TE Vwgh Beschluss 2020/3/5 Ra 2019/19/0489

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache der S H in W, vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Kärntner Straße 7b/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2019, Zl. W275 2188247- 1/15E, betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Afghanistans, stellte am 17. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte sie vor, im Kleinkindalter mit ihrer Familie wegen des Krieges in Afghanistan in den Iran gezogen zu sein. Vor etwa zehn Jahren habe ihr Vater dort ihre Mutter im Streit getötet und sei deswegen zurück nach Afghanistan geflüchtet, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Die Revisionswerberin habe Anzeige bei den iranischen Behörden erstattet, weshalb sie mehrfach von ihrem Vater, der sie und ihre Schwestern zuvor schon mehrfach misshandelt habe, und dessen Bruder bedroht worden sei. Nachdem sie mangels Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigung vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden sei, habe sie die Flucht ergriffen. In Afghanistan könne sie nicht leben, weil sie dort keinen Schutz finden würde, Frauen nicht geholfen werde und sie niemanden kenne. Sie habe sich außerdem gegen eine zwangsweise Verehelichung ihrer Schwester ausgesprochen und eine "westliche Lebensweise" angenommen. 2 Mit Bescheid vom 31. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag der Revisionswerberin sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab, gab der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des bekämpften Bescheides statt, erkannte der Revisionswerberin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 5 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur "westlichen Orientierung" ab. Das Bundesverwaltungsgericht habe eine nachvollziehbare Prüfung unterlassen, ob die Lebensweise der Revisionswerberin in Afghanistan zu Reaktionen führen würde, die ihrer Schwere nach als Verfolgung angesehen werden könnten, und ob ihr im Fall von Privatverfolgung staatlicher Schutz gewährt werden würde. Es seien zudem keine ausreichenden Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der Revisionswerberin getroffen worden. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich in diesem Zusammenhang über das erhebliche Vorbringen der Revisionswerberin hinweggesetzt und keine nachvollziehbare Beurteilung der von ihm getroffenen Feststellungen vorgenommen. Indem das Bundesverwaltungsgericht der Revisionswerberin mit dem pauschalen Verweis auf einen nicht näher erörterten Gesamteindruck begründungslos eine selbstbestimmte Lebensweise abspreche, sei ihm eine die Rechtssicherheit beeinträchtigende, unvertretbare Beweiswürdigung anzulasten. 6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist für die Frage des Vorliegens einer "westlichen Orientierung" eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin entscheidend, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte. Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen "westlicher Orientierung" wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (vgl. etwa VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388).

7 Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausführlich mit der aktuellen Lebenssituation und den vorgebrachten Alltagsbeschäftigungen der Revisionswerberin auseinander und kam dabei zu dem Schluss, dass diese keine derartige Lebensweise angenommen habe, dass ihr der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre. 8 Soweit in der Revision in diesem Zusammenhang die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts angesprochen wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht diese Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2018/19/0154 bis 0156, mwN). 9 Der Revision gelingt es mit ihren Ausführungen nicht, eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung darzulegen. Dem Hinweis der Revision auf die vielfältigen Hobbies und Tätigkeiten der Revisionswerberin ist entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach darauf hingewiesen hat, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass ihr deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste (vgl. ebenfalls in Bezug auf Afghanistan VwGH 3.5.2018, Ra 2018/19/0191; 12.6.2018, Ra 2018/20/0177 bis 0180; 5.8.2019, Ra 2018/20/0320 bis 0325, jeweils mwN; sowie zur Ausübung des Freizeitsports Nordic Walking etwa VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301).

Die anhand der getroffenen Feststellungen erfolgte Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich im vorliegenden Fall nicht als unvertretbar dar.

10 Mangels Feststellung eines "westlich-orientierten" Lebensstils war dessen Auswirkung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht zu prüfen, weshalb auch dieses Vorbringen nicht zur Zulässigkeit der Revision führt.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Wien, am 5. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190489.L00

Im RIS seit

05.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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