Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus und des subsidiären Schutzstatus betreffend einen homosexuellen irakischen StaatsangehörigenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) 1. und A) 2. des angefochtenen Erkenntnisses im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er stellte am 20. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 16. November 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.). Es erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht (Spruchpunkt III. erster Satz), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. zweiter Satz) und sprach aus, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III. dritter Satz). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
2.1. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen mit Erkenntnis vom 7. Jänner 2019 als unbegründet ab. Begründend führt es auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer wegen seiner homosexuellen Orientierung weder vor der Ausreise aus dem Irak einer individuellen Verfolgung durch Dritte oder durch staatliche Organe ausgesetzt gewesen sei, noch dass er im Falle einer Rückkehr in die Heimat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer solchen Verfolgung ausgesetzt wäre.
Zwar seien die homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers sowie sein vormaliges homosexuelles Beziehungsleben im Herkunftsstaat glaubwürdig, doch habe der Beschwerdeführer zunächst nur angegeben, auf Grund einer Bedrohung durch Angehörige der Terrororganisation IS seine Heimatstadt Mosul verlassen zu haben; Probleme wegen seiner sexuellen Orientierung habe er zunächst nicht behauptet. Er habe über sieben Jahre hinweg seine homosexuelle Orientierung in seiner Heimat ohne etwaige Bedrohungen oder Übergriffe durch Dritte oder durch staatliche Organe gelebt. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, dass er homosexuelle Beziehungen nur "im Geheimen" habe leben können, so habe die behauptete Geheim- bzw Zurückhaltung, weil über mehrere Jahre geübt, kein Ausmaß angenommen, das als maßgebliche Einschränkung des Ausdrucks seiner sexuellen Orientierung zu qualifizieren sei.
Zur Lage Homosexueller im Irak sei unter anderem festzustellen, dass weder der private noch der öffentliche Ausdruck einer homosexuellen Orientierung per se im Irak innerhalb der Jurisdiktionsgewalt der staatlichen Gerichte mit einer strafrechtlichen Sanktion verbunden sei. Tendenziell stehe die irakische Gesellschaft Angehörigen der LGBTI-Community skeptisch bis ablehnend gegenüber. Betroffene hätten für den Fall des Bekanntwerdens ihrer sexuellen Orientierung mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung durch Dritte zu rechnen. Das irakische Rechtssystem biete keine expliziten Möglichkeiten, gegen derlei Reaktionen rechtlich vorzugehen. Die ablehnende Haltung könne ihren Niederschlag innerhalb familiärer Strukturen, bis hin zu sogenannten "Ehrenverbrechen", finden. In den Jahren 2009, 2012 und 2014 sei es insbesondere in Bagdad zu einem gezielten Vorgehen von Mitgliedern schiitischer Milizen gegen einzelne Angehörige der LGBTI-Community gekommen. Mangels staatlicher Reaktion auf solche Vorfälle sowie der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz würden von NGOs vereinzelt eingerichtete Schutzeinrichtungen für Betroffene die einzige Möglichkeit darstellen, eine Unterstützung von Außenstehenden zu erhalten.
2.2. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer gemäß Art144 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 11. Juni 2019, E291/2019, hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Jänner 2019 auf, weil es den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzte.
3. Am 25. März 2019 schloss der Beschwerdeführer eine eingetragene Partnerschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen, mit dem er seit Juli 2018 einen gemeinsamen Wohnsitz im Bundesgebiet hat.
Am 5. Juni 2019 wurde dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers, gültig bis 4. Juni 2024, ausgestellt.
4. Im fortgesetzten Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. November 2015 wies das Bundesverwaltungsgericht mit nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenem Erkenntnis vom 28. Oktober 2019 die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch eines subsidiär Schutzberechtigten ab [Spruchpunkt A) 1.]. Es wies weiters die Beschwerde gegen Spruchpunkt III., erster Satz des Bescheides betreffend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen mit einer näheren Maßgabe ab [Spruchpunkt A) 2.]. Im Übrigen gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde teilweise statt und hob Spruchpunkt III., zweiter und dritter Satz des Bescheides betreffend die Rückkehrentscheidung und die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie Spruchpunkt IV. des Bescheides betreffend die Frist für die freiwillige Ausreise ersatzlos auf [Spruchpunkt A) 3.].
