Index
E3R E02202000Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., in der Revisionssache der K AG in M, vertreten durch die KPMG Alpen-Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 4020 Linz, Kudlichstrasse 41, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 23. September 2019, Zl. RV/5200064/2015, betreffend Erstattung von Einfuhrabgaben und einer Abgabenerhöhung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Linz Wels), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 7. November 2013 teilte das Zollamt Linz Wels einer Rechtsvorgängerin der revisionswerbenden Gesellschaft (Revisionswerberin) die buchmäßige Erfassung von gemäß Art. 204 Abs. 1 Buchstabe a des Zollkodex in näher aufgeschlüsselten Fällen zwischen November 2010 und März 2012 entstandenen Eingangsabgaben (Zoll- und Einfuhrumsatzsteuer) in näher angeführter Höhe mit und setzte eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG in näher angeführter Höhe fest. Die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin habe entgegen der ihr erteilten Bewilligung der aktiven Veredelung Ersatzwaren bei der Herstellung von Veredelungserzeugnissen verwendet und daraus hergestellte Veredelungserzeugnisse vor der Einfuhr von Einfuhrwaren aus der Gemeinschaft ausgeführt. 2 Mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2014 beantragte die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin nach Art. 239 des Zollkodex die Erstattung/den Erlass der mit dem erwähnten Bescheid mitgeteilten Einfuhrabgaben (Zoll) und der festgesetzten Abgabenerhöhung. Es sei irrtümlich unterlassen worden, die Bewilligung der Verwendung von Ersatzwaren und der vorzeitigen Ausfuhr einzuholen.
3 Das Zollamt Linz Wels wies den Antrag mit Bescheid vom 29. Oktober 2014 ab.
4 Mit Schriftsatz vom 25. November 2014 erhob die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin dagegen Beschwerde, welche das Zollamt Linz Wels mit Beschwerdevorentscheidung vom 20. Jänner 2015 abwies.
5 Die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin brachte mit Schriftsatz vom 25. Februar 2015 einen Vorlageantrag ein. 6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7 Nach Wiedergabe des Verfahrensganges stellte das Bundesfinanzgericht fest, das Zollamt Linz Wels habe der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin das Zollverfahrens der aktiven Veredelung bewilligt. Die Revisionswerberin stelle in einem Produktionsgebäude die Veredelungserzeugnisse her und betreibe in einem anderen Gebäude ein Ersatzteillager, das dazu diene, Kunden Ersatzteile zur Verfügung zu stellen. Waren, die sich im maßgeblichen Zeitraum in diesem Ersatzteillager befunden hätten, seien Waren des zoll- und steuerrechtlich freien Verkehrs gewesen. Entgegen der Bewilligung habe die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin im in Rede stehenden Zeitraum zur Herstellung der Veredelungserzeugnisse Ersatzwaren aus dem zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr verwendet und die veredelten Waren wieder aus dem Zollgebiet der Union ausgeführt.
