TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/3 G314 2226888-1

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Veröffentlicht am 03.03.2020
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Entscheidungsdatum

03.03.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2226869-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des slowakischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.11.2019, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots beschlossen (A) und zu Recht erkannt (B):

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: "Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen."

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde in Österreich wiederholt strafgerichtlich verurteilt. Mehrfach wurden gegen ihn aufenthaltsbeendende Maßnahmen erlassen und durchgesetzt. Zuletzt wurde er am 28.08.2019 im Bundesgebiet festgenommen und bis 27.12.2019 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde er zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 04.10.2019 wurde der BF aufgefordert, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er kam dieser Aufforderung nicht nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Die vom BF gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Er habe keine familiären Anbindungen im Bundesgebiet; sein Privatleben stünde dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, mit der er die Behebung des angefochtenen Bescheids, in eventu die Verkürzung des Aufenthaltsverbotes, anstrebt und hilfsweise auch einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag stellt. Begründet wird die Beschwerde zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft und die Entscheidung unzureichend begründet worden sei. Der Bescheid sei ohne vorhergehende Einvernahme des BF erlassen worden. Er habe in der Vergangenheit lange in Österreich gelebt und gearbeitet; er verfüge über enge soziale Bindungen, die die Behörde nicht berücksichtigt habe.

Der BF wurde am 27.12.2019 nach Verbüßung des unbedingten Strafteils aus der Haft entlassen und am selben Tag in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie abzuweisen. In einer Stellungnahme weist es auf die massive Straffälligkeit des BF hin.

Feststellungen:

Der ledige und kinderlose BF ist slowakischer Staatsangehöriger und kam am XXXX in der slowakischen Stadt XXXX zur Welt. Seine Muttersprache ist Slowakisch; er spricht gebrochen Deutsch. Er besuchte neun Jahre die Grundschule und danach drei Jahre eine Berufsschule. Er absolvierte eine Ausbildung zum Automechaniker, war zuletzt jedoch in seinem Herkunftsstaat ohne Beschäftigung. Seine Eltern leben in der Slowakei (Vollzugsinformation AS 170; Strafurteil AS 177; Niederschrift vor dem BFA AS 55).

Der BF besitzt einen im Oktober 2013 in XXXX ausgestellten und bis Oktober 2023 gültigen slowakischen Personalausweis (Anzeigen AS 29 und 112). Ihm wurde in Österreich nie eine Anmeldebescheinigung ausgestellt (Auszug Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister); er war im Bundesgebiet nie sozialversichert (Versicherungsdatenauszug AS 122).

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde er wegen qualifizierter Diebstahlsdelikte (§§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 erster, zweiter und vierter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei ein zwölfmonatiger Strafteil und der nach Anrechnung der Vorhaft offene Strafrest zunächst bedingt und 2016 (nach Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre) endgültig nachgesehen wurden (Strafregisterauszug). Aufgrund dieser Verurteilung wurde gegen ihn mit Bescheid vom XXXX.12.2010 ein bis 13.02.2018 gültiges Aufenthaltsverbot erlassen und er am 17.02.2011 in die Slowakei abgeschoben (Auszug Zentrales Fremdenregister AS 16).

Im Mai 2012 wurde der BF erneut im Bundesgebiet verhaftet (ZMR-Auszug). Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde gegen ihn wegen qualifizierter Diebstahlsdelikte (§§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 StGB) eine zehnmonatige Freiheitsstrafe verhängt (Strafregisterauszug). Mit Beschluss vom 08.01.2013 wurde vom Strafvollzug vorläufig gemäß § 133a StVG abgesehen, worauf der BF am 10.01.2013 freiwillig in seinen Herkunftsstaat zurückkehrte (Durchführungsbericht AS 1 ff).