4.1. Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur homosexuellen Orientierung des Beschwerdeführers sowie zur Lage von Angehörigen der LGBTI-Community im Irak zunächst inhaltsgleiche Feststellungen wie in seinem Erkenntnis vom 7. Jänner 2019.
Die homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers sowie sein vormaliges homosexuelles Beziehungsleben im Herkunftsstaat seien glaubwürdig, doch habe er über sieben Jahre hinweg seine homosexuelle Orientierung in seiner Heimat ohne etwaige Bedrohungen oder Übergriffe durch Dritte oder durch staatliche Organe gelebt. Wenn der Beschwerdeführer vorbringe, dass er homosexuelle Beziehungen nur "im Geheimen" habe leben können, so habe die behauptete Geheim- bzw Zurückhaltung, weil über mehrere Jahre geübt, kein Ausmaß angenommen, das als maßgebliche Einschränkung des Ausdruckes seiner sexuellen Orientierung zu qualifizieren sei.
Es sei weder der private noch der öffentliche Ausdruck einer homosexuellen Orientierung per se im Irak innerhalb der Jurisdiktionsgewalt der staatlichen Gerichte mit einer strafrechtlichen Sanktion verbunden. Betroffene hätten für den Fall des Bekanntwerdens ihrer sexuellen Orientierung mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung durch Dritte zu rechnen. Das irakische Rechtssystem biete keine expliziten Möglichkeiten, gegen derlei Reaktionen rechtlich vorzugehen. Die ablehnende Haltung könne ihren Niederschlag innerhalb familiärer Strukturen, bis hin zu sogenannten "Ehrenverbrechen", finden. Angehörige der LGBTI-Community könnten, sofern ihre sexuelle Orientierung bekannt werden würde, auch im Rahmen von Amtshandlungen zu Opfern polizeilicher Gewalt werden, die sich auf eine diskriminierende oder ablehnende Haltung ihnen gegenüber gründe.
Auch die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes im angefochtenen Erkenntnis weicht nicht, jedenfalls soweit die Person des Beschwerdeführers und die Lage Homosexueller im Irak betroffen sind, von jener im Erkenntnis vom 7. Jänner 2019 ab.
4.2. Rechtlich führt das Bundesverwaltungsgericht zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz aus, dass der Beschwerdeführer als homosexuell orientierte Person im Irak zwar einer bestimmten sozialen Gruppe iSd Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 55/1955 idF BGBl 78/1974, (im Folgenden: GFK) bzw der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, (im Folgenden: Status-RL) angehöre.
Der Beschwerdeführer habe vor seiner Ausreise die Gefahr einer individuellen Verfolgung weder dadurch vermeiden müssen, indem er seine sexuelle Ausrichtung geheim halten habe müssen oder er beim Ausleben seiner sexuellen Orientierung größere Zurückhaltung habe üben müssen als heterosexuelle Personen noch wäre dies im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers erforderlich.
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Erkenntnisses im Umfang der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz beantragt wird.
6. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Derart qualifizierte Verstöße gegen das BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2. Mit Erkenntnis vom 11. Juni 2019, E291/2019, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Jänner 2019 im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt wurde und hob dieses auf.
Begründend führt der Verfassungsgerichtshof unter Verweis auf das Erkenntnis VfSlg 20.170/2017 im Wesentlichen aus, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ergebnisse seines eigenen Ermittlungsverfahrens und deren Bedeutung im Beschwerdefall verkannt habe. Das Bundesverwaltungsgericht habe das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine homosexuelle Orientierung für glaubhaft erachtet und sich daher im Weiteren mit der allgemein schwierigen Lage Homosexueller im Irak zwar auseinandergesetzt. Es habe zur Lage im Irak im Hinblick auf Angehörige der LGBTI-Community auch unterschiedliche Problemlagen festgestellt. Diese reichten von einer tendenziell skeptisch bis ablehnenden Haltung der irakischen Gesellschaft bis hin zu sogenannten "Ehrenverbrechen" oder polizeilicher Gewalt im Rahmen von Amtshandlungen. Das Bundesverwaltungsgericht habe aber eine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Heimatstaat auf Grund seiner homosexuellen Orientierung deswegen verneint, weil der Beschwerdeführer seinen Neigungen vor der Ausreise mehrere Jahre hinweg ohne Bedrohungen oder Übergriffe durch Dritte oder durch staatliche Organe hätte leben können.