8 Die Revisionswerberin habe die Herstellung der Veredelungserzeugnisse aus Ersatzwaren nicht beantragt, weil die im Unternehmen für das Zollverfahren zuständigen Personen nicht gewusst hätten, dass von Produktionsmitarbeitern, die über keine zollrechtlichen Erkenntnisse verfügt hätten, auch Ersatzwaren aus dem zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr (aus dem Ersatzteillager) für die Herstellung der Veredelungserzeugnisse herangezogen worden seien. Die von der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin für die Einhaltung des Nämlichkeitsprinzips getroffenen Maßnahmen seien unzureichend gewesen, weil die Artikelnummern im elektronischen Warenwirtschaftsprogramm des Unternehmens sowohl für Gemeinschaftswaren als auch für Einfuhrwaren in Verbindung mit den dazu hinterlegten warenbezogenen Zusatzinformationen des Artikelstammes gleichlautend vergeben worden seien und dadurch der zollrechtliche Status der für die Produktion eingesetzten Materialien (Gemeinschaftswaren oder Einfuhrwaren) nicht habe bestimmt werden können. In den Bestandsaufzeichnungen zur aktiven Veredelung sei dadurch eine Abschreibung auch bei einem tatsächlichen Bestand an Einfuhrwaren je Artikelnummer von null vorgenommen worden. 9 Das Bundesfinanzgericht nahm zwar einen besonderen Fall im Sinn des Art. 239 Zollkodex an, weil es sich bei den Einfuhrwaren ebenso wie bei den Ersatzwaren um aus einem Drittland stammende Waren gleicher Qualität und Beschaffenheit gehandelt habe, weil den Einfuhrwaren entsprechende Mengen an Veredelungserzeugnissen wieder ausgeführt worden seien und der Europäischen Union kein finanzieller Schaden entstanden sei und letztlich weil einem Antrag stattgegeben worden wäre, hätte die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin bei ihrem ursprünglichen Antrag auf Bewilligung der aktiven Veredelung die Verwendung von Ersatzwaren beantragt. 10 Allerdings liege offensichtliche Fahrlässigkeit der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin vor. Sie verfüge seit dem Jahr 2004 durchgehend über eine Bewilligung der aktiven Veredelung und sehe sich auch selbst als erfahrene Wirtschaftsteilnehmerin in diesem Zusammenhang. Zwar sei der rechtliche Rahmen des Zollverfahrens der aktiven Veredelung als komplex zu beurteilen, jedoch sei die Regelung über die Zulässigkeit der Herstellung der Veredelungserzeugnisse aus Ersatzwaren eindeutig. Auf eine Komplexität jener Vorschriften, deren Nichterfüllung die Zollschuld im konkreten Revisionsfall begründet habe, könne sich die Revisionswerberin somit nicht berufen. Indem die Revisionswerberin angegeben habe, die im Unternehmen für Zollverfahren zuständigen Personen hätten nicht gewusst, dass von Produktionsmitarbeitern ohne zollrechtliche Kenntnisse auch Ersatzwaren aus dem Ersatzteillager für die Herstellung der Veredelungserzeugnisse verwendet würden, bringe sie zum Ausdruck, dass in ihrem Unternehmen die für das Zollverfahren zuständigen Personen von den tatsächlichen Veredelungsvorgängen einerseits und andererseits die in der Produktion tätigen Mitarbeiter über die einzuhaltenden zolltechnischen Maßnahmen nicht ausreichend informiert gewesen seien. Daraus folgere, dass sich die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin bei der Beantragung und Verlängerung der Bewilligung der aktiven Veredelung nicht über die unternehmensinternen Abläufe der Produktions- und Veredelungsvorgänge im Klaren gewesen sei. Ein solcher wesentlicher Informationsmangel der betroffenen Mitarbeiter im Zuge der Inanspruchnahme eines Zollverfahrens mit wirtschaftlicher Bedeutung gehe über das hinaus, was in der Rechtsprechung und im Schrifttum als bloßer "Arbeitsfehler" bezeichnet werde. 11 Da auch die Aufzeichnungen nicht haben erkennen lassen, dass bei einem tatsächlichen Bestand an Einfuhrwaren von null die Produktion unter Verwendung von Ersatzwaren fortgesetzt worden sei, weil die Artikelnummern im Warenwirtschaftsprogramm sowohl für Gemeinschaftswaren als auch für Einfuhrwaren gleichlautend vergeben worden seien, wodurch der zollrechtliche Status der für die Produktion eingesetzten Materialien nicht habe bestimmt werden können, sei eine über einen "Arbeitsfehler" hinausgehende Verfehlung.
12 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
13 Die Revisionswerberein erachtet sich im Recht "auf Erlass/Erstattung von Einfuhrabgaben und Abgabenerhöhungen" verletzt.
