Entscheidungsdatum
16.03.2020Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
G310 2229419-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, polnischer Staatsangehöriger, vertreten durch MMag. Wolfgang EBNER, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2020, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid
aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (BF) ist polnischer Staatsbürger. Er ist geschieden und hat keine Kinder. In Polen absolvierte er die Schulausbildung und besuchte vier Jahre lang eine technische Universität. Das Studium schloss er als Dipl. Ing. für EDV-Wesen ab. Seine Familie, bestehend aus seinen Eltern und Geschwistern, lebt nach wie vor in Polen. In Österreich leben keine Familienangehörigen.
Seit 18.10.2019 ist der BF mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Seit 01.04.2019 ist der BF bei einem in XXXX ansässigen Unternehmen als Monteur beschäftigt und verdient EUR 1.726,-- brutto. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Am 15.11.2019 wurde der BF einer Verkehrskontrolle unterzogen, wobei festgestellt wurde, dass der BF ein Fahrzeug in einem suchtmittelbeeinträchtigen Zustand gelenkt hat. Es folgte die Abnahme des polnischen Führerscheins und ein Verwaltungsstrafverfahren. Über den BF wurde wegen der Übertretung des § 99 Abs. 1b iVm § 5 Abs. 1 StVO eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 800,-- verhängt und ein auf ein Jahr befristeter Führerschein ausgestellt, mit der Auflage, sich monatlich einem Drogentest zu unterziehen. Auch erfolgte eine Anzeige wegen § 27 Abs. 2 SMG an die Staatsanwaltschaft XXXX. Eine strafgerichtliche Verurteilung ist bislang noch nicht erfolgt.
Am 18.11.2019 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom obigen Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Der BF wurde am 22.01.2020 vom BFA niederschriftlich einvernommen und gab an, dass er zur Unterstützung seines Krafttrainings Tabletten genommen habe, die er von einem Freund erhalten hätte, ohne sich zu erkundigen, welche Inhaltsstoffe enthalten sind. Erst bei der Verkehrskontrolle habe er erfahren, dass sich verbotene Substanzen in den Tabletten befunden haben.
Mit dem oben genannten Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit dem Verhalten des BF, speziell im Straßenverkehr, begründet, welches eine aktuelle und gegenwärtige Gefahr darstelle.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, das Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu, die Dauer herabzusetzen. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er in Österreich einer geregelten Arbeit nachgehe und somit beruflich integriert sei. Bislang sei es noch zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung gekommen. Die Ausstellung des befristeten Führerscheins signalisiere, dass vom BF keine erhebliche und gegenwärtige Gefahr ausgehe.
Das BFA legte die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 12.03.2020 einlangten, und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.
Rechtliche Beurteilung:
Der BF ist als Staatsangehöriger von Polen EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.
Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist dann an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Die Zurückverweisungsmöglichkeit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Eine Aufhebung des Bescheids kommt nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Die Verwaltungsgerichte haben nicht nur bei Vorliegen der in den Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG genannten Voraussetzungen in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nach Maßgabe des § 28 Abs. 3 VwGVG grundsätzlich auch dann, wenn trotz Fehlens dieser Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde dem nicht unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen hier die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das BVwG nicht vor. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch würde seine Feststellung durch das Gericht die Prozessökonomie fördern, zumal ganz gravierende Ermittlungslücken vorliegen.
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass § 67 FPG grundsätzlich (nur) Fälle schwerer Kriminalität erfasst und dem BFA bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots ein entsprechender Begründungsaufwand zukommt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).
Diesbezüglich ist zu beachten, dass § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe im Rahmen von EUR 800,-- bis 3.700,-- vorsieht und die Behörde demnach die Geldstrafe möglichst niedrig angesetzt hat. Dem BF wurde weiters ein befristeter Führerschein ausgestellt, um ihm eine Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen. Dass aus dem Verhalten des BF eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (im Straßenverkehr) in maßgeblicher Intensität abgeleitet werden kann, so dass ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erforderlich ist, geht aus der Begründung des Bescheids nicht hervor.
Auch ist der BF strafgerichtlich unbescholten und da wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe noch keine Verurteilung erfolgte, steht noch nicht fest, ob gegen ihn eine strafgerichtliche Sanktion verhängt werden muss und wenn ja, welche und wegen welcher konkreten Taten. Auch allfällige Strafzumessungsgründe sind naturgemäß noch nicht bekannt.
Da somit weitere relevanten Sachverhaltselemente für die vorzunehmende Gefährdungsprognose fehlen, kann noch nicht beurteilt werden, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot verhängt werden muss und wenn ja, in welcher Dauer. Auf der Grundlage
der bisherigen Ermittlungen des BFA ist daher noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren den Ausgang des Strafverfahrens gegen den BF abzuwarten haben und je nach dessen Ergebnis entscheiden müssen, ob gegen den BF ein Aufenthaltsverbot (oder allenfalls eine Ausweisung) und in welcher Dauer zu erlassen ist. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass der BF in Österreich einer vollversicherten Erwerbstätigkeit nachgeht und über ein regelmäßiges Einkommen sowie einen ordentlichen Wohnsitz verfügt. Weiters ist zu erheben, ob der BF seinen Kontrolluntersuchungen nachgekommen ist und inwieweit er soziale Bindungen in Österreich aufweisen kann.
Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Weiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das BVwG die Erhebungen selbst durchführt.
Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher - dem in der Beschwerde eventualiter gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag entsprechend - gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Die Revision war wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2229419.1.00Zuletzt aktualisiert am
28.04.2020