Wörtlich führte der Verfassungsgerichtshof in der Folge zu dieser Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes aus:
"Es widerspricht der Anerkennung eines für die Identität so bedeutsamen Merkmals, auf das zu verzichten die Betroffenen nicht gezwungen werden dürfen, wenn von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, die die gleiche sexuelle Ausrichtung haben, verlangt wird, dass sie diese Ausrichtung geheim halten. Daher kann nicht erwartet werden, dass ein Asylwerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH 7.11.2013, verbRs C-199-201/12, X ua, Rz 70 f.; daran anknüpfend VfSlg 20.170/2017; siehe weiters VfGH 18.9.2014, E910/2014).
Vor diesem Hintergrund und angesichts der eigenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis über Verfolgungshandlungen gegenüber Menschen mit homosexueller Orientierung sowohl durch staatliche Organe wie durch Dritte hat es das Bundesverwaltungsgericht in gravierender Verkennung der Rechtslage unterlassen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bei offenem Bekenntnis zu seiner homosexuellen Orientierung im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevanter Bedrohung ausgesetzt wäre (vgl auch, ebenfalls auf die Entscheidung des EuGH in der Rs C-199-201/12, X ua, bezugnehmend, VwGH 20.9.2018, Ra 2018/20/0043, Rz 14: Die Auffassung des EuGH 'verkennend verneinte das BVwG eine bestehende Verfolgungsgefahr deshalb, weil der Revisionswerber seine sexuelle Orientierung offenbar bislang sehr diskret ausgelebt habe und insofern sein Sexualleben in Zukunft nicht ganz anders ausleben müsste'.)."
3. Das Bundesverwaltungsgericht geht auch im angefochtenen Erkenntnis weiterhin davon aus, dass der Beschwerdeführer homosexuell orientiert sei und im Herkunftsstaat über mehrere Jahre ein homosexuelles Beziehungsleben geführt habe. Weiteres wiederholt es die schon in seinem Erkenntnis vom 7. Jänner 2019 getroffenen Feststellungen, denen zufolge Personen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung im Irak mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung durch Dritte zu rechnen haben. Solche Personen könnten, insofern ihre sexuelle Orientierung bekannt würde, deswegen auch im Rahmen von Amtshandlungen zu Opfern polizeilicher Gewalt werden.
Ausgehend davon setzt sich das Bundesverwaltungsgericht in der Folge im Zuge seiner rechtlichen Beurteilung mit der tragenden Begründung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2019, E291/2019, und der dort verwiesenen Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 7. November 2013, verbRs C-199-201/12, X ua, auseinander. Der Verfassungsgerichtshof hat im genannten Erkenntnis vom 11. Juni 2019 erkannt, das Bundesverwaltungsgericht habe "in gravierender Verkennung der Rechtslage unterlassen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bei offenem Bekenntnis zu seiner homosexuellen Orientierung im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevanter Bedrohung ausgesetzt wäre".
3.1. Vor diesem Hintergrund kommt das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis zur rechtlichen Beurteilung, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine Gefahr einer Verfolgung im Sinne des §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK drohe. Dies begründet das Bundesverwaltungsgericht folgendermaßen:
3.1.1. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in den verbundenen Rechtssachen C-199-201/12, X ua, ausgeführt, dass der Begriff der sexuellen Ausrichtung sowohl Handlungen in der Privatsphäre eines Betroffenen als auch solche in der Öffentlichkeit erfasse, woraus zu folgern sei, dass von diesen Personen nicht verlangt werden dürfe, dass sie ihre sexuelle Ausrichtung geheim halten.
Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer mehrere Jahre homosexuelle Beziehungen im Herkunftsstaat unterhalten habe, zeige, dass der Beschwerdeführer weder gezwungen gewesen sei, auf den Ausdruck seiner diesbezüglichen persönlichen Identität zu verzichten, noch, dass er seine geschlechtliche Orientierung geheim halten habe müssen, sei ihm doch die Herstellung von Kontakten zu möglichen Partnern wie auch die Fortführung dieser Kontakte im Rahmen eines entsprechenden Beziehungslebens möglich gewesen.
3.1.2. In der Folge kommt es für das Bundesverwaltungsgericht darauf an, ob der Beschwerdeführer in der Öffentlichkeit im Hinblick auf seine geschlechtliche Orientierung größere Zurückhaltung üben müsse als heterosexuelle Personen. Dies sei nicht der Fall, weil sich die Situation des Beschwerdeführers, der "die intimen Aspekte seiner homosexuellen Orientierung nur in privatem Rahmen auslebte und auch pro futuro ausleben müßte", nicht von jener heterosexuell orientierter Personen unterscheide,
"zumal von den Mitgliedern einer traditionell-orientierten islamischen Gesellschaft grundsätzlich im öffentlichen Auftreten Zurückhaltung im direkten Umgang mit Anderen, insbesondere der Verzicht auf als ungebührlich angesehene Intimitäten, erwartet wird [...].
Würde man demgegenüber diese Erwartung an das öffentliche Auftreten im Falle von Homosexuellen einem anderen Maßstab als im Falle von Heterosexuellen unterwerfen, indem man fordern würde, dass sich in derlei Gesellschaften Homosexuelle im Gegensatz zu Heterosexuellen keinerlei bzw zumindest weniger Zurückhaltung im Ausdruck ihrer sexuellen Orientierung im öffentlichen Raum unterwerfen müssten, wäre dies dem Verständnis des BVwG nach auch nicht in der Intention des EuGH gelegen, der eine Differenzierung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen eben nicht wollte. Zwar verwies dieser in seinem Urteil in den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 darauf, dass eine negative Diskriminierung von Personen mit homosexueller Orientierung nicht mit den Kriterien der sogen. Qualifikationsrichtlinie zu vereinbaren ist, jedoch fände auch deren Privilegierung gegenüber Heterosexuellen im besagten Sinn wohl weder Deckung durch die Richtlinie noch durch die Rechtsprechung. Würde man, hypothetisch betrachtet, einen solchen Ansatz in konsequenter Weise weiterverfolgen, müßte man sonst zum Ergebnis gelangen, dass Personen mit homosexueller Orientierung im Gegensatz zu solchen mit heterosexueller Orientierung ein 'Recht auf unbeschränkten oder zumindest maßgeblich weniger eingeschränkten Ausdruck ihrer Sexualität' im öffentlichen Raum zukäme, was nicht nur mit Blick auf traditionell-orientierte islamische Gesellschaften, sondern selbst auf andere sittliche Maßstäbe praktizierende wie die europäischen, verfehlt wäre."
3.2. Diese Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes diskriminieren Personen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung wie den Beschwerdeführer. Das Bundesveraltungsgericht verletzt damit den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, indem es den angewendeten Rechtsvorschriften einen entsprechend diskriminierenden Inhalt unterstellt:
Wenn der Gerichtshof der Europäischen Union und ihm folgend der Verfassungsgerichtshof davon ausgehen, dass "von Personen mit homosexueller Orientierung nicht erwartet werden [dürfe], dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Leben ihrer sexuellen Ausrichtung ('l'expression de son orientation sexuelle') üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden" (VfSlg 20.170/2017 unter Verweis auf EuGH 7.11.2013, verbRs C-199-201/12, X ua, und, im vorliegenden Verfahren, VfGH 11.6.2019, E291/2019), wird unmittelbar einsichtig und offenkundig darauf abgestellt, dass es Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung ohne daraus resultierender Gefahr einer Verfolgung im Sinne des §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK möglich sein muss, auch in der Öffentlichkeit zu ihrer geschlechtlichen Orientierung zu stehen und sich zu entsprechenden Beziehungen zu bekennen. Damit soll das einschlägige Diskriminierungsverbot sicherstellen, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung insbesondere in Gesellschaften, in denen heterosexuelle Beziehungen als gesellschaftliche Norm gesehen werden, homosexuell orientierte Menschen im Hinblick auf dieses für die Anerkennung ihrer Identität so bedeutsamen Merkmals heterosexuell orientierten in der öffentlichen Anerkennung gleichgestellt und in diesem Sinn nicht gezwungen werden, ihre sexuelle Orientierung geheim halten zu müssen (es genügt, dafür auf die genannten Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen).