14 Gemäß Art. 114 Abs. 1 Buchstabe a der im Revisionsfall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19.10.1992, (Zollkodex - ZK) können im aktiven Veredelungsverkehr unbeschadet des Art. 115 leg. cit. Nichtgemeinschaftswaren, die zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft in Form von Veredelungserzeugnissen bestimmt sind, einem oder mehreren Veredelungsvorgängen unterzogen werden, ohne dass für diese Waren Einfuhrabgaben erhoben oder handelspolitische Maßnahmen angewandt werden.
15 Ersatzwaren sind gemäß Art. 114 Abs. 2 Buchstabe e ZK Gemeinschaftswaren, die anstelle von Einfuhrwaren zur Herstellung von Veredelungserzeugnissen verwendet werden.
16 Wenn Ersatzwaren die gleiche Qualität und Beschaffenheit wie die Einfuhrwaren aufweisen, lassen die Zollbehörden vorbehaltlich näher angeführter Ausnahmen gemäß § 115 Abs. 1 Buchstabe a ZK zu, dass Veredelungserzeugnisse aus Ersatzwaren hergestellt werden, und gemäß Art. 115 Abs. 1 Buchstabe b ZK, dass aus Ersatzwaren hergestellte Veredelungserzeugnisse vor der Einfuhr von Einfuhrwaren aus der Gemeinschaft ausgeführt werden. 17 Gemäß Art. 541 Abs. 1 der im Revisionsfall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 253 vom 11.10.1993 (Zollkodex-Durchführungsverordnung - ZK-DVO) ist in der zu erteilenden Bewilligung (Art. 116 und 117 ZK) anzugeben, ob und unter welchen Voraussetzungen Ersatzwaren im Sinn von Art. 114 Abs. 2 Buchstabe e ZK für die Veredelungsvorgänge verwendet werden dürfen.
18 Im Falle der vorzeitigen Ausfuhr wird gemäß Art. 543 Abs. 1 ZK-DVO in der Bewilligung die Frist festgelegt, innerhalb welcher die Nichtgemeinschaftswaren zur Überführung in das Verfahren angemeldet werden müssen.
19 Gemäß Art. 239 ZK können Einfuhrabgaben in nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind, erstattet oder erlassen werden.
20 Gemäß Art. 899 Abs. 2 ZK-DVO obliegt die Entscheidung - von hier nicht interessierenden Fällen der Befassung der Kommission nach Art. 905 leg. cit. - der Zollbehörde, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.
21 Art. 239 ZK stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine allgemeine Billigkeitsklausel dar, die zum Erlass von Einfuhrabgaben führt, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, wenn nämlich ein besonderer Fall gegeben ist und keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht seitens des Abgabepflichtigen vorliegt (vgl. etwa EuGH 29.7.2019, C-589/17, Prenatal SA, Rn 37).
22 Da das Fehlen einer "offensichtlichen Fahrlässigkeit" unabdingbare Voraussetzung der Erstattung oder des Erlasses von Einfuhrabgaben ist, muss dieser Begriff so ausgelegt werden, dass die Anzahl der Fälle, in denen erstattet oder erlassen wird, begrenzt bleibt (vgl. EuGH 20.11.2008, C-38/07P, Heuschen & Schrouff Oriental Foods Trading BV, Rn 60). 23 Die Revisionswerberin führt zur Zulässigkeit ihrer Revision aus, es fehle Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffes "Arbeitsfehler", zur Abgrenzung zu einem Fehler, der "nicht hätte passieren dürfen".
24 Abgesehen davon, dass der Begriff "Arbeitsfehler" gesetzlich nicht existiert, unterliegt die Vorwerfbarkeit eines konkreten Fehlers, ob er "passieren kann" oder ob er "nicht hätte passieren dürfen" (vgl. auch VwGH 2.9.2008, 2008/16/0031), ob somit offensichtliche Fahrlässigkeit vorgelegen sei, einer Beurteilung im Einzelfall, welche nur dann eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufwerfen kann, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl. VwGH 28.2.2019, Ra 2019/16/0048).
