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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Stickler, die Hofrätin Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der T P in W, vertreten durch Gibel Zirm Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar 2019, Zl. W105 2213503-1/2E, betreffend Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft in New Delhi), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die minderjährige Revisionswerberin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China und stellte am 1. August 2016 an der Österreichischen Botschaft New Delhi einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005. Begründend führte sie aus, dass sie die Tochter einer näher genannten Bezugsperson sei. Ihrem Vater sei mit Bescheid vom 28. Jänner 2015 in Österreich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden.
2 Am 14. März 2017 erging eine Stellungnahme gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), wonach die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten nicht wahrscheinlich sei. Einerseits wäre die Familieneigenschaft nicht bewiesen, andererseits läge weder ein Nachweis vor, dass die Bezugsperson zur alleinigen Obsorge berechtigt sei, noch, dass die Mutter der Revisionswerberin tatsächlich verstorben sei. Es stehe eine "Kindesentziehung" "im Raum".
3 Mit Bescheid vom 24. September 2018 wies die Österreichische Botschaft in New Delhi den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005 mit der Begründung ab, dass nicht abschließend geklärt sei, ob die Mutter der Revisionswerberin tatsächlich verstorben sei und die Einreise eine Kindesentziehung darstellen würde. Weiters sei von keinem aufrechten Familienleben seit 2013 auszugehen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. Februar 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft New Delhi ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
5 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass die Argumentation der Österreichischen Botschaft in New Delhi und des BFA, wonach nicht abschließend geklärt sei, ob die Mutter der Revisionswerberin tatsächlich bereits verstorben sei, und daher nicht auszuschließen sei, dass die Einreise eine Kindesentziehung darstelle, im Ergebnis zutreffend sei. Aus diesem Grund erweise sich eine Schutzgewährung an die Revisionswerberin im Rahmen des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 als unwahrscheinlich und sei der Einreisetitel zu versagen gewesen. Die Revision sei nicht zulässig, weil sich das BVwG "auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen konnte".
6 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision führt zu ihrer Zulässigkeit aus, es fehle Judikatur zu der Frage, ob die Vermeidung einer nicht auszuschließenden Kindesentziehung als primärer Abweisungsgrund im Verfahren nach § 35 AsylG 2005 herangezogen werden könne. Zudem habe das BVwG bei seiner Prognoseentscheidung den Prüfungsmaßstab des § 35 AsylG 2005 verkannt. Eine negative Prognose habe nur dann zu erfolgen, wenn die Gewährung des Schutzes nicht einmal wahrscheinlich sei. Eine Kindesentziehung liege im vorliegenden Fall nicht vor, weiters habe das BVwG es zur Gänze unterlassen, den diesbezüglichen Sachverhalt ausreichend zu ermitteln. Das BVwG hätte gemäß der bei § 35 AsylG 2005 anzuwendenden niedrigen Beweisschwelle zum Schluss kommen müssen, dass die Gewährung von internationalem Schutz im vorliegenden Fall zumindest wahrscheinlich sei.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 hat das BFA der Vertretungsbehörde mitzuteilen, ob die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist.
10 Bei einer solchen Mitteilung handelt es sich um keinen Bescheid. Es ist zwar die Vertretungsbehörde im Ausland an die Mitteilung des Bundesamts über die Prognose einer Asylgewährung oder die Gewährung von subsidiärem Schutz gebunden, und zwar sowohl an eine negative als auch an eine positive Mitteilung. Allerdings steht es dem BVwG offen, auch die Einschätzung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen (VwGH 1.3.2016, Ro 2015/18/0002 bis 0007).
11 Gegenstand der Prognoseentscheidung des § 35 Abs. 4 AsylG 2005 ist allein, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 Z 1 bis 3 AsylG 2005 die Gewährung von internationalem Schutz im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 wahrscheinlich ist (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0124).
12 Eine negative Prognose darf nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann erfolgen, wenn die Gewährung dieses Schutzes in einem nach Einreise in Österreich zu führenden Asylverfahren nicht einmal wahrscheinlich ist. Gewissheit darüber, dass dem Antragsteller internationaler Schutz in Österreich gewährt werden wird, erfordert die Erteilung einer Einreiseerlaubnis hingegen nicht. Um somit die Einreiseerlaubnis nach Österreich zu erhalten, muss der Antragsteller lediglich die (niedrigere) Beweisschwelle der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Gewährung internationalen Schutzes überwinden (vgl. VwGH 1.3.2016, Ro 2015/18/0002 bis 0007; 22.11.2017, Ra 2017/19/0218). 13 Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 ist dem Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, derselbe Status zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.
14 Familienangehöriger ist gemäß § 34 iVm § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 u.a. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.
15 Dass die Revisionswerberin die Tochter eines in Österreich Asylberechtigten ist, ist vor dem BVwG nicht strittig und wird von diesem auch nicht in Frage gestellt. Es handelt sich bei ihr daher um eine Familienangehörige im Sinne des § 34 AsylG 2005. Wenn das BVwG vermeint, die negative Prognoseentscheidung des BFA sei zu bestätigen, weil die alleinige Obsorge des Vaters nicht feststünde, verkennt es die Rechtslage. § 34 AsylG 2005 stellt allein auf die sich aus der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ergebende (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, mwN) Familienangehörigeneigenschaft des Antragstellers ab, wofür die Obsorge (in einem Fall wie dem vorliegenden) keine Rolle spielt. Auch § 35 Abs. 4 AsylG 2005 bietet für eine negative Wahrscheinlichkeitsprognose allein wegen des Fehlens oder Nichtfeststehens einer alleinigen Obsorge für ein minderjähriges Kind keine gesetzliche Grundlage.
16 Das BVwG hat somit sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
17 Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. 18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. März 2020
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Belehrungen MitteilungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190397.L00Im RIS seit
05.05.2020Zuletzt aktualisiert am
05.05.2020