TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/22 96/01/0346

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Veröffentlicht am 22.04.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Peter Ogieriakhi in Graz, geboren am 14. Juli 1962 (lt. Berichtigungsbescheid vom 23. August 1996), vertreten durch Dr. Manfred Thorineg, Rechtsanwalt in Graz, Kalchberggasse 8/1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Oktober 1995, Zl. 4.336.364/10-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, der am 20. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 23. April 1992 die Gewährung von Asyl.

Der Beschwerdeführer wurde am 27. April 1992 niederschriftlich einvernommen. Er gehöre der römisch-katholischen Religion an und sei Schüler bzw. Gehilfe in der Kirche in Benin gewesen. Zu seinen Fluchtgründen brachte er vor:

"Ich war in meiner Heimat nie bei einer politischen Organisation als Mitglied.

Ich bin Katholik in Nigeria. In Nigeria toben seit längerer Zeit schwere Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Christen.

Am 14.10.1991 fuhr ich nach Kano zu einem großen Treffen der Christen. Während des Treffens kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit dem Moslems. Viele Menschen wurden getötet und Kirchen niedergebrannt und zerstört.

Bei diesen Auseinandersetzungen wurde ich ebenfalls verletzt. Mein Vater riet mir daraufhin nach Ungarn zu flüchten. Er gab mir seinen Reisepaß, in welchen er mein Foto einklebte.

Aus Angst um mein Leben entschloß ich mich zur Flucht. Die Moslems überfielen alle Christen, die an dem Treffen in Kano teilnahmen, viele wurden auch schon getötet.

Würde ich nach Nigeria zurückkehren, würde ich wahrscheinlich getötet werden."

Seinen Reisepaß habe er in Ungarn verloren.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark stellte mit dem Bescheid vom 1. Juni 1992 fest, daß beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht zuträfen. In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer die "allgemeine pauschale" Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und erklärte, daß er seine bisher gemachten Angaben aufrecht erhalte. Darüber hinaus brachte er folgenden Sachverhalt vor:

"Ich bin Christ. Seit meinem neunten Lebensjahr lebte ich bei einem Priester, der aus Amerika stammte. Er nahm mich nach dem Tode meines Vaters bei sich auf.

Ich lebte bei ihm. In Nigeria gab es ständig Schwierigkeiten mit den Moslems.

Am 14.10.1991 kam es zu großen Auseinandersetzungen. Seit damals herrschte Krieg zwischen den Moslems und den Christen. Eines Tages, ich kam gerade aus der Kirche und war auf dem Weg zu einem Freund, wurde ich von Moslems gefangen. Sie zerrten mich in ein Versteck. Dort wurde ich zusammengeschlagen. Ich war ungefähr 45 Minuten bewußtlos. Als ich wieder zu mir kam, wußte ich nicht wo ich war. Ich bemerkte, daß mir die Moslems einen Zahn ausgeschlagen hatten. Als ich bewußtlos war, liefen die Moslems davon. Einige meiner Freunde verständigten den Priester. Er holte mich mit seinem Auto ab und brachte mich zur Kirche zurück. Nach diesem Vorfall beschloß der Priester nach Amerika zurückzugehen. Ich bat ihn mich mitzunehmen, aber er meinte, daß er mich nicht nach Amerika mitnehmen kann, versprach aber, mir bei der Flucht aus Nigeria zu helfen. Ich sollte ihm Paßfotos bringen, was ich auch tat. Er organisierte mir einen Reisepaß, den ich im November 1991 erhielt."

Im Akt findet sich sodann eine Mitteilung über die Auffindung des nigerianischen Reisepasses des Beschwerdeführers in St. Johann, in welchem das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit 14. Juli 1962 eingetragen sei. Der Reisepaß beziehe sich eindeutig auf den Beschwerdeführer und stimme mit dem nigerianischen Führerschein des Beschwerdeführers überein.

Hierauf erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 16. September 1993, welcher aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/19/1141, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde, weil die belangte Behörde irrtümlich das Asylgesetz 1991 in Ansehung der Flüchtlingseigenschaft angewendet hat.

Mit dem (Ersatz-)Bescheid vom 24. Oktober 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers erneut ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei. Dieser Bescheid wurde hinsichtlich des darin genannten Geburtsdatums (14. April 1963) durch Bescheid der belangten Behörde vom 23. August 1996 auf 14. Juli 1962 berichtigt. Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid damit, daß Fluchtgründe im allgemeinen nicht als glaubwürdig angesehen werden könnten, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstelle, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar seien und daher unwahrscheinlich erschienen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringe. Ein Sachverhalt könne grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkannt werden, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluß aufdrängten, daß sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprächen. Der erstinstanzlichen Befragung sei ein Dolmetsch beigezogen worden, weshalb allfällige Verständigungsschwierigkeiten im Rahmen der Einvernahme auszuschließen seien. Im einzelnen begründete die belangte Behörde die Unglaubwürdigkeit der divergierenden Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der Gründe für seine Ausreise aus der Heimat folgendermaßen:

"Zum einen haben Sie im Zuge der niederschriftlichen Erstbefragung behauptet, daß es während eines großen Treffens der Christen am 14.10.1991, bei welchem auch Sie anwesend gewesen seien, zu schweren Auseinandersetzungen mit den Moslems gekommen sei, wobei zahlreiche Personen den Tod gefunden hätten, die Kirche zerstört worden sei und Sie Verletzungen davongetragen hätten.

