TE Vfgh Erkenntnis 2020/2/25 E3356/2019 ua

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Veröffentlicht am 25.02.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend irakische Staatsangehörige; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Versorgungs- und Sicherheitslage in der Herkunftsregion

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.        Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.        Der Beschwerdeführer und die Beschwerdeführerin sind verheiratet und Staatsangehörige des Iraks. Sie stammen aus Baquba, Provinz Diyala. Am 20. Jänner 2017 stellten sie erstmals Anträge auf internationalen Schutz, die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als unzulässig zurückwies. Es sprach aus, dass Frankreich für die Prüfung der Anträge zuständig ist. Die dagegen gerichteten Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht als unbegründet ab. Die Beschwerdeführer verließen das Bundesgebiet freiwillig und kehrten in den Irak zurück.

Am 12. März 2019 stellten die Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Mai 2019 wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak zulässig ist. Ferner wurde eine vierzehntätige Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt.

2.       Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Juli 2019 wurden die dagegen erhobenen Beschwerden ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in einem gemäß §34 AsylG 2005 geführten Verfahren abgewiesen:

Die Beschwerdeführer hätten nur ein oberflächliches, in mehreren Punkten einander widersprechendes und insgesamt nicht glaubhaftes Fluchtvorbringen erstattet. So sei es etwa unglaubwürdig, wenn die Beschwerdeführer als fluchtauslösendes Ereignis ein Attentat auf ihre Söhne im Jahr 2005 angegeben hätten, aber zwölf weitere Jahre im Irak ohne Zwischenfälle leben hätten können und erst im Jahr 2017 (erstmals) geflohen seien. Ihnen drohe daher keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung.

Auch bestehe keine reale Gefahr einer Verletzung der in Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte im Falle einer Rückkehr in den Irak. Die Sicherheitslage im Irak habe sich zuletzt stabilisiert, insbesondere innerhalb der kurdischen Autonomieregionen des Nordiraks (Dohuk, Erbil und Suleimaniya). Der Irak erhole sich zwar nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Dennoch scheine sich das Land wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Eine in den Irak zurückkehrende Person werde trotz der wirtschaftlich noch immer angespannten Lage durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Eine Rückkehr nach Baquba, Provinz Diyala, wäre nicht automatisch mit einer Verletzung der in Art2 und 3 EMRK geschützten Rechte verbunden, zumal dort auch kein Bürgerkrieg herrsche.

3.       Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Insbesondere wird darin bemängelt, dass das Bundesverwaltungsgericht es unterlassen habe, sich ausreichend mit der aktuellen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der die Beschwerdeführer stammten bzw die eine innerstaatliche Fluchtalternative bilden solle. Es hätte auf Grund der entscheidungsrelevanten Länderberichte nicht davon ausgehen dürfen, dass eine Rückkehr dorthin sicher sei.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

II.      Erwägungen

Die Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerden durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest, dass die Beschwerdeführer aus Baquba, Provinz Diyala, stammten und dass dort kein Bürgerkrieg herrsche. Darin erschöpfen sich aber die Feststellungen zur und die Auseinandersetzung mit der Herkunftsregion der Beschwerdeführer. Das Bundesverwaltungsgericht hält zudem fest, dass sich die Lage in der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks (Dohuk, Erbil und Suleimaniya) stabilisiert hätte. Die weitere Prüfung einer mit Blick auf Art2 und 3 EMRK gegebenenfalls bestehenden Gefährdungslage erfolgt ausschließlich pauschal für den Fall einer Rückkehr "in den Irak".

Eine solche pauschale Beurteilung der Sicherheits- und Versorgungslage im Irak wird aber den Anforderungen an eine am Maßstab des Art2 und 3 EMRK vorzunehmende Beurteilung der Rückkehrsituation in solchen Staaten, in denen die Sicherheits- und Versorgungslage instabil ist und von Provinz zu Provinz variiert (siehe dazu bezogen auf den Irak zuletzt VfGH 23.9.2019, E1809/2019), nicht gerecht (vgl zB VfGH 11.6.2018, E4317/2017; 26.6.2018, E4387/2017; 26.2.2019, E4766/2018).

