RS Vfgh 2020/2/27 G167/2019 (G167/2019-11)

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Veröffentlicht am 27.02.2020
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Index

L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Stmk BauG §38, §118 Abs1
VfGG §7 Abs1, §62 Abs1

Leitsatz

Unsachlichkeit einer Bestimmung des Stmk Baugesetzes betreffend die Strafbarkeit des Grundstückseigentümers mangels Einbringung einer Fertigstellungsanzeige durch den Bauherrn; verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Eigentümers für das Verhalten des Bauherren

Rechtssatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Z6 des §118 Abs1 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 auf Grund eines Antrags des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (LVwG; Gerichtsantrag) bis zur Novellierung durch Z88 des Gesetzes vom 19.11.2019, mit dem das Stmk BauG geändert wird (Baugesetznovelle 2019), LGBl 11/2020.

Hinsichtlich der Präjudizialität ist nicht auszuschließen, dass das LVwG bei der Beurteilung der Strafbarkeit nach §118 Abs1 Z6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 diese Bestimmungen ebenfalls anzuwenden hatte. Alle drei Tatbestände des §118 Abs1 Z6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 haben nämlich die Nicht- oder nicht vollständige Vorlage der Fertigstellungsanzeige zum Gegenstand, wobei litc auf das Fehlen einer allenfalls zusätzlich zur Fertigstellungsanzeige notwendigen Benützungsbewilligung abstellt. Auch der Einwand der Steiermärkischen Landesregierung, dass Bauherr und Eigentümer in den meisten Fällen identisch seien, und in den anderen mittels verfassungskonformer Interpretation vorgegangen werden könne, weshalb der vom LVwG gewählte Anfechtungsumfang zu weit sei und bloß die Wortfolge "als Eigentümer" in Bedenken zu ziehen wäre, geht ins Leere. Zudem übersieht die Stmk Landesregierung, dass mit der Aufhebung allein der Wortfolge "als Eigentümer" eine verfassungsrechtlich unzulässige, rückwirkende Ausweitung des von der Strafbestimmung erfassten Täterkreises eintreten würde, da nach der derart hergestellten Rechtslage nunmehr jeder, der ein Bauwerk benützt oder benützen lässt, bei Nichteinbringung einer Fertigstellungsanzeige zu bestrafen wäre.

Hinreichende Bestimmtheit von §118 Abs1 Z6 Stmk BauG

Die Norm ist keineswegs unbestimmt, da sie unmissverständlich determiniert, wer bestraft werden soll, welches Verhalten sanktioniert wird und mit welcher Strafhöhe zu rechnen ist. Wenn das LVwG ausführt, dass die Bestimmung des §118 Abs1 Z6 Stmk BauG keine Verpflichtungen schaffen könne, die nicht bereits materiell in §38 Stmk BauG enthalten seien, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich eine Rechtspflicht daraus ergibt, dass eine Rechtsvorschrift das gegenteilige Verhalten unter Strafe stellt. Die in Bedenken gezogene Norm droht dem Eigentümer eine Strafe an, wenn er ua eine Fertigstellungsanzeige nicht einbringt. Bei §118 Abs1 Z6 Stmk BauG handelt es sich daher um eine lex fugitiva, die dem Eigentümer einer Liegenschaft - an unsystematischer Stelle und ungeachtet dessen, ob er auch Bauherr ist - eine baurechtliche Pflicht ua zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige auferlegt. Diese Pflicht und die korrespondierende Sanktion sind nicht unbestimmt. Gemäß §118 Abs1 Z6 lita Stmk BauG ist es dem Eigentümer geboten, eine Fertigstellungsanzeige einzubringen, weil die Unterlassung dessen mit Strafe bedroht ist.

Verletzung des Sachlichkeitsgebotes

Der VfGH hält den Grundsatz, dass eine strafrechtliche Verantwortlichkeit nur an eigenes Verhalten geknüpft werden darf, für so selbstverständlich, dass er von der Bundesverfassung unausgesprochen vorausgesetzt wird.