Am 19.01.2013 wurde der BF in XXXX festgenommen (Anlassbericht AS 24 ff), bis 22.03.2013 in den Justizanstalten XXXX und XXXX angehalten (Zentrales Melderegister) und anschließend in die Slowakei abgeschoben (Auszug Integriertes Zentralregister AS 43). Am 12.03.2014 wurde er abermals in XXXX verhaftet (Anzeige und Anhalteprotokoll AS 29 ff), in Schubhaft genommen (Mandatsbescheid AS 56 ff) und am nächsten Tag in die Slowakei abgeschoben (Bericht AS 89).

Am 08.05.2019 und am 23.07.2019 wurde der BF in XXXX fremdenpolizeilichen Kontrollen unterzogen. Da er sich schon seit Anfang des Jahres 2019 im Bundesgebiet aufhielt, keiner Erwerbstätigkeit nachging und obdachlos war, hatte das BFA vor, gegen ihn eine Ausweisung gemäß § 66 FPG bzw. ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG zu erlassen und forderte ihn auf, sich dazu zu äußern (Schreiben AS 100 ff, Anzeige AS 112 ff, Schreiben AS 123 ff). Der BF erstattete keine Stellungnahme.

Am 28.08.2019 wurde der BF verhaftet und anschließend in Untersuchungshaft genommen (Personeninformation AS 160, Vollzugsinformation AS 170 ff). Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX, XXXX, wurde er wegen der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 erster Satz StGB) und der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei ein achtmonatiger Strafteil unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass er am 28.08.2019 versuchte, Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung (Wegweisung gemäß § 81 Abs Z 1 SPG sowie Festnahme) zu hindern, indem er einem Polizisten Schläge mit der flachen Hand und mit der Faust versetzte, sich heftig wehrte und versuchte, um sich zu schlagen, sodass zwei Polizisten zu Sturz kamen. Durch diese Tathandlungen verletzte er einen Beamten während der Vollziehung seiner Aufgaben vorsätzlich am Körper; dieser erlitt eine Schwellung am Knöchel. Ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe nach dem ersten Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB wurde bei der Strafbemessung als mildernd gewürdigt, dass der BF einen Beitrag zur Wahrheitsfindung leistete und es teilweise beim Versuch blieb. Erschwerend war das Zusammentreffen von zwei Vergehen (Strafurteil vom 30.09.2019 AS 177 ff).

Der BF war - abgesehen von einer Hauptwohnsitzmeldung von Dezember 2010 bis Februar 2011 - in Österreich nur dann meldeamtlich erfasst, wenn er in Justizanstalten angehalten wurde (ZMR-Auszug). Er hat im Bundesgebiet keine familiären oder gesellschaftlichen Bindungen. Er ist gesund und arbeitsfähig (Niederschrift vor dem BFA AS 55).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen.

Die Identität des BF ergibt sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil. Seine familiären Verhältnisse ergeben sich aus seinen plausiblen und nachvollziehbaren Angaben vor dem BFA. Kenntnisse der slowakischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft naheliegend und gehen auch aus der Vollzugsinformation hervor; zumindest rudimentäre Deutschkenntnisse sind ob der mehrfachen Aufenthalte in Österreich plausibel.

Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und seiner Angabe vor dem BFA vom 12.03.2014, er sei zur Arbeitsaufnahme nach Österreich eingereist (AS 55). Die prekären finanziellen Verhältnisse des BF stehen mit der im Strafurteil (AS 177) genannten Beschäftigungslosigkeit im Einklang sowie mit seiner Angabe, seinen Lebensunterhalt durch Betteln zu finanzieren (AS 122).

Die Feststellungen zur schulischen und beruflichen Ausbildung des BF basieren auf seinen Angaben dazu vor dem BFA vom 12.03.2014 (AS 55).

Die Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendenden Maßnahmen ergeben sich aus den aktenkundigen Fremdenregisterauszügen sowie den Berichten über Außerlandesbringungen.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX. Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig. Die Feststellungen zum Strafvollzug basieren auf der Vollzugsinformation und den Wohnsitzmeldungen in Justizanstalten laut dem Zentralen Melderegister (ZMR).