Eine nähere Begründung dafür, dass sich die Verhältnisse im Irak und bezogen auf das gesamte Staatsgebiet derart stabilisiert hätten, wie es das Bundesverwaltungsgericht als entscheidungserheblich vorauszusetzen scheint, bleibt das Bundesverwaltungsgericht schuldig. Ein solcher Befund über die Verhältnisse im Irak ergibt sich weder mit Blick auf das angeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 9. April 2019; im Folgenden: Länderinformationsblatt) noch mit Blick auf die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen (Stand: Mai 2019; im Folgenden UNHCR-Erwägungen) ohne Weiteres (vgl VfGH 23.9.2019, E1809/2019).

2.2.    Wenn das Bundesverwaltungsgericht festhält, dass in Baquba, Provinz Diyala, kein Bürgerkrieg herrsche, so deckt sich diese Feststellung zwar mit dem angeführten Länderinformationsblatt. Dennoch kann allein auf Grund dieses Befundes nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer Rückkehr in die Provinz Diyala keine Bedenken hinsichtlich einer Verletzung in Rechten nach Art2 und 3 EMRK bestehen (vgl zur instabilen Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak VfGH 11.6.2019, E914/2019). Im angeführten Länderinformationsblatt wird die Provinz Diyala gemeinsam mit anderen namentlich genannten Provinzen als "das Herzstück der Umgruppierungsbemühungen des IS" genannt; dort würden auch die "meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle" verzeichnet (S. 11). Es müsse mit "schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem IS und irakischen Sicherheitskräften" gerechnet werden. Infolgedessen sei der Nord- und Zentralirak, auch wenn er nicht mehr unter der Kontrolle des IS stehe, "auch nicht unter fester staatlicher Kontrolle". Diese Faktoren würden eine "erhebliche Herausforderung" für die allgemeine Stabilität darstellen (S. 34). Diese Ausführungen zur Sicherheitslage im Länderinformationsblatt decken sich im Wesentlichen auch mit den (vom Bundesverwaltungsgericht nicht berücksichtigten) Erwägungen des UNHCR (S. 19 f., 131). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass UNHCR die Staaten im Lichte weitgehender Zerstörung und anhaltender Spannungen anhält, von zwangsweisen Rückführungen von Personen, die ua aus vormals vom IS kontrollierten Gebieten stammen, was auf die Region Diyala zutrifft (S. 131), abzusehen (S. 149).

2.3.    Sofern das Bundesverwaltungsgericht mit dem Hinweis auf die stabilisierte Sicherheitslage in der kurdischen Autonomieregion davon ausgehen sollte, dass dort eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, fehlt diesbezüglich jegliche nähere Auseinandersetzung.

3.       Indem das Bundesverwaltungsgericht eine nähere Auseinandersetzung mit der Versorgungs- und Sicherheitslage in der konkreten Herkunftsregion der Beschwerdeführer bzw eine eingehende Begründung unterlässt, warum entgegen der Darstellung der Sicherheitslage im angeführten Länderinformationsblatt bzw in den UNHCR-Erwägungen eine Rückkehr in die Provinz Diyala keinen Bedenken hinsichtlich Art2 und 3 EMRK begegnet, und sich einer (eigenständigen) Prüfung des Bestehens einer konkreten innerstaatlichen Fluchtalternative verschließt, belastet es seine Entscheidung mit Willkür. Das angefochtene Erkenntnis ist daher, soweit es auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise gerichtet ist, wegen Verletzung des durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufzuheben.

B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

4.       Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

5.       Die Beschwerden rügen die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben.

2.       Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten. Ein Streitgenossenzuschlag wurde nicht beantragt.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3356.2019

Zuletzt aktualisiert am

28.04.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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