaubwürdig können Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluß aufdrängen, daß sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollen, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Ihrer erstinstanzlichen Befragung ist ein Dolmetsch beigezogen gewesen, weshalb allfällige Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen der Einvernahme auszuschließen sind."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist ein Denkprozeß, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 549 ff, abgedruckte hg. Judikatur).
Die Begründung der belangten Behörde ist in sich widersprüchlich. Einerseits geht sie - ohne hierüber ein Ermittlungsverfahren durchgeführt zu haben oder bekanntzugeben, woher sie ihre Kenntnisse erlangt habe - davon aus, daß es vor dem 7. Jänner 1993 in Ghana wegen der Militärdiktatur keine "legalen" Parteien gegeben habe, andererseits hält sie selbst fest, daß die CPP bereits im Februar 1991 zu weniger wichtigen bzw. sogar aufgelösten Bewegungen zählte, und insbesonders, daß die ehemalige NCCN, jetzige NCP, den einstigen Militärmachthaber und jetzigen Präsidenten unterstütze. Berücksichtigt man den Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers im April 1992, also zu einem Zeitpunkt, zu dem den Behauptungen der belangten Behörde folgend, im Heimatland des Beschwerdeführers noch eine Militärdiktatur herrschte, erscheint es keineswegs unplausibel, daß ein Militärmachthaber (eine) Partei(en) "legal" weiterbestehen läßt oder sie sogar selbst gründet, wenn ihn diese Partei(en) unterstützen. Ohne Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse, auf welche die belangte Behörde die Ansicht stützt, es habe zu diesem Zeitpunkt in Ghana keine legalen Parteien gegeben, kann den Ausführungen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit daher nicht schlüssig abgesprochen werden.
Insoferne die belangte Behörde die Furcht des Beschwerdeführers vor Inhaftierung bei Rückkehr in seine Heimat als unglaubwürdig einstuft, weil er einer regierungskonformen Organisation angehöre, verkennt sie den Inhalt der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers. Denn es kommt nicht auf die bloße Zugehörigkeit zu einer Partei an, sondern um das persönliche Verhalten. Der Beschwerdeführer hat ausdrücklich angegeben, er habe seine Stellung in der Partei zu einer Kritik an den Regierenden genützt und sei aufgrund dieser Kritik - und nicht wegen seiner Parteizugehörigkeit - verhaftet und mißhandelt worden. Damit hält auch dieses Argument der belangten Behörde einer Überprüfung nicht stand.
Die Würdigung der belangten Behörde, daß ein Korporal "wohl kaum seine Position riskiert und noch weitere Konsequenzen auf sich nimmt, indem er einen Häftling freiläßt, wenn auch entgeltlich", ist eine reine, durch keine allgemeinen Erfahrungssätze oder Ergebnisse von Ermittlungen gestützte Spekulation. Sie steht im Widerspruch mit den vielfach belegten Erfahrungen des täglichen Lebens, daß Bestechungsgelder Menschen zu Handlungen bringen, die gegen die geltenden Gesetze oder gegen die Regierenden gerichtet sind.
Daß der Beschwerdeführer seine Angaben im Laufe des Verfahrens geändert oder widersprüchlich abgegeben habe, steht mit dem Akteninhalt nicht im Einklang. Somit geht auch der Hinweis der belangten Behörde auf die Beiziehung eines Dolmetschers zur erstinstanzlichen Befragung ins Leere.
Damit erweisen sich alle Argumente der belangten Behörde, welche sie zur Belegung der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers in der Begründung des angefochtenen Bescheides aufzählt, als unschlüssig.
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde beruht daher einerseits auf Annahmen, die nicht in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden, und widerspricht andererseits den Denkgesetzen.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010963.X00Im RIS seit
20.11.2000