Im vorliegenden Fall ist nicht hervorgekommen, dass den Eigentümer einer Liegenschaft mit dem von ihm verschiedenen Bauherren eine besondere Beziehung verbände, die es rechtfertigen würde, den Eigentümer anstelle des Bauherren zu verpflichten, eine Fertigstellungsanzeige für dessen Bauwerk einzubringen. Der Eigentümer, der seine Liegenschaft etwa verpachtet und damit die tatsächliche Sachherrschaft über sie aufgegeben hat, hat im Bauverfahren bloß gemäß §22 Abs2 Z2 bzw §33 Stmk BauG seine Zustimmung zur Bauführung durch den Bauherren zu erklären. Auch die Steiermärkische Landesregierung hat eine regelmäßig bestehende, etwa von der Vertragsgestaltung im Einzelfall unabhängige, besondere Beziehung zwischen Bauherren und Eigentümer nicht vorgebracht, sondern bloß darauf hingewiesen, dass bei Eigentümer und Bauherr im Regelfall Identität bestehe. Dies vermag das vorgetragene Bedenken allerdings nicht zu entkräften, zumal es keineswegs lebensfremd oder unvorhersehbar ist, dass Eigentümer und Bauherr verschieden sind. Auch das Stmk BauG kennt solche Fälle, wenn es etwa in §22 Abs2 Z2 bzw §33 Stmk BauG anstatt der Zustimmungserklärung des Eigentümers jene eines allfällig dinglich Bauberechtigten nennt. Gemäß §118 Abs1 Z6 Stmk BauG wäre der Eigentümer aber auch dann zu bestrafen, wenn Bauherr der dinglich Bauberechtigte ist, und der Eigentümer daher gar keine Zustimmungserklärung abgeben müsste, seine Mitwirkung im Bauverfahren daher - bis auf die inkriminierte lex fugitiva des §118 Abs1 Z6 Stmk BauG idF LGBl 29/2014 - gänzlich ausgeschaltet wäre. Außerdem erfasst das Wort "Eigentümer" auch sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer, die offenbar allesamt strafbar wären, wenn nur einer - und nicht alle - von ihnen die geforderte Fertigstellungsanzeige einbrächte.

Auch ein öffentliches Interesse daran, die Pflicht zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige zusätzlich dadurch zu bewehren, dass der Eigentümer für ihre Einhaltung zu sorgen hat, indem er die Fertigstellungsanzeige selbst einbringt oder etwa vom Bauherren in seinem Namen einbringen lässt, ist nicht ersichtlich. Für den VfGH bleibt unverständlich, warum den am Baubewilligungsverfahren ansonsten unbeteiligten Eigentümer - von allen denkbaren baurechtlich vorgesehenen Pflichten - gerade jene zur Einbringung einer Fertigstellungsanzeige treffen sollte. Die Stmk Landesregierung hat kein öffentliches Interesse an einer derartigen Vorgehensweise genannt und auch nicht etwa erklärt, der Gesetzgeber habe dem Eigentümer hinsichtlich einer Bauführung durch einen fremden Bauherren auf seiner Liegenschaft eine besondere Pflicht zur Nachschau überbürden wollen. Dem allfälligen Einwand, diese Regelung diene der Verwaltungsvereinfachung, weil - wiederum - Eigentümer und Bauherr im Regelfall identisch seien, wäre nicht zu folgen. Der Behörde ist der Bauherr nämlich ohnehin in jedem Fall bekannt, ist er doch gemäß §4 Z11 Stmk BauG "der jeweilige Inhaber einer Baubewilligung oder Genehmigung der Baufreistellung" und damit die hauptsächliche Verfahrenspartei.

Eine verfassungskonforme Interpretation der in Bedenken gezogenen Bestimmung kommt, anders als die Stmk Landesregierung argumentiert und anders als die in diesem Zusammenhang offener formulierte Bestimmung, die den Gegenstand der Entscheidung VfSlg 12776/1991 bildete und die neben dem Eigentümer auch den Verfügungsberechtigten nannte, nicht in Betracht. Die Wortfolge "als Eigentümer" lässt es nicht zu, diese in "als Bauherr" oder "als Eigentümer, soweit er auch Bauherr ist" umzudeuten, zumal das Stmk BauG in §4 Z11 für den Bauherren eine präzise Legaldefinition enthält, die sich auf eine dingliche Berechtigung nicht bezieht. Im Übrigen würde diese Interpretation die von der Stmk Landesregierung selbst aufgezeigte planwidrige Lücke bestehen lassen, dass ein Bauherr, der nicht Eigentümer ist, für die Nichteinbringung der Fertigstellungsanzeige weiterhin nicht bestraft werden könnte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Baurecht, Strafe (Verwaltungsstrafrecht), Haftung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G167.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.08.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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