Dem unsubstanziierten Vorbringen des BF, wonach er über einen längeren Zeitraum in Österreich gelebt habe und hier auch gearbeitet habe (AS 204), kann nicht gefolgt werden. Der BF scheint - abgesehen vom Zeitraum Dezember 2010 bis Jänner 2011 und der Unterbringung in Justizanstalten - nicht im ZMR auf. Laut Auskunft der Sozialversicherung war er hier nie sozialversichert; zwischen 2010 und 2018 bestand überdies ein Aufenthaltsverbot. Weder den Angaben des BF noch den Verwaltungsakten oder dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) ist zu entnehmen, dass ihm einmal eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Es sind keine Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich zutage getreten, die über die Feststellungen hinausgeht. Sein Lebensmittelpunkt befand sich bislang offenbar in seinem Herkunftsstaat, wo auch familiäre Anknüpfungen bestehen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Zur in der Beschwerde behaupteten Verletzung des Parteiengehörs ist festzuhalten, dass allein der Umstand, dass die Behörde den BF nicht persönlich einvernommen hat, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn sie dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entspricht. Aufgrund der Verständigungen vom Ergebnis der Beweisaufnahme hatte der BF mehrfach Gelegenheit, in diesem Verfahren Stellung zu nehmen. Letztlich ist auch aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, von einer Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen, zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt (vgl. VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056).

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Der BF ist slowakischer Staatsbürger und somit EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den als EWR-Bürger unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten BF zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§67 Abs 3 Z 1 FPG).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Wenn die Rechtsvertretung des BF vorbringt, dass sich dieser bereits länger im Bundesgebiet aufgehalten habe und somit gemäß § 51 Abs 1 NAG iVm Art 7 lit a und b der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei, so sei dem entgegengehalten, dass er mangels Erwerbstätigkeit (oder der Erfüllung anderer Voraussetzungen für ein drei Monate übersteigendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht) keinesfalls ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Hier ist daher der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 zweiter bis vierter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an nationaler Sicherheit, der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die strafrechtliche Verurteilung wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt und der damit einhergehenden schweren Körperverletzung, die Wirkungslosigkeit vorangegangener Sanktionen und die wiederholte Missachtung fremdenrechtlicher Bestimmungen führen dazu, dass für den BF derzeit keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Der BF hat kein Familienleben in Österreich und geht hier auch keiner Erwerbstätigkeit nach. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er hier Sozialkontakte geknüpft hat, zumal er immer wieder in das Bundesgebiet zurückkehrte, sodass das Aufenthaltsverbot in sein Privatleben eingreift. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der Eingriff in das Privatleben des BF verhältnismäßig ist, zumal er in der Slowakei familiäre Anknüpfungen hat und aufgrund der Verstöße gegen fremdenrechtliche Bestimmungen sowie der zuletzt begangenen Straftaten ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung besteht. Der BF kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs pflegen. Im Inland lebende Freunde können den BF ob der Nähe zu seinem Heimatstaat auch dort besuchen. Es ist ihm zumutbar, sich außerhalb von Österreich niederzulassen, zumal er in einem erwerbsfähigen Alter, gesund und alleinstehend ist und sich nie für längere Zeit kontinuierlich im Bundesgebiet aufhielt. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da sich der BF jedoch im Strafverfahren geständig verantwortete, das Strafgericht mit einer im mittleren Bereich des Strafrahmens angesiedelten Strafe das Auslangen fand und nur ein kurzer Strafteil unbedingt ausgesprochen werden musste, ist aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der von ihm zu verantwortenden Verstöße gegen die Rechtsordnung ein vierjähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit wirksam zu begegnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist insoweit in Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde abzuändern.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Ob der gravierenden Straftaten des BF, der Wirkungslosigkeit früherer Sanktionen, der Missachtung des zuvor erlassenen Aufenthaltsverbots und der mit der Beschäftigungslosigkeit des BF verbundenen Wiederholungsgefahr ist dem BFA darin beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich war. Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet ist.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil C):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, aufschiebende Wirkung - Entfall, Geständnis,
Herabsetzung, Interessenabwägung, Milderungsgründe, öffentliche
Interessen, strafrechtliche Verurteilung, Unrechtsgehalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2226888.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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