TE Vwgh Erkenntnis 2020/3/24 Ra 2019/09/0119

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Veröffentlicht am 24.03.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

AuslBG §12
MRK Art6 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Hotz, über die außerordentliche Revision der A B in C, vertreten durch MMag. Michael Krenn, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2019, W156 2219706-1/3E, betreffend Zulassung als Schlüsselkraft gemäß § 12 Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 7. März 2019 versagte die gemäß § 20d Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) mit dem (Zweckänderungs-) Antrag der Revisionswerberin, einer georgischen Staatsangehörigen, vom 29. November 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte" (Besonders Hochqualifizierte) nach § 41 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz befasste, vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde die Zulassung als Schlüsselkraft (Besonders Hochqualifizierte) gemäß § 12 AuslBG.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

3 Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die am 4. Jänner 1988 geborene Revisionswerberin als "Familienhelferin" mit einem monatlichen Bruttolohn von 2 482,40 Euro im Ausmaß von 38 Wochenstunden unbefristet bei einer näher genannten Arbeitgeberin an einem Arbeitsplatz in deren eigenen Betrieb beschäftigt werden solle. Die Revisionswerberin verfüge über einen Abschluss des Studiums der Psychologie der staatlichen Universität "Ivane Javakhishvili", eine dreijährige Berufserfahrung im Bereich Psychologie in Georgien sowie über Berufserfahrung seit 7. November 2016 bei der Arbeitgeberin. Ferner habe sie Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2.

4 Rechtlich beurteilte das Bundesverwaltungsgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass gemäß Anlage A zu § 12 AuslBG für die nachgewiesenen Sprachkenntnisse 10 Punkte und für das Alter - im Entscheidungszeitpunkt - von 31 Jahren 15 Punkte zuzuerkennen seien. Das Hochschulstudium der Psychologie könne die in der Anlage A zu § 12 AuslBG enthaltenen Bedingungen nur erfüllen und zur Vergabe von Punkten führen, wenn es dem Inhalt der in Aussicht genommenen Beschäftigung "Familienhelferin" entspreche. 5 Die von der Arbeitgeberin angebotene Familienhilfe umfasse laut deren Homepage folgende Bereiche und Inhalte:

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6 Davon ausgehend vermeinte das Bundesverwaltungsgericht "nicht gänzlich ausschließen" zu können, dass das Studium der Revisionswerberin "in Bezug zur angestrebten Tätigkeit" stehe; die Beschäftigung als Familienhelferin entspreche jedoch nicht der Qualifikation der Revisionswerberin. Aus dem Ausbildungskompass des Arbeitsmarktservice gehe nämlich hervor, dass die Ausbildung zur Familienhelferin entweder an einer Schule für Sozialberufe, als Lehrgang an einer Lehranstalt für Erziehungs- und Jugendarbeit, für Familien- und Gruppenarbeit oder für Ehe- und Familienberatung, im Rahmen einer berufsbildenden mittleren Schule oder als Aufbaulehrgang an einer Höheren Lehranstalt für Landwirtschaft und Ernährung erfolgen könne. Die Ausbildung der Revisionswerberin entspreche einem Masterstudium der Psychologie. Die angestrebte Beschäftigung als Familienhelferin sei daher nicht als ein der Ausbildung adäquates Beschäftigungsangebot zu werten. Aus diesem Grund könne auch die berufliche Tätigkeit als Psychologin in Georgien zu keiner Punktevergabe führen. Für die berufliche Tätigkeit in Österreich seien 10 Punkte zu vergeben, sodass insgesamt lediglich 35 Punkte (von mindestens erforderlichen 70 Punkten) anzurechnen seien.

7 Das Absehen von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass der festgestellte Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine und durch eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten gewesen sei. Dem Entfall der Verhandlung stünden auch weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen.

8 Die Unzulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen einer erheblichen Rechtsfrage.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revisionswerberin sieht die Zulässigkeit ihrer Revision (unter anderem) darin gelegen, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erforderlichkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewichen sei. Schon unter diesem Aspekt ist die Revision zulässig und auch begründet.

11 Vorweg ist zu den vom Bundesverwaltungsgericht der Revisionswerberin zuerkannten Punkten festzuhalten, dass - wie in der Revision geltend gemacht und auch in der Revisionsbeantwortung zugestanden wird - für das Alter der Revisionswerberin von unter 35 Jahren nach dem unzweideutigen Wortlaut der Anlage A zu § 12 AuslBG richtig 20 Punkte anzusetzen gewesen wären.

12 Im Übrigen gleicht der vorliegende Fall in seinen entscheidungswesentlichen Umständen insofern, als es sich beim Verfahren betreffend die Zulassung von Ausländern zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft um ein "civil right" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR 27.7.2006, Jurisic und Collegium Mehrerau/Österreich, 62539/00, sowie EGMR 27.7.2006, Coorplan-Jenni GmbH und Hascic/Österreich, 10523/02) handelt und die Parteien bei einer solchen Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass ihre Angelegenheit in einer - im vorliegenden Fall auch beantragten - öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem in der Sache entscheidenden Gericht erörtert wird und hier weder ausschließlich rechtliche noch bloß hochtechnische Fragen zu klären waren, jenem Fall, der dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Ra 2015/09/0051, zu Grunde lag und auf dessen Begründung daher zunächst gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird (vgl. auch VwGH 20.3.2019, Ra 2018/09/0136; 22.2.2018, Ra 2017/09/0006; 19.12.2017, Ra 2017/09/0003; 14.10.2016, Ra 2016/09/0052, mwN). 13 Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei einem rechtswidrigen Unterlassen einer nach Art. 6 EMRK gebotenen mündlichen Verhandlung keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen ist. Diese zu Art. 6 EMRK entwickelte Rechtsprechung findet in gleicher Weise für das auf Art. 47 GRC gestützte Recht auf mündliche Verhandlung Anwendung (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/09/0211, mwN).

14 Anders als das Bundesverwaltungsgericht annahm, wurden von der Revisionswerberin im Verfahren auch Tatsachenfragen aufgeworfen, die einer Behandlung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bedurft hätten. So hat die Revisionswerberin bereits in ihrer Beschwerde darauf hingewiesen, dass in der dieser angeschlossenen Erklärung der Leiterin des Bereichs Familienhilfe der Arbeitgeberin vor allem die Implikationen der psychosozialen Dimension in der "Unterstützung der Familie" dargelegt wurden und es sich bei der angebotenen Beschäftigung keineswegs um eine bloße "Hilfe bei der Haushaltsführung" handle. Nach dieser Stellungnahme sei eine fundierte psychosoziale Ausbildung Voraussetzung für die Ausübung dieser Tätigkeit, die ein breites psychologisches Fachwissen über kindliche Entwicklung, Entwicklungspsychologie und psychische Erkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erfordere. 15 Die Ausbildungserfordernisse für den angestrebten Arbeitsplatz wären somit im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einer Klärung zuzuführen gewesen. Die Ermittlungsbedürftigkeit dieser Tatfrage zeigt sich nicht zuletzt schon an der vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommenen Internetrecherche zu diesem Themenkomplex.

16 Das angefochtene Erkenntnis war somit schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 17 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. März 2020

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019090119.L00

Im RIS seit

19.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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