25 Als Vorwurf relevanter Begründungsmängel trägt die Revisionswerberin in der Zulässigkeitsbegründung ihrer Revision vor, das Bundesfinanzgericht habe dem Einwand nicht Rechnung getragen, bei den Ersatzwaren habe es sich um Waren gleicher Qualität und Beschaffenheit wie die der Einfuhrwaren gehandelt und der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin sei kein finanzieller Vorteil aus ihrem Verhalten erwachsen. Bei Beantragung der Verwendung von Ersatzwaren wäre eine Bewilligung erteilt worden. Diese Umstände haben allerdings ohnehin dazu geführt, dass das Bundesfinanzgericht die objektive Voraussetzung des Art. 239 ZK als erfüllt annahm (vgl. nochmals EuGH 29.7.2019, C-589/17, Prenatal SA, Rn 37).
26 Das Bundesfinanzgericht habe - so die Revisionswerberin zum behaupteten Begründungsmangel weiter - außer Acht gelassen, dass es sich um einen bloß einmalig vorgefallenen sogenannten Arbeitsfehler gehandelt habe, der "passieren kann". Getrennte Lagerhaltung von Einfuhrwaren und Ersatzwaren spreche für das grundsätzliche Vorliegen einer sorgfältigen Vorgehensweise der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin. Einzig die unzureichende Programmierung im Rahmen des entsprechenden EDV-Systems erweise sich als für das Geschehen kausal.
27 Die Revisionswerberin zeigt damit nicht auf, dass das Bundesfinanzgericht eine solche im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung, die zu einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung führen könnte (vgl. nochmals VwGH 28.2.2019, Ra 2019/16/0048), in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Ausdrücklich hat sich das Bundesfinanzgericht darauf gestützt, dass im Unternehmen der Vorgängerin der Revisionswerberin ein erheblicher Mangel an Information und Kommunikation zwischen den Zollverantwortlichen, den für die Erstellung des Warenwirtschaftsprogrammes und den an der Produktion tatsächlich mitwirkenden, die jeweiligen Waren in den Produktionsvorgang entnehmenden Mitarbeitern bestanden habe. Das Bundesfinanzgericht beschränkte sich nicht auf einen bloßen "Programmierungsfehler", sondern bezog in die Beurteilung ein, dass keine EDV-mäßigen Vorkehrungen getroffen worden seien, welche der physischen Trennung von Einfuhrwaren und Ersatzwaren im EDV-Programm Rechnung getragen und "Minusbestände" an Einfuhrwaren nicht zugelassen hätten. Es berücksichtigte weiters auch das Unterlassen der Antragstellung für eine im Unternehmen offenbar erforderliche Verwendung von Ersatzwaren samt vorzeitiger Ausfuhr und berücksichtigte damit den Mangel an Sorgfalt der im Unternehmen für die Zollabwicklung und die erforderlichen Bewilligungen Verantwortlichen, sich um die Produktionsabläufe zu kümmern, welche einen zollrechtlich abgesicherten Rahmen vorzufinden haben.
28 Soweit die Revisionswerberin noch eine sogenannte Doppelverzollung und wiederholend das Fehlen eines finanziellen Vorteils für die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin sowie den Umstand heranzieht, dass eine Bewilligung, wäre sie beantragt worden, erteilt worden wäre, ist sie neuerlich darauf hinzuweisen, dass dies ohnehin dazu geführt hat, dass das Bundesfinanzgericht die objektive Voraussetzung des Art. 239 ZK als erfüllt annahm. 29 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 11. März 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62007CJ0038 Heuschen und Schrouff Oriental Foods Trading / Kommission VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019160217.L00Im RIS seit
19.05.2020Zuletzt aktualisiert am
19.05.2020