Zum anderen haben Sie jedoch in der Begründung Ihres Berufungsantrages ausgeführt, daß es am 14.10.1991 zu großen Auseinandersetzungen mit den Moslems gekommen sei und seither gäbe es Krieg zwischen den Christen und Moslems. Dies erweckt den Eindruck, daß Sie zwar von dem genannten Ereignis am 14.10.1991 allgemein Kenntnis erlangt hätten, jedoch selbst in keiner Weise involviert gewesen sind. Vielmehr sind Sie - Ihren eigenen Angaben zufolge - von Moslems "eines Tages", also offensichtlich nicht konkret am 14.10.1991, gefangengenommen worden, als Sie die Kirche verlassen hätten und nicht, wie bei Ihrer Erstbefragung angegeben, im Zuge des christlichen Treffens. Auch im Hinblick auf die unterschiedliche Darstellung Ihrer Bezugsperson - Vater bzw. Priester - kann Ihrem Vorbringen nicht die volle Glaubwürdigkeit zuerkannt werden. Haben Sie doch bei Ihrer niederschriftlichen Ersteinvernahme vorgebracht, Ihr "Vater" hätte Ihnen zur Ausreise aus dem Heimatland geraten und Ihnen seinen Reisepaß, versehen mit Ihrem Foto, übergeben, mit welchem Sie dann ausgereist seien. In der Begründung des Berufungsantrages haben Sie dargestellt, daß Sie seit Ihrem neunten Lebensjahr, nach dem Tod Ihres Vaters, bei einem amerikanischen Priester gelebt hätten, welcher Ihnen nach den geschilderten Ereignissen einen Reisepaß organisiert hätte."

Darüber hinaus führte die belangte Behörde offensichtlich für den Fall der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers in rechtlicher Sicht aus, daß dem Beschwerdeführer nicht Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen drohte bzw. derzeit für den Fall einer etwaigen Rückkehr in seine Heimat drohe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer tritt der Würdigung seiner Angaben als unglaubwürdig in der Beschwerde einerseits damit entgegen, daß er unter Punkt "I. Sachverhalt" darstellt, der in der Berufung geschilderte Vorgang habe sich am 14. Oktober 1991 in Kano ereignet, andererseits damit, daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Ersteinvernahme das englische Wort "father" (welches im Deutschen mit Vater, Gott (Vater) bzw. Pater, Priester übersetzt werde) verwendet und nicht seinen leiblichen Vater damit gemeint habe. Es dürfe auch nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer seit seinem 9. Lebensjahr beim Priester gelebt habe und dieser für ihn sicher einen Ersatzvater dargestellt habe.

Die Beweiswürdigung ist ein Denkprozeß, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 549 ff, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Dem Beschwerdeführer ist dahingehend zu folgen, daß er mit der Verwendung des Wortes "father" bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme aufgrund der möglichen Übersetzungen nicht zwingend seinen leiblichen Vater gemeint haben muß, sondern den Priester, bei dem er nach den Berufungsausführungen gelebt hat. In diesem Punkt ist die Beweiswürdigung der belangten Behörde daher nicht aufrechtzuerhalten.

Allerdings ist dem Beschwerdeführer nicht zu folgen, wenn er den in der Berufung geschilderten Vorfall mit dem in der Ersteinvernahme geschilderten Vorfall vom 14. Oktober 1991 zu verbinden versucht und hierin keinen Widerspruch zu erkennen vermeint. Denn der anläßlich der Ersteinvernahme geschilderte Vorfall vom 14. Oktober 1991 fand nicht in der Heimatstadt des Beschwerdeführers (Benin) statt, sondern der Beschwerdeführer begab sich nach dieser Darstellung nach Kano zu einem großen Christentreffen. Hingegen ist der in der Berufung genannte Vorfall nicht nur durch Absatz und unterschiedliche Zeitnennung (14. Oktober 1991 betreffend Auseinandersetzung zwischen Moslems und Christen; eines Tages hinsichtlich des dem Beschwerdeführer widerfahrenen Vorfalles) abgesetzt, sondern auch inhaltlich nicht mit den Vorfällen in Kano am 14. Oktober 1991 in Einklang zu bringen. Denn der in der Berufung geschilderte Vorfall habe sich ereignet, als der Beschwerdeführer gerade aus der Kirche gekommen sei und sich auf dem Weg zu einem Freund befunden habe. Nach dem Vorfall habe der Priester den Beschwerdeführer "zur Kirche zurück" gebracht. In Übereinstimmung mit den Angaben des Beschwerdeführers zum Beruf (Schüler bzw. Gehilfe in der Kirche in Benin) kann nach dem objektiven Erklärungsgehalt damit nur ein Vorfall in Benin, ausgehend von der Kirche, in der der Beschwerdeführer tätig war, zu verstehen sein. Es ist dem Beschwerdeführer daher nicht gelungen, diesen Widerspruch aufzuklären. Da es sich bei den jeweils genannten Ereignissen aber um das nach Behauptung des Beschwerdeführers fluchtauslösende Ereignis, somit um ein wesentliches Ereignis, gehandelt habe, durfte die belangte Behörde - auch alleine auf diesen Widerspruch gestützt - die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers annehmen.

Erachtete die belangte Behörde aber aufgrund schlüssiger Beweiswürdigung die Angaben des Beschwerdeführers über tatsächlich erfolgte oder ihm künftig individuell drohende Verfolgungshandlungen als unglaubwürdig, kann der darauf beruhende Schluß, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Ausgehend von dieser Sach- und Rechtslage erübrigt sich ein Eingehen auf die von der belangten Behörde für den Fall der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers herangezogene weitere Begründung und das hiegegen erstattete Beschwerdevorbringen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996010346.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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