Das Bundesverwaltungsgericht sieht demgegenüber die gebotene Gleichbehandlung homosexuell und heterosexuell orientierter Menschen im vorliegenden Fall dadurch gewährleistet, dass ihnen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers gleichermaßen Zurückhaltung bei sexuellen Handlungen in der Öffentlichkeit auferlegt sei. Damit erachtet das Bundesverwaltungsgericht, weil eine Privilegierung homosexuell orientierter Menschen nicht geboten sein könne, die oben dargestellten Anforderungen an die Möglichkeit für den Beschwerdeführer, zu seiner sexuellen Orientierung in seinem Herkunftsstaat auch öffentlich stehen zu können, für erfüllt. Dass der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung auch nicht "geheim" – im Verständnis des Bundesverwaltungsgerichtes im Sinne von "für sich" – halten müsse, zeige im Übrigen, dass er entsprechende Beziehungen ausgeübt habe. Damit unterstellt das Bundesverwaltungsgericht aber bei seiner Prüfung, ob der Beschwerdeführer auf Grund seiner homosexuellen Orientierung im Herkunftsstaat einer im Hinblick auf seinen Antrag auf internationalen Schutz maßgeblichen Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt ist, nicht nur einen das einschlägige Diskriminierungsverbot des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzenden und daher verfassungswidrigen Maßstab, sondern verkennt auch die Rechtslage in einer Weise, die als willkürliches Verhalten des Bundesverwaltungsgerichtes in die Verfassungssphäre eingreift.
Das angefochtene Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, weil es den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt.
Bei diesem Ergebnis kann es dahinstehen, ob das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer auch deswegen im genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hat, weil es gegen seine Verpflichtung aus §87 Abs2 VfGG verstoßen hat (siehe jeweils mwN VfSlg 18.404/2008, 18.908/2009; näher zu den Rechtsfolgen einer Missachtung der aus §87 Abs2 VfGG folgenden Bindungswirkungen Eberhard, in: Eberhard/Fuchs/Kneihs/Vašek [Hrsg.], VfGG, 2020, §87 VfGG, Rz 18 ff.).
4. Im Hinblick auf das vom Bundesverwaltungsgericht fortzusetzende Verfahren weist der Verfassungsgerichtshof darauf hin, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung die im Asylverfahren herangezogenen Länderberichte hinreichend aktuell sein müssen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl etwa VfGH 24.9.2019, E2576/2019 mwN).
Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis länderkundliche Feststellungen auf näher bezeichnete, grundsätzlich aktuelle Berichte stützt, ist es jedoch auch auf die von UNHCR im Mai 2019 veröffentlichten "International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq" zu verweisen. In diesen fasst UNHCR die Situation ua für Homosexuelle wie folgt zusammen (S. 105 f.):
"UNHCR considers that persons of diverse sexual orientations and/or gender identities are likely to be in need of international refugee protection on account of their membership of a particular social group and/or other relevant grounds, depending on the individual circumstances of the case. State protection from such persecution is generally not available where the actors of persecution are non-State actors.
It should be borne in mind that persons of diverse sexual orientations and/or gender identities cannot be expected to conceal their identity in order to avoid persecution. Furthermore, the existence of significant criminal sanctions for consensual same-sex sexual acts is a bar to state protection, including where persecutory acts are perpetrated by non-state actors such as armed groups and members of society."
Den Einschätzungen von UNHCR ist im gegebenen Zusammenhang angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, maßgebliches Gewicht beizumessen (siehe etwa VfSlg 20.296/2018, 20.166/2017, 20.021/2015; VfGH 12.12.2018, E4118/2018; 24.9.2018, E761/2018 ua; EuGH 30.5.2013, Rs C-528/11, Halaf, Rz 44 mwN).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E4470.2019Zuletzt aktualisiert am
28.04.2020