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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des I J S in S, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. Oktober 2018, I413 2143715-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 25. März 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, er habe als Fussballspieler für den Verein "Al Kadhimiya" gespielt, dann aber ein Angebot von einem Verein aus der ersten Liga bekommen. Sein Ursprungsverein gehöre der schiitischen Miliz "Asa'ib Ahl al-Haq", welche ihn gezwungen habe, beim Verein zu bleiben. Für den Fall eines Vereinswechsels sei er von der Miliz mit dem Tode bedroht worden.
2 Mit Bescheid vom 6. Dezember 2016 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. Oktober 2018 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Begründend führte das BVwG aus, die behauptete Privatverfolgung erscheine nicht glaubhaft. Der wahre Beweggrund des Revisionswerbers, sein Heimatland zu verlassen, sei vielmehr die Sicherung seiner Zukunft und eine Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation gewesen. Es bestehe zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative, dies zeige der Umstand, dass die Familie des Revisionswerbers in Kurdistan Schutz erhalten habe und der Revisionswerber keine Gründe vorbringen habe können, weshalb ausgerechnet ihm dort kein solcher Schutz gewährleistet hätte werden können. Ganz allgemein bestehe im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Es seien im Verfahren auch mit Blick auf das Länderinformationsblatt für den Irak keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Revisionswerber ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe bestehe. Auch die vom Revisionswerber behauptete, jedoch nicht glaubhafte Bedrohung durch Privatpersonen vermöge keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder des 6. oder 13. Protokolls zur EMRK bedeuten.
4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit zunächst vorgebracht, die Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses sei nicht an den Rechtsvertreter sondern an den früheren Bevollmächtigten des Revisionswerbers erfolgt, sodass sich das Erkenntnis als rechtswidrig darstelle. Auch habe der Rechtsvertreter für den Revisionswerber am 28. Oktober 2018 und 25. Oktober 2018 noch weitere Stellungnahmen eingebracht, auf welche Bedacht zu nehmen gewesen wäre.
7 Ungeachtet dessen, dass mit diesem Vorbringen eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt wird, ist vorauszuschicken, dass gemäß § 7 Zustellgesetz (ZustG) die Zustellung im Falle von Zustellmängeln im Verfahren dennoch als in dem Zeitpunkt als bewirkt gilt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2017/19/0361, mwN). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist dies bei einer elektronischen Zustellung jener Zeitpunkt, in dem der Empfänger durch Zugriff auf das elektronisch bereitgehaltene Dokument Kenntnis davon erlangt hat (vgl. VwGH 5.9.2018, Ro 2017/12/0010; VwGH 14.12.2016, Ra 2016/19/0131, mwN).
8 Im vorliegenden Fall vermag der Revisionswerber mit seinem Vorbringen einen Zustellmangel nicht darzutun, wurde in der Zustellverfügung des BVwG doch der in diesem Zeitpunkt zustellungsbevollmächtigte Vertreter des Revisionswerbers angegeben und gesteht die Revision selber zu, dass das Dokument seinem Zustellbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. 9 Die Revision erweist sich jedoch im Hinblick auf das übrige Vorbringen in den Zulässigkeitsgründen als zulässig und auch als begründet:
10 Unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes moniert die Revision zunächst, das BVwG habe seine Pflicht zur Berücksichtigung der objektiven Wahrscheinlichkeit der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte im Rahmen seiner Beweiswürdigung missachtet und dabei die von der Verwaltungsbehörde getroffenen Feststellungen zur - im Zentrum des Vorbringens des Revisionswerbers stehenden - Miliz Asas'ib Ahl al-Haqq zur Gänze ignoriert. Zudem habe das BVwG, indem es den vorgelegten Drohbrief mit absolut unschlüssigen Erwägungen zu den äußeren Merkmalen der Urkunde und der Unfähigkeit des Revisionswerbers, die Echtheit der Urkunde zu beweisen, als Fälschung qualifiziert habe, eine antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen.
11 Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Asylbehörden in der Beweiswürdigung den realen Hintergrund der vom Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zur einschlägigen Berichtslage zu messen haben (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0387, mwN).
12 Vor diesem rechtlichen Hintergrund erweist sich auch der in der Revision erhobene Vorwurf als berechtigt. Dass dieser rechtliche Hintergrund bei Würdigung der Angaben des Revisionswerbers berücksichtigt worden wäre, lässt das angefochtene Erkenntnis nämlich nicht erkennen, zumal sich die Beweiswürdigung des BVwG weitgehend darin erschöpft, darzulegen, weshalb der vorgelegte Drohbrief als Fälschung einzustufen sei, wobei dies allein auf einen Unterschied zwischen dem Logo und den Stempeln auf dem Dokument gegründet wurde und darauf, dass der Revisionswerber zur Authentizität des Stempels keine Angaben machen habe können. Die Relevanz dieses Verfahrensfehlers ist, wie die Revision aufzeigt, vor dem Hintergrund der vom Revisionswerber zitierten - von der Verwaltungsbehörde noch herangezogenen - Länderberichte, wonach die für Menschenrechtsverletzungen bekannte schiitische Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq in Bagdad, insbesondere u. a. im Bezirk Kadhimiya, großen Einfluss habe, nicht von vornherein auszuschließen.
13 Da die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes somit seine Einschätzung, das Vorbringen des Revisionswerbers sei unglaubwürdig, auch nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. hiezu u.a. VwGH 28.11.2019, Ra 2018/19/0479, mwN) nicht trägt, und dem Fluchtvorbringen nicht von vornherein Asylrelevanz abgesprochen werden kann, erweist sich das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grunde als mangelhaft begründet.
14 Hinsichtlich der als Alternativbegründung bei Wahrunterstellung angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative lässt das angefochtene Erkenntnis eine ausreichende Beschäftigung mit dem der innerstaatlichen Fluchtalternative innewohnenden Zumutbarkeitskalkül vermissen, welches nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Revisionswerbers in dem in Frage kommenden Gebiet erfordert hätte. Wenn das BVwG in Hinblick auf die innerstaatliche Fluchtalternative lediglich darauf abstellt, dass der Revisionswerber nach "Kurdistan" gehen könnte, wo die Familie des Revisionswerbers im Norden des Irak aufhältig sei und der Revisionswerber keine Gründe vorbringen habe können, weshalb ausgerechnet ihm dort kein Schutz gewährleistet werden könnte, verkennt es dem Grunde nach, dass es dem Asylwerber zwar obliegt, besondere Umstände aufzuzeigen, die gegen die Zumutbarkeit sprechen, dies jedoch voraussetzt, dass die Behörde nach entsprechender Prüfung die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Bezug auf ein Gebiet allgemein bejaht (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0636, mwN). Sohin vermag auch die Hilfsbegründung des Bundesverwaltungsgerichte s, dem Revisionswerber stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kurdistan offen, die angefochtene Entscheidung nicht zu tragen.
15 Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen hätte eingegangen werden müssen. 16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. März 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190386.L00Im RIS seit
05.05.2020Zuletzt aktualisiert am
05.05.2020